Ein Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Peter Carlsson, ein drahtiger Ex-Tesla-Manager und großer Geschichtenerzähler mit großem rhetorischem Talent, betritt den Raum. Er inszeniert sich als europäische Antwort auf Elon Musk. Von seiner Ausbildung ist er Qualitätsmanager und Ökonom. Mit leuchtenden Augen schildert er uns eine Zukunftsvision: Grüne Batterien "Made in Europe", die dem technologischen Marktführer China die Stirn bieten. Er spricht von "europäischer Souveränität" und ökologischer Verantwortung. Eine Giga-Fabrik in Schleswig-Holstein, gespeist von Windstrom, soll Europas Antwort auf die asiatische Dominanz im Akku-Geschäft werden. Carlsson sucht Investoren – nicht nur ihr Geld, sondern vor allem ihren Glauben. Und er sucht vor allem Investoren, die es mit einer fundierten Abwägung von Chancen und Risiken nicht so genau nehmen. Ideologisch denkende Politiker sind da eine ideale Zielgruppe.
Wenn wir als privater Investor – und mit unserem eigenen Geld – entscheiden müssten, würden wir wichtige Fragen stellen: Wo sind belastbare Kundenverträge? Wo ist das Produkt? Welche Patente existieren? Welche Wettbewerber gibt es? Wo sind wir besser? Welche geopolitischen Risiken existieren? Gibt es nachweisbare Produktionserfolge? Haben wir die entsprechenden Produktionskapazitäten? Welche Rückflüsse sind zu erwarten? Wie hoch ist das Risiko eines Totalausfalls? Was wäre der Net Present Value, die erwartete Rendite und die erwartete Verlustwahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung aller zukünftiger Chancen und Risiken (idealerweise stochastisch simuliert, um die Unsicherheit in derartigen Projekten seriös abzubilden; vgl. Romeike 2018)?
Eine methodisch fundierte und quantitative Due-Diligence wäre zwingend erforderlich gewesen. Doch im Fall Northvolt hat die Bundesregierung offenkundig blind vertraut. Auf einen Geschichtenerzähler und ein PwC-Gutachten. Was ein Privatinvestor nie akzeptieren würde, wurde in der öffentlichen Hand großzügig durchgewunken – mit fatalen Folgen.
Pleite einer europäischen Batteriehoffnung
Mit einer Mischung aus Silicon-Valley-Mindset und europäischem Charme gewann er Förderzusagen in Milliardenhöhe. Northvolt erhielt Förderungen von insgesamt knapp 1,8 Mrd. EUR aus Steuermitteln und öffentlichen Geldern.
In der europäischen Polit-Elite galt Northvolt als europäisches Vorzeigeprojekt für die Energiewende. Milliardenförderungen, politische Rückendeckung und ein charismatischer Geschichtenerzähler sollten das Unternehmen zur Speerspitze der europäischen Batterieproduktion machen. Heute steht es für eine der spektakulärsten Industriepleiten Europas – mit dramatischen Folgen für Investoren, Beschäftigte und die Glaubwürdigkeit staatlich gestützter Industriepolitik.
Denn am 12. März 2025 meldete Northvolt AB offiziell Insolvenz beim schwedischen Konkursgericht an – der größte Unternehmens‑Bankrott in der modernen Industriegeschichte Schwedens. Dem voraus gingen Monate zunehmender Planabweichungen (Risiken!) und eine existenzbedrohende Schieflage: Verzögerte Fabrikbauten, fehlendes Knowhow, gestörter Wertschöpfungsketten, explodierende Kosten, hohe Ausschussraten und massive Managementprobleme setzten das Unternehmen zunehmend unter Druck. Vor allem aber war es der überambitionierte Expansionskurs, der Northvolt schließlich zu Fall brachte. Geplant waren Gigafactories in Schweden, Deutschland, Kanada und Norwegen – doch die operative Realität hinkte der Vision weit hinterher. Von den versprochenen Produktionskapazitäten wurde nur ein Bruchteil erreicht.
