Regulierung zur Nachhaltigkeit nimmt Fahrt auf

Stresstests, Szenarioanalysen und Frühwarnindikatoren für Klimarisiken


Regulierung zur Nachhaltigkeit nimmt Fahrt auf: Stresstests, Szenarioanalysen und Frühwarnindikatoren für Klimarisiken News

Bereits seit geraumer Zeit wird das Bewusstsein des Finanzsektors in Bezug auf Nachhaltigkeit geschärft. Für viele Investoren, Kunden, Geschäftspartner, Standardsetzer und Regulierungsbehörden stehen Chancen und Risiken durch Veränderungen aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social and Governance - ESG) für das neue Jahr weit oben auf der Agenda der Prioritäten.

Im Dezember 2019 gab es seitens der Standardsetzer und Regulierungsbehörden weitere wegweisende Publikationen. So hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) noch am 20. Dezember 2019 die finale Fassung des zuvor kontrovers diskutierten Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht. Kurz zuvor hatten sich am 18. Dezember 2019 das Europäische Parlament und der Rat auf die Vorgehensweise zur Festlegung der weltweit ersten "grünen Liste" - einer Klassifikation nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten (Taxonomie) - geeinigt.

Und bereits am 6. Dezember 2019 hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) einen Aktionsplan zur nachhaltigen Finanzierung vorgelegt, der sowohl anstehende Regulierungsmaßnahmen als auch Erwartungshaltungen der EBA zum Umgang insbesondere mit Klimarisiken in Instituten definiert.  

Finanzsektor als wichtiges Element zur Bekämpfung des Klimawandels

Die Diskussion über die Folgen von Industrialisierung und Bevölkerungswachstum steht aktuell im Zentrum des öffentlichen Interesses. Im Finanzsektor lässt sich eine deutliche Steigerung der Nachfrage nach nachhaltigen Produkten feststellen. Die EU sieht den Finanzsektor als entscheidendes Element bei der Umleitung von Finanzströmen zur Bekämpfung des Klimawandels. Alle Maßnahmen sind im Kontext des EU-Aktionsplans zur Finanzierung eines nachhaltigen Wachstums vom 8. März 2018 zu sehen.

Die neuen Veröffentlichungen bringen mehr Klarheit unter anderem für Institute, Versicherungsunternehmen und Kapitelverwaltungsgesellschaften. Sofern nicht schon längst angestoßen, wächst der Bedarf, sich ganzheitlich mit Nachhaltigkeit zu befassen – von der Geschäfts- und Risikostrategie, über die Zusammensetzung des Kunden- und Anlageportfolios bis hin zu Prozessen in Vertrieb, Refinanzierung, Risikosteuerung, Produktentwicklung und Berichterstattung.

BaFin-Merkblatt als Orientierungshilfe

Am 24. September 2019 hatte die BaFin den Entwurf des Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken in einer Konsultationsfassung veröffentlicht. Die Konsultationsfrist lief bis zum 3. November 2019. In dieser Zeit haben die Verbände des Finanzsektors von der Gelegenheit einer Stellungnahme regen Gebrauch gemacht. Forderungen rangierten von einem kompletten Verzicht auf das Merkblatt bis hin zur Anpassungen einzelner Sachverhalte im Detail.

Am 20. Dezember 2019 hat die BaFin dann die finale Fassung des Merkblatts veröffentlicht. Es wurde versucht, 39 Eingaben zum Merkblatt zu berücksichtigen. Dieses ist in seiner Struktur nahezu unverändert. Wesentliche Anpassungen innerhalb der bestehenden Kapitel betreffen vor allem die grundsätzliche Positionierung, die bessere Verzahnung mit bestehenden Regularien und einige Klarstellungen sowie vor allem eine in Teilen deutliche Reduktion des Detailgrades der Empfehlungen. Am 15. Januar 2020 hat die Bafin auch eine englische Übersetzung des Merkblatts zur Verfügung gestellt.

