Kommentar: Die ganze Welt ist ein Credit Investment

Die Verfügbarkeit von risikofreien Anlagen wird geringer


Die Verfügbarkeit von risikofreien Anlagen wird geringer News

Als wäre die Schuldensituation in Europa und den USA an sich nicht schon schlimm genug, haben die teilweise dilettantischen (Europa) und machtpolitisch dominierten (USA) Versuche, einen Ausweg zu finden, eine nachhaltige Wirkung auf die Investoren weltweit. Es handelt sich hierbei nicht um einen temporären Vertrauensverlust, sondern vielmehr um die Erkenntnis, dass die fatale Suche nach einem sicheren Hafen im Kapitalmarkt einer Odyssee gleicht. In diesem Newsletter beschäftigen wir uns hauptsächlich mit zwei Fragen: Wie konnte es soweit kommen? Und was bedeutet der Verlust einer sicheren Anlagealternative für die globale Kapitalallokation und für die aus der Portfoliotheorie bekannten Optimierungsmechanismen? Letztlich stehen alle Investoren vor demselben Problem – die ganze Welt ist ein Credit Investment. Und diesem Problem ist mit klassischer Theorie nur schwerlich beizukommen. Leerverkaufsverbote, Euro-Bonds und Rating-Agentur-Bashing werden hier auch keine Abhilfe schaffen.

Vertrauen ist ein scheues Reh: Marktversagen, Staatsversagen oder Demokratieversagen?

Die dramatischen Entwicklungen an den Finanzmärkten in den letzten Wochen stellt die logische Konsequenz einer Vielzahl von Fehlentwicklungen vor allem nach der Lehman-Pleite 2008 dar. Die Tatsache, dass Aktienmärkte nachlaufend zu den Kreditmärkten sind, ist keine neue Entwicklung, sondern war in den Krisen des letzten Jahrzehnts (vor allem eben auch in den Jahren 2007 und 2008) bereits zu beobachten. Und nun war es mal wieder soweit, wie der folgende Chart verdeutlicht.

Abb. 1: Erster! (SovX, Main, EURO STOXX 50 @ 100 am 21. März, Quelle: Bloomberg)  
Abb. 1: Erster! (SovX, Main, EURO STOXX 50 @ 100 am 21. März, Quelle: Bloomberg)


Der starke Rückgang der Aktienmärkte erweckt nach wie vor am meisten Aufmerksamkeit, er ist allerdings nicht ursächlich, sondern nur symptomatisch für die aktuelle Situation, in der sich zumindest die westlichen Industrienationen befinden. Offensichtlich gilt auch für Länder, dass die Zahlungsunfähigkeit nur dann vermieden werden kann, wenn langfristig ein ausgeglichener Haushalt erreicht wird. Die keynesianisch geprägte Antwort der aktuellen Situation wäre logischerweise die Reduktion des Haushaltsdefizits der üblichen Verdächtigen, wobei die konjunkturelle Entwicklung aber keine starken Einschnitte in das Ausgabeverhalten der hoch verschuldeten Länder zulässt. Folglich müssen die Einnahmen gesteigert werden. Diese auf den ersten Blick sehr einleuchtende Idee sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieselben intellektuellen Kräfte, die nun eine Reduktion der Haushaltsdefizite hoch verschuldeter Staaten fordern, als Antwort auf die Finanzkrise des Jahres 2008 höhere Staatsausgaben zur Verhinderung der negativen realwirtschaftlichen Effekte auch auf Kosten einer höheren Schuldenquote gefordert haben. Diese sehr einfache Sichtweise der Rolle des Staates ignoriert jedoch zwei elementare Faktoren, die letztlich die Wirtschaftspolitik eines Landes (mit-)bestimmen: Den Systemwettbewerb zwischen den Ländern und die wachsende Bedeutung des globalen Kapitalmarktes in einem Finanzsystem, das auf Fiat-Geld (ungedeckte Geldversorgung) beruht.

Der Systemwettbewerb zwischen Ländern in einer Welt der Globalisierung und völlig integrierter Kapitalmärkte schränkt die Handlungsfähigkeit eines Landes dahingehend ein, dass mobile Produktionsfaktoren sich die staatliche Infrastruktur suchen, die ihnen eine bestmögliche Entlohnung beschert. Der Migration von Arbeitskräften oder der Verlagerung ganzer Produktionsstandorte kann der Staat nur mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen entgegnen, bspw. durch die Schaffung einer effektiven Infrastruktur (beispielsweise Bildung) oder durch steuerliche Anreize. Folglich wird die Ausgaben-, aber auch Einnahmenseite eines Staates nicht allein durch heimische ökonomische Entwicklungen determiniert, sondern eben auch durch die wirtschaftspolitischen Strategien anderer Länder. Staaten stehen im Wettbewerb – wie eben Unternehmen auch. Und das gilt in besonderem Maße in einer Währungsunion, was sich in der völlig unterschiedlichen Steuerpolitik einzelner Mitgliedsstaaten widerspiegelt.

