Die deutsche Wirtschaft durchläuft eine Phase struktureller und konjunktureller Schwäche, deren Auswirkungen sich mit zunehmender Schärfe im Insolvenzgeschehen widerspiegeln. Die aktuelle "Default Study 2025" der Creditreform Rating AG zeigt auf, dass die empirische Ausfallrate deutscher Unternehmen im Jahr 2024 auf 1,78 Prozent angestiegen ist – der höchste Wert seit dem Krisenjahr 2013. Für 2025 prognostiziert Creditreform eine weitere Eskalation auf 2,04 Prozent, womit ein Niveau erreicht wird, das zuletzt im Umfeld der globalen Finanzkrise 2008/09 beobachtet wurde.
Zwar sei laut Creditreform ein leichtes BIP-Wachstum von 0,1 Prozent zu erwarten, dies ändert jedoch nichts am grundsätzlichen Befund: Deutschland befindet sich konjunkturell im europäischen Vergleich am unteren Ende des Wachstumsspektrums – mit erheblichen Risiken für den Unternehmenssektor.
Abb. 01: Die empirische Ausfallrate stieg 2024 auf 1,78 Prozent und soll 2025 auf 2,04 Prozent steigen – der höchste Stand seit der Finanzkrise [Quelle: Creditreform Rating AG]
Die Grafik illustriert eindrücklich den Wendepunkt im Ausfallgeschehen. Während die Jahre 2015 bis 2020 durch historisch niedrige Quoten (teils unter 1,0 Prozent) gekennzeichnet waren, zeigt sich seit 2021 eine durchgehende Aufwärtsbewegung. Der Wegfall pandemiebedingter Stützungsmaßnahmen und gleichzeitige externe Schocks wie geopolitische Spannungen, steigende Energiepreise und Zinsanhebungen haben die Resilienz vieler Unternehmen erschüttert.
Creditreform verweist darauf, dass der Anstieg der Ausfälle nicht allein zyklisch bedingt sei, sondern strukturelle Ursachen habe. Dazu zählen die Transformation hin zu klimaneutralen Produktionsmethoden, digitale Umstellungen im Mittelstand und eine zunehmende Marktpolarisierung.
Altersstruktur: Junge Unternehmen unter hohem Druck
Unternehmen mit einem Alter von 2 bis 5 Jahren weisen mit 3,66 Prozent die mit Abstand höchste Ausfallquote auf – fast das Vierfache der Quote von Unternehmen mit einem Bestehen von über zehn Jahren (1,03 Prozent). Besonders dramatisch ist, dass sich diese Schere in den letzten Jahren nochmals geöffnet hat. Auch Unternehmen im Reifestadium von fünf bis zehn Jahren erleben steigenden Druck: Ihre Ausfallrate lag 2024 bei 2,61 Prozent – ein Plus von 0,43 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr.
Abb. 02: Unternehmen in der frühen Entwicklungsphase sind besonders gefährdet [Quelle: Creditreform Rating AG]
Die Studie verdeutlicht, dass insbesondere junge Betriebe Schwierigkeiten haben, stabile Geschäftsmodelle zu etablieren. Gründe dafür sind laut Creditreform: Schwankende Nachfrage, teure Anschlussfinanzierungen, geringe Kapitalpuffer und eingeschränkter Zugang zu Märkten und Netzwerken.
De Studienautoren weisen ergänzend auf die Schwäche des Venture-Capital-Marktes in Europa hin. Im Gegensatz zu den USA fehle es in Deutschland oft an skalierbaren Finanzierungslösungen für wachstumsorientierte Start-ups in der kritischen Übergangsphase von der Frühphase zur Marktreife.
Unternehmensgröße: Kleinunternehmen besonders fragil
Die Analyse nach Umsatzgrößen zeigt: Unternehmen mit weniger als zwei Millionen Euro Umsatz sind besonders anfällig. Für die Gruppe mit 0,5 bis 2 Mio. Euro Umsatz lag die Ausfallrate 2024 bei 1,95 Prozent – ein signifikanter Anstieg von 0,41 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr.
