Nach dem Zollschock vom 2. April 2025 ("Liberation Day") konnten die Märkte erstaunlich schnell wieder Tritt fassen. Wenngleich das Hin und Her der US-Handelspolitik zwischenzeitlich immer wieder für Verunsicherung sorgte, sind die Anleger doch inzwischen recht gefasst. Die Aktienmärkte haben die Zollsorgen in einer V-förmigen Erholung verdaut und notieren mehrheitlich oberhalb der Schlussstände des 1. Quartals 2025. Es scheint, als ob die Erholungszeiten mit jeder neuen Krise kürzer werden.
Selbst die direkte militärische Konfrontation zwischen Israel und dem Iran und die US-Angriffe auf iranische Atomanlagen konnten die Märkte kaum beeindrucken. Insgesamt zeigten sich die Kapitalmärkte über die erste Jahreshälfte 2025 äußert resilient. Einmal mehr wird deutlich, dass Investoren gut daran tun, nicht den Schlagzeilen zu folgen, sondern an wohlweislich für die lange Frist entworfenen Anlagestrategien festzuhalten. Selten bringen politische oder nachrichten-getriebene Entwicklungen so weitreichende Änderungen der Investitionsbedingungen mit sich, als dass grundlegende Eingriffe in die Anlagestrategie gut begründet wären. Geduld zahlt sich aus, die alte Börsenweisheit, dass "time in the market" dem "market timing" weit überlegen ist, hat über die letzten fünf Jahre reichlich Bestätigung erfahren.
Abb. 01: Entwicklung verschiedener Anlageklassen in 2025
Sehr üppige Zugewinne konnten Anleger in der ersten Jahreshälfte mit europäischen Aktien verbuchen. Die einstmals erfolgsverwöhnten US-Technologieaktien können 2025 mit dieser Dynamik nicht mehr Schritt halten. Im Zuge der "Großen Rotation" tun sich die beliebten Stile der Vorjahre (Momentum, Wachstum, Passiv, Technologie, US/Welt) nun schwerer, an ihre Performance anzuknüpfen.
Gerade in den USA hat erstmals seit langer Zeit ein merklicher Kapitalabfluss eingesetzt. Die Gemengelage aus hohen Bewertungen, Zollsorgen, Fragezeichen zu KI-Prämien nach der DeepSeek-Ankündigung und die "freundliche Ausladung" chinesischen Anlagekapitals via präsidialer Exekutivverordnung im Februar hatte dann auch weitreichende Auswirkungen auf den Außenwert des US-Dollars und damit für die Anlageergebnisse von Euro-basierten Investoren für ihre Anlagen im Dollarraum.
Der feste Euro lastete auf Anlagerenditen von US-amerikanischen Aktien und Zinspapieren. Die Zinslandschaft im Dollarraum bleibt von im globalen Vergleich erhöhten Renditen gekennzeichnet. Über das 2. Quartal hinweg führen robuste Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten in den USA immer wieder zum Auspreisen von Zinssenkungserwartungen. In der Eurozone setzte die EZB hingegen die Zinssenkungen fort, der Einlagenzins notiert hier nun bei 2%.
Investmentimplikationen: An den US-Zinsmärkten scheinen die Risiken aktuell etwas besser bezahlt als in der Eurozone. 10-jährige Bundesanleihen kompensieren bei ca. 2,5% Rendite weniger angemessen für die kommenden Verschuldungspakete als 4,5% Rendite in 10-jährigen US-Papieren. Die Anleihemärkte vermuten aktuell für die USA auch weiterhin eine hohe Wachstumsdynamik und anhaltend robuste Arbeitsmarktdaten. Gerade der letzte Arbeitsmarktbericht resultierte in einer neuerlichen Aufwärtsverschiebung der Zinserwartungen. 147.000 neu geschaffene Stellen erweckten bei vielen Markteilnehmern den Eindruck einer weiterhin hohen Nachfrage nach Arbeitskräften aus der Privatwirtschaft, die anhaltenden Lohndruck entfachen könnte. Tatsächlich wurden aber nur im öffentlichen Sektor (+73.000) und im Gesundheitsbereich (+59.000) neue Stellen geschaffen. Im Industriebereich erfolgte gar ein Stellenabbau. Mit sinkenden Inflationsraten und nachlassender Wachstumsdynamik im 2. Halbjahr treten die USA möglicherweise rasch in eine Phase der Abkühlung ein, in der die Bedingungen für fallende Zinsen gegeben sein könnten. Aktuell mögliche Einstände in US-Zins und Währung könnten im Vergleich zu den Möglichkeiten anderer Rentenmärkte aktuell ansprechende Gelegenheiten eröffnen.
Staatsschulden testen die Grenzen aus
Im Fokus der Märkte stand aber auch die Verabschiedung des Haushaltsgesetztes ("One Big Beautiful Bill") in den Vereinigten Staaten. Der Haushaltsplan umfasst zahlreiche Subventionskürzungen, Ausweitungen von Abschreibungsmöglichkeiten, Investitionsförderungen und vor allem neue sowie verlängerte Steuererleichterungen. Neben weitgehenden Steuersenkungen zählen höhere Kinderfreibeträge sowie steuerfreie Überstunden und Trinkgelder und großzügige Abschreibungsmöglichkeiten für Forschung und Entwicklung zu den wesentlichsten Bausteinen.
Viele Elemente wirken standortpositiv für die USA, sie regen Investitionen an und senken regulatorische Hürden für Unternehmen. Sie haben aber ihren Preis: Die gewaltigen Summen reißen weitere Löcher in die Staatskasse und erhöhen die Defizite für viele Jahre über ein begründbares Maß hinaus. Mit etwas Glück finanzieren sich einige Maßnahmen mit nachfolgend real höheren Wachstumsraten selbst, doch ist das Gesamtvorhaben eine riskante Wette.
Die Anleihemärkte schauen seit einiger Zeit mit größerem Argwohn auf die Ausgabenfreudigkeit staatlicher Schuldner. Die Nervosität der Marktteilnehmer hat spürbar zugenommen. Unsolide Haushaltspolitik wird an den Märkten nicht mehr ohne weiteres durchgewunken.
Der Vertrauensvorschuss der letzten zwanzig Jahre, in denen Staaten (mit wenigen Ausnahmen, etwa während der Eurokrise 2010-12) ihre steigenden Defizite und Schuldenlevel zu wohlwollenden Konditionen finanziert bekamen, scheint aufgebraucht. Die Bondmärkte begegnen überstrapazierten fiskalischen Spielräumen nun mit größerer Skepsis und hinterfragen unsolide Haushaltspolitik stärker als in der Vergangenheit.
Der einsetzende Vertrauensverlust zeigt sich zuletzt in wiederholt nervösen Reaktionen der Staatsanleihenmärkte. Manchmal genügen schon Geringfügigkeiten – wie überinterpretierte Worte und Gesten von Politikern in Großbritannien - und bestehendes Misstrauen schlägt in Abverkaufswellen um. In den USA rebellierte der Anleihemarkt gegen die Zollpläne. Das Zugeständnis der 90-tägigen Zollpause für Verhandlungen im April war vermutlich primär den plötzlich ungeordneten Marktbewegungen bei langlaufenden Staatsanleihen geschuldet. Die US-Administration konnte und wollte das Risiko einer Verselbständigung des Misstrauensvotums der Anleihemärkte nicht eingehen. Der Protest der Anleihemärkte gegen das Aufrüstungs- und Infrastrukturprogramm der deutschen Bundesregierung im März 2025 erwies sich rückblickend zwar als scharf, aber bislang kurzlebig.