Rund eine Milliarde Euro an Steuergeldern gelten aktuell bereits als verloren: 700 Mio. EUR durch ausgezahlte Zuschüsse und ca. 293 Mio. EUR uneinbringlich aus dem EIB‑Darlehen. Wie viel bei der KfW‑Förderung endgültig verloren gehen wird, bleibt nach Insolvenzverfahren, Rückforderungen oder Nachbesicherung offen.
Nach dem Antrag auf Gläubigerschutz in den USA (Chapter 11) im November 2024 zog Peter Carlsson die Reißleine und trat als CEO zurück. In einer öffentlichen Stellungnahme übernahm er (zumindest rhetorisch) die Verantwortung für das Scheitern und sprach von "monatelangen schlaflosen Nächten". Bei einer späteren Pressekonferenz verließ er wütend den Raum, als er auf einen privaten Aktienverkauf angesprochen wurde – ein Vorgang, der vielen Beobachtern als moralisch fragwürdig erschien.
Bereits im Mai 2025 gründete er gemeinsam mit ehemaligen Northvolt-Kollegen das Start-up Aris Machina, ein AI-Unternehmen zur Optimierung industrieller Prozesse. Es ist ein symbolischer Schritt: Weg von schwerfälliger Hardware, hin zu skalierbarer, softwaregetriebener Effizienz. Während Northvolt in der Insolvenzverwaltung steckt, sucht Carlsson den Neuanfang. Und möglicherweise wird er bald die nächste Geschichte erzählen.
Der Preis der Verantwortungslosigkeit
Von den öffentlichen Geldern entfiel allein 600 Millionen Euro auf eine Wandelanleihe, abgesichert durch eine staatliche Garantie, abgesichert durch den Bund (und Schleswig‑Holstein). Eine Wandelanleihe ist ein Finanzierungsinstrument mit eingebauter Option, das Unternehmen wie Northvolt hilft, Kapital einzuwerben, ohne sofort Anteile abzugeben. Ob unser ehemaliger Wirtschaftsminister wusste, dass eine Wandelanleihe ein Gläubigerinstrument ist, wenn ein Unternehmen insolvent wird.
Investoren sind Nachranggläubiger und verlieren im Zweifel ihr Geld. Und falls der Aktienkurs nie den Wandlungspreis erreicht, bleibt nur die Rückzahlung zum Nennwert – sofern das Unternehmen zahlungsfähig ist. Wer hat sich mit solchen Themen auf der politischen Seite eigentlich beschäftigt? Immerhin gab es bereits im Jahr 2023 kritische Stimmen im schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministerium und im Finanzministerium. Insgesamt 149 Fragen wurden seitens der Landesregierung an das Bundeswirtschaftsministerium geschickt. Beantwortet wurden die Fragen von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Interessanterweise hatten Recherchen vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) erst im März ergeben, dass PwC nicht nur die Regierung zu Northvolt beraten hatte, sondern auch Northvolt selbst.
Und welche Art von Risikoanalyse hat eigentlich die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) durchgeführt? Diese Frage kann wohl Stefan Peiß beantworten, der im KfW-Vorstand für Risikomanagement und -controlling verantwortlich ist. Die restlichen Mittel sollten als Zuschüsse aus Bundes- und Landesmitteln fließen. Die Genehmigung der Mittel basierte maßgeblich auf einem Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC – das jedoch vom Bundesrechnungshof in zentralen Punkten als unzureichend bewertet wurde. Nun ja, PwC ist in den vergangenen Jahren häufiger mal durch eine gewisse Risikoignoranz oder -blindheit aufgefallen. Es sei an dieser Stelle an den uneingeschränkten Bestätigungsvermerk für den Geschäftsbericht 2023 der BayWa erinnert. Alles im "grünen Bereich" sagten die Wirtschaftsprüfer – obwohl die veröffentlichten Zahlen etwas anderes zeigten. Und leider hatten die Autoren des Geschäftsberichts Erwartungswerte mit echten Risiken verwechselt.
