Risikofaktor Staatsverschuldung

Wie verschuldet sind Staaten eigentlich?


Wie verschuldet sind Staaten eigentlich? News

Die letzten Monate waren gekennzeichnet von der Kontroverse zwischen denjenigen, die eine Inflation und denjenigen die eine Deflation erwarten. Hierbei ist die zentrale Frage, ob das jetzige Renditeniveau der Staatsanleihen eine spekulative Blase darstellt oder eine lang anhaltende Niedrigzinsphase einläutet. Wir glauben aus einem einfachen Grund an Letzteres: Das Finanzsystem würde bei einem starken Renditeanstieg kollabieren, da die meisten Staaten die daraufhin steigende Zinsbelastung nicht mehr finanzieren könnten. Weil die Volkswirtschaften der westlichen Welt in einer Liquiditätsfalle stecken, könnte auch eine weiterhin extrem expansive Geldpolitik daran nichts ändern. Folglich sollten sich Investoren auf eine Dekade niedriger Renditen mit allen Konsequenzen einstellen. Eine entscheidende Frage ist: Sind Credits als zusätzliche Ertragsbringer in einem solchen Umfeld attraktiv?

Wie verschuldet sind Staaten eigentlich?

Das ganze Ausmaß des Dilemmas

Die globale Staatshaushaltskrise war die letzten Monate der entscheidende Faktor auch für die Kreditmärkte, was sich bspw. in einer extrem hohen Korrelation zwischen CDS auf Staatsanleihen und CDS auf Banken, auf Unternehmen und in geringerem Maße auch auf den Aktienmärkten widerspiegelt. Es gibt hier wenig Argumente, die dafür sprechen, dass sich das in den nächsten Quartalen ändern wird. Auch wenn gerade an den Aktienmärkten die Idee gespielt wird, dass marode Staatsbilanzen und "gesunde" Unternehmensbilanzen für eine Investition in Aktien sprechen, wird gerne übersehen, dass sich beide Entwicklungen nicht isoliert voneinander betrachten lassen. Marode Staatsbilanzen werden ihre Spuren im Unternehmenssektor hinterlassen und erste Anzeichen, wie bspw. die Steuer auf Brennelemente, sind bereits zu erkennen. Letztlich gibt es keine höhere Instanz, die Staaten aus der Schuldenmisere heraushelfen könnte, womit diese an die Wirtschaftssubjekte (Unternehmen und private Haushalte) weitergegeben wird. Diese Argumentation gilt damit natürlich auch für Unternehmensanleihen, worauf wir später eingehen werden.

Nun stellt sich die Frage, wie gravierend die momentane Situation eigentlich ist. Hierbei trifft man immer wieder auf das Argument, dass die Staatsverschuldung (gemessen relativ zum Sozialprodukt) historisch (bspw. in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg) sehr viel höher war. Diese Argumentation ist falsch.

  1. Die heutige Situation kann nicht mit einer Zeit verglichen werden, in der eine sehr hohe Staatsverschuldung durch immenses Wirtschaftswachstum kompensiert werden konnte.
  2. Auch damals hat die Inflationierung der Schulden und weniger der wachstumsbedingte Abbau derselben die tragende Rolle in der Haushaltssanierung gespielt. Das wird in einem deflationären Szenario nicht wiederholbar sein.
  3. Es werden weitere Belastungen aus der Sanierung bspw. des Bankensektors auf die Staaten zukommen. Die weitere Stützung der HRE sowie der irischen Banken sind lediglich zwei Beispiele dafür, dass nur unter extrem optimistischen Annahmen eine Sanierung der Haushalte durch die Hebung von Einsparungspotenzialen erreicht werden kann.


Abbildung 1: Prognostizierter Anstieg der Staatsverschuldung im Zeitraum 2008 – 2025 (in % des BIP) [Quelle: OECD Working Paper No. 801 (2010)]
Abbildung 1: Prognostizierter Anstieg der Staatsverschuldung im Zeitraum 2008 – 2025 (in % des BIP) [Quelle: OECD Working Paper No. 801 (2010)]

Obige Grafik zeigt die grundsätzliche Problematik auf: Der Schuldenstand wird sich nicht verringern, im Gegenteil, er wird weiter steigen. Nimmt man nun weiter an, dass die oben beschriebenen Korrelationen erhalten bleiben, ist die Erwartung nachhaltig steigender Aktienmärkte und geringerer Renditeaufschläge bei Unternehmensanleihen in den nächsten Jahren unrealistisch.