Nun könnte man argumentieren, dass diese Erkenntnis beileibe nicht neu ist und bereits konzeptionelle Antworten auf diese Probleme gefunden wurden. Beispielsweise die von der Bundesregierung ins Spiel gebrachte einheitliche gemeinsame europäische Fiskalpolitik könnte einige der oben beschriebenen Probleme abmildern. Allerdings unterschätzt diese vor allem auf politischer Ebene populäre Meinung einen zentralen Punkt: Die Tatsache, dass in einem System des Fiat-Geldes den Entwicklungen auf den Kapitalmärkten eine immens wichtige Bedeutung zukommt – nämlich der effizienten Allokation desselben. Die große Gefahr eines flapsigen Umgangs mit der Bereitstellung von Fiat-Geld liegt darin, dass sich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft abkoppeln können. Und genau das ist in den letzten Jahren passiert. Im Anschluss an die Krisen der letzten zehn Jahre wurde exzessiv Liquidität in das System gepumpt, um die realwirtschaftlichen Folgen abzufedern. Davon kommt aber nur ein Bruchteil in der Realwirtschaft an, da ein Großteil im Bankensystem und damit im Kapitalmarkt versickert. Deshalb wächst der Finanzmarkt mit immensen Raten, während die Realwirtschaft nur ein moderates Wachstum aufweist.

Abb 2: Ja, wo kommt das denn her? Globales Sozialprodukt und ausstehende Derivatekontrakte (Quelle: BIZ, Bloomberg)
Abb 2: Ja, wo kommt das denn her? Globales Sozialprodukt und ausstehende Derivatekontrakte (Quelle: BIZ, Bloomberg)

Die logische, wenn auch immer noch ignorierte Konsequenz dieser Überlegung besteht in den folgenden fünf Punkten:

  1. Die von Krisen aller Art ausgehende Ansteckungsgefahr hat dramatisch zugenommen – es gibt keine isolierten Finanzkrisen mehr.
  2. Die Finanzmärkte werden nicht mehr durch die Realwirtschaft getrieben – vielmehr hat sich ein Wechselspiel zwischen beiden entwickelt.
  3. Nicht die auf den Märkten gehandelten Instrumente sind Teufelszeug – sondern vielmehr die Strategie dahinter.
  4. Die Kosten des Staatsversagens kann die des Marktversagens übersteigen.
  5. Der Systemwettbewerb zwischen demokratisch gewählten Regierungen kann falsche Anreize setzen – vor allem wenn die Mechanismen der Kapitalmärkte ignoriert werden.


Wozu führt das nun ganz konkret? Banken setzen zu viel Fremdkapital ein, weil sie wissen, dass ihnen in letzter Instanz geholfen wird. Staaten tun genau dasselbe. Vor allem solche in Währungsunionen mit expliziten oder zumindest impliziten Garantien. Genau in solchen Konstruktionen können Regierungen die Verschuldung auf Kosten der Gemeinschaft erhöhen. Beispielsweise um sehr moderate Steuersätze für ihre Bürger zu finanzieren, um letztlich die Chance auf ihre Wiederwahl zu erhöhen (siehe Italien). Oder um niedrige Steuersätze für Unternehmen zu finanzieren und gleichzeitig das heimische Bankensystem aufzublähen (siehe Irland). Oder um Sozialleistungen und Infrastrukturprojekte zu fördern, die der heimischen Wirtschaft nutzen sollen (Griechenland). Oder um den Immobilienmarkt aufzublähen (Spanien und USA). Das führt dazu, dass von einigen Seiten inzwischen eine direkte Beziehung zwischen Markt- und Demokratieversagen postuliert wird.

In letzter Konsequenz bedeuten die obigen Schlussfolgerungen aber nichts anderes, als dass ein System des Fiat-Geldes in einer globalisierten Welt mit integrierten Kapitalmärkten extreme fiskalische Disziplin von Seiten der Staaten erfordert. Nur dann kann das Vertrauen gerechtfertigt werden, das jeder Emittent benötigt, um sich am Markt zu refinanzieren. Die Gläubiger wissen, dass der Wert ihrer Investition einzig durch die Rückzahlungsintention des Schuldners bestimmt wird. Und genau dieses notwendige Vertrauen wurde in den letzten Monaten extrem beansprucht.

Wer einmal lügt …

Viele Marktbeobachter sprechen von einer Übertreibung an den Märkten während der letzten Wochen, da sich die fundamentalen Daten nicht so schlecht entwickelt haben wie die extreme Volatilität an den Kapitalmärkten suggeriert. Auch wenn man über einen Zeitraum von mehreren Jahren durchaus fatale fundamentale Entwicklungen erkennen kann, kann man den aktuellen Kursverfall in allen riskanten Asset-Klassen nicht fundamental erklären. Das einzige Erklärungsmuster stellt der dramatische Vertrauensverlust dar, der in den letzten Wochen in fünf Punkten kulminierte:

