190 Millionen Euro – so hoch ist der Schaden, den die Commerzbank im Zuge der Wirecard-Insolvenz beziffert. Nun fordert sie diesen Betrag von einer Instanz, die selbst nicht Wirecard hieß: dem Wirtschaftsprüfer Ernst & Young (EY). In einem der aufsehenerregendsten Prozesse zur Aufarbeitung des Wirecard-Skandals treffen zwei Schwergewichte der Finanzwelt aufeinander – und die Verhandlung wirft Grundsatzfragen über die Rolle von Wirtschaftsprüfern auf.
Der Hintergrund ist bekannt und dennoch spektakulär: Die Wirecard AG galt lange als digitales Aushängeschild des deutschen Finanzplatzes, ein aufstrebender Zahlungsdienstleister, dessen Aktienkurs rasant stieg – bis im Juni 2020 der Bilanzbetrug in historischem Ausmaß offenbar wurde. Fast zwei Milliarden Euro waren angeblich auf Treuhandkonten in Asien verbucht – doch das Geld existierte nie. Der Skandal führte zur Insolvenz, zu politischen Rücktritten, zur Reform der BaFin – und zu einem beispiellosen Vertrauensverlust in die deutsche Finanzaufsicht und Prüfkultur.
Nun steht EY im Fokus. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hatte über Jahre hinweg die Bilanzen von Wirecard testiert – zuletzt noch wenige Wochen vor der Insolvenz. Für die Commerzbank, die als Gläubigerin betroffen ist, ein klarer Fall von Pflichtverletzung. In ihrer Klage argumentiert sie, EY habe bestehende Warnzeichen ignoriert oder fahrlässig übersehen. Seit Jahren kursierten kritische Berichte über Bilanzunregelmäßigkeiten, und doch habe EY stets ein uneingeschränktes Testat erteilt.
Der Rechtsstreit, der nun vor Gericht verhandelt wird, ist nicht nur finanziell bedeutsam. Es geht um Grundsatzfragen: In welchem Maße haften Prüfer für Schäden Dritter, wenn sie Fehler übersehen? Wo endet die Prüfpflicht – und beginnt unternehmerische Verantwortung?
EY weist die Vorwürfe zurück. Man habe sich stets an geltende Prüfstandards gehalten. Zudem seien in anderen Verfahren bereits Klagen abgewiesen worden – ein Umstand, auf den sich die Verteidigung nun stützt. Doch die Commerzbank lässt nicht locker. Für sie ist klar: Ohne das Testat der Prüfer hätte sie Wirecard kein Geld mehr geliehen.
Der Ausgang des Prozesses könnte ein Präzedenzfall werden. Sollte das Gericht der Commerzbank Recht geben, könnte das weitreichende Folgen für die Prüfungsbranche haben – von strengeren Prüfpflichten bis zu neuen Haftungsregeln. Der Wirecard-Skandal bleibt damit auch Jahre nach der Insolvenz ein juristisches und regulatorisches Erdbeben mit Nachbeben.