In der öffentlichen Debatte rund um das milliardenschwere Northvolt-Investment wird immer wieder auf das PwC-Gutachten verwiesen, das im Juni 2023 dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz überreicht wurde und das die Grundlage für die politische Förderentscheidung war. Politiker wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nutzten das Gutachten mehrfach als Beleg für die Wirtschaftlichkeit und die vertretbaren Risiken des Investments. In verschiedenen Presseartikeln wurde seit 2023 immer wieder darauf verwiesen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Northvolt die Wandelanleihe vollständig zurückzahlt, bei 86 Prozent liege. Im PwC-Gutachten heißt es: "Die Häufigkeit der vollständigen Rückführung des Nominalbetrages der Wandelanleihe (inkl. der über die Laufzeit kapitalisierten Zinsen) liegt im Jahr 2028 bei 86% der simulierten Fälle."
Die Zahl "86 %" wurde in der öffentlichen Kommunikation zu einem zentralen Argument, um das geringe Risiko des Investments zu rechtfertigen. Sie impliziert, dass das Ausfallrisiko auf 14 % beschränkt sei – eine Zahl, die in politischen Stellungnahmen gerne als Beleg für eine tragfähige Investition diente.
Doch in der öffentlichen Debatte wurde bislang kaum thematisiert, wie diese Zahl überhaupt zustande kam und welche gravierenden methodischen Schwächen im Gutachten stecken. Presseberichte und politische Verlautbarungen beschränkten sich meist auf das Zitieren der Rückzahlungswahrscheinlichkeit, ohne die Modellannahmen zu hinterfragen.
Was dabei häufig ausgeblendet blieb: Die Berechnung dieser 86 % basiert auf einer Monte-Carlo-Simulation mit 20.000 Pfaden auf Basis einer geometrischen Brownschen Bewegung (GBM), die Normalverteilungen der Renditen unterstellt und damit kritische Risiken systematisch unterschätzt. Auch die Ableitung des Diskontierungssatzes über CAPM und WACC mit Beta-Faktoren etablierter Batteriehersteller ist methodisch falsch und für Northvolt kaum tragfähig.
Aus dieser Beobachtung kann man nur schließen: Entweder wurde das PwC-Gutachten von politischen Entscheidern und Journalisten nicht vollständig gelesen, oder die zentralen methodischen Inhalte – wie CAPM, WACC, GBM und die Annahmen zu Beta-Faktoren – wurden nicht verstanden. In der medialen und politischen Kommunikation reduzierte sich die komplexe Modellierung auf eine einzige, leicht zu kommunizierende Zahl – ohne dass deren Aussagekraft ernsthaft geprüft wurde.
Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang auch die Feststellung des Bundesrechnungshofes: "In ihrer Vorlage an den Haushaltsausschuss zu den erforderlichen außerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen erwähnte die Bundesregierung dieses Ausfallrisiko der Wandelanleihe nicht", heißt es wörtlich im Gutachten des Bundesrechnungshofes. Das bedeutet: Obwohl PwC explizit ein Ausfallrisiko von 14 % berechnete, wurde dieses gegenüber dem Parlament nicht transparent gemacht und spielte in der politischen Kommunikation keine Rolle. Es wurde auch nicht darauf hingewiesen, dass die im Gutachten genannte Ausfallwahrscheinlichkeit von 14 % seitens PwC schön gerechnet war. Die erheblichen Risiken eines Start-ups wie Northvolt wurden in der Berechnung weitgehend ausgeblendet, da eine quantitative Bewertung von Risiken und Chancen vollständig fehlte. Auch der Bundesrechnungshof weist explizit auf erhebliche Defizite bei der Beurteilung von Chancen und Risiken vor der Zeichnung der Wandelanleihe hin und kritisiert, dass eine solche sorgfältige Abwägung für die Haushaltsentscheidung notwendig gewesen wäre. Stattdessen gab es in der Welt von PwC und von Robert Habeck 8 jeweils generisch beschriebene Stärken, 4 Schwächen, 8 Chancen und 9 Risiken. Und schon war die Risikoanalyse für das Milliardenprojekt fertig. Dieser oberflächliche Umgang mit Risiken und Chancen in einem Milliardenprojekt zeugt von politischer Verantwortungslosigkeit im Umgang mit Steuergeldern.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um die politische Verantwortung beleuchtet dieser Beitrag die inhaltlichen und vor allem methodischen Schwächen des PwC-Gutachtens – aus der Perspektive der Investitionsrechnung und eines methodisch fundierten Risiko- und Chancenmanagements.
