Systeme verstehen - Dominoeffekte vermeiden

Interdependency


Rezension

Systemische Komplexität ist einer der großen Zukunftsrisiken und Herausforderungen in der Unternehmensführung. Die jüngste Finanzkrise hat gezeigt, dass vor allem systemische Risiken in der Vergangenheit unterschätzt wurden. Sie beschreiben im Gegensatz zu Einzelrisiken solche Gefahren, die eine sich selbst verstärkende, krisenhafte Dynamik annehmen können (Dominoeffekt). Ihre besondere Brisanz gewinnen systemische Risiken durch ihre weit reichenden Wirkungen in zentralen gesellschaftlichen Systemen (etwa der Wirtschaft, der Finanzwelt oder der Politik), die den Umgang mit diesem Risikotyp schwierig und zugleich dringlich machen.

Der Autor präsentiert in seinem Buch "Interdependency. Systeme verstehen – Dominoeffekte vermeiden" ein sechsstufiges Konzept und Instrumentarium zur Analyse, Früherkennung und Steuerung von komplexen Systemen. Es dient der präventiven Erkennung von Systemrisiken sowie der Vermeidung von unerwünschten Dominoeffekten. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise wird die Notwendigkeit systemischen Denkens und Handelns als wesentlicher Bestandteil der Unternehmensführung aufgezeigt, so der Autor. Ein Kernelement der Arbeit von Schließmann ist der Transfer eines System- und Komplexitätsanalyseinstrumentes aus seinem bisherigen Anwendungsbereich in geschlossenen Systemen in vorwiegend technischen Bereichen wie beispielsweise der Luftfahrtindustrie, in eine system- und branchenoffene Anwendung für menschlich gesteuerte Systeme wie Unternehmen und Organisationen aller Art.

Fazit: Das Buch liefert Denkanstöße für die Umsetzung eines systematischen Komplexitätsmanagements. Der Leser wird im Buch Ausführungen zum Thema Vertrauenskultur vermissen. Niklas Luhmann (Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart 1968) hatte bereits darauf hingewiesen, dass die Entwicklung einer Vertrauenskultur ein wesentlicher Mechanismus zur Reduktion von (sozialer) Komplexität ist. In einer Neuauflage sollte der regelmäßige Wechsel zwischen englisch- und deutschsprachigen Texten reduziert werden. Außerdem erschwert die zu grobe Strukturierung des Buches das gezielte Nachschlagen. Das Buch vermittelt ein wenig den Eindruck eines Flickenteppichs ("copy and paste"). Dies ist schade, da einige wichtige Gedanken und methodische Ansätze oftmals an unscheinbaren Stellen des Textes gut versteckt wurden.

Rezension von Dr. Peter Hager

Kommentare zu diesem Beitrag

Christiane /21.03.2010 09:28
Ich kann mich dieser Rezension in keiner Weise anschließen.

Das neue Buch „Interdependency“ von Christoph Schließmann bekam ich vor kurzem geschenkt und habe es mit Spannung intensiv gelesen. Mir hat dieses Buch einen ganz neuen Einblick in das Management von komplexen Systemen gegeben und ich versuche seither, meine erlebte Umwelt mit ganz anderen Augen zu verstehen und ganz anders zu hinterfragen. Ich bin in den letzten 20 Jahren für verschiedene Geschäfts- und Privatbanken tätig gewesen, u.a. im Bereich Vermögens-Portfoliomanagement, Riskmanagement und Compliance.

Das Werk Schließmann´s liefert weit mehr als ein paar Denkanstöße. Es bietet systematisch und hochinnovativ einen neuen Blickwinkel auf Systeme und deren Komplexität mit allen daraus resultierenden Risiken und Chancen für die Lebensfähigkeit eines Unternehmens und seine Steuerbarkeit, wie ich ihn bisher so noch nirgendwo gelesen, geschweige in der Praxis weitgehend linearen Denkens vorgefunden habe.