Abb. 02: Japanische Staatsanleihen rentieren auf höchstem Niveau seit über 10 Jahren
Auch die japanischen Bondmärkte sehen die dortigen Staatsfinanzen inzwischen mit Argwohn. Insbesondere die deutlich gestiegenen Inflationsraten erhöhen nun die Zinsen, die in langen Laufzeiten verlangt werden. Gegenüber Auslandsanlagen werden inländische Schuldverschreibungen für japanische Investoren damit attraktiver. Eine entsprechende Repatriierung von Mitteln nach Japan könnte umgekehrt Verkäufe ausländischer Schuldtitel beschleunigen und so den Zinssteigerungsdruck in Euro- und US-Dollar-Anleihen verstärken.
Mit Japan, den USA, Italien, Frankreich, Belgien und Spanien überspringen viele große Schuldner die Schwelle von mehr als 100% Verschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung (in der Eurozone an sich zulässig: 60%). Gerade die hohen Ausgaben und weiter anwachsenden Defizite in Frankreich beunruhigen die Märkte. Französische Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit müssen inzwischen gar eine Prämie gegenüber laufzeitgleichen Papieren aus Portugal und Spanien bieten, um Abnehmer zu finden.
Investmentimplikationen: Unsere langjährigen Leser und Anleger wissen, dass wir bereits seit geraumer Zeit kritisch auf die steigende Staatsverschuldung blicken. Diese zeigt erste Wirkungen. Die Märkte straffen für einige Schuldner die Finanzierungsbedingungen und sind anfällig für höhere Volatilität. Einige Schuldner (insbesondere die USA) meiden inzwischen längere Laufzeiten aus Sorge vor Nachfrageengpässen und zur Vermeidung der prohibitiv hohen Zinskosten. Sie refinanzieren sich vornehmlich in kurzen Laufzeiten. Wir meiden unverändert Investitionen in staatlichen Emittenten mit hohem Schuldenstand und bevorzugen Länder, die über lange Zeiträume ihre Bereitschaft zu solider Haushaltsführung dokumentiert haben. Mit Verschuldungsquoten von aktuell unter 50% der Wirtschaftsleistung zählen z.B. Tschechien, Dänemark, Serbien, Estland und die Schweiz aus Gesamtverschuldungssicht zu vertretbaren Emittenten.
Viele Staaten haben die Obergrenze der Staatsverschuldung erreicht. Sie beginnt dort, wo Märkte anfangen, die Schuldentragfähigkeit in Zweifel zu ziehen. Sie beginnt zugleich numerisch auch oft just an jener Überschuldungsgrenze, die bereits 2009 von Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff in ihren Arbeiten an der Harvard University ermittelt und bei ca. 100% Schulden im Verhältnis zum BIP verortet worden war.
Aufgrund bekannter politischer Anreizstrukturen und Nichthaftungsprinzipien wurden und werden fiskalische Grenzen solange ignoriert, wie irgend möglich. Aktuell ist dieser Effekt exemplarisch in den hohen Erwartungen und der positiven Tonalität zum deutschen Schuldenprogramm zu beobachten. Dabei müsste bekannt sein, dass Staatsausgaben jenseits bestimmter, zuvor aufaddierter Verschuldungsniveaus oft einen negativen Multiplikatoreffekt haben, also das Wachstum nicht wie erhofft stimulieren, sondern aktiv schädigen! Dieser Effekt wurde neuerlich nachgewiesen von Rob Arnott und seinen Kollegen bei Research Affiliates ("Stimulus Does Not Stimulate"). Gründe dafür sind u.a. im "Crowding Out"-Effekt privatwirtschaftlicher Initiative zu sehen, sowie in den mit staatlichen Programmen einhergehenden Ineffizienzen (u.a. aus Verschwendung, Bürokratie, Fehlplanung).
Weil sich die Finanzierungskosten in einem Währungsraum im Wesentlichen vom "risikofreien" Schuldner, den Benchmark-Zinsen des Staates, ableiten, leiden die Finanzierungskosten durch die gesamte Volkswirtschaft hindurch, angefangen bei Baufinanzierungen, über Unternehmenskredite bis hin zu Eigenkapitalkosten unter der ausufernden Schuldenwirtschaft. Die Risikoprämien steigen strukturell an, Investitionen verteuern sich. Je stärker Solvenz und Schuldentragfähigkeit eines Staates angezweifelt werden, desto schwerer lasten geringere Gestaltungsspielräume und höhere Zinskosten auf künftigen Wachstumsmöglichkeiten. Der Vertrauensverlust in die Solidität der Staatsfinanzen und in die Stabilität der Währung hat überdies weitreichende gesellschaftliche Folgewirkungen. Die heute fortschreitende Polarisierung in vielen Gesellschaften lässt sich oft direkt an wegbrechender wirtschaftlicher Stabilität festmachen. Historisch finden sich zahllose Beispiele dafür, welch zerstörerische Wirkung Schulden und deren Monetarisierung auf gesellschaftliche Ordnung, auf Frieden und Freiheit hatten. Die Geschichte lehrt: Keine gesellschaftliche Stabilität ohne Währungsstabilität.
"Der effektivste Weg, eine Gesellschaft zu zerstören,
besteht darin, das Geld dieser Gesellschaft zu zerstören"
Lenin
Nachdem viele ausgabefreudige Staaten über Jahrzehnte hinweg über ihre Verhältnisse gelebt haben, sind ihnen nun mit prekären öffentlichen Finanzen zunehmend die Hände gebunden. Der einsetzende Vertrauensverlust der Kapitalmärkte diszipliniert in einigen Fällen die ungebremste Neuverschuldung. Bei ehrlicher Betrachtung sind in vielen westlichen Staaten weitreichende Reformen und Ausgabekürzungen der einzig realistische Weg, die Schuldenlast zumindest zu stabilisieren. Das Reformprogramm in Griechenland nach der Eurokrise ist ein Beispiel für den nötigen Rückbau exzessiver Staatsausgaben und trägt heute Früchte. Auch die DOGE-Initiative in den USA hat nennenswerte, wenn auch für einen nachhaltigen Defizitabbau keineswegs hinreichende Einsparungen erreicht.
Wird umgekehrt an schädlichen Elementen der Planwirtschaft wie Regulierung, Intervention, Subventionen und Förderung staatlicher und staatsnaher Sektoren festgehalten, ist nicht mit Wachstumsimpulsen und Prosperität zu rechnen. Sie gehen im Gegenteil einher mit einer weiteren Zerrüttung der Staatsfinanzen und steigenden Kapitalkosten.
Doch der berechtigte Argwohn der Anleihemärkte gegenüber immer weiteren Defiziten und tieferen Haushaltslöchern wird in immer mehr Fällen Haushaltsdisziplin erzwingen. Die USA sind ein Paradebeispiel für diese Mathematik. Die realistisch erreichbaren DOGE-Einsparungen von aktuell ca. 150 Mrd. US-Dollar bleiben ein Tropfen auf den heißen Stein, im Vergleich zu feststehenden Zinslasten, Militärausgaben und Sozialausgaben. Lediglich Kürzungen in diesem letzteren, die Ausgabenseite dominierenden Bereich, werden Defizit und Schuldenquote glaubhaft stabilisieren können. Hochverschuldete Staaten, die nicht zu Steuererhöhungen greifen wollen, müssen Ausgaben senken. Wie schwer sich Regierungen damit tun, ist derzeit in Großbritannien erkennbar, wo es trotz komfortabler Parlamentsmehrheit nicht gelingt, notwendige Kürzungen der Sozialausgaben zu beschließen.