Grundsätzliche Positionierung

Auf deutlichen Wunsch des Finanzsektors wurde die Unverbindlichkeit der Empfehlungen des Merkblatts unterstrichen und klargestellt, dass die beaufsichtigen Unternehmen in der Wahl ihrer Ansätze und Methoden zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken frei sind. Schon bislang hatte die BaFin das Merkblatt als Orientierungshilfe und Zusammenstellung von sinnvollen Verfahrensweisen bezeichnet, an der sich die beaufsichtigten Unternehmen ausrichten können. Mit der finalen Fassung wird jetzt konstatiert, dass die BaFin "zunächst" nicht das Ziel verfolgt, mit dem Merkblatt konkrete Prüfungsanforderungen zu formulieren.

Gleichwohl würden jedoch später entsprechende prüfungsrelevante Vorgaben aus europäischer Sicht auf die Unternehmen zukommen. Hier können zum Beispiel im Bankensektor die EBA-Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung angeführt werden, deren finale Fassung Ende des ersten Quartals 2020 zu erwarten ist. Diese Leitlinien machen unter anderem Vorgaben zur Integration von ESG-Faktoren in die Risikomanagement- und Kreditvergaberichtlinien der Institute. Die erstmalige Anwendung war bislang ab 30. Juni 2020 geplant. Ähnliche Vorstöße gibt es seitens der EIOPA (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, European Insurance and Occupational Pensions Authority) für Versicherungsunternehmen. Für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge sind entsprechende Vorschriften bereits in Kraft. Deswegen ist das Merkblatt ohnehin ein Vorbote entsprechender verbindlicher Regelungen auf europäischer Ebene.

Die BaFin bleibt weiterhin bei der Einordnung, dass die schon bestehenden verbindlichen gesetzlichen oder aufsichtlichen Vorgaben (konkretisiert zum Beispiel durch die MaRisk, MaGo, KAMaRisk ) im Hinblick auf Nachhaltigkeitsrisiken durch das Merkblatt weder abgeschwächt noch erweitert werden. Betont wird nunmehr der Hinweis, dass die BaFin mit dem Merkblatt einer Empfehlung des "Network for Greening the Financial System (NGFS)" nachkommt, klimabezogene Risiken in die Aufsicht einzubinden und aufsichtliche Erwartungen zu formulieren. BaFin und Deutsche Bundesbank sind selbst Mitglieder des Lenkungsausschusses dieser internationalen Initiative.

Klarstellungen im BaFin-Merkblatt

In der finalen Fassung gibt es eine Reihe von Klarstellungen gegenüber dem Entwurf. Die BaFin hat vor allem Begrifflichkeiten aus angrenzenden Regulierungen, wie z.B. den MaRisk, nunmehr stärker auf das Merkblatt abgestimmt. Dies gilt unter anderem für die

  • Betonung, dass Nachhaltigkeitsrisiken keine eigenständige Risikoart, sondern als Faktoren bzw. Treiber der bekannten Risikoarten zu betrachten sind (zum Beispiel: Kreditrisiken, Liquiditätsrisiken, Marktpreisrisiken) und in diese "übersetzt" werden müssen;
  • Schnittstelle zu den besonderen Funktionen nach MaRisk bzw. Schlüsselfunktionen nach VAG (zuvor genannt: "Governance-Funktionen").

Reduktion des Detailgrades

Vor allem hat die BaFin aber in zahlreichen Fällen zum einen den Empfehlungscharakter der Inhalte herausgestellt ("sollte") und zum anderen den Detailgrad der Empfehlungen reduziert. Damit unterstreicht sie auch zusätzlich den schon im Vorfeld betonten Proportionalitätsgedanken und lässt den Unternehmen ausreichend Freiraum zur Auseinandersetzung mit einem angemessenen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, der nicht nur das individuelle Risikoprofil, sondern auch das Geschäftsmodell berücksichtigt.