Die Bilanz der Staaten

Die obige unerfreuliche Darstellung beschreibt das Problem der Staatsverschuldung noch nicht einmal vollständig. Die Relation der Schulden (ohne diese in Inlands- und Auslandsverschuldung zu differenzieren) im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung stellt nur einen Teil der "Bilanz" des Staates dar. Betrachtet man den Staat als Unternehmen, hat dieser eine Aktiv- und eine Passivseite. Aktiva sind hierbei einerseits Vermögensgegenstände, die die Möglichkeit geben, Steuern zu erheben, also reale Assets (wie Immobilien) sowie Anteile an Unternehmen und Banken (wobei Letztere im Zuge der Finanzkrise extrem zugenommen haben, leider jedoch weitgehend wertlos sind) und andere Assets wie bspw. Liquiditätsbestand. Dem stehen auf der Passivseite aber eben nicht nur die Bruttoverschuldung gegenüber, sondern auch die "sozialen Verbindlichkeiten", also der Barwert aller zukünftigen Ausgaben (vor allem Rentenansprüche und zugesicherte Sozialleistungen). Die beste uns bekannte Analyse zu diesem Problem stammt von Morgan Stanley (Sovereign Subjects; 25. August 2010).

Wenn man 50 Dollar Schulden hat, so ist man ein Schnorrer. Hat jemand 50.000 Dollar Schulden, so ist er ein Geschäftsmann. Wer 50 Millionen Dollar Schulden hat, ist ein Finanzgenie. 50 Milliarden Dollar Schulden haben – das kann nur der Staat." (N.N.)

Anmerkung: Angesichts der jüngsten Entwicklungen sollten alle obigen Zahlen mit 100 multipliziert werden, um die Realität treffender zu beschreiben.

Unter diesem Aspekt sehen alle Staatsbilanzen weitaus schlechter aus, als wenn man nur die Verschuldung der Wirtschaftsleistung gegenüberstellt. In folgender Tabelle wird der Unterschied deutlich. Das Verhältnis zwischen Schulden und Einkünften unter Berücksichtigung aller "Bilanzposten" des Staates macht das Dilemma der echten Verschuldung deutlich.

Tabelle 1: Prognose der Schulden und Einkünfte im Verhältnis zum BIP verschiedener Regionen [Quelle: Eurostat; US Department of Treasury; BIZ]
Tabelle 1: Prognose der Schulden und Einkünfte im Verhältnis zum BIP verschiedener Regionen [Quelle: Eurostat; US Department of Treasury; BIZ]

Der entscheidende Schritt der obigen Analyse besteht nun darin, dass Staaten nicht "nur" den Gläubigern im In- und Ausland verpflichtet sind, sondern sie vielmehr ihren "Stakeholdern" verpflichtet sind. Somit muss der Staat eben nicht nur seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Gläubigern nachkommen, sondern eben auch den Versprechen zukünftiger Zahlungen an seine Bürger. Legt man die aktuellen Zahlungsverpflichtungen gegenüber allen Stakeholdern zugrunde, lassen sich zwei wichtige Schlüsse ziehen:

  1. Die Staatsverschuldung war historisch (in den wirtschaftlich relevanten Zeiten) noch nie so hoch wie heute und …
  2. … wir haben es mit einem globalen Phänomen zu tun, zumindest was die westlichen Industriestaaten anbelangt.

Diese Analyse lässt leider kaum einen anderen Schluss zu, dass es keine Frage ist, ob Staaten ausfallen, sondern nur wie sie das tun! Entweder sie kommen ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Gläubigern nicht nach oder sie reduzieren in extremer Weise die Zahlungsversprechen gegenüber ihren Bürgern (wobei diese Kosten in einer alternden Gesellschaft stetig anwachsen). Letzteres ist angesichts der Tatsache, dass die Empfänger zukünftiger Zahlungen auch Wähler sind, nur äußerst schwer umzusetzen. So gesehen sollten die aktuellen Risikoaufschläge (und hier ist der Markt für CDS auf Staaten ein perfekter Indikator) nicht als Anomalie sondern vielmehr als logische Konsequenz der Entwicklung v. a. seit dem Beginn der Finanzkrise verstanden werden.

Exkurs: Griechenland – Restrukturierung oder nicht?