Investmentimplikationen: Die Anleihemärkte präsentieren spät, aber doch die Quittung für jahrelange Fiskalüberdehnungen, wonach von den Notenbanken finanziertes Geld unbegrenzt und ohne jede Konsequenz in Umlauf gebracht werden könne ("MMT"). Die fragilen Staatsfinanzen in einigen europäischen Ländern gehen inzwischen mit deutlich höheren Refinanzierungskosten einher. Auch die US-Zinsen halten sich in längeren Laufzeiten hartnäckig hoch. Zumindest ist das Haushaltsgesetz in den USA nicht – wie aktuell in Europa weiterhin der präferierte Ansatz zu sein scheint – auf noch mehr Staatskonsum aufgebaut. Dennoch birgt es hohe Risiken und verlangt den Anleiheinvestoren einen hohen Vertrauensvorschuss ab. Die ursprüngliche Idee, Haushaltslücken mit Zöllen zu stopfen, zog ein klares Misstrauensvotum der Märkte nach sich. Sie erkannten mögliche Zölle als das, was sie sind – eine dauerhaft nicht stabile und nicht verlässliche Einnahmequelle.
Die Staatsfinanzen in vielen westlichen Ländern sind durch hohe Defizite geprägt. Wir halten eine grundsätzlich zurückhaltende Positionierung bei Staatsanleihen somit für ratsam. Ganz besonders vorsichtig sollten Anleger bei Anleihen mit langen Laufzeiten agieren. Deren Kursrisiken sind enorm. Kommt es zu neuerlichen Zinsanstiegen, entweder aus unerwarteten Inflationssprüngen oder als Ergebnis steigender Risikoprämien in Folge verschlechterter Bonitätswahrnehmungen, zeigen die Kursentwicklungen des Jahres 2022 exemplarisch die Risiken auf. Ganz grundsätzlich sehen wir inflationsindexierte Anleihen gegenüber nominalen Anleihen als überlegenes Instrument, um auch im Rentenbereich den Kapitalerhalt im Blick halten zu können. Aus ihrer hohen Verschuldung resultiert für viele Staaten ein Inflationsanreiz. Gläubiger in nominalen Werten tragen im Inflationsfall die Kosten, sie können ihre Kaufkraft real kaum erhalten, während sich der (staatliche) Schuldner real entschulden kann.
Die Finanzminister und Schuldenagenturen westlicher Staaten werden einfallsreich sein (müssen), um die nötigen Finanzierungsbedarfe weiter am Kapitalmarkt platziert zu bekommen. Seit einiger Zeit meiden die Vereinigten Staaten lange Laufzeiten und refinanzieren sich primär mit T-Bills in sehr kurzen Laufzeiten. Das ist eine Hochrisikostrategie, die zwar Zinsaufwand spart, jedoch der jederzeitigen Aufnahmebereitschaft in geldmarktnahen Instrumenten bedarf. Traditionell war diese Art der Liquiditätsbeschaffung eher in Schwellenländern mit niedriger Bonität und geringem Vertrauen bei Investoren gebräuchlich. Schwindet Vertrauen, schließen sich in Krisensituationen unter Umständen schnell die Zugänge zu Kapital. Eine solche Entwicklung ist für westliche Staaten zwar nicht zu erwarten, ihre Notenbanken können und werden im Bedarfsfall in die Bresche springen, so wie es die EZB etwa in der Eurokrise getan hat, doch werden sich die Finanzierungsbedingungen mit den aktuell erreichten Schuldenständen erschweren.
Die Finanzrepression könnte daher künftig mit weiteren Ausbaustufen versehen werden. Über die reale Entwertung der Staatschulden hinaus sind gezielte regulatorische Vorgaben für Banken, Versicherungen und Pensionskassen vorstellbar, die mit Anreizen und Auflagen, Geboten und Verboten zur Investition in Staatsanleihen gedrängt werden könnten. Auch Zinskurvenkontrollen mit staatlich festgelegten Zinsobergrenzen und Kapitalverkehrskontrollen scheinen nicht mehr vollständig undenkbar, wenn sich die Finanzierungsbedingungen am freien Kapitalmarkt verschlechtern und Investoren ihre Risiken nicht mehr als angemessen kompensiert wahrnehmen und in einen Käuferstreik treten. Solche Tendenzen zeigen sich in Anfängen bereits darin, dass viele Anleger, statt auf Staatsanleihen zu setzen, verstärkt auf Gold als sicheres Wertaufbewahrungsmittel ausweichen.
Anleger sollten das Risiko nicht unterschätzen, dass Staaten zunehmend neue, gegen Investoreninteressen gerichtete repressive Maßnahmen umsetzen könnten. Je stärker sich die Spielräume an skeptisch gewordenen Anleihemärkten einengen, desto stärker steigt bei unsoliden Schuldnern die Wahrscheinlichkeit von unkonventionellen Maßnahmen oder gar Verzweiflungstaten. Ein Beispiel dafür sind die in den USA im ursprünglichen Gesetzentwurf des "Big Beautiful Bills" vorgemerkten Maßnahmen: Sektion 899 des Haushaltsgesetzes sah in ursprünglicher Fassung die Installierung einer Zusatzsteuer auf Erträge aus US-Anlagen für ausländische Investoren vor. Diese als "Vergeltungssteuer" gedachte Besteuerung von Zinsen und Dividenden war als Gegenmaßnahme für angeblich diskriminierende Steuerpraktiken anderer Länder konzipiert. Die Quellensteuer von bis zu 20% hätte hohe Zusatzbelastungen für internationale Anleger bedeutet, US-Vermögenswerte deutlich unattraktiver gemacht und hätte leicht in schweren Störungen internationaler Kapitalflüsse resultieren können. Das Vorhaben wurde letztendlich gestrichen, wohl aus der Erkenntnis, dass die Umsetzung eine weitere Nachfrageschädigung für US-Staatsanleihen zur Folge gehabt hätte. Die Entschärfung wurde von den Kapitalmärkten mit Erleichterung aufgenommen, doch ist zu konstatieren, dass die Hemmschwelle für die Anwendung solch weitreichender Maßnahmen gesunken ist.
Das Besteuerungsvorhaben aus Sektion 899 stammt direkt aus den bemerkenswerten Ansichten von Stephen Miran (Ideengeber vieler aktuelle US-Policy-Initiativen als Teil von Präsident Trumps Beraterstab), der in seiner "Gebrauchsanweisung" zur "Neuordnung des internationalen Handels" bereits 2024 zahlreiche Handlungsempfehlungen durchaus umwälzender Natur präsentierte. Darin schlug Miran eben u.a. die Belastung einer "Nutzungsgebühr" für ausländische Investoren für das "Privileg" vor, Zugang zu US-Vermögenswerten zu erlangen. Dass derartige, bis vor Kurzem faktisch undenkbare Instrumente in den Raum des Möglichen rücken, erhöht die Unsicherheiten und Risiken für Investoren.