Folgende Beispiele können hierbei genannt werden:

  • Streichung der ggf. freiwilligen Berücksichtigung durch von der EZB überwachte Institute;
  • Unterstreichung des Proportionalitätsgedankens gemäß sektorspezifischen Vorgaben;
  • Relativierung der aufgezeigten Beispiele und Fragen für eine mögliche Strategiediskussion;
  • Löschung des Hinweises, dass angemessenen Risikobewertungen "häufig nur durch Stresstests" zu gewährleisten sind (wenngleich den Stresstests weiterhin eine zentrale Bedeutung eingeräumt wird);
  • Streichung der Empfehlung zu  notwendigen Überprüfungsprozessen für die Einhaltung freiwilliger Nachhaltigkeitsstandards;
  • Relativierung der Notwendigkeit zur Nutzung externer Quellen bei der Risikoidentifizierung;
  • Starke Kürzung des Detailgrades der Inhalte zu Verantwortlichkeiten in der Geschäftsorganisation, auch bezüglich "Markt" bzw. "Marktfolge" (kein Erst-/Zweitvotum);
  • Umformulierung der Einstellung von Experten in der Risikocontrolling-Funktion zugunsten einer etwaigen "Verstärkung" der besonderen bzw. Schlüsselfunktionen;
  • Keine Empfehlung für die Compliance-Funktion zur Überwachung der Einhaltung freiwillig angewendeter Nachhaltigkeitsstandards;
  • Klarstellung der Berichterstattung für interne Zwecke nur, falls noch nicht bei bestehenden Risikoarten mit berücksichtigt;
  • Relativierung zur Verwendung von langfristigen Szenarioanalysen und Klarstellung, dass der Zeitraum für Auswirkungsszenarien dem konsistenten und langfristigen Planungszeitraum eines Unternehmens entspricht;
  • Fokus der Regelungen für Auslagerungsverträge auf "wesentliche" Auslagerungen;
  • Relativierung der Empfehlung zur Berücksichtigung freiwillig angewendeter Standards auch durch Dienstleister im Falle von Auslagerungen;
  • Berücksichtigung von "spezialgesetzlichen" Regelungen hinsichtlich des gruppenweiten Umgangs mit Nachhaltigkeitsrisiken.

Auch wenn deutlich wird, dass die BaFin bei der Erstellung der finalen Fassung des Merkblatts den Anmerkungen des Finanzsektors entgegenkommt, bleiben die wesentlichen Empfehlungen in der Substanz erhalten. Die im EBA-Aktionsplan vom 6. Dezember 2019 artikulierte Erwartungshaltung deckt sich in Kernaspekten weitestgehend mit den Empfehlungen der BaFin.

Zusammen mit den zu erwartenden Regelungen auf europäischer Ebene besteht weiterhin für alle beaufsichtigten Unternehmen die Notwendigkeit, sich mit einen angemessenen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken nachvollziehbar auseinanderzusetzen.

EU-Taxonomie als wesentlicher Bestandteil des EU-Aktionsplans

Die vorläufige Einigung hinsichtlich der Taxonomie ist wesentlicher Bestandteil des Aktionsplans der EU-Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums und entspricht dem Ziel der Kapitalmarktunion, das Finanzwesen mit den Bedürfnissen der Realwirtschaft zusammenzubringen. Hierzu wurde am 18. Dezember 2019 der Entwurf einer "Verordnung zur Etablierung eines Rahmenwerks für nachhaltige Investitionen und die Änderung der Verordnung 2019/2088 zu nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungen des Finanzdienstleistungssektors" veröffentlicht.

Grundsätzlich hat eine einheitliche Taxonomie enorme Bedeutung für Institute, Versicherungsunternehmen und Kapitalverwaltungsgesellschaften. Es ergeben sich nämlich unmittelbare Auswirkungen auf die Gesetzgebung und Beaufsichtigung (zum Beispiel für nachgelagerte Vorhaben wie Green Bonds, Eco-Labels und Nachhaltigkeitsfonds) sowie Anforderungen an die produkt- bzw. unternehmensspezifische Offenlegung und das Reporting von Finanzmarktteilnehmern, Emittenten und großen Unternehmen. Entsprechende Klassifizierungen können ebenfalls eine Rolle spielen bei der Risikobewertung von Geschäftsaktivitäten und einer ggf. zukünftigen aufsichtlichen Privilegierung bei den Eigenmittelanforderungen.

