In the long run we are all dead

Wie stressig muss ein Stresstest sein?


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Seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise haben Banken Stress mit den Stresstests. Die MaRisk(BA) fordern seit ihrer letzten Novellierung verstärkt den Einsatz von Stresstests für die wichtigsten Bankrisiken unter Berücksichtigung ihrer Wechselwirkungen. Dabei sollen sowohl historische als auch hypothetische Szenarien betrachtet werden. In der Vergangenheit wurden Stresstests gerne so konzipiert dass es eben keinen Stress mit ihren Ergebnissen gab, also ein für die Bank gerade noch tragfähiges Ergebnis zustande kam. Nun stellt sich die Frage wie die einzelnen Institute und Verbände den Anforderungen des Regulators gerecht werden können und wie genau hypothetische, also zukünftige Stressszenarien aussehen sollten. Ungeachtet dieser Fragen zur Erfüllung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement wurden für ausgewählte Institute auf EU-Ebene standardisierte Stresstests durch das Committee of European Banking Supervisors (CEBS) erhoben.

Gefahr von Fehlinterpretationen und Streit um Veröffentlichung der Ergebnisse von Stresstests

Bereits im Mai 2009 forderten der EU-Finanzkommissar Joaquín Almunia sowie der IWF einen EU-weiten Banken-Stresstest. Nun hat die Europäische Zentralbank (EZB) in Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichtsbehörden und dem Committee of European Banking Supervisors (CEBS) bisher geheime Banken-Stresstests durchgeführt, die nach einem Beschluss der EU-Kommission am 23. Juli veröffentlicht werden sollen. Die deutsche Kreditbranche hatte sich zuvor heftig gegen eine solche Veröffentlichung gewehrt. In Deutschland werden insgesamt 14 Banken dem Stresstest unterzogen. Es handelt sich dabei um die Deutsche Bank AG, die Commerzbank AG, die Hypo Real Estate Holding AG, die Landesbank Baden-Württemberg, die Bayerische Landesbank, die DZ Bank, die Norddeutsche Landesbank, die Deutsche Postbank AG, die WestLB AG, die HSH Nordbank AG, die Landesbank Hesssen-Thüringen, die Landesbank Berlin, die Dekabank sowie die WGZ Bank.

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, hat die geplante Veröffentlichung der Ergebnisse von Bankenstresstests begrüßt. "Die Veröffentlichung detaillierter Resultate eines harmonisierten EU-weiten Stresstests ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", sagte Trichet jüngst auf einer Konferenz. Die Europäische Union will bis Ende Juli die bislang geheimen Banken-Stresstests veröffentlichen. Diese Tests würden die Transparenz und das Vertrauen der Investoren in den europäischen Bankensektor erhöhen. "Sie werden außerdem dazu beitragen, die wichtige Intermediationsfunktion des Interbankenmarkts für den Finanzmitteltranssport in Europa wiederherzustellen", sagte Trichet. In den USA werden die Resultate von Prüfungen zu den 19 größten Banken des Landes bereits seit 2009 bekannt gegeben.

Wie stressig muss ein Stresstest sein?

Bei hypothetischen Szenarien besteht die Gefahr der mangelnden Akzeptanz sobald bisher nicht beobachtete Entwicklungen darin enthalten sind. Das ist aber auch genau der Mehrwert von hypothetischen Szenarien: Simulieren von Entwicklungen, die zwar noch nicht beobachtet wurden, dennoch eintreten könnten. Welche Stresstests in der EU-weiten Untersuchung gerechnet wurden ist bisher geheim. Kritiker vermuten dass die Stresstests zu harmlos ausgestaltet wurden und somit die harte Bewährungsprobe für die Banken ausbleibt.

Zwar werde in dem strengsten von drei Stressszenarien neben einem Konjunktureinbruch auch ein Crash bei europäischen Staatsanleihen simuliert. Allerdings müssten die Banken solche Wertverluste beim Stresstest nur berücksichtigen, wenn sie die Anleihen im eher kurzfristig ausgerichteten Handelsbuch und nicht als langfristige Anlage im Bankbuch verbucht hätten. Zudem dürfen die Institute laut "Spiegel" sogar mit anderen Abschlägen rechnen, wenn sie nachweisen können, dass sie diese Risiken selbst quantifizieren können.

Beim strengsten Krisenszenario sollen die Banken dem Bericht zufolge bei griechischen Staatspapieren mit einem Wertverlust von 20 Prozent kalkulieren. Staatsanleihen aus Portugal (minus 11 Prozent), Irland (minus 8,6 Prozent), Spanien (minus 6,7Prozent), Italien (minus 4,9 Prozent) oder Deutschland (minus 2,3 Prozent) würden dagegen mit geringeren Abschlägen bedacht.