Investmentimplikationen: Auch wenn "Section 899" letztendlich wieder aus dem Gesetzentwurf des "One Big Beautiful Bill Acts" gestrichen wurde, um internationale Anleger nicht noch zusätzlich, über bereits bestehende Zollsorgen hinaus, über Gebühr zu verschrecken, illustriert allein die Bereitschaft, diese Quellensteuer auf US-Vermögenswerte zu installieren, dass sich als sicher geglaubte Merkmale freier Kapitalmärkte schnell als beliebig modifizierbar erweisen könnten. Anleger sind gut beraten, Wachsamkeit walten zu lassen und keinen allzu hohen Vertrauensvorschuss in die Bereitschaft zu jederzeitiger Vertragstreue von staatlichen Schuldnern zu setzen. So lange wie möglich, werden Staaten versuchen, die Abnahme ihrer Schuldscheine mit positiven Anreizen zu befördern. Erreicht der Zuckerbrotansatz jedoch nicht die gewünschte Skalierung, werden nicht nur in theoretischen Gebrauchsanweisungs-Aufsätzen, sondern möglicherweise bereits auch in konkreten Arbeitsgruppen verschiedene "Peitschenmodelle" bereitgelegt. Diese Aufmerksamkeit gilt grundsätzlich allen liquiden und illiquiden Anlageklassen, da der Staat in allen Märkten regulierend oder abschöpfend eingreifen kann. Deshalb ist neben der ständigen Aufmerksamkeit der Anleger wichtig, dass die Anlagen schnell veräußerbar sind, wenn in Staaten oder in Anlageklassen Ungemach droht.
Die bereits vorherrschende finanzielle Repression und deren weitere, denkbare Ausbaustufen, legen bei vielen Staatsanleihen eine vorsichtige Positionierung nahe. Große Zurückhaltung ist besonders bei Durationsrisiken geboten. In den meisten hochverschuldeten Ländern ist wenig Bereitschaft zu Umkehr und Konsolidierung erkennbar. Defizite und Verschuldung steigen weiter an, die Notwendigkeit zu fiskalischer Selbstdisziplin und Kürzung ausgeuferter Ausgaben wird anhaltend verweigert. So kann kein Vertrauen der Märkte gewonnen werden, der letztmögliche tragfähige Lösungsansatz ist die Monetarisierung der Staatsschulden durch die Notenbank, welche im Ergebnis die Kaufkraft der betroffenen Währung beschädigt.
Die Gesamtrisiken gegenüber dem eigenen Währungsraum und gegenüber der Bonitätslage der eigenen Jurisdiktion sind Aspekte, die bei vielen Vermögensinhabern häufig unteranalysiert bleiben. Gerade (unfreiwillige) indirekte und implizite Vermögenswerte aus Ansprüchen gegenüber dem Staat (Renten- und Pensionszusagen, Leistungen, usw.) gehören in einer vollständigen Gesamtvermögensbetrachtung hinzuaddiert. Steht deren Werthaltigkeit aber aufgrund unsolider Staatsfinanzen in Frage, verbietet sich jedes weitere freiwillige Zusatzrisiko gegenüber staatlichen Bonitäten, deren Zahlungswilligkeit und Zahlungsfähigkeit nicht mehr über jeden Zweifel erhaben sind.
Zwei alternative Lösungswege zeichnen sich stattdessen ab. Für Anleger, die Wert auf gleichbleibende Rentenquoten legen, oder über Anlagerichtlinien an bestimmte Mindestquoten gebunden sind, ist stets auch der Blick in andere Währungsräume ratsam. Den Risiken für Kaufkraftverluste im eigenen Währungsraum kann begegnet werden, in dem die vergleichsweise höhere Stabilität anderer Währungsräume über den Aufwertungsmechanismus Kapital schützt. Die Wertentwicklung des Schweizer Franken gegenüber dem Euro über die letzten Jahre ist hierfür ein Paradebeispiel.
Doch auch Beimischungen in Währungsräumen, die traditionell weniger stark mit wertstabilen Entwicklungen in Verbindung gebracht werden, können unter bestimmten Umständen sinnvoll sein. Bieten z.B. die Verzinsungen in einigen Schwellenländern inflationsbereinigt so hohe Realrenditen, dass auch unter Einberechnung der nachfolgend zu erwartenden Abwertung der lokalen Währung dennoch ein real hoher und positiver Gesamtertrag möglich ist, kann die Portfoliobeimischung von Schwellenlandanleihen geeignet sein. Über die letzten Jahre boten beispielsweise Lokalwährungsanleihen aus Brasilien, Kolumbien oder Südafrika Gesamterträge aus Zins und Währungsbewegung, die inländischen Anlagen vergleichbarer Qualität überlegen waren. Vielfach sprechen die Fundamentaldaten, die Demographie und sehr viel tragfähigere Verschuldungstrends für künftig mögliche Bonitätsverbesserung in einigen Schwellenländern, während der Ausblick für hoch verschuldete westliche Staaten oft abwärts gerichtet bleibt. Wichtig bleibt bei diesen Ländern aber trotzdem immer genau wie in entwickelten Volkswirtschaften die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Blick zu behalten, um unliebsame negative Überraschungen bei der Wertentwicklung der Anlagen verringern zu können. Denn eines ist auch klar: Gäbe es kein höheres Risiko, würden die Märkte keinen höheren Zins fordern.
Abb. 03: Schwellenländer bieten teils erheblich höhere nominale und reale Renditeniveaus
Eine zweite Möglichkeit, die steigenden Risiken von Staatsanleihen zu meiden, ist die Substitution durch Instrumente ohne Gegenparteirisiko. Können Rentenquoten aktiv reduziert werden, sind Edelmetalle als sicheres Wertaufbewahrungsmittel frei von möglichen unerfreulichen Inflationsüberraschungen, Finanzrepression oder Änderungen der Spielregeln inmitten des Spiels.
In diesem Kontext nahezu selbstverständlich ist der Hinweis, dass die Beteiligung an Produktivkapital historisch fast immer der überlegenere Pfad gewesen ist, auf dem Kapital über lange Anlagezeiträume hinweg erhalten werden konnte. Gerade im Vergleich zu den Unwägbarkeiten, denen Gläubiger fragiler Staaten (und deren oft willkürlichen Eingriffe in Eigentumsrechte und Beschädigungen realer Rückzahlungsinteressen) immer wieder ausgesetzt waren, boten Aktien historisch erkennbar bessere Möglichkeiten zum Kapitalerhalt, insbesondere auch durch Zeiten historischer Umbrüche und Krisen hindurch.
Abb. 04: Mehr als die Schwankung ist der dauerhafte (reale) Kapitalverlust über lange Zeiträume das entscheidende Risiko langfristiger Anleger
Notenbanken als Helfer der Ausgabenfreu(n)de
Das Überstrapazieren fiskalischer Spielräume macht die Gefahrenlage für die öffentlichen Finanzen in immer mehr Ländern deutlich erkennbar. Die Märkte geben keinen unbegrenzten Vertrauensvorschuss mehr. Sie sind sich der Inflationsrisiken bewusst, die aus der fiskalischen Dominanz entspringen. Prognostizierte Haushaltsdefizite von anhaltend 7-8% über die kommende Dekade in den USA sind genauso wenig nachhaltig wie die auf europäische Staaten zukommenden Schuldenberge weit jenseits der an sich zulässigen, inzwischen aber vollständig ignorierten Maastricht-Regeln.
Die reale Entschuldung aus über längere Zeit hinweg erhöhter Inflation bleibt der wahrscheinlichste Weg, den Staaten und ihre Notenbanken wählen werden, um den Schuldenständen Herr zu werden. Der Rückgang der Staatsschuldenquote in den USA von 132% auf unter 120% bei zugleich weiter stark steigenden Staatsausgaben zwischen 2021 und 2023 zeigt die Kraft, mit der Hochinflation auf die Gesamtverschuldung wirken kann.