"Best guess"-Annahmen in der klassischen Investitionsrechnung
Die klassische Investitionsrechnung [vgl. Kruschwitz 2005, Wöhe/Döring/Brösel 2016, Grob 2006] bietet bei Entscheidungen Methoden, um eine rationale Beurteilung einer Investition zu ermöglichen. So soll beispielsweise die Frage beantwortet werden, ob sich eine Investition lohnt oder welche Investition aus mehreren Alternativen die Beste ist. Zu diesem Zweck werden die finanziellen Auswirkungen (beispielsweise Cashflow-Entwicklungen) einer Investition bewertet und verdichtet. Allgemein wird in der modernen Investitionstheorie eine Investition als ein Zahlungsstrom aller Einzahlungen und Auszahlungen betrachtet.
In der Betriebswirtschaftslehre wird zwischen "einfachen" statischen Methoden der Investitionsrechnung (Kostenvergleichsrechnung, Gewinnvergleichsrechnung, Rentabilitätsrechnung, Amortisationsrechnung, MAPI-Methode) sowie dynamischen Verfahren (Kapitalwertmethode, Vermögensendwertmethode, Methode des internen Zinsfußes, Annuitätenmethode, Dynamische Amortisationsrechnung, Economic Value Added) unterschieden (vgl. hierzu Wöhe/Döring/Brösel 2016). Die Antizipation der zukünftigen Zahlungsströme (Cashflows) gewichtet den zeitlichen Anfall der Zahlungsströme mittels Auf- oder Abzinsung (so genannte "Net Present Value", NPV bzw. Nettogegenwartswert oder Kapitalwert). Durch eine Abzinsung aller zukünftigen Zahlungsströme auf den Beginn der Investition werden Zahlungen vergleichbar gemacht, die zu beliebigen Zeitpunkten anfallen. Die anschließende Entscheidungsregel lautet: Übersteigt der Barwert der Einnahmen den Investitionsaufwand, wird die Investition als wirtschaftlich betrachtet (NPV > 0: Investition durchführen).
Es wird sehr schnell deutlich, dass in der klassischen Investitionsrechnung die Bewertung der Investition zum einen sehr stark von den unsichereren Zahlungsströmen und zum anderen von dem Kalkulationszinssatz abhängig ist. Sowohl die Zahlungsströme als auch der Kalkulationszinssatz werden vor allem durch zukünftige Chancen und Risiken determiniert. Im Lehrbuch basiert die Investitionsrechnung auf "Best Guess"-Annahmen über zukünftige (häufig höchst unsichere) Entwicklungen. Außerdem suggeriert die Festlegung auf einen Wert je Jahr eine vollkommene Sicherheit.
In der Praxis könnte man nun unterschiedliche Szenarien rechnen, in dem die Parameter entsprechend angepasst werden. Das PwC-Gutachten basiert auf zwei Szenarien der Unternehmensplanung für den gesamten Northvolt-Konzern im Zeitraum 2023 bis 2030. Die Unternehmensplanung bildete zwei Planungsszenarien ab:
- Das 250 GWh-Szenario bildet die Planung ab, die Northvolt bis zum eingeschwungenen Zustand des Unternehmens im Jahr 2030 anstrebt. Es sieht einen sukzessiven Aufbau der Produktionskapazität für Batteriezellen des Northvolt-Konzerns auf 250 GWh pro Jahr vor.
