Von der Finanzkrise zur Staatskrise

Erosion des Vertrauens


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Da scheint etwas nicht zu stimmen: Der Goldpreis steigt, bei der Inflation bleibt aber alles beim Alten. Seit Anfang März hat sich der Goldpreis in Dollar gerechnet um 13 Prozent erhöht, in Euro sogar um 23 Prozent. Andererseits bewegt sich die Geldentwertung in Euroland unverändert bei 1,5 Prozent. Die Kernrate – also die Preissteigerung ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise – liegt sogar unter ein Prozent. Angst vor Inflation kann es also nicht sein, was den Goldpreis zuletzt nach oben getrieben hat. Was aber war es dann? Könnte es sein, dass sich hier eine neue Baustelle aufbaut, mit der wir bisher nicht gerechnet haben? Ich fürchte ja.

Natürlich ist der Goldpreis nicht nur ein Krisenbarometer. Hinter seiner Entwicklung stecken auch andere Faktoren. Etwa dass Zentralbanken mehr Gold kaufen. Immerhin sitzen einige von ihnen (vor allem in den Schwellenländern) auf riesigen Beständen an Währungsreserven. Es läge nahe, Teile davon in Gold umzuschichten. Ferner ist denkbar, dass die Nachfrage nach Schmuck und anderen industriellen Verwendungen von Gold anzieht oder dass die Produktion mit der Nachfrage nach physischem Gold nicht mithält.

Zudem ist die Angst vor Inflation trotz der niedrigen aktuellen Zahlen noch nicht ganz vom Tisch. Nach wie vor gibt es viel Liquidität auf den Märkten. Die Zinsen sind extrem niedrig. Wenn die Konjunktur so wie in den vergangenen Monaten weiter laufen sollte, dann entstehen auf Dauer Preisüberwälzungsspielräume bei den Firmen. In China steigen die Preise derzeit um 3,3 Prozent (was für das Land schon relativ viel ist).

Das ist aber nicht alles, was die Goldkäufe der letzten Zeit erklärt. Wenn mich meine Sinne nicht ganz täuschen, ist in den letzten Wochen noch eine andere Sorge aufgetaucht. Das ist der Verlust an Vertrauen. Der Staat als letzter Vertrauensanker in der Gesellschaft ist durch den starken Anstieg seiner Schulden brüchig geworden. Staatsanleihen werden heute nicht mehr als grundsätzlich sicherer angesehen als Unternehmensanleihen. In Griechenland können sich wenige vorstellen, dass der Staat seine Schulden je wieder ordentlich bedienen wird. Ähnlich in Spanien, Italien und einer Reihe anderer Euroländer. Die Bundesrepublik wird hier nicht in dieselbe Kategorie eingereiht. Sie profitiert im Augenblick eher von Kapitalzuflüssen aus Südeuropa. Aber die neuen Lasten durch die Rettungspakete für die anderen Mitglieder (rund EUR 150 Mrd.) wiegen schwer. Da kann auch Deutschland schnell in den Strudel der Vertrauenskrise hineingerissen werden.

Hinzu kommt, dass auch die Zentralbanken viel von ihrer Position als Rettungs- und Vertrauensanker eingebüßt haben. In ihren Bilanzen finden sich mehr und mehr Papiere, die nicht mehr erstklassig sind. In der Krise wurde ihre Unabhängigkeit ein über das andere Mal in Frage gestellt. Das fällt natürlich bei einer so jungen Institution wie der Europäischen Zentralbank besonders ins Gewicht. Zum Vertrauensverlust hat auch beigetragen, dass wichtige Grundsätze des Euros wie das Verbot des Bailouts verlassen wurden.
All das ist natürlich bekannt und wird viel diskutiert. Was neu ist, sind die negativen Auswirkungen auf die Währung. Eine Vertrauenskrise wirkt letztlich wie eine Inflation. Bei Preissteigerungen verliert Geld seinen Wert, weil man nicht mehr so viel Güter und Dienste damit kaufen kann. Bei einem Vertrauensverlust verliert es an Wert, weil die Menschen die Noten und Münzen nicht mehr als Gegenwert für Güter und Dienste akzeptieren. Wie viele Beispiele gibt es, dass Gesellschaften das offizielle Geld nicht mehr akzeptierten? Nach dem zweiten Weltkrieg bekam man in Deutschland für amerikanische Zigaretten mehr Güter als für Geld.