  1. Der Prozess der Verabschiedung des zweiten Rettungspakets für Griechenland: Das griechische Rettungspaket mag ökonomisch in Frage gestellt werden, da es letztlich den Eintritt in eine europäische Transferunion manifestiert. Aber dieses Rettungspaket ist so mächtig, dass eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands im juristischen Sinne über die nächsten Jahre abgewehrt wird. Der Markt honoriert jedoch dieses Paket in keiner Weise (was sich in den Übertragungsmechanismen der Krise auf Spanien und Italien zeigt). Und zwar nicht deshalb, weil er dessen Wirkung auf Griechenland in Frage stellt, sondern vielmehr den Prozess der Einigung der Troika aus EU, IMF und EZB. Die Vielzahl von sich widersprechenden Vorschlägen, das offensichtliche Unverständnis der politischen Entscheidungsträger für die Mechanismen des Kapitalmarktes sowie die teilweise dilettantisch anmutenden Lösungsvorschläge (die in der Mehrheit nur wenige Tage Bestand hatten) bedingten einen extremen Vertrauensverlust in die Funktionsfähigkeit der Währungsunion. Wer es nicht einmal schafft, ein kleines Problem (Griechenland) in den Griff zu bekommen, dem traut man eben auch nicht zu, ein großes Problem (Spanien/Italien) zu lösen.
  2. Die EU kann sich immerhin darauf berufen, dass es schwierig ist, 17 Länderregierungen (und noch viel mehr Parteien) unter einen Hut zu bekommen. Die USA schaffen es nicht einmal, mit zwei Parteien eine effiziente Lösung ihres Schuldenproblems zu finden. Da wir die letzte Ausgabe des Newsletters ganz den USA gewidmet haben, gehen wir an dieser Stelle nicht ins Detail. Soviel sei jedoch gesagt: Die ökonomische Situation der USA ist äußerst besorgniserre-gend und kann nur durch eine vollkommene Umkehr der aktuellen wirtschaftspolitischen Diktion erreicht werden. Man kann es ausländischen Investoren nicht verübeln, dass sie nach den Erkenntnissen der letzten Wochen daran zweifeln. Genau auf diesen Investoren beruht aber die Fähigkeit der USA, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Sollten sich die jüngsten Sorgen bzgl. der schwachen Entwicklung des Immobilienmarktes und den Risiken innerhalb des Bankensektors (Bank of America) bestätigen, besteht die Gefahr, dass sich die USA erneut in der Situation der Jahre 2007/2008 wiederfindet. Nur diesmal mit einer deutlich höheren Staatsverschuldung.
  3. Die Beteiligung des Privatsektors war eine von vielen Politikern geforderte Bedingung für die Verabschiedung des zweiten Rettungspakets für Griechenland. Was für eine Farce. Inzwischen sind sehr dringliche Zweifel erlaubt, ob diese Beteiligung bedeutet, dass Banken (und auch einige europäische Versicherungen) durch die Umtauschpläne wirklich belastet werden. Es kann natürlich auch sein, dass mit Beteiligung eigentlich gemeint war, dass die Banken positiv bedacht werden. Obwohl bisher nur sehr rudimentäre Informationen bezüglich des Umtauschprogramms griechischer Anleihen veröffentlicht sind (weshalb die folgenden Ausführungen rein spekulativer Natur sind), werden den Banken offensichtlich mehrere Umtauschoptionen angeboten, wobei ein fester Umtauschkurs festgelegt wurde. Nun liegt der Verdacht nahe, dass Banken vor allem solche Anleihen umtauschen werden, bei denen sie möglichst geringe Verluste (wir vermeiden bewusst die Periphrase "möglichst hohe Gewinne") erleiden, während sie genau die Anleihen halten werden (eher kurze Laufzeiten), deren Rückzahlungswahrscheinlichkeit durch das Rettungspaket auf nahezu 100 % gestiegen ist. Diese These mag sich ex post als falsch herausstellen, allerdings wird sie inzwischen von der Mehrzahl der (uns bekannten) Kapitalmarktakteure geteilt. Die Wahrnehmung der Investoren ist, dass sich die Regierungen angesichts des politischen Drucks bzgl. einer Beteiligung der Banken auf ein nach außen gesichtswahrendes Paket verständigt haben, während die Banken-Lobby sich für geringe Kosten rühmen kann, diesmal einen Beitrag geleistet und die Staatshilfen der Jahre 2007/2008 gerechtfertigt zu haben.
  4. Oops, I did it again! Es ist beinahe tragisch wie die EZB ihre eigenen Prinzipien in regelmäßigen Abständen mit Füßen tritt. Unter dem Deckmantel der postulierten Ausweglosigkeit hat die EZB ihre Staatsanleihenkäufe wieder aufgenommen. Und das, obwohl wenige Wochen zuvor die Käufe griechischer Anleihen zumindest von einigen Offiziellen als Fehler deklariert wurden. Deshalb darf sich die EZB nicht wundern, wenn eine wachsende Zahl von Marktbeobachtern die Unabhängigkeit der EZB in Frage stellt und sie mehrheitlich als Erfüllungsgehilfe klammer Staaten gesehen wird. Dummerweise emittiert die EZB Fiat-Geld, dessen Wert wie oben ausgeführt vor allem auf Vertrauen in die Institution der Zentralbank beruht.
  5. Never fight the Fed? Dieser Spruch hat Generationen von Fixed-Income-Händlern geprägt. Jedoch war er damals noch mit einem Ausrufezeichen versehen. Dieses wurde inzwischen von einem Fragezeichen abgelöst. Die Fed hat sich abermals entschieden, die Probleme mit demselben Mittel zu bekämpfen, durch die diese erst verursacht wurden: Exzessive Bereitstellung von Liquidität indem die Zinssätze langfristig niedrig gehalten werden (QE3). Genau das ist die Wahrnehmung der Investoren, auch wenn viele Analysten sich zu der voreiligen Schlussfolgerung hinreißen lassen, dass der Renditerückgang von US-Staatsanleihen deren Status als Safe Haven unterstreicht (wir werden im Späteren diese These widerlegen). Man muss nicht einer Meinung sein mit Ron Paul, aber für diesen Satz danken wir ihm: "It is not the solution, it is the problem."