Griechenland liefert für die obige Argumentation ein sehr anschauliches Beispiel. Während offizielle Stellen und auch ein Großteil der Real-Money-Investoren davon ausgehen, dass Griechenland keine Restrukturierung seiner Schulden zulassen wird, hält sich die implizite Restrukturierungswahrscheinlichkeit, die der CDS-Markt einpreist, immer noch gut über 50 %. Und das, obwohl die EU einen Rettungsschirm aufgespannt hat, der die Refinanzierung über die nächsten 3 bis 4 Jahre sichert und die ersten Sparanstrengungen scheinbar von Erfolg gekrönt sind. Aber die Stakeholder (die Bürger Griechenlands) demonstrieren gegen diese Entwicklung, weil quasi ihre vom Staat versprochenen Ansprüche gegen die der ausländischen Gläubiger zurückgestellt werden. Wie man es auch betrachten mag: Der griechische Staat wäre ohne die Hilfe der EU auch im klassischen Sinne ausgefallen (und zwar auf die ausstehenden Anleihen), was nur dadurch verhindert wurde, dass die EWWU trotz "No-Bailout-Klauseln" einen Bail-Out vollzogen hat. Trotz dieser Rettungsaktion musste der griechische Staat allerdings eines seiner Versprechen brechen – noch nicht gegenüber seinen Gläubigern, aber gegenüber seinen Bürgern. Nun wurde der Ausfall nur aufgrund der Tatsache abgewendet, dass europäische Investoren die Hauptgläubiger sind und ein Ausfall Griechenlands das europäische Finanzsystem weitaus stärker getroffen hätte als die Lehman-Pleite. Wirklich entscheidend ist aber die Tatsache, dass die Abwendung des Ausfalls nicht bedeutet, dass das grundlegende Problem der Verschuldung gelöst wird, sondern lediglich, dass es auf eine höhere Ebene (also die EU) verlagert wurde. Letztlich wird die Frage, ob eine Restrukturierung der griechischen Schulden stattfindet oder nicht, davon abhängen, wer größeren Druck auf den Staat ausüben kann – die Gläubiger oder die Bürger. Die Historie (von der französischen Revolution bis hin zu den Dauerkandidaten in Lateinamerika) hat gelehrt, dass Letztere eine nicht zu unterschätzende Macht darstellen.


Folglich muss man sich überlegen, was für Konsequenzen die momentane Situation der Staatsbilanzen hat und mit welchen Auswirkungen, vor allem auf das Bankensystem, man rechnen muss. Es sei uns hierbei verziehen, dass wir hier keinen großen Unterschied zwischen einzelnen westlichen Industriestaaten machen – diese gibt es natürlich, das ändert aber nichts am Gesamtbild.

Staaten retten Banken, aber wer rettet Staaten?

Das Problem steigender Staatsverschuldung im Anschluss von Bankenkrisen ist ein altbekanntes Phänomen, wie in folgender Tabelle abzulesen ist.

Tabelle 2: Historischer Anstieg der Staatsverschuldung in den folgenden drei Jahren einer Bankenkrise (in % des BIP) [Quelle: OECD Working Paper No. 801 (2010)]
Tabelle 2: Historischer Anstieg der Staatsverschuldung in den folgenden drei Jahren einer Bankenkrise (in % des BIP) [Quelle: OECD Working Paper No. 801 (2010)]

Die Staatsverschuldung Japans hat sich beispielsweise nach der Bankenkrise Mitte der 90er um mehr als 35 % erhöht, vergleichbar mit der finnischen Situation Anfang der 1990er Jahre. Nun sind die Bankenkrisen der letzten 20 Jahre in keiner Weise mit der jetzigen Situation zu vergleichen, einerseits deshalb, weil die aktuelle Krise einen globalen Charakter hat und andererseits aufgrund ihrer Dimension alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.

Das Hauptproblem besteht jedoch darin, dass die Krise des Bankensektors noch nicht überwunden ist, was sich immer noch in einem nicht funktionierenden Interbankenmarkt und in einer nach wie vor eingeschränkten Kreditvergabe an Unternehmen widerspiegelt. Wie der Fall der HRE und der irischen Banken ganz aktuell zeigt, müssen die Staaten weiterhin mit hohen Stützungskosten für ihre Bankensysteme rechnen (auch wenn das zu einem großen Teil über die Zentralbanken läuft) und somit kann sich die bereits sehr kritische Verschuldungssituation weiter verschärfen. Die USA und die europäischen Staaten haben in den letzten zwei Jahren die "Verstaatlichung" ihrer Bankensysteme vorangetrieben und somit auch deren Verbindlichkeiten übernommen. Wenn sich die Passivseite der Staatsbilanzen weiter aufbläht, muss das die Aktivseite eben auch tun. Andere Stakeholder neben den Gläubigern werden benachteiligt, da die Rettung der Banken offiziell den Nimbus der systemischen Notwendigkeit angenommen hat – wahrscheinlich der größte Fehler, der im Anschluss an die Lehman-Pleite begangen wurde.

