Analysemethode im Risikomanagement

Zurück in die Zukunft mit "Szenarien" und "Simulationen"


Zurück in die Zukunft mit "Szenarien" und "Simulationen" News

Ein erstes Verständnis zu Szenarien und Simulationen lässt sich aus ihrer semantischen Bedeutung gewinnen. Das Wort Szenario ist lateinischen Ursprungs, auch wenn es für das Wort selbst keine Übersetzung ins Lateinische gibt. Es ist abgeleitet vom Wort scaena, was so viel bedeutet wie Bühne bzw. Schaubühne, wo sich Schauspieler bewegen. Im Thesaurus finden sich zusätzliche Begriffe wie Anwendungsbereich, Anwendungsfall, Entwurf einer Situation. Erhellend ist auch die Übersetzung des Wortes Szenario in verbreitete Sprachen und die Rückübersetzung ins Deutsche. Dann erhält man als weitere verwandte Begriffe Drehbuch, Denkmodell, Zukunftsentwurf, Szenerie. Verfährt man mit dem Wort Simulation auf analoge Weise, hat man im Lateinischen simulatio, was so viel wie Verstellung bedeutet. Aus dem Thesaurus entnimmt man Bedeutungen wie Vorspiegelung, Vorspielen, Vortäuschung. Die Übersetzung von Simulation in andere Sprachen und die Rückübersetzung ins Deutsche ergänzt dies um Begriffe wie Nachahmung, Verstellung, ja spannenderweise sogar um Schwalbe im Fußball. Fasst man diese Erkenntnisse zusammen, so lässt sich Szenario als "Beschreibung einer Situation" und Simulation als "für eine Situation so tun als ob" verstehen. Damit haben beide Begriffe aus betriebswirtschaftlicher Sicht mit "Was wäre, wenn"-Analysen zu tun.

Ein Szenario beschreibt gewissermaßen den Kontext der "Was wäre, wenn"-Analyse, also das "wenn". Es umfasst die getroffenen Annahmen für das Szenario, die dieses eindeutig und reproduzierbar beschreiben. Häufig nicht explizit erwähnt wird, dass die Eindeutigkeit es erfordert, alle nicht im Fokus stehenden Parameter ebenfalls festzulegen. Sie werden in aller Regel als unverändert betrachtet, eine Annahme, der es sich stets bewusst zu sein gilt und die auch regelmäßig zu überprüfen ist. Weiterhin sollte ein Szenario realistisch und konsistent sein [Vgl. Phelps/Chan/Kapsalis 2001], nur so kann die Vorbereitung einer betriebswirtschaftlichen Entscheidung wirkungsvoll unterstützt werden.

Unter einer Simulation ist nach der semantischen Bedeutung die Durchführung einer "Was wäre, wenn"-Analyse zu verstehen. Hier geht es darum zu verstehen, was im Falle einer bestimmten Situation passiert. Ergebnisse einer Simulation können bestimmte Werte (beispielsweise "Der Umsatz wird x sein"), Bereiche (beispielsweise "Das Ergebnis wird sich zwischen x und y bewegen.") oder auch Eigenschaften bzw. Verhalten eines Objekts oder Systems an sich (beispielsweise "Negative Abweichungen erweisen sich wahrscheinlicher als positive.") sein. Die Simulation wird an einem Modell durchgeführt, dass auf die für den zu untersuchenden Sachverhalt relevanten Aspekte der Realität fokussiert. Auch hier gilt wie beim Szenario, dass die nicht im Fokus stehenden Aspekte keineswegs nicht existent sind, sie werden vielmehr bewusst oder unbewusst auf einen bestimmten Wert fixiert.

Folgende Schlüsse lassen sich daraus ziehen:

  • Die Begriffe Szenario und Simulation sind eng miteinander verbunden, auch wenn man aus theoretischer Sicht eine Differenzierung herbeiführen und gegebenenfalls Simulation als den umfassenderen Begriff sehen kann. Ob die Methodik nun Szenarioanalyse oder Simulation genannt wird, ist für das Resultat nicht wichtig. Entscheidend ist in der Anwendung vielmehr, sich über den Kontext und die explizit genannten und nicht genannten Parameter bewusst zu sein.
  • Zwar ist die Beschreibung eines Szenarios formal nur die Fixierung einer Anzahl von Parametern auf bestimmte Werte. Aber allein die Diskussion, wie sich diese verhalten und welche Werte sie in gewissen Situationen annehmen, liefert dem Management häufig einen Mehrwert. Durch die (ernsthafte) Diskussion von Szenarien werden Meinungen und Einschätzungen expliziert sowie Zusammenhänge verständlicher. Entscheidungen lassen sich darauf aufbauend fundierter treffen.
  • Simulationen müssen nicht quantitativ sein. Bereits das Durchspielen bestimmter Situationen, wie es etwa beim Wargaming erfolgt, verdient den Begriff Simulation. Ein Computermodell ist nicht immer notwendig, jedoch kann je nach betriebswirtschaftlicher Fragestellung moderne Rechentechnik die Analysezeiten verkürzen, die Genauigkeit erhöhen oder bei komplexen Sachverhalten die Simulation gar erst ermöglichen.