Nach einer Ausgangsreflexion zu den Ursachen der Krise arbeitet Schließmann zunächst dezidiert heraus, was Systeme sind, wie sie entstehen und funktionieren und was vor allem Komplexität generell und innerhalb von Systemen bedeutet und was passieren kann, wenn ein System einen nicht mehr managbaren Komplexitätsgrad erreicht. Erstmals habe ich bei ihm sehr klare Formel-Definitionen für Komplexität und die Lebensfähigkeit einer Organisation entdeckt, die das abstrakte Thema gut greifbar machen. Im umfangreichen Mittelteil des Buches stellt er sein 6-Stufen-Modell zum Komplexitätsmanagement vor und beschreibt systematisch die dazugehörigen Instrumente. Im Zentrum stehen die neuen Instrumente zur Messbarkeit von Komplexität. Mithilfe einer realen und inhaltlich auch für den Laien nachvollziehbaren Fallstudie aus seinen Forschungen in Unternehmen wird die 6-Stufen-Methode einmal in wesentlichen Punkten durchexerziert gezeigt, was die Nachvollziehbarkeit des Instrumentariums fördert und verdeutlicht, welcher Nutzen in der praktischen Anwendung resultiert. Danach diskutiert Schließmann die Bedeutung seiner Erkenntnisse für die Unternehmensstrategie, das Leadership, das Riskmanagement, Corporate Governance, Compliance und schließlich Nachfolgefragen in Unternehmen. So dekliniert er seine Erkenntnisse auf wesentliche Themen der Unternehmensführung durch, bürstet oft klassische Lehren erkennbar gegen den Strich und macht deutlich, dass traditionelles lineares bzw. Matrixdenken nicht mehr funktionieren kann.

Die vorstehende Rezension wirkt auf mich wenig schlüssig und richtig, denn sie übernimmt vor dem kurzen „Fazit“ lediglich und teilweise wörtlich Textpassagen aus dem Vorwort Schließmanns ohne irgendeine eigenständige Reflexion des Buchinhaltes durch den Rezensenten. Zu den auf 309 Seiten präsentierten Erkenntnissen und der innovativen Entwicklungsleistung, insbesondere den Instrumenten zur Meßbarmachung von Komplexität sagt die Rezension gar nichts aus. Offensichtlich kann sie das auch nicht, weil man sich dazu intensiv und näher mit dem Buch auseinandersetzen müsste.

Wesentliche Erkenntnisse und Gedanken sind nicht irgendwo versteckt wie der Rezensent schreibt, sondern sie prägen das Buch grundlegend.

Wieso dieses Buch ein Flickenteppich oder zu grob strukturiert sein soll, entzieht sich ebenfalls meiner Nachvollziehbarkeit. Das Buch hat eine klare Linie und ein Kapitel baut methodisch auf dem nächsten auf. Gerade darin liegt seine Stärke. Ich hatte gerade eine Harvard-Publikation in der Hand, die bei ähnlichem Umfang mit 5 Kapiteln auskommt. Schließmanns Buch ist auch definitiv kein Nachschlagewerk und auch durch ausdrückliche Hinweise nicht so gedacht wie es sich der Rezensent offensichtlich wünscht, Vielmehr handelt es sich um die Darstellung einer Erkenntnisreise, die man mitgehen sollte. Es macht auch keinen Sinn, lexikonartig irgendwo nur reinzublättern, weil dann die Systematik der Erkenntnisse verloren geht.

Schließmann – und dazu steht er im Buch auch deutlich – übernimmt bewusst Research-Statements im englischen O-Ton, was keineswegs schadet, denn die Zielgruppe dieses Buches sollte das verstehen und damit umgehen können. Es lockert das Werk auf und lässt es authentisch wirken. Da auch sein Entwicklungspartner der Komplexitätstools kein Deutscher ist, hat er ihn mit grundlegenden Aussagen zur Methodik der Messung von Komplexität im O-Ton Englisch zu Wort kommen lassen.