Banken haben spätestens im Anschluss an die Lehman-Pleite die Bestätigung ihrer Strategie des Strebens nach dem Status des "Too Big To Fail" erhalten. Der Lehman-Fall wird ex-post von den meisten Instituten als missratenes Exempel verstanden, da alle Banken (direkt oder indirekt) von den daraufhin einsetzenden staatlichen Interventionen (am Geldmarkt, im ABS-Markt, im Markt für Staatsanleihen) profitiert haben. Also Banken können sich weiterhin auf ihrem Status ausruhen, aber sind auch Länder "Too Big To Fail"? Wir nähern uns dieser Frage täglich auf eine sehr praktische Weise. Es gibt inzwischen eine Vielzahl von amerikanischen Unternehmen, bei denen man auf der Suche nach der "ultimativen Mutter" auf die folgenden drei Buchstaben trifft: U, S und A. Das verleitet in der Praxis natürlich zu der Idee, amerikanisches Unternehmensrisiko einzukaufen und mit CDS auf die USA abzusichern. Ökonomisch ist diese Position sinnvoll, aber man würde dabei ignorieren, dass die USA wirklich aus zweierlei Gründen " Too Big To Fail" sind:

  1. Die "globale Staatsanleihe" ist die der USA.
  2. Es gibt keine höhere Instanz mehr, die einen Ausfall der USA (wie es der Fall ist, wenn Banken in Schwierigkeiten geraten würden) auffangen könnte, weshalb eine Nicht-Begleichung amerikanischer Staatsanleihen mit dem sofortigen Ende des globalen Finanzsystems in seiner jetzigen Form gleichgesetzt werden könnte.

Auch wenn Staaten der Größe der USA nicht mehr gerettet werden könnten und somit die Existenz des Finanzsystems gefährdet wäre, ändert das nichts an der Tatsache, dass diese (rein ökonomisch) sehr stark ausfallgefährdet sind. Aber der entscheidende Punkt ist, dass das Ausfallszenario in diesem Fall keine praktische Relevanz besitzt, weshalb man darüber nachdenken muss, wie die praktische Zahlungsunfähigkeit vermieden werden kann. Wir wollen uns hier auf die relevanten Schlussfolgerungen beschränken. Wenn die Staatsbilanzen weiter einseitig aufgebläht werden, es aber zu keinem Verlust auf Seiten der Anleiheinvestoren kommen soll, gibt es ein signifikantes Risikoszenario für die westlichen Industrienationen: Ein starker Anstieg der Kosten der Staatsverschuldung. Dieser muss vermieden werden, da ansonsten die Zahlungsfähigkeit der meisten westlichen Industrienationen nicht aufrechterhalten werden kann.

Wir kommen somit zu der Kernthese dieser Publikation: Ein Anstieg des Zinsniveaus und somit der Kosten der Neuverschuldung der Staaten würde das globale Finanzsystem einer extremen Stresssituation unterziehen, weshalb alles dafür spricht, dass wir uns auf ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld einstellen sollten!

Deutlich wird das Problem, wenn man Krisenszenarien berücksichtigt, wie das beispielsweise der Fall in einer Studie der Deutschen Bank vom März dieses Jahres umgesetzt wurde. Ohne dezidiert auf die Annahmen einzugehen (man kann die Parameter eines Krisenszenarios natürlich diskutieren), zeigt die folgende Tabelle auf, wie stark die Staatsverschuldung auf Krisen reagiert.


Tabelle 3: Szenarien der Entwicklung der Staatsverschuldung bis 2020 (in % des BIP) [Einflussfaktoren: BIP, realer Zinssatz und Finanzierungssaldo. Basisszenario: Entwicklung nach IMF-Prognose. Krisenszenario: Entwicklung mit abweichender Standardabweichung von 0,25; Quelle: Public Debt in 2020, DB-Research, März 2010; OECD; Eurostat]
Tabelle 3: Szenarien der Entwicklung der Staatsverschuldung bis 2020 (in % des BIP) [Einflussfaktoren: BIP, realer Zinssatz und Finanzierungssaldo. Basisszenario: Entwicklung nach IMF-Prognose. Krisenszenario: Entwicklung mit abweichender Standardabweichung von 0,25; Quelle: Public Debt in 2020, DB-Research, März 2010; OECD; Eurostat]

Kann die Staatsverschuldung durch Inflation "bekämpft" werden?