Abb. 05: Inflationsraten im Trend weiter rückläufig, aber wie lange noch?
Momentan sind die Inflationsraten in Europa und den USA rückläufig. Die verbreitete Fehlannahme, Zölle wirkten unmittelbar inflationär, wird in den Vereinigten Staaten gerade durch die Wirklichkeit widerlegt. Der wertvolle Datendienst "Truflation" zeigte als Anhaltspunkt für eine Echtzeitmessung der Inflation Anfang Juli gerade mal einen Wert von 1,6%. Wie verschiedentlich dargelegt, sind Zölle in ihrer Nettowirkung aufgrund von Nachfragerückgängen, negativen Wachstums- und Beschäftigungseffekten und rückläufiger Investitionsbereitschaft der Unternehmen im Saldo disinflationär. Noch deutlicher disinflationär wirken in Kraft gesetzte und antizipierte Zölle außerhalb der USA. In Europa stauen sich vormals zum Export vorgesehene Güter in den heimischen Märkten und sorgen ebenso für Angebotserhöhungen, wie aus Asien zusätzliche eingeführte Waren, die statt ihren Weg in die ursprüngliche Exportdestination USA zu finden, nun nach Europa umgeleitet werden. In Verbindung mit niedrigen Energiepreisen und den deflationären Wirkungen der starken Euroaufwertung über das erste Halbjahr hinweg fällt die importierte Inflation im Euroraum deutlich ab. In Deutschland lag die Jahresveränderungsrate der Importpreise zuletzt bei -1,1%, die der Produzentenpreise bei -1,2%. Diese vorlaufenden Preisdaten prägen häufig die spätere Richtung der Verbraucherpreise.
Abb. 06: Die Inflation folgt der Geldmenge – die wieder ansteigt – mit einem Zeitverzug von knapp 20 Monaten
Hier wirken aber kurzfristige Dynamiken. Keinesfalls besteht Anlass, dauerhaft Entwarnung zu geben für mögliche Inflationsrisiken. Volkswirtschaftlich wichtige Indikatoren für nachfolgende Inflationsentwicklungen sind die Geldmengenaggregate. Auch deren Verhalten zeigt nach vorne gerichtet durchaus, dass neuer Inflationsdruck im Entstehen ist. Typischerweise folgen Verbraucherpreiseanstiege mit ein bis zwei Jahren Verzögerung auf die Schöpfung monetärer Inflation. Aktuell weiten sich Kreditvergaben und Geldschöpfung in der Eurozone wieder aus – grundsätzlich ein positives Signal für eine anspringende Gesamtwirtschaft. Gelangt diese neu geschaffene Liquidität mit dem Geldkreislauf in Umlauf, steigen mit Zeitverzug die Preise für Güter und Dienstleistungen. Befördert wird diese Entwicklung stets durch eine (zu) lockere Geld- und/oder Fiskalpolitik.
Eindringlich warnendes Beispiel für diesen Zusammenhang ist und bleibt die schwer zu bändigende Preisentwicklung der 1970er Jahre. Damals wurde nach Überwindung der ersten Inflationswelle viel zu vorschnell der Sieg über die Teuerung ausgerufen, um verfrüht wieder den Begehrlichkeiten einer sehr expansiven Geld- und Ausgabenpolitik nachgeben zu können. Diese Ungeduld rächte sich in der schmerzhaften Rückkehr der Inflation in zweiten und dritten Wellen, deren Hochpunkte in Deutschland in der Spitze oberhalb von 7%, in den USA oberhalb von 13% lagen und damit die ursprüngliche Teuerung noch deutlich übertrafen.
Entscheidend dafür, ob die Entstehungsbedingungen für Inflation gegebenen und zugelassen sind oder nicht, ist die Grundphilosophie der Notenbank eines Währungsraums. Besteht die unbegrenzte Bereitschaft zur Finanzierung von Staatsdefiziten, sind Inflationsentwicklungen die Folge, wie wir sie aus Venezuela, Argentinien, der Türkei oder vielen afrikanischen Staaten kennen. Ist der Staat zuverlässig daran gehindert, unbegrenzten Ausgabenwünschen nachgehen zu können (wie etwa in der Schweiz durch eine robuste Schuldenbremse gewährleistet), bedarf es erst gar keiner erzieherischen Aufsicht durch die Notenbank. Sieht die Notenbank – wie vormals die Bundesbank – ihren Auftrag stabilitätspolitisch, sind den Auswüchsen staatlicher Verteilungsprogramme wirksam Grenzen gesetzt.
Basierend auf den Erfahrungen der letzten Jahre, muss im Fall der EZB konstatiert werden, dass ihr geringer Grad der Unabhängigkeit und ihre starke Prägung durch eine südeuropäische Währungsmentalität im Zweifels- und Bedarfsfall den Interessen der Finanzminister der Mitgliedsstaaten Vorrang einräumen wird gegenüber den Vermögensinteressen der Anleihegläubiger und den Stabilitätsinteressen der Sparer.
Bevor Bondmärkte allzu vehement Ausgabenkürzungen einfordern, wird sich die EZB wohl bereitfinden, die zur Defizitfinanzierung nötigen Geldmengen bereitzustellen. Das angekratzte Vertrauen in einige europäische Staaten und ihren Verschuldungskurs zwingt die Notenbank in die Dauerzusage ihrer erstmals 2012 formulierten Bereitschaft zum jederzeitigen Bail-out unsolider Staatsfinanzen. Die EZB nimmt die Spielräume der aktuell rückläufigen Inflation maximalmöglich an, sie verfolgt eine sehr lockere Geldpolitik ohne jedes Bemühen, einen Puffer für möglicherweise wieder rauere Zeiten zu schaffen. Protokolle und Einlassungen von Ratsmitgliedern zeigen zuletzt gar die Sorge vor den Gefahren einer "zu niedrigen Inflation".
Abb. 07: Kerninflation in der Eurozone verbleibt hartnäckig bei oberhalb von 2%
Uns fällt es schwer, die genauen Gefahren einer vermeintlich "zu niedrigen Inflation" für Sparer, Verbraucher und Anleger festmachen zu können. Die Botschaft der EZB ist klar: Man toleriert viel eher eine deutlich zu hohe Inflation als eine geringfügig unterhalb von 2% fallende Teuerung. Wir würden argumentieren, dass es so etwas, wie eine "zu niedrige" Inflation eigentlich nicht gibt. Das inzwischen weithin akzeptierte 2%-Ziel der EZB kommt dabei einer an sich nie bewilligten Selbstermächtigung gleich: Der Originalauftrag "stabiler Preise" hat sich schleichend immer weiter modifiziert, über "Inflationsraten unter 2%", zu "Inflationsraten unter, aber nahe 2%", hin zu einem quasi-formalen Entwertungsziel der Währung von 2%. Die Notenbank nimmt eine aktive Uminterpretation ihres ursprünglichen Auftrags stabiler Preise vor, wenn sie beständig vor einem "Unterschießen" der Inflationsraten und einem zu starken Euro warnt, deren Effekte dann mit einer noch lockereren Geldpolitik "bekämpft" werden müssten.