Eine einheitliche Taxonomie soll vor allem institutionellen und privaten Anlegern ermöglichen, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob eine Investition auch tatsächlich umweltfreundlich ist. Anleger könnten damit, wenn sie in Projekte und Wirtschaftstätigkeiten mit deutlich positiver Wirkung auf Klima und Umwelt investieren, künftig EU-weit von der gleichen Grundlage ausgehen.

Bisher gab es kein einheitliches Klassifikationssystem, das die Bestimmung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten erlaubt hätte. Mit Hilfe einer "grünen Liste" soll

  • die Fragmentierung, die durch marktbasierte Initiativen und nationale Praktiken entsteht, reduziert werden und
  • dem sog. "Greenwashing" entgegengewirkt werden, d.h. der Vermarktung von Anlageprodukten als "grün" oder "umweltfreundlich", obwohl sie den grundlegenden Umweltstandards nicht entsprechen.

Welche Umweltziele werden verfolgt?

Mit der politischen Einigung wird zumindest ein grundlegender Rahmen dafür festgelegt, was als ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit klassifiziert werden kann. Es werden sechs Umweltziele zugrunde gelegt:

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  6. Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.

Kriterien für die Klassifizierung

Die wirtschaftlichen Tätigkeiten müssen die nachstehenden vier Kriterien erfüllen, um als nachhaltig klassifiziert werden zu können:

  1. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der oben genannten sechs Umweltziele;
  2. Sie verursachen im Hinblick auf die anderen Umweltziele "keinen erheblichen Schaden";
  3. Sie entsprechen robusten, wissenschaftlich fundierten technischen Evaluierungskriterien;
  4. Sie halten Mindeststandards in den Bereichen Soziales und Unternehmensführung ein.

Es wird grundlegend am Konzept der Neutralität in Bezug auf die verschiedenen Energieformen festgehalten, unter der Bedingung, dass diese Energien geringe Treibhausgasemissionen verursachen. In der Taxonomie sind ebenfalls die beiden Unterkategorien "förderliche Tätigkeiten" und "Übergangstätigkeiten" enthalten. D.h. diese Tätigkeiten können als nachhaltig qualifiziert werden, sofern sie bei anderen Wirtschaftsaktivitäten dazu beitragen, die Umweltziele zu erreichen. Es ist für jedes Finanzprodukt künftig offenzulegen, welcher Anteil in diese förderlichen Tätigkeiten und Übergangstätigkeiten investiert wird.

Die EU-Kommission wird nun auf der Basis dieser Rahmenbedingungen beauftragt, die tatsächliche Klassifikation zu erarbeiten, indem sie durch delegierte Rechtsakte technische Bewertungskriterien für jedes einzelne Umweltziel und für jeden einzelnen Sektor bestimmt. Dabei wird die EU-Kommission von einer technischen Expertengruppe, der "Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen" unterstützt und auch hinsichtlich der Frage beraten, ob weitere Ziele zu verfolgen sind. Hierfür sind entsprechende Kosten-Nutzen-Analysen zu erstellen. Eine weitere Expertengruppe, die sich aus Vertretern der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt, wird die EU-Kommission darüber hinaus in Bezug auf die Eignung der technischen Evaluierungskriterien und den hierfür verwendeten Ansatz beraten.

Die neue Verordnung ist nach dem Verfahren der "frühzeitigen Einigung in zweiter Lesung" im Anschluss an die Überarbeitung durch die Rechts- und Sprachsachverständigen von Rat und Parlament noch förmlich anzunehmen.