Wen wundert es, wenn Menschen bei mangelndem Vertrauen in das Geld Gold kaufen und der Goldpreis steigt? Daneben schichten sie aber auch Gelder zum Beispiel in den Schweizer Franken um, der nicht von diesen Problemen betroffen ist. Er wertete sich trotz massiver Interventionen der Zentralbank seit Anfang März gegenüber dem Euro um 6 Prozent auf. Aber auch Währungen mit einer "Deckung" durch Rohstoffreichtum zogen an (Kanada-Dollar, Austral-Dollar, Norwegen-Krone).

Nun soll man diese Tendenzen aber auch nicht übertreiben. Sie sind bisher nur in Ansätzen bei professionellen Anlegern erkennbar. Es ist keine generelle Bewegung. Ich erwähne sie hier nur, um Sie vorzuwarnen. Denn wenn sie breiter würde, könnte sich daraus eine bedenkliche Entwicklung ergeben. Sie ist vor allem nicht nur ökonomisch relevant. Sie geht an die Grundfesten des staatlichen Zusammenhalts. Die Regierungen müssen alles tun, um die Erosion des Vertrauens zu bekämpfen. In diesem Licht sind die Sparbemühungen zahlreicher Staaten zu sehen. Sie sollen das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen wiederherstellen. Dazu kommen die Anstrengungen, die stabilitätspolitischen Stützen der Europäischen Währungsunion zu reparieren. Auch Reputation, Ansehen und vor allem Unabhängigkeit der EZB sind zu stärken.

Ich möchte keine Pferde scheu machen. Trotzdem möchte ich noch einen Schritt weitergehen und einen Gedanken ansprechen, der bei manchem im Hinterkopf ist. Wenn gar nichts mehr helfen sollte, dann müsste man daran denken, wieder zu einer Art Golddeckung der Währung zurückzukehren. Also eine Art "Gold-Euro", hinter dem die nicht unerheblichen Goldbestände der europäischen Zentralbanken stünden. Allein die Bundesbank besitzt 3.400 Tonnen Gold mit einem Wert von über EUR 100 Mrd. (zum gegenwärtigen Goldpreis).  Das ist nicht so abwegig wie es auf den ersten Blick klingt. Bis vor vierzig Jahren waren die Währungen im Bretton-Woods-System indirekt durch das Goldeinlösungsversprechen der amerikanischen Regierung gedeckt. Das bedeutete freilich einen festen Goldpreis. Für den Anleger kann das eine zweischneidige Angelegenheit sein. Gold würde zwar an Bedeutung gewinnen. Der Goldpreis würde aber sicher nicht auf dem gegenwärtigen Niveau festgelegt, sondern deutlich niedriger. Im Bretton-Woods-System lag er zuletzt bei USD 35. Als er dort nicht gehalten werden konnte, brach das System zusammen.

Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.



[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Pleitegeier /26.06.2010 17:25
Wie soll Gold im Wert von 100 Mrd. EUR die Euro-Währung in Deutschland decken können (mal abgesehen davon dass wir ja nicht die einzige Nation mit dieser Währung sind). Die Bundesbank-Reserven reichen nicht mal um auch nur ein Drittel des Bargeldumlaufs zu decken, ganz zu schweigen von Sichteinlagen etc. (vgl. Geldmengen M1, M2, M3).
Oekonom /28.06.2010 17:57
Leider wird hierbei viel zu häufig ausgeblendet, dass Griechenland lediglichd die Spitze des Eisbergs darstellt. Die Staatsverschuldung der Industrieländer (oder entwickelten Länder) wird laut Analysen des IWF bis zum Jahr 2014 auf im Durchschnitt über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansteigen. Das bedeutet einen Zuwachs des Schuldenstands von 35 Prozent des BIP von 2008 bis 2014. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass lediglich ein Fünftel mit dem direkten Kosten der Bankenrettung und der Konjunkturprogramme zusammenhängen. Wenn die Staaten nicht gegenlenken, prognostiziert die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich für Japan in der nächsten Dekade eine Schuldenquote von 300 Prozent des BIP, 200 Prozent für Grossbritannien und 150 Prozent für Belgien, Frankreich, Irland, Italien und die USA.

Zur Lösung der Probleme existieren aus meiner Sicht lediglich zwei Optionen: a) Default, d.h. Insolvenz und Kapitalschnitt in einzelnen Ländern. b) Schuldenbereinigung durch Inflation.

Die alternativen Optionen c) aus den Schulden herauswachsen, d.h. starkes Wirtschaftswachstum sowie d) Einnahmen steigern und Ausgaben begrenzen werden am politischen Umsetzungswillen (sh. Sozialversicherungssysteme etc.) scheitern und sind daher unrealistisch.
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