Was die Kritik mit fehlenden Ausführungen zur Vertrauenskultur anbetrifft, so kann der Rezensent sicher nicht erwarten, dass im gesteckten Rahmen und Ziel des Buches Interdependency Publikationen aus 1968 (!) nochmals aufgewärmt werden sollten. Zum einen geht es Schließmann um weit mehr als um die Lösung operativer sozialer Komplexität, nämlich um komplexitätsbedingte Systemrisiken in größeren Zusammenhängen und zum anderen ist die Kultur des Vertrauens heute längst verankertes 1x1 guten Managements und Leaderships. Schließmann geht hier viel weiter, in dem er unter Einbezug von Forschungsergebnissen von Gerd Gigerenzer vor allem Empathie und Intuition als wichtige Kernkompetenzen zur Bewältigung systemischer Komplexität aufzeigt. Und diese Kompetenzen implizieren Vertrauenskultur, ohne die sie gar nicht lebbar wären. Wer auf dieser Denkebene arbeiten möchte, für den ist Vertrauenskultur sicher kein unbekanntes Basic mehr!

Ich empfehle dem Rezensenten das Buch wirklich einmal zu lesen und nicht nur wie es mir scheint, reinzublättern – es lohnt sich!


Für mich 4*!
Öttifant /21.03.2010 19:33
Liebe Christiane,

kann es sein dass Sie zu dem Autorenkreis gehören? Wundere mich nur, wenn sich jemand an einem Sonntag so viel Mühe gibt und eine so umfangreiche, sehr schön formulierte Antwort verfasst. In der Zeit könnte man auch toll brunchen ; - )
Gesine /21.03.2010 21:53
Nun ja, so ganz Unrecht hat Dr. Hager mit seiner Rezension nicht. Ich habe das Buch seit zwei Wochen auf meinem Schreibtisch liegen und mich durch die ersten 200 Seiten durchgequält. Die Struktur des Buches ist wirklich eine Zumutung und dabei geht es nicht darum, ob das Buch aus 5, 10 oder 50 Kapiteln besteht. Ich erwarte von einem Buch jedoch eine klare Strukur und einen roten Faden. Ein Fachbuch ist für mich immer auch ein Nachschlagwerk und da bin ich dann auf eine gute Struktur angewiesen. Die bietet das Buch definitiv nicht.

Über den Wechsel zwischer deutscher und englischer Sprache kann man streiten. In jedem Fall erschwert es den Lesefluss. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass in einem englischsprachigen Lehrbuch Sätze in deutscher oder chineischer Sprache zu finden wären. Weitere Informationen zum Thema generell findet man hier: http://www.vds-ev.de/

Eine Zumutung sind in jedem Fall diverse Abbildungen (die nur mit Lupe zu identifizieren sind), beispielsweise Seite 38 (Abbildung 2-1), Seite 109 (Abbildung 5-7), Seite 112 (Abbildung 5-8), Seite 142 (Abbildung 12, im Text heisst es "Figure", ab Seite 116 heissen alle Abbildung "Figure" und dann ab Seite 153 dann wieder Abbildung), S. 199 (Abbildung 6-11), Seite 282 (Abbildung 10-1).

Auch die Aussage zu "copy and paste" kann ich bestätigen. Dies führt leider dazu, dass rote Faden häufig verlorengeht.

Zum Schluss noch einige Eindrücke aus dem Buch: "Die Verantwortung eines Leaders, sich persönlich der Realität zu stellen, kann nicht an Tools delegiert werden! Instrumente können den Blick schärfen, aber erkennen, nachdenken und handeln muss jeder persönlich! [...] Das Zusammenwirken von Heldentum, Arroganz, Ignoranz, Hurra-Mentalität, Saturiertheit, Kurzsichtigkeit und der Verkennung beziehungsweise einem Nicht-wahr-haben-Wollen von Tatsachen sowie Verantwortungslosigkeit im Umgang mit der Realität ist eine weitere Ursache der aktuellen Situation. Dazu kommen Halbwissen, kurzsichtiger Pragmatismus, Wichtigtuerei und Scharlatanerie in der Unternehmensführung"

Nun ja, soweit die Analyse von Professor Schließmann über unsere Unternehmenslenker. Wenn das die Realität wäre (und nicht nur die Ausnahme in einigen wenigen Unternehmen, die der Markt eh aussortiert, sofern der Staat mit Steuergeldern nicht unter die Arme greift), dann würde es der europäischen Wirtschaft schlechter gehen.