- Das 150 GWh-Szenario ist eine Unternehmensplanung, die laut Northvolt auch ohne einen Börsengang finanziert und umgesetzt werden kann. Das 150 GWh-Planungsszenario wird daher als die konservativere Planung angesehen.
Das Problem bei sog. deterministischen Szenarien ist jedoch, dass es keine Aussage darüber treffen kann, was das "richtige" Szenario ist. Es wird deutlich, dass vor allem bei zunehmender Unsicherheit von Investitionsentscheidungen (volatile Marktentwicklungen, technologischer Wandel, disruptive Einflüsse etc.) die klassischen Methoden der Investitionsrechnung allein nicht mehr ausreichen, Entscheidungen fundiert zu treffen.
Anmaßung von Wissen oder seriöser Umgang mit Unsicherheit
Wichtig sind vielmehr die folgenden Aspekte:
- Höhere Transparenz über die Unsicherheit in den Annahmen und ihrer Ergebniswirkung;
- Berechnung der Wahrscheinlichkeit des Erfolgs beziehungsweise Misserfolgs einer Investition;
- Gezielte Optimierung des Investitionsvorhabens durch Transparenz über Sensitivitäten der Parameter und Auswirkungen möglicher Maßnahmen (beispielsweise durch den Einsatz von Derivaten oder Versicherungen);
- Höhere Transparenz über die Sensitivitäten zur Konzentration auf kritische Parameter und Chancen sowie Risiken in der Umsetzungsphase des Projektes.
Durch ein stochastisches Simulationsmodell wird es möglich, in einem definierten Realitätsausschnitt zu "experimentieren" und Auswirkungen verschiedener Parameteränderungen (Risiken und Chancen) auf die definierten Zielgrößen einer Investition (beispielsweise das Betriebsergebnis oder den NPV) zu analysieren.
Die grundlegende Idee der Stochastischen Szenarioanalyse ist es, für zufällig gewählte Parameter über die entsprechenden Zusammenhänge die zugehörigen Ergebnis- oder Zielgrößen zu ermitteln (vgl. Romeike/Stallinger 2021). Das zur Ermittlung der Zielgrößen verwendete Modell ist in der Regel deterministischer Natur, das heißt, mit dem Festlegen der Parameter sind die Zielgrößen eindeutig bestimmt.
Fakt ist, dass wir heute mit den Hilfsmitteln der Stochastik und moderner Simulationsmethoden Risiken besser und treffender beschreiben können als jede Generation vor uns. Ortwin Renn bezeichnet dies als stochastische Wende (vgl. Renn 2019). Je mehr wir über komplexe Zusammenhänge wissen, desto häufiger entdecken wir stochastische Wirkungen. Potenzielle Risiken können seriös nur über Bandbreiten, d.h. mit Hilfe der Stochastik, beschrieben werden. Mit der Einführung stochastischer Überlegungen werden Aussagen über die Wirklichkeit nicht mehr eindeutig, sondern es gibt mehrere wissenschaftlich gleich gut belegte Aussagen, die parallel Geltung beanspruchen. Alles andere wäre eine "Anmaßung von Wissen", über welches wir schlicht und einfach nicht verfügen. Damit sind stochastische Aussagen (und die Ergebnisse einer stochastischen Simulation) kein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr die Stärke wissenschaftlicher Erkenntnis. Eine fundierte Risikoanalyse vermeidet Scheingenauigkeiten und Einzelszenarien und bietet dafür realistische Bandbreiten der zukünftigen Entwicklung. Die Welt der Stochastik und Probabilistik macht unser Wissen faktenbasierter und vielfältiger, aber nicht ungenauer.