Die folgenden Tabellen zeigen klar auf, dass die Hoffnung, durch Wachstum aus der Schuldenfalle zu kommen, bei weitem zu optimistisch ist. Als Schuldenziel (wir ignorieren die sozialen Versprechen der Staaten) wurde hier das Maastricht-Kriterium verwendet, das aus der damaligen wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion entstand, auch wenn die Ignorierung desselben heute mit dem Hinweis auf eine außergewöhnliche Situation versucht wird zu rechtfertigen.


Tabelle 4: Benötigtes BIP-Wachstum für eine Reduzierung der derzeitigen Staatsverschuldung unter 60 % des BIP [Vorgabe des Vertrags von Maastricht für Industrieländer, Quelle: DB-Research]
Tabelle 4: Benötigtes BIP-Wachstum für eine Reduzierung der derzeitigen Staatsverschuldung unter 60 % des BIP [Vorgabe des Vertrags von Maastricht für Industrieländer, Quelle: DB-Research]

Angesichts der soziodemografischen Entwicklungen in den westlichen Industrienationen, aber ebenso in den USA und in Japan ist nicht zu erwarten, dass der Schuldenabbau allein durch Wirtschaftswachstum erreicht werden kann. Das Potenzialwachstum saturierter Volkswirtschaften befindet sich zwischen 2 bis 3 % im Jahr, was erstens nicht ausreichen würde, um einen Verschuldungsgrad von 60 % zu erreichen, zweitens die Ausnutzung des Potenzialwachstums vor dem Hintergrund der in immer kürzeren Abständen auftretenden Finanzkrisen völlig unrealistisch erscheint.

Also werden die Probleme wieder durch Inflationierung geheilt, wie es zum Beispiel in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war? Trotz aller damit verbundenen innenpolitischen Schwierigkeiten hat Inflation aus Sicht des Staates den charmanten Nebeneffekt, alle zukünftigen Verbindlichkeiten (Schuldendienst und soziale Versprechungen) zu reduzieren. Hier befinden wir uns an einem ganz entscheidenden Punkt der Argumentationskette. In einer Liquiditätsfalle, in der sich neben Japan (seit annähernd zwei Jahrzehnten), die USA und die europäischen Staaten befinden, verpuffen expansive geldpolitische Maßnahmen ohne inflationären Effekt! Trotz exzessiver Bereitstellung von Liquidität und Zentralbanken, die sich immer mehr auch offenmarktpolitischer Instrumente bedienen (Kauf von CMBS und USA-Treasuries in den USA, Kauf durch die EZB von Staatsanleihen der Eurozone), versickert diese in maroden Bankensystemen, ohne eine preissteigernde Wirkung in der Realwirtschaft zu entfalten. Wenn der Mechanismus zwischen expansiver Zentralbankpolitik und steigender Preise nicht funktioniert, fällt die elegante Lösung der Inflationierung der Staatsschulden weg. Diese Annahme stellt das zentrale Argument gegen die These dar, dass die jetzige Situation, verglichen mit der Nachkriegszeit, als die Verschuldung einzelner Länder (v. a. auf die USA bezogen) im Vergleich zu ihrer Wirtschaftsleistung noch höher war, beherrschbar erscheint. Einen Einblick in die Entwicklung der Gläubigerstruktur der USA zeigt die folgende Tabelle.


Tabelle 5: Nachfrage nach UST ausländischer Investoren [Quelle: IMF US Selected Issus 2010, CBO, Fed; DB, Global Markets Research]
Tabelle 5: Nachfrage nach UST ausländischer Investoren [Quelle: IMF US Selected Issus 2010, CBO, Fed; DB, Global Markets Research]

Tabelle 6: Historische Entwicklung der Gläubigerstruktur von US Treasuries [Quelle: FRD; DB-Research]
Tabelle 6: Historische Entwicklung der Gläubigerstruktur von US Treasuries [Quelle: FRD; DB-Research]

Hier liegt auch der Schlüssel für die globale Bedeutung des Phänomens. Das internationale Finanzsystem ist so stark vernetzt, dass v. a. monetäre und nicht realökonomische Interdependenzen ausschlaggebend sind. Und diese Aussage bringt uns zu einem weiteren relevanten Punkt: Wenn es sich die USA nicht leisten können, die Verzinsung amerikanischer Staatsanleihen zu erhöhen, dann kann das Europa auch nicht, weil eine Ausweitung der Zinsdifferenz zugunsten Europas die einzige Quelle ökonomischen Wachstums in Europa (die Exportindustrie) zu stark schwächen würde.

