Drücken der Reset-Taste

Retten nach Plan


Retten nach Plan Kolumne

Der griechische Konkurs wurde bereits fünf Jahre lang ohne Erfolg verschleppt. Schon im Frühjahr 2010 war klar, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen kann, und genau deshalb haben öffentliche Gläubiger die privaten abgelöst und ihnen die Gelegenheit gegeben, sich aus dem Staube zu machen. Die öffentlichen Schulden des griechischen Staates und seiner Banken bei der Staatengemeinschaft wuchsen durch diese Konkursverschleppung von rund 50 Milliarden Euro im ersten Quartal 2010 auf mittlerweile deutlich über 330 Milliarden Euro.

Aber nur 40 Prozent der seit Frühjahr 2010 geflossenen öffentlichen Mittel dienten der Tilgung privater Schulden, also der Ablösung der Altgläubiger. Etwa 60 Prozent wurde verwendet, um den Lebensstandard und die Kapitalflucht griechischer Bürger zu finanzieren. So hatten viele etwas davon, dass die Steuerzahler anderer Länder in die Pflicht genommen wurden.

Zu den Verlierern der Politik gehören jene Griechen, die arbeitslos wurden, denn trotz der Hilfen sackte die Wirtschaft weiter ab. Die Gesamtarbeitslosigkeit stieg auf 25 Prozent, mehr als das Doppelte des Wertes von vor fünf Jahren, und die Jugendarbeitslosigkeit stieg auf 50 Prozent. Das ist der Kern der humanitären Katastrophe, die die griechische Regierung beklagt. Europas Politiker stehen vor einem großen Scherbenhaufen.

Es ist an der Zeit, den Konkurs Griechenlands als unabänderlich anzuerkennen. Weder sollte der Internationale Währungsfonds (IWF) die 1,5 Milliarden Euro erhalten, die er Ende Juni erwartet, noch sollte die Europäische Zentralbank (EZB) die knapp sieben Milliarden Euro bekommen, die Griechenland im Juli und August auf den Tisch legen müsste. Auch der Rest der 330 Milliarden Euro, die sich Griechenland von der Troika geliehenen hat, wird großenteils abzuschreiben sein. Jedes der drei Mitglieder der Troika sollte gemäß der eigenen Kreditvergabe seinen Teil der Verluste tragen. Dass nun allein die Euro-Staaten die Rechnungen der anderen beiden Troika-Partner mit übernehmen sollen, wie es scheint, ist nicht einzusehen. Ihre Parlamente würden sich damit zu bloßen Erfüllungsgehilfen technokratischer und nicht unmittelbar demokratisch kontrollierter Gremien machen, die die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht tragen müssen.

Der Konkurs führt nicht zur Zerschlagung von Strukturen und Verarmung der Schuldner, wie viele meinen, sondern befreit die Schuldner von den Ansprüchen der Gläubiger und ermöglicht ihnen einen Neuanfang. Es wird quasi die Reset-Taste gedrückt. Die Last des Konkurses liegt bei den Gläubigern im Ausland, nicht bei den Griechen. Neue Kredite öffentlicher Institutionen wird es dann freilich so schnell nicht mehr geben. Der griechische Staat kann mit einem Kreditstopp zurechtkommen, wenn es stimmt, dass er kein Primärdefizit mehr hat. Wenn nicht, wird er gezwungen sein, Rechnungen privater Lieferanten sowie die Löhne seiner Bediensteten mit Schuldscheinen zu bezahlen. Wenn er diese handelbar macht, können sie eine Art Parallelwährung werden, ähnlich wie es bei der Staatspleite von Kalifornien vor ein paar Jahren der Fall war.

Die Ausgabe von Schuldschein-Geld wird die griechischen Probleme aber noch nicht lösen können, denn die ganze Volkswirtschaft hat gegenüber dem Ausland ein Primärdefizit im Sinne eines Überschusses der Importe über die Exporte von zuletzt 4,3 Milliarden Euro oder 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ohne weitere Kredite, die von außen kommen, könnte Griechenland deshalb nicht zurechtkommen, wenn es im Euro bliebe, selbst wenn sämtliche Auslandskredite, die an den Staat, die Banken und andere griechische Instanzen flossen, erlassen würden. Erst recht wäre das Land nicht in der Lage, ohne neue Kredite zurechtzukommen, wenn es ihm gelänge, seine Massenarbeitslosigkeit zu reduzieren, denn das würde den Importüberhang nur noch weiter steigern.