Wesentliche Inhalte des EBA-Aktionsplans

Am 6. Dezember 2019 hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA, European Banking Authority) einen bis zum Jahr 2025 reichenden Aktionsplan zur nachhaltigen Finanzierung veröffentlicht. Gemäß EBA müssen Institute in der Lage sein, Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Risiken zu messen und zu überwachen, um mit Transitionsrisiken als auch physischen Risiken, die der Klimawandel mit sich bringt, umgehen zu können. In ihrem Aktionsplan stellt die EBA ihren Ansatz und ihren Zeitplan für die Erbringung von Mandaten im Zusammenhang mit ESG-Faktoren dar. Die EBA erläutert zudem ihre aufsichtliche Erwartungshaltung zum Umgang mit ESG-Risiken. Bemerkenswerterweise ermutigt sie die Institute entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, bevor der rechtliche Rahmen innerhalb der EU angepasst und die verschiedenen Mandate der EBA geliefert wurden.

Die Aufgaben und Mandate der EBA in Bezug auf ESG-Risiken basieren auf den nachstehenden regulatorischen Vorgaben:

  • der geänderten EBA-Verordnung;
  • der überarbeiteten Eigenkapitalverordnung (CRR II) und der Eigenkapitalrichtlinie (CRD V);
  • der neuen Wertpapierfirmenverordnung (IFR) und der Wertpapierfirmenrichtlinie (IFD);
  • dem Aktionsplan der EU-Kommission und den damit verbundenen Legislativpaketen.

Zwischen 2019 und 2025 sieht der Aktionsplan umfangreiche Arbeiten zu ESG- bzw. vor allem Klimarisiken vor. In einem ersten Schritt wird sich die EBA auf das Strategie- und Risikomanagement und die damit verbundenen Schlüsselkennzahlen sowie die Offenlegung konzentrieren. Hiernach soll ein spezieller Stresstest zum Klimawandel entwickelt werden. Schließlich plant die EBA, Einzelheiten zur aufsichtsrechtlichen Behandlung von "grünen" Forderungen zu untersuchen und ggfs. die Risikogewichte bei der Eigenmittelunterlegung entsprechend anzupassen.

Die geplante Arbeit zielt auch darauf ab, den Aufsichtsbehörden angemessene Instrumente zur Verfügung zu stellen, um die ESG-Risiken im Rahmen ihrer Aufsichtspraktiken zu verstehen, zu überwachen und zu bewerten. Zusätzlich zu den spezifischen Mandaten ist ein allgemeines Mandat in der EBA-Verordnung zur Überwachung des ESG-Risikos vorgesehen, das gleichzeitig wesentlicher Bestandteil der allgemeinen Arbeit zur Verbesserung der Stabilität des Bankensektors ist.

Im Folgenden werden die wichtigsten EBA-Mandate im Rahmen der genannten Themenschwerpunkte dargestellt:

Strategie und Risikomanagement

Hierbei handelt es sich um ein sehr umfangreiches Mandat, das einen weitreichenden Vorschlag in Form eines Berichts für das Management von ESG-Risiken und deren Integration in Governance, Risikomanagement (einschließlich Szenarioanalyse und Stresstests) und Aufsicht im Rahmen des sogenannten "Supervisory Review and Evaluation Process (SREP)" enthält. Aufgrund der Komplexität dieses Mandats will die EBA bereits im zweiten/dritten Quartal 2020 zunächst ein diesbezügliches Diskussionspapier veröffentlichen, bevor sie dann mit Hilfe des Feedbacks den Abschlussbericht bis zum 28. Juni 2021 fertigstellt. Rechtliche Grundlage hierfür ist Art. 98 Abs. 8 CRD V.

Basierend auf den Ergebnissen dieses Berichts, kann die EBA dann Leitlinien zur einheitlichen Einbeziehung von ESG-Risiken in den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess der zuständigen Behörden (SREP) herausgeben und auch andere regulatorische Maßnahmen - einschließlich der Anpassung von Leitlinien für die interne Unternehmensführung, Auslagerungsvereinbarungen oder Kreditvergabe und -überwachung ändern oder ergänzen. Der genaue Zeitpunkt und die Art der Leitlinien für Institute und Aufsichtsbehörden sollen im Bericht festgelegt werden. Die EBA macht deutlich, dass die anstehenden Leitlinien für Kreditvergabe und -überwachung das erste spezifische "Produkt" sind, das explizit Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigt.