PwC-Analyse: Ausblenden von Unsicherheit und Ignorieren von Risiken
PwC stützt sich in ihrer Bewertung des Finanzierungsvorhabens für Northvolt auf die zwei oben skizzierten deterministische Szenarien: Das 250 GWh- und das 150 GWh-Szenario. Beide Szenarien beruhen auf linearen Annahmen zur Produktionskapazität, ohne systematische Modellierung der Unsicherheiten in Bezug auf Marktentwicklung, Technologierisiken, regulatorische Eingriffe oder Rohstoffpreise. D.h. die beiden deterministischen Szenarien basieren auf einer Anmaßung von Wissen, über welches weder PwC noch Northvolt verfügen konnte. Eine Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen für zentrale Einflussfaktoren fehlt ebenso wie eine aggregierte Risiko- und Chancenbewertung mittels stochastischer Simulationen. Dies widerspricht modernen Standards des Risikomanagements und übrigens auch den gesetzlichen Anforderungen (zur Analyse bestandsgefährdender Entwicklungen, vgl. § 1 StaRUG, § 91 Abs. 2 AktG sowie den DIIR Revisionsstandard Nr. 2).
Moderne Investitionsrechnungen erfordern die Abbildung von Unsicherheiten durch stochastische Szenarioanalysen (vgl. Romeike 2018, Gleißner/Meyer/Spitzner 2021, Lorscheid/Heine/Meyer 2012 sowie Duscher/Meyer/Spitzner 2012). Diese Methoden basieren auf der Generierung hunderttausender oder Millionen Zukunftspfaden durch stochastische Simulationen, wobei Parameter wie Absatz, Preise, Kosten oder Finanzierungskonditionen durch geeignete Wahrscheinlichkeitsverteilungen modelliert werden. Sie liefern nicht nur Erwartungswerte, sondern auch Verteilungen der Zielgrößen (beispielsweise NPV, Cashflow, Rendite eines Projektes) und erlauben so Aussagen über Eintrittswahrscheinlichkeiten kritischer Schwellenwerte (beispielsweise Insolvenzrisiko). Im Gegensatz dazu suggeriert die von PwC verwendete deterministische Szenarioplanung eine trügerische Sicherheit (u.a. auch durch das Ignorieren und die konkrete Abbildung von relevanten Risiken) und verkennt die inhärente Volatilität in Investitionsprojekten dieser Größenordnung.
SWOT-Analyse nicht verstanden
Die auf den Seiten 9 bis 12 präsentierte SWOT-Analyse leidet an gravierenden methodischen Mängeln, die sehr häufig in der Praxis von Beratern und leider auch in der Lehre und in Publikationen (so ist beispielsweise auch der Wikipedia-Eintrag zur SWOT-Analyse fehlerhaft) zu finden ist. Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken werden generisch aufgelistet und qualitativ beschrieben. Sie werden jedoch nicht systematisch nach der klassischen SWOT-Systematik analysiert. Das Akronym SWOT steht für "Strengths" (Stärken), "Weaknesses" (Schwächen), "Opportunities" (Opportunitäten) und "Threats" (Bedrohungen). Wichtig ist hierbei, dass mit "Threats" Bedrohungen gemeint sind und keine Risiken. Die Begriffe sollten nicht synonym verwendet werden.
Bedrohungen sind potenzielle Ereignisse oder Akteure, die Schaden verursachen können. Sie beschreiben die Quelle der Gefahr (Cyberangriffe, Naturkatastrophen etc.). Risiken hingegen beschäftigen sich mit den konkreten Wirkungen bzw. Planabweichungen, d.h. den konkreten "Schmerzen" für eine Organisation. Die SWOT-Analyse unterscheidet daher zwischen internen und externen Analyseperspektiven: Stärken und Schwächen betreffen die interne Ausgangslage eines Unternehmens, während Chancen und Bedrohungen externe Einflussfaktoren widerspiegeln, die aus Markt, Technologie, Politik oder Gesellschaft resultieren.