Das Vertrauen der Anleger in die zentralen Institutionen des Kapitalmarktes hat logischerweise stark gelitten – angesichts der unglaublichen Entwicklungen der letzten Wochen. Dadurch lässt sich der zunehmende Druck der Märkte auch auf Länder erklären, die noch vor einigen Monaten scheinbar der Fraktion der sicheren Häfen angehört haben, wie bspw. Frankreich. Bestätigen aller-dings die fundamentalen Entwicklungen die aktuellen Marktbewegungen?

Die Bestandsaufnahme

Die Entwicklung der Staatsverschuldung Europas und der USA hat in den letzten Jahren so stark zugenommen, dass auch fundamentale Zweifel an deren langfristige Zahlungsfähigkeit erlaubt sind. Der negative Rating-Drift (die Qualitätsverschlechterung durch Herabstufungen) von Seiten der Rating-Agenturen hat genau aus diesem Grunde in den letzten Monaten vor allem europäische Länder stark betroffen. Also auch rein fundamental besteht Anlass zur Sorge und es wäre fatal, die steigenden Risikoaufschläge einiger Länder (am objektivsten gemessen an der Entwicklung derer CDS-Spreads) als reine Marktanomalie ausgelöst durch Spekulanten zu bezeichnen. Der folgende Chart zeigt, dass die Entwicklung der letzten Monate an den Märkten langfristige fundamentale Ursachen hat.

Abb. 3: Debt to GDP Ratio (in %, Quelle: Bloomberg)
Abb. 3: Debt to GDP Ratio (in %, Quelle: Bloomberg)


Man kann aber auch argumentieren, dass allein der Schuldenstand im Verhältnis zum Sozialprodukt wenig Aussagekraft besitzt, da es die Höhe der Refinanzierungskosten und somit die Schuldenlast außer Acht lässt. Das aktuell niedrige Zinsniveau verbilligt die Refinanzierung, so dass die Wirkungen der steigenden Staatsverschuldung abgemildert werden. Auch individuelle Renditeaufschläge einzelner Staaten können durch niedrige Zinsen kompensiert werden. Wir haben an dieser Stelle schon des Öfteren ausgeführt, dass das Zinsniveau schon allein aus dem Grund niedrig bleiben wird, weil steigende Zinsen das Risiko von kollektiven Staatsbankrotten stark ansteigen ließen.
Einige Ökonomen argumentieren, dass es in der Vergangenheit Situationen höherer Staatsverschuldung gegeben hat und dieses Problem langfristig durch Inflationierung gelöst werden konnte. Die Situation der USA nach dem Zweiten Weltkrieg ist dabei ein beliebtes Beispiel. Wir halten diesen Vergleich aus einer Vielzahl von Gründen (wovon wir einige bereits oben ausgeführt haben) für irreführend, während der Kern des heutigen Problems darin liegt, dass die aktuelle Verschuldungssituation auf Seiten der Staaten eben kein isoliertes Problem eines Landes ist, sondern vielmehr ein globales Phänomen darstellt.

Natürlich muss es bei einigen immer höher verschuldeten Ländern auch solche geben, die als Gläubiger auftreten, wie bspw. China. Aber die aktuelle Staatenkrise ist eben nicht das Ergebnis eines Verteilungsproblems zwischen den Staaten, sondern vielmehr der Verteilungsprobleme innerhalb der einzelnen Ländern. Ohne die Effekte der Finanzkrise ignorieren zu wollen, liegt die Begründung der steigenden Staatsverschuldung der letzten Jahre ursächlich darin, dass erstens Staaten angesichts des Systemwettbewerbs zu geringe Steuereinnahmen generieren und sie zweitens ihren Bürgern Leistungen gewähren, die nicht nachhaltig zu finanzieren sind.

Die Staatsverschuldung gemessen in Einheiten Sozialprodukt ist erschreckend, aber sehr viel erschreckender ist das ganze Ausmaß der Verschuldung – eben dann, wenn man alle Verpflichtungen eines Staates mitberücksichtigt. Dazu gehören auch Verpflichtungen gegenüber den Bürgern, wie bspw. Rentenzahlungen und Sozialleistungen.