Hinsichtlich der Definition aufsichtlicher Erwartungen ermutigt die EBA die Institute, Nachhaltigkeitsüberlegungen proaktiv in ihre Geschäftsstrategie und das Risikomanagement zu integrieren und entsprechende Geschäftsplanungen sowie Risikosteuerungs-, Kontroll- und Entscheidungsprozesse anzupassen.

Schlüsselparameter und Offenlegung

Gemäß Mandat in Art. 434 a CRR II wird die EBA umfassende technische Standards zur Umsetzung der in Teil 8 CRR enthaltenen Offenlegungsanforderungen entwickeln. Die Frist für die Übermittlung der technischen Standards an die EU-Kommission läuft bis zum 28. Juni 2020. Für die ESG-bezogenen Offenlegungen nach Art. 449a CRR II für große, kapitalmarktorientierte Institute gilt eine Ausnahmeregelung; diese gelten im Gegensatz zu den meisten Offenlegungspflichten in Teil 8 CRR, die ab 28. Juni 2021 gelten, erst ab 28. Juni 2022. Die ESG-bezogenen Angaben basieren auf bestehenden Arbeiten, wie den Leitlinien der EU-Kommission zur nichtfinanziellen Berichterstattung, einer Ergänzung zur Berichterstattung über klimarelelante Informationen, der EU-Taxonomie und den Empfehlungen der FSB-Task Force zu klimarelevanten finanziellen Angaben. Diese Informationen sollen für eine Aktualisierung der technischen Standards – geplant für 2021 – verwendet werden.

Hinsichtlich ihrer Erwartungshaltung ermutigt die EBA die Institute, ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der nichtfinanziellen Berichterstattung fortzusetzen. Dabei schlägt sie vor, die Identifikation einiger einfacher Kennzahlen zu priorisieren, die Transparenz auf den Gebieten der Klimarisiken und deren Integration die Geschäfts- und Risikostrategie der Institute ermöglicht. Die EBA verweist auf Anhang I der Leitlinien zur nichtfinanziellen Berichterstattung, der ausgewählte Indikatoren enthält.

Stresstest und Szenarioanalysen als Bestandteil des Risikomanagements

Die EBA plant, einen speziellen Stresstest zum Klimawandel zu entwickeln, mit dem das Hauptziel verfolgt wird, die Anfälligkeit der Banken für klimabezogene Risiken zu ermitteln und die Relevanz der Engagements zu quantifizieren, die von physischen Risiken und Transitionsrisiken betroffen sein können. Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2020 könnte laut Aktionsplan im Rahmen der regelmäßigen Risikobewertung der EU-Banken eine Sensitivitätsanalyse für Klimarisiken für eine Stichprobe von Banken auf freiwilliger Basis durchgeführt werden. Diese Analyse würde sich auf Transitionsrisiken konzentrieren und einen längeren Zeithorizont zugrunde legen.

Darüber hinaus wird die EBA den Instituten und Aufsichtsbehörden im Rahmen des Berichts, basierend auf dem Mandat gem. Art. 98 CRD V, Leitlinien für die eigenen Stresstests zur Verfügung stellen. Entsprechend wird die EBA möglicherweise die relevanten Leitlinien zum Risikomanagement und für das Stresstesting aktualisieren.

Die EBA ermutigt letztendlich im Aktionsplan trotz aller methodischen Herausforderungen und Datenlücken die Institute, eigene Szenarioanalysen zu Klimarisiken zu entwickeln, um schrittweise die Auswirkungen von physischen Risiken und Transitionsrisiken auf die Geschäftsaktivitäten besser zu erforschen. Zudem ruft sie Institute auf, am freiwilligen Stresstest zu Klimarisiken im Rahmen der Risikobewertung 2020 teilzunehmen.