Eine fundierte SWOT-Analyse zielt auf die Kombination dieser Perspektiven ab: Chancen entstehen, wenn interne Stärken mit externen Opportunitäten abgeglichen werden (sogenanntes Matching). Risiken hingegen resultieren aus der Konfrontation interner Schwächen mit externen Bedrohungen (sogenanntes Mismatching). Genau dieser analytische Abgleich fehlt im PwC-Gutachten, denn dort werden "Threats" mit Risiken gleichgesetzt und "Opportunities" mit Chancen. Bei Northvolt hätte man die externen Bedrohungen (im Bereich der Batteriefertigung) mit den internen Stärkern und Schwächen abgleichen müssen. Heute wissen wir, dass es zu viele interne Schwächen gab, die auch bei der Erstellung der Gutachtens bereits bekannt waren. Die SWOT-Elemente werden seitens PwC additiv aufgelistet, ohne dass deren Wechselwirkungen, strategische Relevanz oder Auswirkungen auf das Projektportfolio bei Northvolt bewertet werden. Doch genau hier liegt die Stärke der SWOT-Analyse, die aber von den PwC-Autoren nicht verstanden wird. Dadurch bleibt die Analyse oberflächlich und für eine belastbare Strategieentwicklung unbrauchbar.
Fehlende quantitative Risikoaggregation und Stresstests
Weder werden die Risiken aus Marktentwicklung, Produktionsanlauf, Finanzierung, Personalaufbau und Technologieentwicklung systematisch quantifiziert, noch erfolgt eine stochastische Aggregation dieser Risiken. Auch eine Sensitivitätsanalyse oder ein Stressszenario (beispielsweise Preisverfall oder scheiternder IPO) wird nicht dargestellt. Gerade für großvolumige staatlich gestützte Investitionen ist eine simulationsgestützte Analyse notwendig. Nur dadurch lässt sich die Wahrscheinlichkeit kritischer Schwellenwerte wie Insolvenz oder Illiquidität ermitteln.
Unternehmenswertsimulation basierend auf GBM
PwC simuliert den Unternehmenswert von Northvolt im Jahr 2028 mittels Monte-Carlo-Simulation mit 20.000 Pfaden auf Grundlage einer geometrischen Brownschen Bewegung, ohne im Gutachten auf konkrete methodische Details einzugehen oder gar Simulationsergebnisse visuell abzubilden.
Die geometrische Brownsche Bewegung (Geometric Brownian Motion, GBM) ist ein stochastischer Prozess zur Simulation von Preisentwicklungen, insbesondere von Aktienkursen oder Unternehmenswerten (vgl. Romeike/Stallinger 2021 sowie Øksendal 2010). Sie unterstellt, dass sich der Preis eines Vermögenswertes kontinuierlich in zufälliger Weise verändert, wobei die prozentuale Veränderung (logarithmierte Rendite) einer Normalverteilung folgt. Dies führt zu einer stochastischen Bewegung mit exponentiellem Wachstumspfad, bei dem Extremwerte mathematisch möglich, aber stark abgeschwächt auftreten.
Methodisch problematisch ist dabei, dass dieses Modell wesentliche Risikoaspekte nicht angemessen abbildet: Die geometrische Brownsche Bewegung unterschätzt systematisch sogenannte "Fat-Tail"-Risiken, also Extremereignisse mit geringer, aber signifikanter Eintrittswahrscheinlichkeit und potenziell katastrophalen Folgen. GBM nimmt an, dass die Volatilität σ konstant ist.
Darüber hinaus ignoriert sie sprunghafte Strukturbrüche, beispielsweise plötzliche Markteinbrüche, regulatorische Eingriffe oder technologische Disruptionen. Für junge, hochvolatile Unternehmen wie Northvolt sind solche Risiken jedoch realistisch und sollten durch alternative Modelle oder zusätzliche Stressszenarien abgebildet werden. Eine Möglichkeit, solche sprunghaften Ereignisse modellhaft zu erfassen, bieten sogenannte Jump-Diffusion-Modelle. Diese erweitern GBM-Simulationen um diskrete Sprungkomponenten, die abrupte Kursbewegungen oder strukturelle Brüche abbilden können. In der Praxis bedeutet dies, dass nicht nur kontinuierliche Schwankungen, sondern auch diskrete Schocks – etwa ein Produktionsstopp, ein Politikwechsel oder ein Strategiewechsel bei Investoren – mit einbezogen werden können. Solche Modelle sind insbesondere für technologiegetriebene Wachstumsunternehmen mit hohem Innovations- und Regulierungsrisiko geeignet. Derartige Analysen hat PwC jedoch nicht durchgeführt.