Die im Oktober 2022 in der Eurozone erreichte Preisexplosion von 10,6% war unmittelbar zwar von exogenen Schocks wie Lieferengpässen und dem Gaslieferstopp stark beeinflusst, ist aber auch ein Versagen der Notenbank in der Erfüllung ihres einzigen satzungsmäßigen Auftrags, stabile Preise zu gewährleisten. Das völlige Ausufern der Verbraucherpreise mit viel zu spät einsetzender Erkenntnis und Einleitung von Straffungsmaßnahmen hat bis heute keine erkennbare Fehleranalyse, Aufarbeitung oder gar Konsequenz zur Folge. Seit Oktober 2021 liegt die Inflation beständig oberhalb von 2%, von Juli 2021 bis Oktober 2023 (über 27 Monate!) gar deutlich oberhalb dieser Marke. Die Kerninflation ist bis heute nicht unter den Wert von 2% zurückgefallen. Die effektiven Reallöhne sind in den meisten Staaten der Eurozone über die letzten 5 Jahre negativ. Kumulativ wirkende Effekte der Hochinflation nach 2020 (von Mai 2020 bis Mai 2025 hat sich das Preisniveau in der Eurozone um über 22% erhöht!) belasten bis heute die Kaufkraft der Verbraucher und beschädigen fortwährend die Investitionsbereitschaft von Unternehmen. Im Ergebnis hat die Geldpolitik der EZB die Standortbedingungen und das Wohlstandsgefüge der Eurozone geschwächt.
Investmentimplikationen: Anleger benötigen zwingend eine korrekte Beurteilung für die Grundhaltung einer Notenbank, um ein Gespür für nötige reale Risikoprämien innerhalb des betreffenden Währungsraums zu entwickeln. Aus vergangenem Handeln und geldpolitischer Philosophie lassen sich Korridore künftig wahrscheinlicher Handlungsweisen ableiten. Es leuchtet beispielsweise ein, dass entsprechende Risikoprämien in der Türkei oder Rumänien höher liegen als in der Schweiz. Die Politik der EZB ist geprägt von der beständigen Erosion der im Beginn noch an den Prinzipien der Geldwertstabilität ausgerichteten Kultur. Die Rücktritte der deutschen Protagonisten Stark, Weber oder Weidmann von ihren Funktionen in der EZB geben Zeugnis vom Verfall der Auftragsorientierung, welchen diese Vertreter nicht mehr mittragen wollten.
Nach vorne blickend ist recht klar, welche Interessen die Geldpolitik der Eurozone vorrangig bedienen, welche Prioritäten sie setzen wird. Zu offenkundig sind die personellen Verflechtungen und mangelnde Distanz der Akteure zwischen Politik und Notenbank, zu klar die in der Vergangenheit gezeigte Bereitschaft, fiskalische Übertreibungen der Staaten weitgehend widerspruchslos zu bedienen, als dass der Zentralbank ein ausgeprägtes Verlangen nach Preis- und Währungsstabilität zugeschrieben werden könnte.
Die EZB wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gegenüber anderen Währungsräumen merklich lockerere Geldpolitik installiert halten, die sich eilig in Zinssenkungen und Ankaufprogrammen, aber abwartend in nötigen Straffungsmaßnahmen zeigt. Ein wesentlicher Einflussparameter auf den Wechselkurs EUR/USD ist damit abgesteckt. Der Euro hat in sehr kurzer Zeit eine sehr weitgehende Aufwertung gegenüber dem US-Dollar verbucht. Diese Dynamik legt eine Verschnaufpause nahe, der übergeordnete Wille zu überlockeren Finanzkonditionen in Europa dürfte die Gemeinschaftswährung nach vorn blickend strukturell wieder schwächen und weiteres Aufwertungspotential zunächst deckeln.
Wenn in Europa, wie in den 1970er Jahren, zu schnell der Rückfall in eine überlockere Fiskal- und Geldpolitik erfolgt, werden damit neue Inflationsrunden organisiert. Die mangelnde Bereitschaft, aus den ökonomischen und sozialen Folgeschäden der nach 2020 "organisierten Inflation" zu lernen, erhöht die Gefahr, dass der Fehler wiederholt wird. Unverändert scheint eine weitgehende Sorglosigkeit der EZB gegenüber verbleibenden Inflationsgefahren zu bestehen. Die kaum noch an Geldwertstabilität ausgerichtete Politik der EZB wird bei einem möglichen Wiederaufflammen der Inflation in den kommenden Jahren vermutlich wieder große Zurückhaltung und Geduld im Gegensteuern erkennen lassen. Real negative Gesamterträge für Inhaber langlaufender Anleihen scheinen in dem Fall beinahe garantiert. Ignorierte Schuldenregeln und eine willfährige Notenbank sind das Rezept für fortgesetzte Finanzrepression und (politisch gewollter) realer Entschuldung.
Der Weg der realen Entschuldung war in der Historie – aus Sicht des Schuldners – tatsächlich häufig von "Erfolg" gekrönt. Die Entschuldungsphasen der 1950er Jahre in Großbritannien und den USA unter real stark negativen Zinsen sind hierfür Beispiele der jüngeren Vergangenheit.
Folglich kann die Bedeutung der sehr genauen Beobachtung von Motiven und Handlungsrahmen der Notenbank kaum hoch genug eingeschätzt werden. Als Anleiheinvestoren kommen wir heute zum Schluss, dass die Währungspolitik in Prag oder Brasilia möglicherweise stärker an den Prinzipien der Geldwertstabilität ausgerichtet ist, als jene in Frankfurt. Die strukturellen Wachstumsmöglichkeiten der USA und der Schweiz sind höher als in der Eurozone, die Verschuldungsdynamiken in einigen skandinavischen Ländern und vielen Schwellenländern zukunftsfähiger als in der Eurozone. In welchen Währungsräumen man Investitionen in welchem Umfang für angemessen kompensiert erachtet, wird zunehmend eine aktiv zu gestaltende Aufgabe in der Portfoliokonstruktion.
Freihandelsrückbau baut Risiken für US-Unternehmensgewinne auf
Der Zollschock an den Kapitalmärkten vom April ist rasch verflogen. Sehr viel schneller, als Anfang des 2. Quartals zu erwarten war, haben sich die Bedenken der Marktteilnehmer zu möglichen Folgewirkungen der Zölle verflüchtigt. Zwei konträre Erklärungsmuster für die rasch wiedergekehrte Risikofreude werden präsentiert: Einige Marktbeobachter gehen davon aus, dass die Zolldrohungen der US-Regierung lediglich Verhandlungsposition und mithin Bluff sind (die Wall Street, stets schnell in der Schaffung von Akronymen, erkennt einen "TACO – Trump always chickens out" – Trade). Eine andere Fraktion geht von der Einführung der Zölle aus, sieht diese aber als entweder vorübergehend oder ohne weitreichende Wachstumsschäden.
Ob der erratischen Ankündigungen der US-Regierung zur Zoll- und Handelspolitik haben sich die Märkte mehrheitlich auf die Interpretation verständigt, die Zollsystematik sei weitgehend willkürlich entstanden und werde – entweder über Verhandlungsergebnisse oder zu erwartende Rückzieher der US-Administration - zügig wieder verschwinden. Man könne zur Tagesordnung übergehen, schon bald sei der "Normalzustand" des uneingeschränkten Freihandels wieder hergestellt. Diese optimistische Einschätzung der Märkte halten wir für äußerst schwach untermauert.