Neu sind dieses Methoden keineswegs. Szenarioanalysen sind vor allem bei strategischen Entscheidungen etabliert. Schon fast als klassisches Beispiel darf in diesem Zusammenhang Royal Dutch Shell bezeichnet werden, wo Szenarioanalysen seit vielen Jahren in der Entscheidungsfindung genutzt werden. Auch wird der Nutzen, den Szenarien und Simulationen in der Vorbereitung betriebswirtschaftlicher Entscheidungen haben, heute kaum mehr bestritten. Aber noch immer haben diese Methoden mit dem Vorurteil zu kämpfen, sie wären zu komplex und daher nur etwas für Spezialisten. Laut einer im Jahr 2010 von der Copenhagen Business School und der Århus University durchgeführten Befragung der 500 größten dänischen Unternehmen nutzen lediglich neun Prozent der knapp 300 antwortenden Unternehmen aus Industrie, Dienstleistung und Finanzdienstleistungen diese Methoden intensiv [Vgl. Lindner/Spitzner 2011], was dieses Vorurteil zu bestätigen scheint. Nimmt man andererseits die von Seminarveranstaltern angebotenen Programme als Grundlage, ist aber gleichzeitig das Interesse an diesen Methoden so groß wie nie zuvor. Ein Treiber mag sein, dass im allgemeinen Lebensumfeld Simulationen nicht mehr wegzudenken sind: Keine Automobilentwicklung ohne Crashtest, keine Theateraufführung ohne Probe, keine Medizinausbildung ohne Wiederbelebungssimulation an der Reanimationspuppe.

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen, gemein ist diesen Beispielen, dass es nach obigem Begriffsverständnis Szenarien und/oder Simulationen sind. Schaut man sich an, welchen Zweck der Einsatz dieser Methoden verfolgt, so sind es Erkenntnisgewinn, Verständnis, Optimierung und Ausbildung. Und genau aus diesen Gründen werden auch im betriebswirtschaftlichen Kontext zunehmend diese Methoden eingesetzt:

  • Im Risikomanagement ist der Value at Risk eine Standard-Risikokennzahl. Sie gibt an, welchen Wert der Verlust einer Risikoposition in einem bestimmten Zeitintervall mit einer festgelegten Wahrscheinlichkeit nicht überschreitet [Vgl. Romeike 2009]. Mit dieser Größe lässt sich Transparenz zu Risikopositionen erlangen und anschließend gezielt im Sinne des Unternehmens darauf Einfluss nehmen. Für Sachverhalte, in denen die Unsicherheit eher einfachen mathematischen Bedingungen folgt, ist eine analytische Ermittlung möglich. Häufig sind die Zusammenhänge jedoch so komplex, dass eine Ermittlung durch Simulationen deutlich einfacher, teilweise sogar der einzige Weg ist. Und auch der heute oft zitierte und breit angewendete Stresstest ist eigentlich nichts weiter als die Analyse von vordefinierten, in aller Regel besonders negativen Zukunftsszenarien [Vgl. Romeike/Hager 2010].
  • Annahmen über die Zukunft sind per se mit Unsicherheiten behaftet. In der Investitionsrechnung gaukelt die einfache Anwendung von Standardverfahren (beispielsweise Kapitalwertmethode) mit der Festlegung auf einzelne Werte jedoch  Sicherheit vor. Meist werden daher ebenfalls alternative Szenarien, häufig als best und worst case bezeichnet, untersucht. Die Idee des Value at Risk aufgreifend lassen sich mit einer simulationsbasierten Investitionsrechnung dagegen sogar die Unsicherheiten in den Annahmen bei der Berechnung des Kapitalwerts explizieren. Die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns der Investition in Form der Realisierung eines negativen Kapitalwerts wird sichtbar. Ein weiteres Ergebnis, dass sich beispielsweise aus den Simulationsergebnissen ableiten lässt, ist eine Beleihungsgrenze für den Fremdkapitalanteil an der Finanzierung [Vgl. Gleißner 2011]. Mit derartigen Erkenntnissen können Investitionsvorhaben vorab optimiert werden.
  • Auch in der betriebswirtschaftlichen Ausbildung nimmt die Verbreitung von Simulationen in Form von Unternehmensplanspielen zu. Hier setzt sich konsequent fort, was wohl jeder aus Schule und Studium kennt, erfahren und selber machen ist eine nachhaltige Form des Lernens. Man hat sich mit verborgenen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, man kann experimentieren und üben, ohne für Fehler bestraft zu werden. Handelt es sich um ein Mehr-Spieler-Modell, werden gruppendynamische Effekte direkt erlebbar. Erfolgsfördernd dabei ist sicherlich, dass ein Planspiel eine Abwechslung zum normalen betrieblichen Alltag darstellt.