Die Aufseher und Bankenverbände haben bereits die Verteidigungsposition eingenommen. So erklärte der EZB- Chefvolkswirt Jürgen Stark auf einer Konferenz am 9. Juli 2010: "Die Annahmen sind so gestaltet, dass die Testergebnisse glaubwürdig sein werden".  Die Tests seien eine "sehr wichtige Übung und - soweit ich weiß - ein wirklich ernster, realistischer Test". Auch der Europäische Bankenverband (EBV) bekräftigte diese Aussage.

Die betriebswirtschaftliche Sichtweise von Stresstests

Allgemein simulieren Stresstests Veränderungen beispielsweise des Kapitalmarktes auf die Bilanz eines Unternehmens und sollen die Marktteilnehmer bei negativen Ergebnissen rechtzeitig veranlassen, Maßnahmen zur Steigerung der Risikotragfähigkeit zu ergreifen. Mit dem Stresstest soll beispielsweise Transparenz geschaffen werden, ob beispielsweise eine Bank oder ein Versicherungsunternehmen in einer gedachten Krisensituation die Vertragsverpflichtungen ohne Gegenmaßnahmen erfüllen kann.

Als Basis für die Analyse von potenziellen Stresspfaden dient die klassische Szenariotechnik, die ursprünglich als Methode der Zukunftsforschung entwickelt wurde. Im Hinblick auf die Zukunftsforschung definiert Herman Kahn seine Szenarien als "[...] hypothetische Folge von Ereignissen, die konstruiert werden, um die Aufmerksamkeit auf kausale Prozesse und Entscheidungspunkte zu lenken."1 Dabei ,,[...] beschränkt sich die Szenario-Technik im Gegensatz zu den meisten Prognosetechniken nicht nur auf die Verarbeitung quantitativer Informationen"2, sondern greift vor allem auch auf qualitative Daten zurück. Darauf aufbauende, komplexe Systemanalysen sollen für ein umfassendes Verständnis des Systems sorgen und alternative Zukunftsbilder hervorbringen.

Die Szenariotechnik verfolgt etwa die Analyse von Extremszenarios (positives Extrem-Szenario/"Best Case Szenario", negatives Extrem-Szenario/"Worst Case Szenario") oder besonders relevanter oder typischer Szenarios (Trendszenario). Szenarios werden häufig in Form eines Szenariotrichters dargestellt (vgl. Abbildung). Bezogen auf die Zukunft symbolisiert der Trichter Komplexität und Unsicherheit. Die Zukunftsbilder befinden sich folglich auf der Schnittstelle des Trichters, wohingegen die Gegenwart immer am engsten Punkt des Trichters liegt. Den Ausgangspunkt der Betrachtung bildet das Trendszenario, welches auf einer Zeitachse aufgespannt wird. Dieses Trendszenario stellt die zukünftige Entwicklung unter der Annahme stabiler Umweltentwicklungen dar (ceteris paribus). Jenes Extremszenario, das die bestmögliche Entwicklung ("best case") aufzeigt, stellt das obere Ende des Trichters dar, wohingegen der sogenannte "worst case", also die schlechteste Entwicklungsmöglichkeit, das untere Ende bildet.


Szenariotrichter (Frank Romeike/Peter Hager)
Abbildung: Szenariotrichter

Ein Blick in die jüngste Vergangenheit zeigt, dass Stresstests von vielen Marktteilnehmern nicht besonders ernst genommen wurden. Die von einigen Praktikern verfolgte Strategie Stesstests so auszugestalten dass die vorhandene Risikotragfähigkeit ausreicht und keinen Handlungszwang erzeugt, lässt ebenso Respekt vor den aufsichtsrechtlichen Regularien vermissen wie Erzeugung pseudo-hypothetischer Stresstests auf der Basis von historisch beobachteten Stressszenarien durch leichte Abwandlungen um so zumindest formal die MaRisk(BA) zu erfüllen.

Zwar besteht die Gefahr von hypothetischen und extremen Szenarien in dem diskutierten Mangel an Akzeptanz bei den Risikoverantwortlichen. Frei nach John Maynard Keynes wird schnell mangels Erkenntnisnutzen extremer Risikoszenarien abgewunken: "In the long run we are all dead". Doch die Erfüllung aufsichtsrechtlicher Normen sollte nur eine Selbstverständlichkeit sein, die wahre Motivation des Managements muss in der Existenzsicherung des Unternehmens liegen und das Bestehen harter Stresstests ist eine notwendige Voraussetzung hierfür. Kurzum: Stresstesting ist eine wesentlicher Baustein eines funktionierenden Risk Managements, Nicht zuletzt die Kunden werden nach der Veröffentlichung der Stresstests mit ihren Anlageentscheidungen darüber abstimmen welche Bank noch als stabil und vertrauenswürdig gilt. Die Transparenz der Risikotragfähigkeit wird erhöht, unbegründetes Misstrauen der Anleger abgebaut und die Aufsicht schneller gezwungen dort einzugreifen wo es dringend geboten ist – damit nicht wieder der Steuerzahler für die maßlose Risikofreudigkeit einzelner "Banker" aufkommen muss.