Fragwürdige Herleitung des WACC und problematische Verwendung des CAPM
Was im PwC-Gutachten noch kritischer bewertet werden muss, ist die Verwendung des Capital Asset Pricing Model (CAPM) zur Bestimmung der Eigenkapitalkosten und der Ableitung eines Diskontierungssatz aus dem gewichteten Kapitalkostensatz (Weighted Average Cost of Capital, WACC). Diese Vorgehensweise steht seit vielen Jahrzehnten in der Kritik (vgl. beispielsweise Gleißner/Romeike 2012, Banz 1981, Basu 1977 sowie Gleißner 2014), insbesondere bei nicht börsennotierten, wachstumsorientierten Unternehmen wie Northvolt.
Wie in Analysen (eine ausführliche Kritik an CAPM, Arbitrage-Pricing-Theorie (APT) und CCAPM (consumption-based capital asset pricing model) findet man u.a. bei Gleißner 2014) gezeigt wird, basiert das CAPM auf der idealisierten Annahme effizienter Kapitalmärkte, vollständiger Informationen und normalverteilter Renditen – Bedingungen, die für junge Technologiefirmen mit hoher Unsicherheit typischerweise nicht erfüllt sind. Zudem liefert das CAPM nur dann belastbare Aussagen, wenn sich der betrachtete Unternehmenswert am Gleichgewichtspreis eines liquiden Kapitalmarkts orientiert. Bei Northvolt handelt es sich jedoch um ein Projektunternehmen ohne historisch validierte Ertragsströme oder börsennotierte Kursverläufe.
Ein weiteres Problem liegt in der Herleitung des sogenannten Beta-Faktors: PwC bezieht diesen aus einer Peer-Group börsennotierter Batteriehersteller, die bereits über marktfähige Produkte und etablierte Cashflows verfügen. Eine Übertragung dieses Betas auf ein nicht etabliertes, stark risikobehaftetes Unternehmen wie Northvolt führt zwangsläufig zu einer Unterschätzung der unternehmensindividuellen Risiken. Auch der Bundesrechnungshof kritisiert dieses unseriöse und methodisch fehlerhafte Vorgehen seitens PwC. Das Unternehmen Northvolt war zum damaligen Zeitpunkt ein hoffnungsvolles Unternehmen mit "Start-up-Charakter" – ohne marktfähiges Produkt. Wie kann man ein solches Unternehmen in der (methodisch fehlerhaften) Simulation wie ein erfolgreiches und börsennotiertes Unternehmen einschätzen? In der Peer Group, die PwC für die Berechnung zugrunde gelegt hat, waren Unternehmen wie Samsung, Panasonic und Toshiba. Diese Unternehmen seien jedoch "überwiegend deutlich reifer" und hätten sich mit ihren Produkten "bereits im Wettbewerb etabliert", so der Bundesrechnungshof.
Was wäre die korrekte und einfache Lösung: Der Risikozuschlag sollte auf Basis einer projektspezifischen Risikoanalyse erfolgen, bei der die Schwankungsbreite der Zielgröße (beispielsweise Unternehmenswert) mithilfe stochastischer Methoden ermittelt und ein risikogerechter Zinssatz abgeleitet wird. Die PwC-Autoren hätten erkennen müssen, dass die Grundlage für die Bewertung eines Unternehmens die (nicht diversifizierten) Risiken des Ertrags (oder des Cashflows) sind und nicht seine Aktienkursschwankungsrisiken. Die Verwendung von Kapitalmarktinformationen (mittels Beta-Faktor) ist problematisch, wenn Kapitalmärkte sich nachweislich nicht so verhalten, wie im CAPM-Modell vorhergesagt. Es gibt kaum praktische oder wissenschaftliche Belege dafür, dass mit irgendeinem Asset Pricing Modell ausgehend von historischen Aktienrenditeschwankungen auf die an sich bewertungsrelevanten zukünftigen Ertragsrisiken eines Unternehmens geschlossen werden kann. Damit ist der praktische Nutzen jeglicher kapitalmarktorientierter Unternehmensbewertung fragwürdig (vgl. Gleißner 2014). Unternehmensbewertungen sollten immer auf Daten, insbesondere den erwarteten Chancen und Risiken, über das Bewertungsobjekt "Unternehmen" beruhen, nicht auf Daten über die Kapitalmarktentwicklung (anderer Unternehmen). Vor diesem Hintergrund liefert das Gutachten keine seriöse Aussage über die Erfolgswahrscheinlichkeit oder das Insolvenzrisiko der Projekts Northvolt.