"Bubble" in Staatsanleihen?

Das extrem niedrige Zinsniveau vor dem Hintergrund des globalen Refinanzierungsdilemmas (Staaten, Unternehmen wie auch Banken buhlen um Refinanzierung auf dem Anleihemarkt) führt logischerweise dazu, dass man eine spekulative Blase und deren baldiges Platzen vermuten könnte. Vor allem aus der Ecke der Chart-Techniker hört man dieses Argument. Diskutiert werden vor allem zwei Argumente gegen ein lang anhaltendes Niveau niedriger Renditen:

  1. Das Renditeniveau ist historisch niedrig und wird letztlich dem globalen Wachstum folgen und steigen müssen.
  2. Marode Staaten müssen einfach ein höheres Renditeniveau bieten, um Investoren anzulocken.

Auf den jetzigen Zins- und Renditeniveaus ist natürlich ein kurzfristiger Sell-Off in Staatsanleihen nicht auszuschließen (10-Jahres-Bundrenditen in Richtung 3 %), aber wir sind weit entfernt von einem anhaltenden und nachhaltigen Anstieg der Renditeniveaus. Der Idee, dass marode Staatsbilanzen dazu führen, dass die Risikoprämien und somit die Renditen steigen müssen, ist Folgendes entgegenzuhalten:

  1. Die westlichen Zentralbanken fluten den Markt mit Liquidität und bisher ist kein Ende abzusehen. Die Fed hat bereits angekündigt, "neue" Maßnahmen vor dem Hintergrund des "Quantitative Easing" umsetzen zu wollen, während die EZB zwar einen geordneten Ausstieg aus der momentan extrem expansiven Geldpolitik angekündigt hat, dieser jedoch vor dem Hintergrund des Euro-Dilemmas und der nach wie vor fragilen Situation bspw. des spanischen Immobilienmarktes, aber auch des Bankensystems im Allgemeinen (siehe Stresstests) sehr unwahrscheinlich erscheint. Zunehmender Druck auf die Renditeniveaus von Staatsanleihen aus einer Trend-Wende in der Zinspolitik erscheint folglich unrealistisch.
  2. Staaten sollten sich vor der aktuellen Situation schwer tun, neue Anleihen zu emittieren. Die Realität sieht jedoch anders aus – sogar die üblichen Verdächtigen (u. a. Portugal, Irland und Spanien) finden genug Abnehmer ihrer Anleihen ohne exorbitante Risikoaufschläge (gegenüber Bundesanleihen) zahlen zu müssen. Auch in einer Krise der Staatsbilanzen genießen die Staaten (zumindest die Mehrheit) einen Sicherheitsbonus, der vor allem Real Money Accounts anspricht.
  3. Der entscheidende Punkt ist aber der des regulatorischen Zwangs, Staatanleihen zu kaufen: Regulatorisch bedingt werden institutionelle Investoren auch in Zukunft gezwungen sein, Staatsanleihen als signifikanten Bestandteil ihrer Portfolios zu halten. Das wird sich durch die Umsetzung von Basel III sogar noch verstärken. In Basel III wird der Fristenkongruenz von Verbindlichkeiten und Aktiva vermehrte Bedeutung zukommen, d. h. die kurzfristige Refinanzierung von langfristigen Assets wird durch mehr Eigenkapital hinterlegt werden müssen. Zur Eigenkapitalhinterlegung werden hierbei auch Positionen in Staatsanleihen gezählt. In Großbritannien wurde dieser Gedanke durch die dortige Regulierungsbehörde FSA bereits umgesetzt, wobei UK Gilts einen besonders hohen Anrechnungsfaktor bzgl. des Eigenkapitals genießen.

Wir haben in einem früheren Kommentar die Tatsache, dass griechische Staatsanleihen von griechischen Banken bei der EZB eingeliefert werden können, bereits als "das größte Ponzi-Game aller Zeiten" bezeichnet. Wir waren hier mal wieder allzu optimistisch, da es offensichtlich eine Steigerung gibt: Staaten zwingen Banken eigene Staatsanleihen zu halten! Das kann man sich jetzt folgendermaßen vorstellen: Staaten emittieren zu günstigen Konditionen, da es erzwungene Käufer auf der Bankenseite gibt. Für Banken sind die Investitionen in Staatsanleihen völlig unprofitabel, da ihre eigenen Refinanzierungskosten (fristenkongruent) höher liegen. Deshalb müssen sie vermehrt auf refinanzierungsoptimierende Strategien zurückgreifen (beispielsweise EZB-Funding und die deshalb in Mode gekommenen Collateral Swaps). Die EZB finanziert folglich die Refinanzierung der Staaten nicht aufgrund ihrer eigenen geldpolitischen Vorstellungen, sondern weil sie durch die Staaten quasi dazu gezwungen wird. Somit ist das "Ponzi-Scheme" zu einem relevanten Bestandteil des Finanzsystems geworden.