Ähnlich wie aus Stephen Mirans "Gebrauchsanweisung" eine klar strukturierte Policy-Linie erkennbar ist, entwirft auch das Weltbild des ehemaligen Handelsbeauftragten der US-Regierung, Robert Lighthizer, Empfehlungen, die man inhaltlich nicht teilen muss, die aber klar zeigen, dass die Zollpolitik vor allem politisch motiviert ist und damit vermutlich nicht als bloße Verhandlungsmasse unterschätzt werden kann. Lighthizer gehörte zum Beraterstab der ersten Trump-Administration und legte in seinem 2023 erschienen Buch "No Trade is Free" als Ideengeber unmissverständlich dar, was inzwischen übernommene Eckpunkte der aktuellen US-Regierung sind: Handelsbilanzdefizite sind per se schädlich, die USA seien von ihren Handelspartnern über den Tisch gezogen worden, der Verlust von Arbeitsplätzen als Folge einer "radikalen Freihandelsagenda" habe zum Ausbluten und zur Verarmung ganzer Regionen geführt. Eine Rückholung von Produktion und Arbeitsplätzen sei nötig, um die Interessen amerikanischer Arbeiter zu verteidigen. Dafür seien Zölle ein geeignetes Instrument, um heimische Fertigung und höhere Löhne zu ermutigen, mehr Subsistenz zu erreichen und Abhängigkeiten von China in kritischen Produkten, wie Rüstungsgütern oder Pharmaerzeugnissen, zu reduzieren.
Besonders auffällig ist, wieviel Augenmerk Lighthizer und die aktuelle US-Administration den vermuteten sozialen Folgen der Handelsbilanzdefizite widmen. Die Wählerschaft der Trump-Regierung konzentriert sich geografisch schwerpunktmäßig in den Flächenstaaten im Landesinneren, oft also in jenen Regionen, die besonders hart vom Strukturwandel der letzten Jahrzehnte betroffen waren und in Demographien mit mittleren bis niedrigen Einkommen, die besonders stark unter Reallohnverlusten und Inflation gelitten haben. Wenig verwunderlich richten sich daher viele politische Ziele auf die Besserstellung von Bürgern ohne Hochschulbildung und ohne Aktienbesitz.
Finanzminister Scott Bessent hat mehrfach verdeutlicht, dass die aktuelle Regierung den Bedürfnissen der "Mainstreet" Vorrang gegenüber den Interessen der "Wall Street" einräumen werde. Bessent beklagt jüngst, das Jahr 2024 habe zeitgleich zwei Rekordwerte markiert: Einerseits die Zahl von Europa-Reisen zahlungskräftiger US-Touristen. Andererseits die Zahl der Inanspruchnahme von Tafeln (food banks) durch Amerikaner, die sich von ihrem Lohn keine Lebensmittel leisten könnten. Dies sei nicht die Definition des "American Dreams" und müsse aufhören.
Diese sozialpolitische Komponente scheint fest im Überzeugungskern der aktuellen US-Regierung zu stehen. Da sie zugleich überzeugt ist, dass Zölle das geeignet Mittel sind, um den identifizierten Übeln Abhilfe zu schaffen, ist nicht davon auszugehen, dass die Zölle rasch ausgesetzt bleiben bzw. werden.
Zu politischen Zielen, deren Umsetzung weit oben auf der Agenda der USA stehen, zählen
- Eine "Renaissance der Mittelschicht"
- Umbau der "finanzialisierten" Wirtschaft hin zu mehr Industrie und Produktion
- Erhöhung der nationalen Sicherheit (eigene Produktion von Halbleitern, Schiffen, Medikamenten, usw.)
- Reduzierung von Lieferkettenabhängigkeiten
- Anhebung des Lebensstandards der unteren 50% der Einkommensbezieher (u.a. mit Steuersenkungen, steuerfreien Überstunden und Trinkgeldern, usw.)
- Adressierung prekärer Lebensverhältnisse und sozialer Probleme (Suizide, Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch) der "Freihandelsverlierer"
- Eindämmung des chinesischen Merkantilismus und des Handelsungleichgewichts mit China (Lighthizer beklagt etwa, seit Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation sei das BIP der USA um das 4-fache, das Handelsbilanzdefizit hingegen um das 14-fache gestiegen, der erhoffte Win-Win aus dem Freihandel habe sich nie eingestellt)
- Höhere Löhne für US-Arbeitnehmer
Tatsächlich haben sich die Reallöhne (weitgehende Stagnation seit den 1980er Jahren) in den USA und die Unternehmensgewinne (immer neue Rekordhochs) weit auseinanderentwickelt. Wenn es erklärte politische Absicht ist, diese Entwicklung zu bremsen, oder gar umzukehren, ist klar, dass sich mit einer politisch gestalteten Umverteilung des Kuchens weitreichende Folgewirkungen ergeben können.
Die rekordhohen Margen der US-Unternehmen wirken auch ganz ohne zusätzliche Zollrisiken verwundbar. Mit Zusatzkosten aus Importaufschlägen und teureren Einständen für Vorprodukte bauen sich klare Risiken für Gewinnmargen und Ergebnisqualität vieler US-Unternehmen auf. Die Kosten für Zölle tragen – sehr direkt und unmittelbar – die US-Importeure, nicht, wie politisch gelegentlich suggeriert "die Chinesen" oder "die Europäer" oder "die Länder mit unfairen Handelspraktiken". Präsident Trump hat seine Erwartungshaltung, dass die US-Unternehmen Zusatzbelastungen der Zölle auf eigene Rechnung nehmen, und nicht an die Endverbraucher weiterreichen sollen, mehrfach deutlich formuliert (z.B. "Eat the tariffs" als Aufforderung an den Handelskonzern Walmart, keine Preiserhöhungen vorzunehmen, sondern die Mehrkosten selbst zu absorbieren).
Investmentimplikationen: Die Folge für Aktionäre ist klar. Die Margenrisiken in US-Unternehmen treffen auf sehr hohe Bewertungen, die wenig Sicherheitsmarge bieten und keinen Spielraum für unerwartete Negativentwicklungen lassen. Die Phase von 16 Jahren Outperformance der US-Aktienmärkte gegenüber anderen Weltregionen kommt vermutlich an ein Ende.
Viele Unternehmen haben es zudem mit Preiserhöhungen nach den Corona-Jahren übertrieben. Im Zuge der allgemeinen Teuerung bestand wohl oft das Kalkül, im Windschatten hoher Inflation unbemerkt mit über das Maß eigener Kostensteigerungen hinaus vorgenommener Anhebungen der Verkaufspreise durchzukommen ("Gierflation"). Nun schlägt das Pendel zurück. Die Preispraktiken vieler Unternehmen stehen zunehmend im Licht der Öffentlichkeit und unter Rechtfertigungsdruck. Ferner ist die Belastungsgrenze vieler Verbraucher in den USA schlicht erreicht. Meldungen, wonach viele Amerikaner inzwischen darauf angewiesen sind, Lebensmittel mit Payday-Loans zu bezahlen, machen die Runde. Die Preissetzungsmacht der meisten Unternehmen hat ihre Grenzen erreicht. Die Ergebnisse vieler Konzerne waren die letzten Jahre über wesentlich von Preis- nicht von Volumenswachstum gekennzeichnet. Die Zollkosten belasten die Gewinne zusätzlich. Investoren sollten möglicherweise zu hohe Erwartungen an eine fortgesetzt steigende Ergebnisqualität bei US-Unternehmen kritisch prüfen.
Ob die Zölle die gewünschten Neujustierungen der Handels- und Wirtschaftsarchitektur der USA überhaupt erreichen können, ist mehr als fraglich. Die erhoffte Reindustrialisierung erfordert ein heute nicht vorhandenes Reservoir an Fachkräften. Der Umbau von Lieferketten braucht Zeit und geht mit hohen Umstellungs- und Anpassungskosten einher.