Vernachlässigung fundierter Methoden seitens PwC
Die PwC-Analyse zum Finanzierungsvorhaben Northvolt bleibt in wesentlichen Aspekten hinter aktuellen wissenschaftlichen und praktischen Anforderungen an eine fundierte Analyse von Investitionsvorhaben zurück. Es fehlen:
- eine risikoadjustierte und szenariobasierte Planung,
- eine methodisch korrekte und strukturierte SWOT-Analyse,
- eine seriöse und quantitative (!) Bewertung potenzieller Risiko- und Chancenszenarien,
- eine quantitative Risikoaggregation basierend auf einer stochastischen Simulation (nur so können bestandsgefährdende Entwicklungen und Stressszenarien erkannt werden),
- eine adäquate Berücksichtigung von Long-Tail-Risiken sowie eine Simulation von Stressszenarien,
- eine risikoadjustierte Herleitung von Diskontierungssätzen (als Ergebnis aus der stochastischen Simulation).
Für Investitionsentscheidungen in Milliardenhöhe ist ein derart reduktionistisches Bewertungsmodell (auf der qualitativen Ebene einer schlechten Masterarbeit) nicht akzeptabel. Es sollte durch ein simulationsgestütztes, risikosensitives und strategisch fundiertes Entscheidungsmodell ersetzt werden, das den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zur Risikoanalyse sowie die methodischen Anforderungen an eine simulationsbasierte Investitionsentscheidung erfüllt.
Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) und der daraus abgeleitete gewichtete durchschnittliche Kapitalkostensatz (WACC) sind klassische Instrumente der kapitalmarktorientierten Unternehmensbewertung. Sie setzen jedoch voraus, dass die bewerteten Unternehmen bereits in funktionierenden Märkten agieren, über historische Kapitalmarktdaten verfügen und deren Renditeverteilungen annähernd normalverteilt sind. Diese Voraussetzungen waren und sind im Fall von Northvolt nicht erfüllt.
Northvolt ist ein junges, nicht börsennotiertes Projektunternehmen ohne bewertbare Markthistorie. Das Unternehmen operiert in einem dynamischen, hochriskanten Technologiefeld mit regulatorischen Abhängigkeiten und ungewisser Marktentwicklung. Die Übertragung von Beta-Faktoren etablierter, erfolgreicher Batteriehersteller – wie im PwC-Gutachten erfolgt – ignoriert diese fundamentalen Unterschiede. Das führt zu einer systematischen Unterschätzung des Risikos und damit zu einem zu niedrigen Diskontierungssatz.
Das im PwC-Gutachten angewandte CAPM liefert nur eine scheinbare Präzision und wurde von der Mehrzahl der Leser wohl auch nicht verstanden.
Kompakte Info-Box für (politische) Entscheider
1. Bei Innovationsprojekten und Startups bitte nicht auf theoretische Kapitalmarktmodelle (CAPM, WACC) verlassen! Die Prämissen im Modell sind in der Realität nicht erfüllt und empirisch widerlegt (insbesondere bei der Bestimmung der Kapitalkosten)!
2. Eine strukturierte und faktenbasierte Analyse der zukünftigen Chancen und Risiken bietet eine solide Basis im Entscheidungsprozess.