Abb. 03: Kleine Unternehmen mit bis zu 2 Mio. Euro Jahresumsatz sind am stärksten betroffen [Quelle: Creditreform Rating AG]
Die Grafik verdeutlicht eine klare Risikoasymmetrie: Während Großunternehmen (>250 Mio. Euro Umsatz) trotz eines leichten Anstiegs auf 0,40 Prozent vergleichsweise stabil bleiben, wächst die Kluft zu Kleinstunternehmen kontinuierlich. Ursachen sind laut Creditreform u. a. eine geringere Kapitalausstattung, hohe Abhängigkeit von wenigen Kunden und ein eingeschränkter Zugang zu Kreditmärkten.
Es wird in der Studie zudem darauf hingewiesen, dass kleinere Unternehmen seltener Zugang zu komplexen Hedging-Strategien oder ESG-konformen Fördermitteln haben, was ihre Vulnerabilität gegenüber externen Preisschocks erhöht.
Sektorale Differenzierung: Verkehr und Bau am stärksten belastet
Die sektorale Auswertung zeigt drastische Unterschiede. Den höchsten Wert verzeichnete 2024 der Bereich Verkehr & Logistik mit 3,37 Prozent – ein Anstieg um 0,57 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Ursachen: volatile Energiepreise, Fachkräftemangel, geopolitische Unsicherheit im Transportwesen und Nachfrageschwäche im Außenhandel.
Abb. 04: Besonders betroffen: Verkehr & Logistik sowie Baugewerbe [Quelle: Creditreform Rating AG]
Auch der Bausektor ist schwer getroffen. Mit 2,30 Prozent meldet er einen Höchstwert seit mehr als einem Jahrzehnt. Steigende Finanzierungskosten, stockende Neubauprojekte und rückläufige Investitionen in Wohnimmobilien wirken sich negativ auf die Liquiditätslage vieler Bauunternehmen aus.
Die Studie betont, dass die Streuung des Ausfallrisikos zwischen den Sektoren sich erheblich vergrößert hat. Diese Aussage lässt sich auch empirisch belegen: Die Differenz zwischen der stabilsten (Grundstoffe: 0,81 Prozent) und der fragilsten Branche (Verkehr/Logistik: 3,37 Prozent) hat sich auf über 2,5 Prozentpunkte ausgedehnt – ein Rekordwert seit Beginn der Studienreihe.
Regionalanalyse: Berlin führt das Negativranking an
Die Karte zeigt: Stadtstaaten führen das Risikoranking an. Besonders betroffen: Berlin mit 2,94 Prozent, gefolgt von Bremen (2,25 Prozent) und Hamburg (2,11 Prozent). Thüringen hingegen bildet mit 1,20 Prozent das stabile Schlusslicht. Auffällig ist auch, dass die Ausfallquote in NRW mit 1,91 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt – insbesondere im Ruhrgebiet.
Abb. 05: Stadtstaaten überdurchschnittlich betroffen – Berlin mit Höchstwert [Quelle: Creditreform Rating AG]
Die Studienautoren verweisen auf einen möglichen Zusammenhang mit der Urbanisierungsdichte, der Branchenstruktur (Dienstleistungen, Start-ups) und der Kreditexposition städtischer Volksbanken. Städtische Unternehmensökosysteme sind aufgrund hoher Fixkosten und eines harten Wettbewerbs anfälliger, so die Autoren.
Fazit: Keine Entwarnung in Sicht – Herausforderungen nehmen weiter zu
Die empirischen Daten lassen kaum Zweifel zu: Die deutsche Unternehmenslandschaft steht unter massivem Transformationsdruck. Ob Unternehmensalter, Größe, Branche oder Region – die Creditreform-Analyse zeigt, dass sich wirtschaftliche Belastungen auf breiter Front materialisieren.
"Auch kurzfristige Stabilisierungseffekte – etwa durch rückläufige Inflation oder ein Ende der Zinserhöhungen – reichen bislang nicht aus, um die zunehmenden Ausfallrisiken einzudämmen. Die Ausfallrate dürfte somit vorerst weiter steigen", erklärt Benjamin Mohr, Mitglied der Geschäftsleitung bei Creditreform Rating.
Für Politik, Kreditinstitute und Risikomanager ergeben sich daraus folgende Implikationen:
- Stärkung des Risikodeckungspotenzials bzw. der freien Risikotragfähigkeit junger und kleiner Unternehmen
- Zielgerichtete Branchenförderung in Transport, Bau und Handel
- Regionale Diversifikation der Kreditvergabe, insbesondere in städtischen Hotspots
- Wirksames Risikomanagement, Frühwarnsysteme und ESG-basierte Risikoindikatoren zur dynamischen Portfoliosteuerung