Ihre Märkte verloren

Importüberhang und Massenarbeitslosigkeit zeigen, dass Griechenland meilenweit vom Zustand der Wettbewerbsfähigkeit entfernt ist. Die Wettbewerbsfähigkeit war verloren gegangen, weil der Euro die griechischen Zinsen von 25 Prozent auf 5 Prozent reduzierte und damit die Finanzierung exzessiver Lohnsteigerungen ermöglichte. Die Produkte des Landes wurden so immer teurer, bis sie ihre Märkte verloren haben. Billiger werden können sie aber im Euro kaum, weil nach einer Senkung von Löhnen und Preisen zwar die lokalen Dienstleistungen billiger werden, nicht jedoch die Mieten und die Kreditkosten. Viele Haushalte und Firmen würden in den Konkurs getrieben, wollte man die Wettbewerbsfähigkeit über eine Preissenkung im Euro erreichen. Dies lässt sich nur vermeiden, wenn alle Lohn-, Liefer-, Kredit- und Mietkontrakte im Gleichschritt abgewertet werden, und das verlangt die Rückkehr zur Drachme als gesetzlichem Zahlungsmittel.

Es reicht zunächst, dass die Drachme als virtuelle Verrechnungseinheit eingeführt wird, in der Forderungen und Verbindlichkeiten ausgedrückt werden und Buchungen abgewickelt werden können. Die tatsächliche Zahlung kann entweder durch Überweisungen, Kreditkartenzahlung oder mit Euro-Banknoten erfolgen, die man ohnehin nicht wird einsammeln können. Der Euro wird so zur Parallelwährung.

Ob die Währungsumstellung sich auch auf die Auslandsschulden des Staates und der Banken erstreckt, ist weniger bedeutsam, als es zunächst erscheinen mag, weil diese Schulden ohnehin nicht bedient werden. Der Staat ist bankrott und zahlt nicht, und vermutlich sind auch die Banken bankrott, weil sie viele Staatspapiere halten, die ihren Wert verloren haben. Die Banken sind nach dem Konkurs neu aufzustellen und zu rekapitalisieren, wofür die Mittel des europäischen Abwicklungsfonds SRM zur Verfügung stehen. Die nötigen Schuldenschnitte werden erleichtert, wenn man die Auslandsschulden des Staates und der Banken auf Drachme umstellt.

Sobald Drachme-Banknoten gedruckt sind, können diese durch Barabhebungen bei Banken in Umlauf kommen. Ein Teil der Euro-Banknoten wird dann für Käufe von Gütern und Vermögensobjekten ins Ausland wandern, ein anderer Teil verbleibt für Transaktionszwecke in Griechenland - wie dies in der Türkei und in osteuropäischen Ländern üblich ist.

Abwertung der Drachme

Die Abwertung der Drachme wird die Wirtschaft vermutlich sehr rasch beleben. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Studie des ifo Instituts aus dem Jahr 2012 sowie einer Studie von Oxford Economics aus diesem Jahr. Beide Institutionen haben jene 70 Länder untersucht, die nach dem Krieg in den Konkurs gingen und dann abwerteten. In praktisch allen Fällen fing die Wirtschaft nach ein, zwei schwierigen Jahren wieder an zu wachsen. Es ist auch damit zu rechnen, dass Griechenland dann einen positiven Außenhandelsüberschuss entwickelt, sodass es ohne neue Kredite von außen allein zurechtkommt. Bis das der Fall ist, sollte die Staatengemeinschaft sensitive Importe wie Medikamente und Energie subventionieren, um Versorgungsengpässe zu vermeiden.

Steigen die Importpreise infolge der Abwertung, kaufen die Menschen wieder mehr griechische Ware. Das belebt die Landwirtschaft - hier liegt das Außenhandelsdefizit bei 23 Prozent der Exporte - und die Reste der einst wettbewerbsfähigen Textilindustrie. Auch werden bei niedrigeren Preisen wieder mehr Menschen in Griechenland Urlaub machen. Eine Umkehr der privaten Kapitalströme macht Kapitalverkehrskontrollen entbehrlich. Viele Ausländer, aber auch Griechen, die ihr Geld im Ausland in Sicherheit gebracht haben, werden nun in Griechenland billiger gewordene Immobilien kaufen. Die anschließende Renovierung dieser Immobilien wird einen Bauboom auslösen, ähnlich wie es nach der Lira-Abwertung 1992 in Italien der Fall war.