Wieso kann eigentlich ein Land nicht mit dem dreifachen seines Bruttosozialprodukts verschuldet sein? Japan weist seit zwei Jahrzehnten die höchste Staatsschuldenquote aller Industrienationen auf und kann diese angesichts seiner fast schon institutionalisierten Niedrigzinspolitik auch refinanzieren. Hierfür gibt es vor allem eine zentrale Erklärung: Japan refinanziert sich zu extrem hohem Maße im eigenen Land. Und die japanische Mentalität bedingt ein höheres Maß an Gutgläubigkeit als das in anderen Ländern der Welt der Fall ist. Nach Fukushima hat der japanische Yen überraschend stark gegenüber dem USD zugelegt, weil die Japaner Teile ihrer Vermögen repatriiert haben. Aus Sicht der Bürger und vor dem Hintergrund, dass Japan eine Exportnation ist, die keinen Kapitalabfluss, sondern einen Kapitalzufluss verzeichnet, kommt die erhöhte Staatsverschuldung also direkt oder indirekt wieder den Bürgern zu Gute. Japan kann in dieser Hinsicht vielleicht als Vorbild verstanden werden. Allerdings kennen wir die Kosten dieser Art der Krisenbewältigung: Der japanische Weg führt zu extrem niedrigem Wirtschaftswachstum über Jahrzehnte und zur Etablierung deflationärer Tendenzen. Die ersten Schritte in diese Richtung wurden nun auch von den europäischen und amerikanischen Regierungen eingeschlagen.

Auswirkungen auf das Portfolio Management

Die einzige logische Schlussfolgerung aus den obigen Ausführungen ist die, dass es keine Safe Havens mehr gibt. Staaten können in einem globalen Systemwettbewerb wie Unternehmen betrachtet werden. Der Unterschied besteht darin, dass sie sich ausschließlich über Fremdkapital refinanzieren. Auch wenn diese Refinanzierungsmöglichkeit angesichts des niedrigen Zinsniveaus nicht unattraktiv erscheint, muss auch billiges Geld irgendwann zurückgezahlt werden. Und genau das wird zunehmend unwahrscheinlicher.

Wenn es keine sicheren Anlagen mehr gibt, mag das auf den ersten Blick wenig beängstigend wirken – die Auswirkungen auf das globale Finanzsystem sind allerdings katastrophal. Genau aus einem einzigen Grund: Es basiert nämlich auf der Vorstellung, dass es risikofreie Investitionen gibt. Der risikofreie Zins stellt eine Grundkonzeption des globalen Finanzsystems dar und ihm kommt eine elementare Bedeutung in einem System des Fiat-Geldes zu. Das Problem liegt auch darin, dass das regulatorische Umfeld dem risikofreien Zins eine zentrale Bedeutung beimisst. Folgende Beispiele verdeutlichen diese Misere:

  1. Die Einlagenfaszilitäten von Zentralbanken sind rating-abhängig, wobei erstklassige Anleihen bevorzugt behandelt werden. Nicht nur, dass somit den Rating-Agenturen erst die Bedeutung zukommt, die heute in der Kritik steht. Sehr viel systemrelevanter ist die Tatsache, dass Zentralbanken Fiat-Geld emittieren und es gegenseitig als beste Qualität akzeptieren. Das Zentralbanksystem basiert letztlich auf der Vorstellung, dass es risikofreie Anlagen gibt, mit de-ren Hilfe sich das Bankensystem refinanzieren kann.
  2. Die Eigen- und Risikokapitalanforderungen der Banken basieren auf der Idee, dass risikoärmere Investitionen weniger EK/RK erfordern als risikoreiche. Macht Sinn. Diese Situation wird ad absurdum geführt, wenn Staaten ihr Bankensystem benutzen können, um sich zu refinanzieren – eben dann, wenn diese angehalten werden, Staatsanleihen zu kaufen. Damit werden Banken per Definition systemrelevant. Der Staat und das Bankensystem sind somit untrennbar miteinander verbunden, während das Bankensystem immer fragiler wird, weil die Staaten fragiler werden und vice versa. Falls sich der Nimbus risikofreier Investments in Luft auflösen sollte, steht das Bankensystem vor immensen Refinanzierungsherausforderungen, die es faktisch nicht bestehen kann. In diesem Umfeld wird sogar das ureigenste aller Bankgeschäfte obsolet: Die Fristentransformation. Diese wird letztlich zu einer Wette auf der Kreditrisikokurve eines Emittenten mutieren.
  3. Dieselbe Problematik betrifft den Versicherungssektor. Versicherungen können immer noch problemlos griechische Anleihen kaufen, genauso wie sie vor einigen Jahren problemlos ABS und CDOs/CLOs kaufen konnten. Damit wird "Lemming Like Behavior" geradezu institutionalisiert. Wenn sich aber herausstellt, dass letztlich alle staatsnahen Titel ihren Status als sichere Anlage verlieren, funktionieren die traditionellen Mechanismen des Asset-Liability-Managements nur noch bedingt. In einer Welt, in der es "risikofreie" Investments gibt, stellt die größte Gefahr für Versicherungen eine lang anhaltende Niedrigzinsphase dar. In einer Welt ohne risikofreie Anlage, birgt der Zahlungsausfall das zentrale Risiko.
  4. Traditionelle Allokationsentscheidungen und Portfoliooptimierungsstrategien basieren alle auf der Annahme des risikofreien Zinses. Weite Teile der Performancemessung sind ebenfalls untrennbar mit dieser Annahme verbunden (bspw. Sharpe-Ratio). Sehr viel schwerer wiegt allerdings, dass ein Großteil von Produkten auf der risikofreien Anlage aufbaut, wie beispielsweise CPPI-Strategien. Diese müssen in Krisensituationen (ansteigende Volatilitäten) aus der riskanten in die (als solche definierte) risikofreie Anlage (Staatsanleihen) reallokieren, unabhängig davon, was die Krise auslöst. Eben auch in dem Fall, dass die Krise von den Staaten ausgeht.