Wer einen guten Einstieg in das Thema "Komplexe Systeme" sucht, dem kann ich Frederic Vesters Buch "Die Kunst vernetzt zu denken - Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität; ein Bericht an den Club of Rome, dtv, München, 6.Auflage 2007" empfehlen.
lorenz /22.03.2010 07:18
mir fehlen im buch vor allem konkrete methodische ansaetze, um mit komplexitaet umzugehen, beispielsweise rund um das thema system dynamics bzw. chaostheorie. viele unternehmen haben die relevanz des themas komplexitaet zwar erkannt, denen fehlen jedoch konkrete methodische ansaetze. die liefert das buch leider nicht ;-( ansonsten bietet das buch sehr wohl interessante abschnitte!
herwig /22.03.2010 15:18
Es ist spannend, wie das Buch polarisiert und so schnell zur Diskussion reizt. Hat es damit nicht schon einen wichtigen Zweck erfüllt?

Ich bin auch noch am Lesen, möchte aber zu den vorherigen Statements Folgendes beitragen:

Hauptziel des Buches ist die Vorstellung der Möglichkeit, Komplexität meßbar und steuerbar zu machen und dafür werden effektive und struktuierte Methoden vorgestellt. Da man nach Drucker nur steuern kann, was man auch messen kann, liefert das Buch einen sicher wichtigen methodischen Beitrag zum Umgang mit Komplexität und deren Folgen in Systemen. Schließmann zeigt auch auf, was ebendies für bestimmte Disziplinen der Unternehmenführung bedeutet. Insofern gibt er sehr wohl Unternehmen klare Instrumente anhand, mit Komplexität umzugehen, oder was ist sein 6-Stufen-Modell anders? Ich kannte bisher kein Instrument zu deren Vermessung. Was heisst also "Unternehmen hätten Komplexität erkannt" Wie? Warum kam es dann zur Krise?

Die von gesine gewählten Zitate sind so aus dem Zusammenhang einer von Schließmann´s 12 Ursachenthesen zur Krise genommen nicht zutreffend kommentiert. Er hat nicht geschrieben, dass dies auf alle Unternehmenslenker zutrifft, sondern auf die, die mit für die Ursachen der Krise verantwortlich sind. Und damit ist er in dieser Deutlichkeit nicht alleine.

Soweit ich gelesen habe, baut Schließmann u.a. auf Vester auf und geht mit seinen Tools in Richtung Komplexitätsmessung eigene Wege weiter. Das quantitative Instrumentarium und dieses Mix aus qualitativem und quantitativem Ansatz gibt es bei Vester nicht. Ach, und die als "Zumutung" kritisierte Abbildung S. 112 istb zitiert original von Vester übernommen.

Der Fairness halber noch: Wer sonntagsabends hier kommentiert und andere fragt, warum sie dies stattdessen sonntagsmorgens tun, müsste sich auch fragen lassen, ob er nicht besser mit einem Sonntagabend umzugehen weiss. Jeder ist eben individuell - und das ist gut so. Daher macht eine solche Frage keinen Sinn und keiner engagiert sich für ein Buch oder einen Autor, zu dem kein Bezug besteht! Warum ist Sonntagmorgens das Web oft so langsam - nicht weil alle am brunchen sind... :-)
Holger /22.05.2010 09:25
Fundierte Rezension:

http://www.getabstract.com/zusammenfassung/13555/interdependency.html

Details zur Publikation

Autor: Christoph Ph. Schließmann
Seitenanzahl: 309
Verlag: Bank-Verlag Medien
Erscheinungsort: Köln
Erscheinungsdatum: 2010

RiskNET Rating:

Praxisbezug
Inhalt
Verständlichkeit

sehr gut Gesamtbewertung

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