Eine fundierte quantitative Risikoanalyse mit Sensitivitätstests, stochastischen Simulationen oder Stresstests – wirksame und transparente Werkzeuge im Risikomanagement – fand nicht statt. Stattdessen wurde auf pauschale Referenzvergleiche mit etablierten Unternehmen zurückgegriffen, deren Risikoprofile mit Northvolt nicht vergleichbar waren. Das PwC-Gutachten enthielt keine belastbaren Szenarien, keine Ausfallwahrscheinlichkeiten auf Basis realistischer Annahmen, keine Stressszenarien und keine quantitative Bewertung von Projektrisiken. Man hat irgendwie das Gefühl, dass es sich eher um ein Bestellgutachten handelte, deren Ergebnis bereits bei der "Bestellung" feststand. Aber das ist selbstverständlich eine völlig haltlose Unterstellung – und ist auch in der Vergangenheit noch nie passiert.
Prinzip Hoffnung statt fundierte Risiko- und Chancenanalyse
Das Magazin Cicero zitiert aus dem geheimen Gutachten des Bundesrechnungshofes: "Für die Entscheidung zur Wandelanleihe im Jahr 2023 lagen dem BMWE (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) mehrere Unterlagen vor, insbesondere die Stellungnahme einer WP-Gesellschaft zur wirtschaftlichen Bewertung der damit verbundenen Chancen und Risiken. Wesentliche Voraussetzungen für den künftigen Erfolg des 'Start-Ups' untersuchte sie allerdings nur eingeschränkt: So wies sie darauf hin, dass zur Wettbewerbsfähigkeit der Produkte zum Teil nur allgemein gehaltene Unterlagen vorlagen. […] Zu vorgesehenen Produktivitäts- und Ertragsverbesserungen lagen ebenfalls nur unvollständige Informationen vor. Eine Simulation zur Ausfallwahrscheinlichkeit der Wandelanleihe unterschätzte die Risiken für den Bund systematisch. Denn die als Vergleich herangezogenen Unternehmen waren überwiegend deutlich reifer als Northvolt und bereits mit Produkten im Wettbewerb etabliert. Zugleich enthielt die Stellungnahme keine Szenarioanalysen, um die Auswirkungen von Abweichungen bei wesentlichen Planungsparametern zu bewerten – obwohl solche Szenarien in vergleichbaren Fällen herangezogen werden."
Der Bundesrechnungshof kann logischerweise nur zu dem Ergebnis kommen, dass kein großes Interesse darin bestand, die Informationslücken zu füllen oder eine Transparenz über Unsicherheiten und Risiken zu schaffen. Im Vordergrund stand vielmehr: "Augen zu und durch! Wir schon irgendwie gut gehen!" Oder um es in der Sprache des Bundesrechnungshofes zu zitieren: "Es agierte stattdessen weitestgehend nach dem Prinzip Hoffnung."
Noch gravierender ist, dass zentrale Annahmen der Investitionsentscheidung – etwa zur Nachfrageentwicklung oder zur Lieferkettensicherheit – nie einem Stresstest oder einer Stresssimulation unterzogen wurden. Risiken wie geopolitische Spannungen, Technologieabhängigkeit von China oder etwa die instabile Rohstoffversorgung wurden kaum adressiert. In der öffentlichen Denkwelt fehlte komplett ein risikoadjustiertes Renditeverständnis – ein Grundprinzip jeder verantwortungsvollen Investition.
Das "Trojanische Pferd" wurde nicht als Risiko erkannt
Dass sich anscheinend weder die PwC-Gutachter noch die politischen Entscheider ausreichend mit der wirtschaftlichen Bewertung der mit dem Projekt verbundenen Chancen und Risiken beschäftigt haben, dürfte ein Verstoß gegen die Business Judgment Rule (BJR) darstellen. Diese schützt grundsätzlich unternehmerische Entscheidungen von Geschäftsleitern, sofern diese auf einer angemessenen Informationsgrundlage beruhen und zum Wohle des Unternehmens getroffen werden. Wird jedoch die wirtschaftliche Bewertung der Chancen und Risiken eines Projekts unterlassen, kann sich der Entscheidungsträger nicht auf die Business Judgment Rule berufen – mit potenziellen haftungsrechtlichen Konsequenzen.