Aufsichtsrechtliche Behandlung

Das Mandat gemäß Art. 501 c CRR II fordert die EBA zur Überprüfung auf, inwieweit eine spezielle aufsichtsrechtliche Behandlung von Risikopositionen im Zusammenhang mit Vermögenswerten oder Tätigkeiten, die im Wesentlichen mit umweltbezogenen und/oder sozialen Zielen verbunden sind, gerechtfertigt werden kann. Die Ergebnisse dieser Bewertung sollen in einem Bericht zusammengefasst werden. Aufgrund der Komplexität und möglichen Auswirkungen dieses Mandats, plant die EBA, diese Arbeit in zwei Phasen – anhand Veröffentlichung eines Diskussionspapiers sowie anschließender Erstellung eines Berichts unter Berücksichtigung der eingegangenen Stellungnahmen – durchzuführen. Die Frist zur Einreichung dieses Berichts endet am 28. Juni 2025.

Der Grund für die oben dargestellte Abfolge liegt in der Notwendigkeit, die Geschäftsportfolien von Instituten unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten besser zu verstehen, bevor sie unter Berücksichtigung der von ihnen gewählten Strategien bewertet und gesteuert werden. Auch die neue EU-Taxonomie soll zudem den Instituten und Aufsichtsbehörden ermöglichen, eingehendere empirische Bewertungen der angemessenen aufsichtsrechtlichen Behandlung einzelner Produkte vorzunehmen.

Implikationen und Handlungsbedarf für den Finanzsektor

Auf die beaufsichtigten Unternehmen des Finanzsektors kommt in Abhängigkeit von Risikoprofil und Geschäftsmodell in vielen Fällen weitreichender Handlungsbedarf zu, der stets auch mit Blick auf die betriebswirtschaftliche Chancen sowie die Möglichkeiten zur Gestaltung der Außenwahrnehmung betrachtet werden sollte.

Dabei betreffen die neuen Vorgaben aufgrund des umfassenden Charakters von Nachhaltigkeitsrisiken im Grundsatz nahezu sämtliche Bereiche und Steuerungsaspekte aller Finanzakteure. Insbesondere folgende Handlungsbedarfe können entstehen:

  • Unternehmensspezifische Definition und Abgrenzung von Nachhaltigkeitsrisiken;
  • Ergänzung bestehender Strategie- und Planungsprozess um Nachhaltigkeitsaspekte;
  • Kritische Überprüfung des Produkt- und Kundenportfolios und ggf. Anpassung des Prozesses für neue Kunden und neue Märkte;
  • Zugrundelegung der Taxonomie bei der Bewertung des Produktportfolios und ggf. dem Neuen Produkte-Prozess;
  • Sensibilisierung aller Mitarbeiter, um das Thema in der Unternehmens- und Risikokultur zu verankern;
  • Anpassung der Prozesslandschaft und Methoden der Datenverarbeitung, inklusive Definition der benötigten Daten;
  • Festlegung klarer Strukturen und Verantwortlichkeiten (Governance);
  • Sicherstellung einer angemessenen Ressourcenausstattung mit entsprechendem Expertenwissen;
  • Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken im Rahmen der Geschäftsanbahnung und Portfoliosteuerung;
  • Festlegung zielgerichteter Kennziffern und (Früh-)Warnindikatoren auch hinsichtlich der Überwachung der finanziellen Performance von Investitionen und Projekten;
  • Überarbeitung der bestehenden Risikomodelllandschaft und Integration von Nachhaltigkeitsrisiken;
  • Aufbau geeigneter Methoden und Verfahren zum Abbilden langfristiger Szenarien und Durchführung von Stresstests;
  • Erweiterte Aufnahme von Nachhaltigkeitsrisiken in die interne und externe Berichterstattung;
  • Festlegung von internen Risikominderungsmaßnahmen und Handlungsalternativen im Rahmen aller Geschäftsbeziehungen;
  • Sicherstellung einer konsistenten Anwendung von Gruppenvorgaben in Tochterunternehmen;
  • Berücksichtigung von ESG-Faktoren bei der Gestaltung von Auslagerungsvereinbarungen.