Das Beispiel Japans, das vermehrt als Risikoszenario herangezogen wird, hinkt zwar an der einen oder anderen Stelle – v. a. da die Refinanzierungsstruktur Japans nicht mit der europäischer Länder verglichen werden kann. Aber tendenziell entwickelt sich das System hin zu einem deflationären Niedrigzinsumfeld, das immense Auswirkungen auf die erwartete Rendite traditioneller Optimierungsansätze im Asset Management und dadurch auf die Asset-Allokation hat.

Auswirkungen auf die Kreditmärkte

In den letzten Monaten haben Unternehmensanleihen trotz aller negativen Meldungen auf Staatenebene und aus dem Bankensektor vor allem dadurch profitiert, dass sie vor allem von Fixed-Income-Investoren als geeignetes Mittel zur Renditesteigerung verstanden werden. Das kann man allerdings auch als Zwang zur Renditegenerierung sehen, wie der folgende Chart bestätigt, in dem wir das Spread-Niveau von europäischen Investment-Grade-Unternehmensanleihen in Relation zu dem Renditeniveau 5-jähriger Bundesanleihen setzen: Der Spread Pick-up von Credits gegenüber Staatsanleihen handelt zurzeit über dem Durchschnitt seit der Einführung des Euro, jedoch weit unter dem Niveau, das zur Krisenhochzeit bestanden hat!

Abbildung 2: Attraktivität von Credits ggü. Swaps: iBoxx NFI Spread in Relation zum 5-Jahres-Swap-Satz [Quelle: Bloomberg; Markit]
Abbildung 2: Attraktivität von Credits ggü. Swaps: iBoxx NFI Spread in Relation zum 5-Jahres-Swap-Satz [Quelle: Bloomberg; Markit]

Bei einem Spread-Niveau von 100 bp (Swap Spread) bieten europäische Unternehmensanleihen besserer Qualität eine Renditesteigerung von ca. 50 % gegenüber laufzeitkongruenten EUR-Swaps. Das liegt einerseits daran, dass das allgemeine Zinsniveau extrem niedrig ist und andererseits lässt diese Analyse vollkommen die mit einem Investment in Credits verbundenen Risiken außer Acht.

"Nichtsdestowenigertrotz" (in Anlehnung an eine von Ulrich von Altenstadt geschaffene Wortkreation) erscheint uns dieses Verhältnis als maßgeblicher Grund für die anhaltende Nachfrage nach Unternehmensanleihen von Seiten institutioneller Investoren und damit auch äußerst fragil. Letztlich zahlen Credits einen attraktiven Spread – aber nur wenn man die Möglichkeit adverser Szenarien ignoriert.

Empfehlungen

Risikofaktoren

Die kürzlich verabschiedeten Maßnahmen bzgl. der Eigenkapitalregulierung in Basel III werden nachhaltige Auswirkungen auf das globale (und v. a. europäische) Bankensystem haben. Allein deutsche Banken schätzen mehr als EUR 100 Mrd. an frischem Kapital zu benötigen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Eigenkapitalrendite im Bankensektor auf einem ähnlich hohen Niveau wie vor der Subprime-Krise gehalten werden kann und Banken werden verstärkt als Asset-Verkäufer auftreten, um ihre Bilanzstruktur dem regulatorischen Umfeld anzupassen.

Der amerikanische Immobilienmarkt bleibt der Hauptrisikofaktor für die wirtschaftliche Erholung in den USA. Zynische Kommentatoren argumentieren bereits, dass hieraus keine negativen Wachstumsimpulse mehr verursacht werden können, da das Segment bereits vollkommen am Boden ist – man kann aber auch konstatieren, dass hier keine positiven Impulse zu erwarten sind.

Außenwirtschaftliche Ungleichgewichte, die ex-post als das prinzipielle Übel und der originäre Auslöser der Finanzkrise gesehen werden, bestehen nach wie vor, was sich in relativ hohen Leistungsbilanzungleichgewichten ablesen lässt. Einige lokale Krisenherde (Finanzierung osteuropäischer Immobilienmärkte mit niedrig verzinslichen Auslandsdarlehen, der spanische oder der chinesische Immobilienmarkt usw.) können jederzeit ausbrechen und werden v. a. direkte negative Auswirkungen auf lokale Bankensysteme haben.