Wenn bei einem Projekt wie Northvolt keine fundierte wirtschaftliche Analyse der Risiken und Chancen vorgenommen wurde, bedeutet das:
- Es fehlt die "angemessene Informationsgrundlage", die Voraussetzung der BJR ist.
- Die Entscheidung wird nicht mehr durch die Schutzwirkung der BJR gedeckt.
- Das Organ (beispielsweise Vorstand, Aufsichtsrat, Ministerialbeamter etc.) haftet potenziell persönlich bei nachweisbarem Schaden.
In der öffentlichen Verwaltung könnte dies auch als Verstoß gegen Haushaltsgrundsätze und Sorgfaltspflichten bewertet (vgl. Bundeshaushaltsordnung, BHO §§ 7–10) werden.
Und es gab viele Unsicherheiten bei diesem Projekt, die einer fundierten Analyse bedurft hätten. Ein zentraler Akteur in diesem Projekt war der chinesische Maschinenbauer Wuxi Lead Intelligent Equipment Co., dessen Anlagen Northvolt für die Zellproduktion bezog. Diese Maschinen sollten die industrielle Autarkie Europas sichern, wurden jedoch selbst zum Symbol der strategischen Abhängigkeit. Ohne die technologische Expertise und die physische Präsenz chinesischer Fachkräfte war ein Betrieb offenbar nicht möglich. Über 500 chinesische Techniker sollen zeitweise auf dem Gelände der Gigafactory in Skellefteå im Einsatz gewesen sein. Die schwedische Wirtschaftszeitung Affärsvärlden sprach bereits von einem "chinesischen trojanischen Pferd", das inmitten eines vermeintlich europäischen Projekts agierte – ein Begriff, der verdeutlicht, wie wenig Souveränität Europa in dieser Schlüsselindustrie besitzt.
Hinzu kommt, dass auch der Versuch, eine eigene Kathodenproduktion aufzubauen, scheiterte – aus Qualitätsgründen musste Northvolt im Sommer 2024 auf chinesische Importe umsteigen. Die faktische Kontrolle Chinas über zentrale Rohstoffe wie Graphit verschärft die strukturelle Abhängigkeit zusätzlich. Ein weiteres chinesisches Unternehmen, PTL, plant bereits eine Graphit-Fabrik unweit von Skellefteå – als künftiger Hauptkunde gilt: Northvolt oder dessen Nachfolger.
Während also europäische Politiker von "strategischer Souveränität" schwadronierten, zeigt der Fall Northvolt das Gegenteil. Die technologische Kontrolle lag nicht bei den europäischen Geldgebern oder Politikern, sondern bei einem chinesischen Unternehmen – ohne dass diese Beteiligung mit entsprechender öffentlicher Diskussion oder Risikobewertung einherging.
Ein verheerendes Urteil: Vier-Augen-Prinzip gab es nicht
In dem bereits zitierten Bericht kommt der Bundesrechnungshof (BRH) noch zu einem anderen vernichtenden Urteil: Die Entscheidung wurde ohne Einbindung des Bundesfinanzministeriums getroffen. Ein Mehraugenprinzip – in der Privatwirtschaft ein Mindeststandard bei solchen Volumina – wurde bewusst umgangen.
Besonders schwer wiegt, dass das BMWK gegen Grundsätze ordnungsgemäßer Aktenführung verstieß. Protokolle wurden nicht erstellt, Risikoanalysen nicht dokumentiert. Dies widerspricht der Nachvollziehbarkeit und Prüfbarkeit nach § 34 (Bundeshaushaltsordnung) BHO und gegen weitere Verwaltungsvorschriften.