Der Glaube an das Vorhandensein einer risikofreien Anlage ist also nicht nur ein Parameter in den Allokationsprozessen der Mehrzahl aller Anleger, er stellt vielmehr das elementare Teilchen des globalen Finanzuniversums dar.

Die Antwort der klassischen Portfoliotheorie

Wie schon in einigen früheren Kommentaren angesprochen, stehen die klassische Portfoliotheorie und deren Derivate vor einem Problem. Das tun sie einfach deshalb, weil einige zentrale Annahmen spätestens seit den Erkenntnissen der letzten Jahre nicht mehr haltbar sind. Aber die klassische Portfoliotheorie ist immer noch weit verbreitet, was zu offensichtlich abstrusen Entwicklungen an den Märkten führt.

Am deutlichsten wird diese Überlegung, wenn man das CAPM heranzieht. Dieses postuliert, dass eine risikofreie Anlage existiert und dass alle Investoren dasselbe riskante Marktportfolio M halten (Tobin'sches Seperationstheorem). Nach der individuellen Nutzenfunktion allokiert jeder Investor zwischen der risikofreien Anlage und dem Marktportfolio (auf der Kapitalmarktlinie) und erreicht so sein optimales Portfolio. Risiko wird hier als reines Marktrisiko β definiert. Was aber passiert, wenn es keine risikofreie Alternative mehr gibt, bzw. wenn diese risikofreien Alternativen immer weniger werden?

Abb. 4: Es gibt keine risikofreie Anlage mehr (Quelle: Assenagon Credit Management)
Abb. 4: Es gibt keine risikofreie Anlage mehr (Quelle: Assenagon Credit Management)

Wenn es keine risikofreien Anlagen mehr gibt, ansonsten alle Annahmen des CAPM zutreffen, bewegen sich ehemals risikofreie Investments (Staatsanleihen) auf der Kapitalmarktlinie (KML) nach rechts. Angenommen, die Nutzenfunktion des Investors bleibt unverändert, muss dieser jetzt sogar mehr in Staatsanleihen investieren, um das für ihn optimale Portfolio zu erreichen. Das heißt nichts anderes, als dass mehr Staatsanleihen nachgefragt werden, obwohl diese offensichtlich riskanter geworden sind. Genau hier kann der Grund dafür gesehen werden, dass die Rendite amerikanischer Staatsanleihen in den letzten Monaten extrem gesunken ist. Und nicht, wie von offizieller Seite gern Glauben gemacht wird, darin, dass amerikanische Staatsanleihen von den meisten Investoren als sichere Häfen betrachtet werden. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Abb. 5: Die Verfügbarkeit von risikofreien Anlagen wird geringer (Quelle: Assenagon Credit Management)
Abb. 5: Die Verfügbarkeit von risikofreien Anlagen wird geringer (Quelle: Assenagon Credit Management)

Man kann natürlich argumentieren, dass "risikofrei" ein relativer Begriff ist. Die Schweiz und Norwegen werden von vielen Investoren nach wie vor als risikofrei betrachtet. Aber andere Länder verlieren zusehends diesen Status. Also gibt es immer noch risikofreie Anlagen, nur deren Verfügbarkeit nimmt ab. Das heißt, dass eine zunehmende Nachfrage auf ein immer kleineres Universum sicherer Investments trifft, was folglich den risikofreien Zins weiter sinken lässt. Damit wird die Kapitalmarktlinie steiler und der Investor steht vor zwei Alternativen: Entweder, er akzeptiert bei unverändertem Risiko eine geringere erwartete Rendite oder er muss das Risiko erhöhen, um dieselbe Rendite zu erzielen. In beiden Fällen stellt er sich folglich schlechter.

Letztlich kann die klassische Portfoliotheorie keine befriedigenden Antworten auf das aktuelle globale Schuldenproblem liefern. Sie führt bei Befolgung vielmehr dazu, dass

  1. absurde Preisrelationen zwischen verschiedenen risikobehafteten Finanzinstrumenten zustande kommen,
  2. das Lemming-Verhalten gestärkt wird,
  3. die Fehlallokation des globalen Finanzkapitals gefördert wird und
  4. die Krisenanfälligkeit des Finanzsystems zunimmt.

Betrachtet man die aktuelle Lage, lassen die jüngsten Entwicklungen darauf schließen, dass weiterhin die Bekämpfung der Symptome der Krise im Vordergrund steht, während der Lösung der ursächlichen Probleme nur eine Nebenrolle zukommt.