3. Wichtig bei der Analyse ist allerdings, dass die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung seriös abgebildet wird (dafür gibt es die Werkzeuge der Stochastik)! Risiken sollten szenarioorientiert (über potenzielle Bandbreiten) und nicht deterministisch (als einzelne Punktschätzer) bewertet werden! Die Auswahl einzelner Szenarien (wie im PwC-Gutachten) ist beliebig und eine "Anmaßung von Wissen"!
4. Eine qualitative Auflistung von potenziellen Risiken ist keine seriöse Bewertung und bietet keinerlei Entscheidungsunterstützung!
5. "Handle bei Investitionsentscheidungen über Steuermittel stets so, als wäre es dein eigenes Geld, und wäge dabei Chancen und Risiken gewissenhaft, methodisch fundiert und sorgfältig ab!"
(Kategorischer Imperativ für öffentliche Investitionen)
6. "Lass Dich nicht von dem beeinflussen, was du glauben willst. Betrachte lediglich die Fakten!" (Frei nach dem britischen Mathematiker und Philosophen Bertrand Russell)
Literatur
- Banz, R. W. (1981): The Relationship between Return and Market Value of Common Stocks, in: Journal of Financial Economics, 9:1981 S. 3 (18).
- Basu, S. (1977): Investment performance of common stocks in relation to their price-earnings ratios: A test of the efficient market hypothesis, in: Journal of Finance 32:1977 S. 663 (682).
- Duscher Irina/Meyer, Matthias/Spitzner, Jan (2012): Volatilität kalkulieren und steuern im Sinne eines wertorientierten Investitionscontrollings, in: ZfCM | Controlling & Management, Sonderheft 2/2012, S. 6.-11.
- Gleißner, W. (2014): Kapitalmarktorientierte Unternehmensbewertung: Erkenntnisse der empirischen Kapitalmarktforschung und alternative Bewertungsmethoden, in: CORPORATE FINANCE, 4 / 2014, S. 151-167.
- Gleißner, W./Romeike, F. (2012): Capital Asset Pricing Model – Kapitalmarktorientierung und die Unfähigkeit adäquat mit Unternehmensrisiken umzugehen, in: RISIKO MANAGER, 06/2012, S. 1, 6-11.
- Gleißner, W. / Meyer, M. / Spitzner, J. (2021): Simulationsbasierte Investitionsrechnung: Kalkulation mit Unsicherheit und risikoadäquate Bewertung, in: Controlling, Heft 2/2021, S. 22 – 29.
- Grob, Heinz L. (2006): Einführung in die Investitionsrechnung, Vahlen Verlag, München 2006.
- Kruschwitz, Lutz (2005): Investitionsrechnung, 10. Auflage. Oldenbourg Verlag, München 2005.
- Lorscheid, I./Heine, B.-O./Meyer, M. (2012): Opening the ’black box’ of simulations: increased transparency and effective communication through the systematic design of experiments, in: Computational & Mathematical Organization Theory, H. 1 (2012), S. 22–62.
- Øksendal, B. (2010): Stochastic Differential Equations: An Introduction with Applications, Sixth Edition, Springer, Heidelberg u.a. 2010.
- Renn, O. (2019): Gefühlte Wahrheiten – Orientierung in Zeiten postfaktischer Verunsicherung, Verlag Barbara Budrich, Opladen u.a. 2019.
- Romeike, F. (2018): Stochastische Investitionssimulation. Seriöser Umgang mit Unsicherheit bei Investitionsplanungen, in: CFO aktuell, Ausgabe Juli 2018, S. 167-172.
- Romeike, F./Stallinger, M. (2021): Stochastische Szenariosimulation in der Unternehmenspraxis – Risikomodellierung, Fallstudien, Umsetzung in R, Springer Verlag, Wiesbaden 2021.
- Russel, B. (1922): Free Thought and Official Propaganda, George Allen & Unwin, London 1922.
- Wöhe, Günter/Döring, Ulrich/Brösel, Gerrit (2016): Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Vahlen Verlag, München 2016.