Pflichtverletzungen und potenzielle Haftung
In der Unternehmenswelt hätte ein CFO, der in dieser Größenordnung Investitionen ohne fundierte Risikoanalyse genehmigt, mit sofortiger Entlassung und persönlicher Haftung zu rechnen (in diesem Kontext stellt sich die Frage nach der Verantwortung des KfW-Vorstands). In § 93 AktG ist festgelegt, dass Vorstände "die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" anzuwenden haben – dazu gehört insbesondere die Analyse und Begrenzung finanzieller Risiken. In der Privatwirtschaft führen solche Versäumnisse regelmäßig zu Klagen, Schadensersatzforderungen und – im Extremfall – strafrechtlicher Verfolgung.
Für die öffentliche Hand gilt nichts anderes: Nach der Bundeshaushaltsordnung (BHO) sind Haushaltsmittel wirtschaftlich und sparsam zu verwenden (§ 7 BHO). Förderentscheidungen sind auf ihre Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Angemessenheit zu prüfen. Gemäß § 44 BHO ist eine detaillierte Prüfung der wirtschaftlichen Auswirkungen und Risiken einer Förderung vorgeschrieben. Wer gegen diese Pflichten verstößt, riskiert bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz eine persönliche Haftung nach § 34 BHO.
Es stellt sich auch die Frage, ob die Entscheidungsträger im Fall Northvolt gegen ihre Kardinalpflichten verstoßen haben. Unter Kardinalpflichten versteht die aktuelle Rechtsprechung elementare berufliche Pflichten, deren Kenntnis bei jeder Führungskraft vorausgesetzt werden kann. Dazu zählen unter anderem die Pflicht zur Krisen- und Risikofrüherkennung, die gewissenhafte Überwachung und Steuerung der Organisation sowie der sorgsame Umgang mit (Unternehmens-)vermögen. Werden diese Pflichten verletzt, drohen nicht nur zivil- und strafrechtliche Konsequenzen, sondern auch der Verlust des Versicherungsschutzes aufgrund wissentlicher Pflichtverletzung.
Im Bereich der öffentlichen Hand stellt das Unterlassen einer strukturierten Risikoprüfung bei gleichzeitiger Freigabe dreistelliger Millionenbeträge kein Kavaliersdelikt dar, sondern verletzt den Grundsatz der haushaltsrechtlichen Integrität.
Systematische Blindheit statt öffentlicher Risikosteuerung
Der Fall Northvolt ist Ausdruck eines systemischen Versagens in der staatlichen Governance. Statt mit fundierten Methoden eine strukturierte Risikoanalyse durchzuführen, wurde einer visionären Erzählung geglaubt und mit dem Geld der Steuerzahler gezockt. Die politische Ideologie überlagerte die gebotene Sorgfaltspflicht.
Und im BMWK fehlte selbst eine übergreifende Risikostrategie. Es wurde nicht geprüft, wie sich Risiken kumulieren oder aufeinander wirken (Stichwort Risikoaggregation). Auch Wechselwirkungen mit anderen Förderprojekten wurden ignoriert. Dabei ist es in der Unternehmenswelt längst üblich, ein Risk-Adjusted Performance Measurement (RAPM) anzuwenden – also den erwarteten Nutzen gegen die Risikobelastung zu stellen.
Besonders problematisch ist die Einstufung des PwC-Gutachtens als "Verschlusssache". Diese Maßnahme verhindert eine öffentliche und parlamentarische Kontrolle – und damit jede Lehre für künftige Fälle. Die Intransparenz steht im Widerspruch zu jedem modernen Verständnis von Governance. Sie konterkariert auch das Informationsrecht des Bundestages gemäß Art. 20 Abs. 2 GG und untergräbt das Vertrauen in die demokratische Kontrolle exekutiver Entscheidungen.