Aktuelle Lage

Während die Weltöffentlichkeit nach wie vor die globalen Aktienindizes als den Gradmesser des Zustandes des Finanzsystems erachtet, zeigt sich dessen wahrer Zustand (bzw. die Erwartungen der Marktteilnehmer bezüglich dessen) meist in völlig anderen Segmenten. Die interessanteste Entwicklung (neben den Sovereign-CDS-Märkten) findet sich zurzeit im Tranchenmarkt. Die 12 % – 22 %-Tranche des iTraxx S9 spiegelt das Risiko wider, dass in einem Universum von 125 europäi-schen Investment-Grade-Unternehmen (und Finanzinstituten) bis zum Juni 2018 ein realisierter Verlust von 12 % – 22 % des zugrundeliegenden Universums eintritt. Geht man von einer Verwertungsquote von 40 % aus, müssten folglich 38 Unternehmen/Banken ein Credit Event erleiden, damit die 12 % – 22 %-Tranche überhaupt Verluste erleidet. Die Spread-Entwicklung dieses Instruments kann deshalb als Indikator für systemische Risiken betrachtet werden. In der zweiten Augustwoche ist der 12 % – 22 %-S9 Spread auf über 200 bp angestiegen und hat damit sogar die Niveaus von 2007/2008 übertroffen! Das zeigt, wie fragil die jetzige Situation an den Finanzmärkten ist, völlig unabhängig von den aktuellen Indexständen an den globalen Aktienmärkten.

Aktuell sehen wir vor allem drei Entwicklungen, welche die ganze Misere der Lage sehr deutlich widerspiegeln:

  1. Die wiederaufkeimende Diskussion bezüglich Euro-Bonds: Natürlich kann man aus europäischer Sicht argumentieren, dass eine gesamteuropäische Haftung für 60 % des Schuldenstandes eines Landes über die Emission von Euro-Bonds ein Schritt hin zu einer stabileren Währungsunion darstellt. Kurzfristig würde eine solche Maßnahme von den Märkten auch extrem positiv aufgenommen werden und vor allem die Situation in den Peripherieländern entspannen. Man kann auch argumentieren, dass sich Euro-Bonds auch für die dadurch benachteiligten Länder ex post als das kleinere Übel erweisen könnten. Allerdings sollte man nicht unterschätzen, dass dieser Vollzug der Transferunion nicht rückgängig gemacht werden kann, ohne einen Zusammenbruch des gesamten Währungsraums zu riskieren. Auch werden diese Anleihen nicht risikofrei sein und das oben angesprochene Problem des Verlustes der risikofreien Anlage nicht lösen. Auch wenn man generös über die Verzerrung des Systemwettbewerbs zwischen den Mitgliedsländern hinwegsieht, bleibt ein ganz zentraler Kritikpunkt. Nämlich der der Anreizproblematik. Die folgende Aussage des italienischen Finanzministers Tremonti verdeutlicht das Problem: "Wir wären nicht da, wo wir jetzt sind, wenn wir Euro-Bonds gehabt hätten"! Man könnte erwidern, dass wir nicht da wären, wenn Italien kein Staatsschuldenproblem hätte. Euro-Bonds werden genau dann ihr Ziel verfehlen, wenn sie als einfacher Weg aus der jetzigen Situation verstanden werden und dazu führen, dass die Anstrengungen auf nationalstaatlicher Ebene zum Schuldenabbau nachlassen.
  2. Leerverkaufsverbot: Es ändert nichts an den Ursachen der Krise, den Marktmechanismus dann regulatorisch zu begrenzen, wenn er zu einem unerwünschten Ergebnis führt. Es gibt genau eine einzige Möglichkeit, nachhaltig unerwünschte Spekulationen zu verhindern. Und zwar indem man ihnen keinen Anlass gibt. Der Grund, dass europäische Finanzwerte unter immensem Druck stehen, liegt in der Staatsschuldenkrise – die Reaktion der Investoren ist die logische Konsequenz daraus.
  3. In Italien und in den USA steht S&P unter Verdacht, unsauber gearbeitet und Insiderhandel betrieben zu haben. Jetzt steht es uns natürlich nicht zu, über die Punkte der Prüfung zu urteilen. Jedoch überrascht der Zeitpunkt der Untersuchungen sehr. Man kann Rating-Agenturen vieles vorwerfen, aber die Systematik ihrer Qualitätseinstufungen von Ländern war genauso bekannt, wie diejenige von ABS/CDOs vor drei Jahren. Die Aufgabe von Rating-Agenturen liegt darin, öffentliche Informationen skalierbar zu machen. Sie können allenfalls eine Entscheidungshilfe bieten, aber nicht die eigene Risikoeinschätzung ersetzen. Dafür, dass die Regulatoren ihre Qualitätseinschätzung systemrelevant gemacht haben, können die Rating-Agenturen nichts.


Fazit:"Hör mal, haste mal ne Mark?" werden die meisten von uns schon mal gefragt worden sein. Allerdings selten von Staaten. Das Unschöne daran ist, dass man in diesem Fall nicht "Nein" sagen kann. Zumindest kann sich nach den Entwicklungen der letzten Woche niemand beschweren, wenn sich nach einer Phase der temporären Beruhigung im Herbst sehr turbulente Wochen an den Kapitalmärkten einstellen.