Das ausländische Kapital wird aber auch kommen, weil es sich wegen der abgewerteten Landpreise und Löhne wieder lohnt, in Fabriken zu investieren und Start-ups in Gang zu setzen. Nicht nur beim Bau von Fabriken, auch in den Fabriken selbst entstehen neue Arbeitsplätze. Nur so kann ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ermöglicht werden.

Die Abwertung geht unweigerlich mit einer Senkung des Lebensstandards einher, doch stellt sie den sozial verträglichsten Weg dar, weil die Löhne, die Preise der heimischen Waren, die Mieten und Schuldenlasten weitgehend im Gleichschritt gesenkt werden.

Zudem sollten Griechen und Euro-Staaten drei weitere Schritte bedenken:

  • Günstig wäre es für Griechenland, wenn es nach der Währungsumstellung strukturelle Reformen durchführen würde, die die Produktivität der Wirtschaft allmählich vergrößern und im Laufe der Zeit immer mehr Spielraum für inflationsneutrale Zuwächse der nun auf Drachme lautenden Löhne eröffnen. Dadurch würde zumindest ein Teil des anfänglichen Realeinkommensverlustes kompensiert. Solche Reformen betreffen die Effizienz der öffentlichen Verwaltung genauso wie die Ertragskraft des Steuersystems, denn beides ist für ein funktionierendes Staatswesen erforderlich. Selbstredend gehört zu einer effizienten Verwaltung auch ein Katasteramt, das dem internationalen Kapital Investitionssicherheit schafft.
  • Die viel diskutierte Senkung des Rentenniveaus ist demgegenüber nicht unbedingt erforderlich, sie wird ja schon durch die Abwertung der Drachme bewerkstelligt. Dafür aber ist das Renteneintrittsalter zu erhöhen, um die Beitrags- und Steuersätze der Arbeitnehmer senken zu können. Auch braucht man ältere, erfahrene Arbeitnehmer, um neue Arbeitsplätze für Jugendliche zu verwalten, die durch die Abwertung geschaffen werden.
  • Die notwendige Reformbereitschaft lässt sich stärken, wenn man Griechenland nach den Reformen die Option einer Rückkehr in den Euro gewährt, was nach einem Jahrzehnt angebracht sein könnte. Dabei muss man freilich zusätzlich voraussetzen, dass sich die Wirtschaft erholt und der Wechselkurs ein neues Gleichgewicht gefunden hat. Es bietet es sich an, dass Griechenland zunächst in das EWS-II-System übernommen wird, das als Eintrittstor für neue Kandidaten fungiert und ihnen gewisse Stabilitätsregeln abverlangt.

Die Rückkehrmöglichkeit im Verein mit dem neuen Wirtschaftswachstum wird dazu beitragen, die Bevölkerung mit dem neuen Kurs zu versöhnen, die Reformkräfte zu stärken und die Politik gegenüber den Verlockungen Russlands zu immunisieren.

Autor: Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, Präsident des ifo InstitutsAutor:

Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, Präsident des ifo Instituts

 

[Der Artikel wurde veröffentlicht in: WirtschaftsWoche, 26.06.2015, S. 21.]

[ Bildquelle Titelbild: © alexlmx - Fotolia.com ]

Kommentare zu diesem Beitrag

Hans-Werner Sinn /30.06.2015 13:41
+++ Der Grexit als Chance +++

[Artikel von Hans-Werner Sinn, Handelsblatt, 30.06.2015, S. 48]

Hans-Werner Sinn erklärt, warum ein Ausstieg Griechenlands im Interesse des Landes liegt.

Es ist bedauerlich, dass Griechenland mit seinem Geld nicht haushalten konnte und nun in ein Chaos rutscht. Aber das war nicht mehr zu vermeiden, und es lässt sich auch nicht dauerhaft durch Kredite der Staatengemeinschaft auffangen.

Schon im Jahr 2012 hat das Land faktisch einen Staatskonkurs gehabt, den bis dato größten der Geschichte, mit Abschreibungen von 105 Milliarden Euro bei privaten Gläubigern und einem Schuldenmoratorium zulasten öffentlicher Gläubiger im Wert von 43 Milliarden Euro.