Fazit: Skin out of the Game
Die Geschichte von Northvolt ist vor allem eine Geschichte über die Unterschätzung technologischer Abhängigkeiten, über politisch gewollte Großprojekte ohne "Skin in the Game" und über die stille, aber wirksame Expansion chinesischer Industrieinteressen im Herzen Europas. Northvolt ist ein Lehrstück für politisch motivierte Fehlentscheidungen, die ohne fundierte Risikoanalysen getroffen wurden. Ein Politiker, der das eigene Geld ins Feuer gesetzt hätte ("Skin in the Game"), hätte sicherlich in das Projekt Northvolt keinen einzigen Cent investiert. Und ein verantwortungsvoller Politiker und Banker (KfW) hätte sich auch nicht auf Gutachten von Wirtschaftsprüfern verlassen, die auch kein "Skin in the Game" haben. Und verantwortungsvolle Politiker und Banker hätten die richtigen Fragen gestellt – dafür wäre allerdings Methodenkompetenz erforderlich.
Der Begriff "Skin in the Game" stammt ursprünglich aus der Finanzwelt und beschreibt, dass Entscheidungsträger selbst ein Risiko tragen sollten – sei es durch eigenes Kapital, persönliche Haftung oder direkte Konsequenzen. Die Idee dahinter ist einfach: Wer selbst betroffen ist, entscheidet verantwortungsvoller.
Überträgt man dieses Prinzip auf die Politik, wird die Diskrepanz deutlich. Politiker entscheiden über Milliardeninvestitionen wie im Fall Northvolt, tragen aber kaum persönliche Konsequenzen, wenn Projekte scheitern ("Skin out of the Game"). Das Geld stammt aus öffentlichen Haushalten, und Fehlentscheidungen führen selten zu individueller Haftung – weder finanziell noch juristisch. Dies schafft Fehlanreize: Prestigeprojekte werden mit politischem Kalkül angeschoben, während eine belastbare Risikoanalyse, wie sie in der Privatwirtschaft Standard wäre, oft fehlt.
Die politische Verantwortung für das finanzielle Northvolt-Desaster trägt das rot-grün-schwarze Trio Olaf Scholz, Robert Habeck und Daniel Günther. Für alle drei sollte und muss der kritische Bericht des Bundesrechnungshofes sehr unbequeme und persönliche Folgen haben.
Wenn Politiker kein eigenes "Skin in the Game" haben, fehlt die direkte Rückkopplung zwischen Entscheidung und Verantwortung. Die Folge sind Investitionen mit hohem Risiko, bei denen der Steuerzahler die Verluste trägt – nicht die Entscheidungsträger selbst. Ein stärkerer Einbau von Verantwortlichkeit, etwa durch politische Rechenschaftspflichten, Transparenzauflagen oder gesetzliche Sorgfaltspflichten und persönliche Haftung, wäre ein Schritt in Richtung mehr Augenmaß und nachhaltigerer Politik.
Quellenverzeichnis sowie weiterführende Literaturhinweise:
- Mattern, J. (2024): Abschied von einem europäischen Traum, Cicero, 17.10.2024.
- Gräber, D. (2025): Milliardengrab Northvolt: Bundesrechnungshof erhebt schwere Vorwürfe, Cicero, 18.06.2025.
- Romeike, F. (2018): Stochastische Investitionssimulation. Seriöser Umgang mit Unsicherheit bei Investitionsplanungen, in: CFO aktuell, Ausgabe Juli 2018, S. 167-172.
- Romeike, F. (2021): Systematic Risk Blindness, in: Risk Management Review, Edition 2021.
- Romeike, F. / Scherer, J. (2025): Risikoblind in den Staatsbankrott – Warum staatliche Resilienz ohne professionelles Risikomanagement scheitert, in: ZInsO - Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht [Veröffentlichung geplant für Juli 2025].
- Scherer, J. (2025): Kardinalpflicht fordert "risikobasierten Ansatz", RiskNET, 01.05.2025.
- Schiller, A. (2025): Northvolt-Pleite: Ein neues Gutachten bringt Robert Habeck in Bedrängnis, 18.06.2025.