Quellenverzeichnis und weiterführende Literaturhinweise:

1  Kahn, H./Wiener, A. J. (1968): The Year 2000. A Framework for Speculation on the next 33 Years, New York, Toronto 1968, S. 6; Götze, U.: Szenario-Technik in der strategischen Unternehmensplanung, Wiesbaden 1993, S. 36 sowie Romeike, F./Hager, P. (2009): Erfolgsfaktor Risiko-Management 2.0, Wiesbaden 2009, S. 261 ff.

2Meyer-Schönherr, M. (1992): Szenario-Technik als Instrument der strategischen Planung, Ludwigsburg/Berlin 1992, S. 31.

Gruber, W./Martin, M. R. W./ Wehn, C. S. (2010): Szenarioanalysen und Stresstests in der Bank- und Versicherungspraxis: Regulatorische Anforderungen, Umsetzung, Steuerung, Stuttgart 2010.



[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Corporate Risk Manager /12.07.2010 18:12
Der Text gibt einen guten Überblick auf das Thema. Ehrlich gesagt verstehe ich die Aufregung um die Stresstests der Banken auch nicht so richtig. Vielleicht ist die Verwirrung und Aufregung ein Zeichen für das Nichtverstehen der Politik und nicht nur unzureichend ausgeprägte Risikokultur der Banken. Ansonsten würden doch alle Akteure verstehen, dass es sich um ein klassisches und sinnvolles Werkzeug des Risikomanagements handelt. Wenn man die Diskussion verfolgt hat man leider häufig das Gefühl, das Stresstests erst in der Folge der Finanzkrise entwickelt wurden ;-)
Holzmichel /12.07.2010 20:39
Die Aufregung ist berechtigt wenn die Öffentlichkeit durch verwässerte Stresstets über die wahre Risikotragfähigkeit der Banken getäuscht wird. WIESO sind vor zwei Jahren die Banken wie Domino-Steine umgekippt, haben sich Rekordsummen an Haftungskapital vom Steuerzahler zusichern lassen und heute hat gar niemand mehr irgendein Problem mit Stresstests? Kann mir mal jemand erklären wie sowas funktionieren soll???
sven /12.07.2010 21:26
@Holzmichel, absolut richtig. Aber was soll ein Stresstest, wenn diverse Marktteilnehmer mit Steuergeldern am Leben gehalten werden? Das sagt doch auch nur wenig über die wahre Risikotragfähigkeit aus, oder? Die Banken, deren Risikotragfähigkeit nicht ausreichend war hätten vom Markt aussortiert werden müssen. Systemische Risiken hin oder her. Systemische Banken gibt es eh nur eine Handvoll. Definitiv gehören werden eine IKB noch die ganzen Landesbanken dazu. Wahrscheinlich auch die gelb-grünen nicht ...
Panzerknacker /13.07.2010 09:37
Die Glaubwürdigkeit der Aussagen aus den Stresstests über die Risikotragfähigkeit der Banken wird jetzt schon angezweifelt und wenn die Details erst mal öffentlich sind, wird man kein gutes Haar mehr daran lassen. Die EU und CEBS laufen Gefahr dass die Analyse genau das Gegenteil vom gewünschten Effekt auf den Märkten bewirkt. Eine neue Diskussion über die Bonität der Banken!
RiskNET Redaktion /13.07.2010 22:55
+++ EU sieht 6% Kernkapitalquote als Minimum bei Stresstest +++

Die EU-Behörden und die Zentralbanken fassen offenbar eine Kernkapitalquote (Tier 1) als Mindestanforderung zum Bestehen der laufenden Banken-Stresstests ins Auge. Eine mit der Angelegenheit vertraute Person sagte Dow Jones Newswires am Dienstag, es sei Konsens, dass 6% als erforderliche Benchmark gelte, die in dem Test genommen werde. Allerdings würden die 6% nicht konkret festgeschrieben.

In der gesamten EU werden derzeit 91 Banken, darunter 14 deutsche Institute, daraufhin überprüft, ob sie mit ausreichend Eigenkapital Schocks wie einem Konjunktureinbruch oder einer Krise am Anleihemarkt überstehen könnten. Überprüft wird, wie gut die Banken solchen Problemen standhalten können. Die Resultate sollen am 23. Juli bekanntgegeben werden.
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