Aufgrund der Vielfältigkeit und zunehmenden Bedeutung des Themas werden alle von der BaFin oder EZB beaufsichtigten Unternehmen nicht umhinkommen, ihre internen Prozesse, Strukturen, Leitlinien und Vertragsdokumente zu überprüfen und anzupassen. Der Analyse- und Implementierungsaufwand sollte dabei wegen der weitreichenden und umfassenden Tragweite des Themas nicht unterschätzt werden. Er erfordert das Zusammenwirken unterschiedlichster Marktbereiche (z.B. Kredit, Anlage, Treasury etc.) mit nachgelagerten Bereichen wie Organisation/IT, Risikocontrolling,  Finanzen, Compliance, Interne Revision und Recht.

Insbesondere die nach Außen ausstrahlende Wirkung auf Kunden, Rating-Agenturen und Geschäftspartner zeigt die zentrale Rolle der Finanzwirtschaft zum gesamtwirtschaftlichen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken und dem Klimawandel im Besonderen, bedarf aber somit auch einer aktiven und intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Nur so können die notwendigen internen Strukturen geschaffen und eine Akzeptanz bei Mitarbeitern und Geschäftspartnern aufgebaut werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Die EU-Kommission hat mit dem Aktionsplan zur Finanzierung eines nachhaltigen Wachstums bereits am 8. März 2018 ein umfassendes Paket auch legislativer Maßnahmen auf europäischer Ebene auf den Weg gebracht. Der Finanzsektor ist dabei eine Schlüsselbranche und kann von den sich eröffnenden Chancen der Finanzierung nachhaltiger Investitionen profitieren. Bereits jetzt nutzen einzelne Akteure das Thema zur öffentlichen Aufwertung der eigenen Marke.

Neben dem BaFin-Merkblatt wird in den nächsten Jahren eine Reihe von regulatorischen Maßnahmen vor allem auf europäischer Ebene ergriffen. Bereits in der jetzigen Aufsichtspraxis spielen Nachhaltigkeitsrisiken zudem eine Rolle. So fordert zum Beispiel die Europäische Zentralbank (EZB) die von ihr direkt beaufsichtigten signifikanten Institute auf, im Rahmen von Aufsichtsgesprächen auf den Stand des Risikomanagements, die Integration in die Kreditvergabe, die Durchführung von Stresstests und Szenarioanalysen sowie den Anteil des von ESG-Risiken betroffenen Kreditportfolios einzugehen. Alle beaufsichtigten Unternehmen sollten deshalb die sich abzeichnenden weiteren Maßnahmen von Standardsetzern und Aufsichtsbehörden in den Jahren vor allem bis 2025 eng verfolgen. Die BaFin hat bereits avisiert, dass sie die Inhalte des Merkblatts ggf. in Einklang mit europäischen Entwicklungen anpassen wird.

Die EU-Taxonomie für die beiden Umweltziele "Klimaschutz" und "Anpassungen an den Klimawandel" soll bis Ende des Jahres 2020 erstellt werden. Eine vollständige Anwendung soll ab Ende 2021 erfolgen. Die Taxonomie für die vier anderen Umweltziele soll bis Ende 2021 erstellt und ab Ende 2022 angewandt werden. Trotz der politischen Einigung auf grundlegende Rahmenvorgaben bedeutet das Vorgehen freilich, dass die für die Anwender zentralen Umsetzungsfragen auf die technische Umsetzungsebene verlagert werden. Hier sind noch zahlreiche Details auszuarbeiten, insbesondere sind für die einzelnen Wirtschaftsaktivitäten exakte Kriterien und Messwerte zu definieren. Er erscheint deshalb ratsam, diesen Prozess  in den nächsten zwei Jahren sehr eng zu verfolgen und mit zu gestalten.

Autoren:
Christoph Betz
, Partner, Financial Services
Thilo Kasprowicz, Partner, Financial Services
Markus Quick, Partner, Financial Services
Dr. Sebastian Rick, Senior Manager, Financial Services
Gerald Rosenfeld, Manager, Financial Services
Maren Schmitz, Partner, Financial Services
Dr. Roman Schulze, Senior Manager, Financial Services
alle KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]
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