Strategisch/Taktisch

Rein technisch bieten die Kreditmärkte einen relativ attraktiven Renditeaufschlag aufgrund der sehr niedrigen Zinsniveaus. Allerdings gibt es einen fundamentalen Grund für das niedrige Zinsniveau – und dieser Grund spricht auch gegen den Aufbau von Kreditrisiko. Das letzte Quartal 2010 birgt einige Risiken auf der Makroseite (Wachstumsausblick) und der Mikroseite (Revidierung der Gewinnerwartungen), während wir mit einer hohen Neuemissionsaktivität rechnen müssen. Das spricht gegen eine nachhaltige Einengung der Credit Spreads. Bei einem Niveau von 100 bp im iTraxx Main genügt eine Spread-Ausweitung von ca. 20 bp, um den laufenden Ertrag für ein Jahr zunichte zu machen, während die Spread Range 2010 bisher bei einem Vielfachen dessen liegt (65 – 155 bp). Wir denken weiterhin, dass ein Niveau von unter 100 bp eine gute Möglichkeit darstellt, Protection zu kaufen.

Tabelle 7: Forecast-Tabelle
Tabelle 7: Forecast-Tabelle

Fazit: Staaten haben keine Alternative zu einer weiteren Erhöhung ihres Verschuldungsgrades und letztlich zu einer "Bilanzverlängerung". Das wird sie an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringen (und bei einigen sicher auch einen Schnaps darüber), weshalb ein niedriges Zinsniveau eine unabdingbare Voraussetzung zur Refinanzierung bleibt! Folgendes Sprichwort haben Staaten perfekt verinnerlicht: "Schulden sind das einzige, was man ohne Geld machen kann" (Karl Pisa, österreichischer Journalist und Politiker)."



Jochen Felsenheimer ist Co-Head of Credit bei Assenagon Asset Management S.A. Er war von 2001 bis 2008 im Research der HypoVereinsbank (UniCredit Group) beschäftigt. Dort leitete er das Credit Strategy & Structured Credit Research-Team und war Stellvertretender Leiter des Global Credit Research-Teams. Er verantwortete alle Publikationen speziell zu den Themen Kreditmarkt, Kreditderivate sowie strukturierte Kredite und ist selbst Autor mehrerer Bücher und wissenschaftlicher Artikel zu den oben genannten Themenbereichen. Er promovierte an der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU München.

 
Ein besonderer Dank geht diesmal an Bastian Nast-Kolb und Simon Oeser, die sich um die Zusammenstellung und Auswertung des Zahlenmaterials gekümmert sowie mit hilfreichen Kommentaren einige Fehler vermieden haben.


[Quelle: assénagon: credit newsletter Nr. 07 │ 16. September 2010
│ Mit freundlicher Genehmigung von Assenagon Asset Management S.A. / Bildquelle oben: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Thomas /17.09.2010 10:30
Eine excellente Analyse - die mich allerdings nicht unbedingt ruhiger schlafen lässt. Bei deutschen Lebensversicherungen besteht gerade der Trend, mehr Kreditrisiko aufzubauen, da die (für 30 Jahre oder länger) garantierte (!) Verzinsung des Versicherungsbestands bei Neuanlage in "sicheren" Staatsanleihen nicht mehr darstellbar ist.

Auch in Solvency II sind die Kapitalanforderungen beim Kreditrisiko eher moderat, wenn sie auch in QIS 5 leicht verschärft wurden. Nach der Lektüre dieses Textes sehe ich das noch kritischer als bisher.
Peter /17.09.2010 11:40
Kann mich der Meinung von "Thomas" nur anschliessen. Eine sehr fundierte Analyse - weit entfernt von dem allgemeinen Stammtischanalysen.

Erwähnenswert ist die folgende Aussage: "Regulatorisch bedingt werden institutionelle Investoren auch in Zukunft gezwungen sein, Staatsanleihen als signifikanten Bestandteil ihrer Portfolios zu halten." Was ist das für eine Regulierung kann man da nur fragen? Möglicherweise ist das der Grund warum CEBS eine Staatspleite auch in ihren (Stress-)tests ausgeblendet haben ...
Sylvia /18.09.2010 05:30
Sehr gute Analyse der aktuellen Marktsituation! Die aktuellen Diskussionen über Irland bestätigen die Richting ...
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