Jochen FelsenheimerJochen Felsenheimer ist Co-Head of Credit bei Assenagon Asset Management S.A. Er war von 2001 bis 2008 im Research der HypoVereinsbank (UniCredit Group) beschäftigt. Dort leitete er das Credit Strategy & Structured Credit Research-Team und war Stellvertretender Leiter des Global Credit Research-Teams. Er verantwortete alle Publikationen speziell zu den Themen Kreditmarkt, Kreditderivate sowie strukturierte Kredite und ist selbst Autor mehrerer Bücher und wissenschaftlicher Artikel zu den oben genannten Themenbereichen. Er promovierte an der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU München.



[Quelle: assénagon: credit newsletter Nr. 07/2011 │ 18. August 2011 │ Mit freundlicher Genehmigung von Assenagon Asset Management S.A. / Bildquelle oben: RiskNET GmbH] 

Kommentare zu diesem Beitrag

Nachdenklich /22.08.2011 12:48
"It is not the solution, it is the problem."

Oh ja.

Danke Dr. Felsenheimer für die Aufbereitung der Hintergründe der aktuellen Situation. Ich möchte mal einen ganz andere Meinung dazu bringen: Mir drängt sich bei Ihrer Beschreibung die ganze Zeit auf, dass das Weltfinanzsystem bislang immer nur von einer Droge auf die nächste umgestiegen ist. Und nun, da auch die anderen Optionen zunehmend zur Neige gehen (beziehungsweise nicht mehr wirken, was alle Drogen irgendwann nicht mehr tun), steht das Gespenst eines Entzugs im Raum. Bislang konnte man zu dem Gespenst immer sagen: "Müller wohnt hier nicht, probieren Sie es doch mal im Haus nebenan!" Jetzt hat das Gespenst aber die ganze Siedlung abgeklappert und lässt sich nicht mehr verscheuchen. Es kommt zu dem Haus, in dem noch Licht brennt.

Ein befreundeter Physiker sagte vor einiger Zeit zu mir: "Es steht die Erkenntnis aus, dass die Welt ein geschlossenes System ist, in das nur Sonnenstrahlen und ab und zu mal ein Meteorit hereinkommen. Wie sollte in einem solchen System unbegrenztes Wachstum möglich sein?" Nun ja, weil es ein paar vertrauenswürdig scheinende, sympathische Menschen mit Interviewtraining gesagt haben.

Es ist doch letztlich ein Nachfrageproblem gewesen: Es wurde doch nur deshalb im Weltfinanzsystem mit Dynamit gefischt, weil zu viele Fischliebhaber noch nicht satt waren und ein Überangebot an Dynamit und Ruderbooten bestand. Nicht dass die Fischliebhaber noch Hunger gehabt hätten, Sie waren lediglich noch nicht satt.
Aber: Wenn niemand die Fische hätte haben wollen, hätte es auch keinen Sinn gemacht, mit Dynamit raus zu rudern. Die zentrale Variable wurde übersehen: Der Fischbestand.

Jetzt, da die Drogen (die Fische) knapp werden stellen sich nur noch die Frage: Werden wir den Entzug einigermaßen passabel hinkriegen oder muss er kalt (mit heulen und Zähneklappern) erfolgen?

Die Weltfinanzkrise ist nicht nur eine Krise der Werte (Staatsanleihen, Währungen, Aktien etc. - wo kann man denn noch vertrauen?), sondern auch im Übertragenen Sinne der Werte. Man hat viele Werte (wie Nachhaltigkeit) zeitweise verliehen, um andere Werte zu erhalten. Jetzt zeigt sich, dass das eine Milchmädchenrechnung war und eine seltsame Figur mit weißem Umhang klingelt.

Und jetzt stelle ich mal ganz provokant die Frage: Was sind eigentlich unsere Werte? Haben wir noch welche, die nicht von den Gesetzen des Marktes diktiert werden?
Jost /27.08.2011 09:36
@Nachdenklich: Richtig, wir steigen permanent von der einen auf die andere Droge um und versuchen permanent alle Probleme kurzfristig mit zusätzlicher Liquidität zu lösen, anstatt einmal langfristig das Thema anzugehen.

Die Erkenntnis zu den Grenzen des Wachstums ist weder innovativ noch neu. Allerdings ist es wohl schwer umsetzbar, dass etablierte System (deren Motor nun mal das Wachstum ist) anzuhalten und eine 180-Grad-Wendung hinzulegen. So lange wir an den Symptomen herumdoktern und er irgendwie weitergeht, werden wir sowohl an unseren "Werten" (oder auch "Nicht-Werten") festhalten und so weitermachen wir bisher. Erst wenn das (Finanz-)System kollabiert ist, werden wir umdenken müssen und vor allem die wesentlichen Werte definieren. Dann wird der eine oder andere wieder verstehen, dass bspw. die Familie einen Wert darstellt, die man mit Geld nicht aufwiegen kann.

In diesem Zusammenhang fällt mir eine Definition des Wirtschaftsethikers Bernd Noll ein: „In Werten dokumentiert sich das, was ein Individuum, eine Gruppe oder eine Gesellschaft als wünschenswert ansieht. Werte sind folglich Auffassungen über die Wirklichkeit, genauer: über die Qualität der Wirklichkeit."

Das was wir zur Zeit an den Märkten sehen, kann wohl nichts mit dem zu tun haben, wass eine Gesellschaft als wünschenswert ansieht, oder?
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