Seitdem ging es weiter bergab. Während die Wirtschaft schrumpfte, wuchsen die Auslandsschulden der griechischen Volkswirtschaft schneller als die Zinsen, die auf sie gezahlt werden mussten, weil Griechenland hohe Handelsbilanzdefizite hatte und offenkundig nicht wettbewerbsfähig war. Die Wettbewerbsfähigkeit war in der inflationären Kreditblase verloren gegangen, die der Euro dem Land gebracht hatte. Im Euro-Verbund entstand eine Gesamt-Arbeitslosenquote von zuletzt 25 Prozent und eine Jugend-Arbeitslosenquote von 50 Prozent. Die 330 Milliarden Euro oder 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die die Staatengemeinschaft Griechenland geliehen hat, haben daran nicht das Geringste geändert.

So problematisch die Ereignisse in Griechenland auch sind: Ein ungewöhnliches Ereignis ist der Konkurs weder für Griechenland noch für die Weltgemeinschaft. Für Griechenland ist dies der sechste Konkurs in zwei Jahrhunderten und der zweite im Euro. Und die Weltgemeinschaft hat seit dem Krieg mehr als 180 solche Konkurse gesehen.

Konkurse haben, so schrecklich ihre Begleitumstände sind, auch etwas Befreiendes für den Schuldner, weil er damit zumindest einen Teil seiner Schulden loswird. Und wenn sie mit einer Abwertung verbunden werden, kann es sehr schnell wieder aufwärts gehen. Das jedenfalls zeigt die historische Erfahrung aus jenen nach 1980 realisierten 71 Währungskrisen, für die die Datenlage eine Untersuchung zuließ. Nach dem Beginn der Abwertung mussten die Länder im Durchschnitt noch ein Jahr lang geringere Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts als im Vorkrisenzeitraum hinnehmen, bevor eine wirtschaftliche Erholung einsetzte. Das Vorkrisenwachstum wurde nach durchschnittlich zwei Jahren erreicht. Das hat im Jahr 2012 eine Studie des Ifo Instituts festgestellt, und es folgt ebenso aus einer neueren Studie von Oxford Economics aus diesem Jahr. Selbst Argentinien kam schnell wieder auf den grünen Zweig.

Es stehen viele unhaltbare Behauptungen dazu im Raum, wie problematisch doch ein Grexit verlaufen würde. Zu ihnen gehört die Aussage, das Land werde schweren Schaden nehmen, weil es danach vom Kapitalmarkt abgeschnitten sei. Diese Aussage übersieht nicht nur, dass die Trennung vom Kapitalmarkt durch den Konkurs statt durch den Austritt geschieht, sondern auch, dass Griechenland den Kapitalmarkt nach einem Austritt vorläufig nicht mehr braucht. Zum einen erwirtschaftet der Staat nach griechischen Angaben schon wieder einen Primärüberschuss, zum anderen wird das Defizit im Außenhandel nach einer Abwertung verschwinden. Wenn Griechenland keine Zinsen und Tilgung mehr an den Rest der Welt zahlt, braucht es nach einer Abwertung auch keine neuen Kredite mehr.

Eine andere unhaltbare Behauptung lautet, dass die griechische Wirtschaft von einer Abwertung nichts hätte, weil sie kaum etwas exportiert. Erstens stimmt es nicht. Touristische Dienstleistungen und Baustoffe spielen eine nicht unerhebliche Rolle. Zweitens liegt der Hauptvorteil der Abwertung darin, dass die griechischen Bürger sich nun wieder den heimischen Herstellern zuwenden, weil Importware zu teuer wird. Das wird die Wirtschaft wieder beleben, insbesondere auch die Landwirtschaft, die derzeit darunter leidet, dass das Land ein Viertel mehr landwirtschaftliche Produkte importiert als exportiert.

Auch die Befürchtung, der Austritt würde zu einer Kapitalflucht führen, ist das Gegenteil der Wahrheit. Natürlich gibt es die Kapitalflucht nur vor der Abwertung, aus Furcht vor dem damit verbundenen Vermögensverlust. Wenn die Abwertung bereits stattgefunden hat, tritt der gegenteilige Effekt ein. Das Kapital kommt zurück und geht auf Schnäppchenjagd. Viel Bautätigkeit wird sich nach dem Erwerb der billig gewordenen Immobilien entfalten.

So gesehen, ist die Angst vor dem Grexit unbegründet. Während der Konkurs für Chaos sorgt, bietet der Austritt die Chance, das Chaos zu überwinden.
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