Allein die wenigen Beispiele machen die breite Einsetzbarkeit dieser Methoden deutlich und zeigen den mit ihnen erzielbaren Nutzen. Sicher scheint, dass ihre Verbreitung zunehmen wird. Aber offensichtlich ist es jedoch so, dass innovative Methoden ihre Zeit brauchen, bevor sie sich als Standard etabliert haben. Als Beispiel hierfür sei die Kapitalwertmethode aufgeführt, die, bis sie sich in der Unternehmenspraxis durchgesetzt hatte, mehr als 30 Jahre brauchte .

Autor:

Dr. Jan Spitzner ist geschäftsführender Gesellschafter der C21 Consulting GmbH mit Sitz in Wiesbaden.

Ein differenziertes Bild zum Einsatz von Simulationen in der Unternehmenspraxis möchten aktuell die RiskNET GmbH in Zusammenarbeit mit der C21 Consulting GmbH und dem Institut für Controlling und Rechnungswesen der Technischen Universität Hamburg-Harburg gewinnen. Untersucht wird, wer Simulationen einsetzt und seit wann, welche Schwierigkeiten beim Einsatz wahrgenommen werden sowie welchen Nutzen die Unternehmen bzw. die antwortenden Führungskräfte in der Anwendung von Simulationen sehen. Noch bis Oktober ist diese Studie online. Mitmachen können Sie unter

simulation.risknet.de

 

Literaturhinweise:

W. Gleißner (2011): Wertorientierte Unternehmensführung und risikogerechte Kapitalkosten: Risikoanalyse statt Kapitalmarktdaten als Informationsgrundlage, in: Controlling 3/2011, S. 165-171.

S. Linder, J. Spitzner (2011): Simulieren geht ohne Weltformel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 43/2011, S. 10.

R. Phelps, C. Chan, S. C. Kapsalis (2001): Does Scenario Planning Affect Performance? Two Exploratory Studies, in: Journal of Business Research, 51 Jg. (2001), S. 223-232.

G. Pritsch (2000): Realoptionen als Controlling-Instrument: Das Beispiel pharmazeutische Forschung und Entwicklung, Deutscher Universitäts-Verlag, 2000, S. 377, sowie die dort angegebene Literatur.

F. Romeike (2009): Was ist eigentlich der "Value at Risk"? Oder besser: Was ist er nicht?, in: Risk, Compliance & Audit  3/2009, S. 10-11.

F. Romeike, P. Hager (2010): Was sind eigentlich "Stresstests"?, in: Risk, Compliance & Audit 4/2010, S. 12-13.


[Bildquelle: iStockPhoto]

 

Kommentare zu diesem Beitrag

Thomas /23.09.2011 09:01
Sehr gute Zusammenfassung. Richtig, im Kern geht es um eine "Was wäre, wenn"-Analyse. In der Praxis werden aber vielfach Simulationsmodelle als Prognosesystem missinterpretiert. Auch in der Folge der Finanzkrise wurde derartige Modelle kritisiert, da sie die Finanzkrise nicht verhindert haben. Das ist Unsinn, Simulationsmodelle zeigen lediglich Szenarien auf, die eintreten können. Die Entscheidung muss jedoch weiterhin der Vorstand treffen.
nadine /23.09.2011 12:53
nicht selten werden doch parameter solcher simulationsmodelle so lange manipuliert, bis die ergebnisse passen. und dann kann ich es gleich sein lassen
ML /23.09.2011 18:34
@nadine: Wer so als Entscheider denkt ist fehl am Platz und sollte möglichst schnell abgelöst werden ;-(
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