Grundsätzlich haben die auf den Zollideen basierenden Umbauwünsche der US-Wirtschaft einen planwirtschaftlichen Charakter und sind somit praktisch definitionsgemäß zum Scheitern verurteilt. Gerade mit Blick auf Handelsströme und die Logik komparativer Vorteile gilt, wie Prof. Hans-Werner Sinn in einem Vortrag jüngst feststellte, dass die Arbeitsteilung die größte Erfindung der Menschheitsgeschichte sei. Ein Mehr an Güterangebot zu günstigeren Preisen ist stets wohlstandmehrend. Ein Weniger an Güterangebot unter Abschottung von Wettbewerbsdruck führt zu schlechteren und teureren Produkten.
Eine politische Komponente der Zölle ist im Zurückdrängen der chinesischen Ambitionen zu sehen. Es ist faktisch kaum von der Hand zu weisen, dass China die sich aus Freihandel und offenen Märkten bietenden Möglichkeiten stark für eigene Interessen zu nutzen wusste. Die USA haben einen validen Punkt, wenn sie auf unfaire Praktiken Chinas verweisen. Chinesische Unternehmen und staatliche Akteure zeigten wenig Scheu, mit Diebstahl, Sabotage, Produktpiraterie, Subventionen und ruinösem Preiswettbewerb jedwedes denkbare Foulspiel zu praktizieren. Menschenrechtsverletzungen, problematische Arbeits- und Umweltbedingungen in der Fertigung, wie auch die faktische Kolonialherrschaft, mit der Staaten entlang der Infrastrukturprojekte entlang der "neuen Seidenstraße" in Abhängigkeiten gebracht werden, sind überaus problematische Praktiken, die natürlich keinen Freihandel auf Augenhöhe begründen. Ein künftig robusteres Auftreten der USA gegenüber China wird sehr wahrscheinlich feste Konstante bleiben. Chinesische Überkapazitäten könnten als eine Folge verstärkt auf europäischen Märkten landen.
Dass Freihandel nur funktioniert, wenn sich alle Teilnehmer an die Regeln halten, ist ein valider Punkt. Dass hierbei auch protektionistische Maßnahmen der EU (Industrienormen, Vorgaben für Technologiekonzerne, usw.) in den Fokus rücken, kann nicht überraschen. Deutschland und Europa sollten sich im Eigeninteresse zügig um ein weitreichendes und partnerschaftliches Freihandelsabkommen bemühen. Es ist in Erinnerung zu rufen, dass der erste Versuch (TTIP) vor einigen Jahren primär an der mangelnden Bereitschaft auf europäischer Seite scheiterte.
In den USA ruhen die Hoffnungen darauf, dass mittels der Zollpolitik die Rückholung verloren-gegangener Industriearbeitsplätze erreicht werden kann. Sollte dies gelingen, verteuern sich Fertigung und Preise. Bis qualifizierte Arbeitskräfte für eine breit angelegte Reindustrialisierung verfügbar sind, werden strukturierte Facharbeiterausbildungsprogramme nötig sein. Die erratische Zollan- und Abkündigungspolitik geht mit hoher Verunsicherung der Unternehmen einher, langfristige Planungen und Investitionsentscheidungen werden damit nicht ermutigt.
Die Zolldiskussion lässt derzeit nicht erkennen, dass sich die USA des Ursprungs ihrer Handelsbilanzdefizite wirklich bewusst wären: Sie resultieren primär aus dem Überkonsum, der eine zu hohe Importnachfrage auslöst. Die Beendigung des fremd- und defizitfinanzierten Konsums wäre der Ansatzpunkt für ausbalanciertere Kapital- und Handelsbilanzen.
Investmentimplikationen: Logik und Konstruktion der US-Zölle entsprechen weitgehend dem Weltbild des ehemaligen Regierungsberaters Robert Lighthizer und den in seinem Buch "No Trade ist Free" skizzierten Vorschlägen. Die Zölle folgen einer sehr viel kalkulierteren Sichtweise, als weithin angenommen. Sie werden damit eine weitaus größere Persistenz haben, als von vielen Marktteilnehmern vermutet. Die Zölle sind indes eine Hochrisikostrategie und werden das, was sie zu erreichen versuchen, sehr wahrscheinlich nicht erreichen können. Zunächst einmal wirken sie negativ auf die US-Wirtschaft, müssen Mehrkosten doch von US-Importeuren getragen werden und Lohnkosten mit direkten und indirekten Folgen steigen. Die Margen vieler US-Unternehmen geraten unter Druck. Die Folge für Aktionäre ist klar, sie müssen selektiver werden. Nach vorne blickend wird bei der Einzelwertselektion eine sehr viel größere Differenzierung in der Analyse jeweiliger Nettoeffekte der Zollarchitektur nötig sein.
Mittelfristig ergeben sich Chancen für Unternehmen, die von den für die Reindustrialisierung nötigen Ausrüstungsinvestitionen profitieren. Gerade ausgewählte Mid- und Small Caps in den Bereichen Materialien, Konstruktion, Bau, Infrastruktur, Maschinen- und Anlagenbau und Versorger könnten auf der Gewinnerseite stehen. In Folge der Zölle haben viele internationale Großkonzerne Investitionen und die Ansiedlung von Fertigungskapazität in den USA angekündigt, so etwa Novartis mit einem Investitionsvolumen von 23 Mrd. US-Dollar oder Roche in Höhe von 50 Mrd. US-Dollar. Teilweise werden die zollinduzierten Anreize wohl eher zum Gelingen von Standortinvestitionen beitragen können, als es mit den europäischen subventionsbasierten Ansätzen den Erfahrungen nach möglich ist (vgl. gescheiterte Intel-Ansiedelung in Magdeburg, vom Northvolt-Debakel ganz zu schweigen). Die Kombination aus standortstärkenden Investitionsanreizen, Steuersenkungen, Deregulierungsmaßnahmen, günstigen Energiepreisen und eben der Rückholung industrieller Basis wird den Kapitalstock der USA stärken und weiterhin strukturell höhere Wachstumsraten ermöglichen als in Europa.
Der US-Dollar dürfte nach vorne blickend fundamental wieder besser unterfüttert sein. Nach der Abwertung der letzten Monate ist ein Wechselkurs erreicht, der für Euroinvestoren gerade Zinsanlagen im Dollarraum durchaus wieder attraktiver erscheinen lässt. Während in Europa Zins und Spreads die Risiken aktuell nicht hinreichend kompensieren, bietet die Kombination aus hohen Realzinsen und einem ansprechenderen Wechselkurs als zu Jahresbeginn die Möglichkeit für höhere Gesamterträge in US-Zinsinvestments. Die US-Notenbank hätte aus der Datenlage aktuell gesichert Spielraum für Zinssenkungen. Weil sie aber den Anschein erwecken muss, dem Druck von Präsident Trump und dessen Zinssenkungsaufforderungen Stand zu halten, belässt sie den Leitzins so lange wie möglich unverändert. Daraus eröffnen sich für Anleger Chancen, in die Zins-Verlängerung gehen und weiterhin noch recht ansprechende Renditen vereinnahmen zu können.
Autor
Bernhard Matthes, CFA
Bereichsleiter Pax-BKC Asset Management
Fonds-Advisor BKC Treuhand Portfolio




