Die Zahl notleidender Kredite in Deutschland wächst weiter – und das trotz einer leichten Abschwächung der Marktdynamik. Das zeigt das aktuelle NPL-Barometer Frühjahr 2025 der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing e.V. (BKS). Für die nächsten zwei Jahre rechnen viele Marktteilnehmer mit einem NPL-Volumen von bis zu 60 Milliarden Euro.
Neben strukturellen Herausforderungen in einzelnen Kreditsegmenten sind es vor allem makroökonomische Faktoren, die zur Zuspitzung beitragen:
- Persistente Inflation und Zinserhöhungen verteuern die Kreditfinanzierung.
- Konjunkturelle Schwächephasen, insbesondere im Bau- und Industriesektor, drücken auf die Rückzahlungsfähigkeit.
- Strukturwandel in Handel und Immobilienwirtschaft schafft neue Risiken für bestehende Kreditportfolios.
Der wirtschaftliche Druck auf Unternehmen und Verbraucher macht sich immer deutlicher in den Bankbilanzen bemerkbar – ein Umstand, den viele Finanzinstitute ernst nehmen, aber nicht alle systematisch adressieren.
Erwartungen für 2025 und 2026: Das 60-Milliarden-Ziel rückt näher
Laut Umfrage unter Bankenvertretern erwartet die Mehrheit (72 Prozent) für Ende 2025 ein NPL-Volumen zwischen 40 und 50 Milliarden Euro. Noch besorgniserregender sind die Erwartungen für 2026:
- 44 Prozent der Befragten prognostizieren einen Anstieg auf 50 bis 60 Milliarden Euro.
- 11 Prozent gehen sogar davon aus, dass die Marke von 60 Milliarden Euro überschritten wird.
Diese Einschätzungen spiegeln ein hohes Maß an Unsicherheit – aber auch die Erkenntnis, dass die bisherige Risikoentwicklung kein temporärer Ausreißer, sondern Teil eines strukturellen Trends ist.
Abb. 01: Erwarteter NPL-Bestand bis Ende 2026
Gewerbliche Immobilien als Krisentreiber
Besonders deutlich fällt die Entwicklung im Bereich der gewerblichen Immobilienkredite aus. Die NPL-Quote stieg hier im Jahresvergleich von 4,8 Prozent auf 5,9 Prozent. 64 Prozent der Banken berichten bereits von steigenden NPL-Beständen in diesem Segment, 50 Prozent erwarten eine weitere Verschlechterung.
Die Ursachen sind vielschichtig, u.a.:
- Sinkende Nachfrage nach Büroflächen infolge hybrider Arbeitsmodelle.
- Verändertes Konsumverhalten im Einzelhandel, das stationäre Flächen entwertet.
- Gestiegene Finanzierungskosten, die insbesondere Projektentwicklungen unter Druck setzen.
Diese Entwicklungen schmälern sowohl die Rückzahlungsfähigkeit der Kreditnehmer als auch die Verwertbarkeit der Sicherheiten – mit direkten Folgen für die Bilanzqualität der Kreditinstitute.
Abb. 02: Entwicklung des NPL-Barometers seit 2015
Weitere Belastungsfaktoren: Konsumkredite und KMU im Fokus
Auch unbesicherte Konsumentenkredite stehen zunehmend unter Druck: 67 Prozent der Institute erwarten hier eine Zunahme der notleidenden Fälle. Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) liegt die NPL-Quote derzeit bei 3,9 Prozent – mit einem erwarteten Anstieg auf bis zu 6 Prozent bis Ende 2025.
Einziger Lichtblick: Die Wohnimmobilienfinanzierung bleibt mit einer Quote von 0,9 Prozent weiterhin vergleichsweise stabil. Nach einer Preiskorrektur in den Vorjahren sehen viele Marktbeobachter Anzeichen für eine allmähliche Stabilisierung.
Regulierung bremst Marktaktivität – Hoffnung auf Preiserholung
Ein weiteres Thema: Das Ende 2023 in Kraft getretene Kreditzweitmarktgesetz wirkt aktuell als Hemmnis für die Transaktionstätigkeit. Zwar ist die Zahl der Portfolioverkäufe leicht gestiegen, doch die neuen regulatorischen Anforderungen erschweren viele Prozesse. Gleichzeitig steigt laut BKS aber auch die Professionalität der Marktteilnehmer.
Besonders erfolgreich seien Banken, so BKS-Präsident Jürgen Sonder, die eine integrierte Strategie verfolgen – mit klassischem Work-out, digitalen Lösungen und selektiver Portfoliooptimierung durch gezielte Verkäufe.
NPL-Zahlen der EBA: Deutlicher Anstieg in deutschen Bankbilanzen
Die Zahlen der European Banking Authority (EBA) unterstreichen den Trend:
- Der NPL-Bestand deutscher Banken stieg von 38 Milliarden Euro (Ende 2023) auf 46,6 Milliarden Euro (Ende 2024) – ein Zuwachs von 23 Prozent.
- Die NPL-Quote kletterte von 1,3 Prozent auf 1,6 Prozent.
- Besonders auffällig ist der Anteil sogenannter Stage-2-Kredite, die als potenzielle Ausfallkandidaten gelten: von 11,7 Prozent auf 15,9 Prozent.
Diese Frühindikatoren deuten auf eine anhaltende Risikoverschiebung in den Bankportfolios hin – mit möglichen Auswirkungen auf Kapitalquoten, Bewertungsreserven und Refinanzierungsfähigkeit.
Fazit: Wer heute nicht handelt, riskiert morgen die Stabilität
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Deutschland steht vor einer strukturellen Herausforderung im Kreditsektor. Wer Risiken nur verwaltet statt aktiv steuert, riskiert nicht nur wirtschaftliche Verluste, sondern auch den Vertrauensverlust von Investoren, Aufsichtsbehörden und Kunden.
Das Barometer zeigt, dass proaktives Risikomanagement – etwa durch Frühwarnsysteme, marktnahe Bewertungen und aktives Portfoliomanagement – heute wichtiger ist denn je.
NPL (Non-performing Loan): Ein Kredit, bei dem der Schuldner seit mehr als 90 Tagen keine Zahlung leistet oder bei dem das Ausfallrisiko als hoch eingeschätzt wird.
NPL-Quote: Anteil notleidender Kredite am Gesamtvolumen aller vergebenen Kredite.
Stage-2-Kredit: Kredit mit erhöhtem Ausfallrisiko laut IFRS 9 – ein Frühindikator für künftige NPLs.
Kreditzweitmarktgesetz: Gesetzliche Regelung zur standardisierten Übertragung von Kreditforderungen – wichtig für NPL-Transaktionen.