Atmosphärische Störungen der Weltwirtschaft

Triathlon der Volkswirtschaften


Atmosphärische Störungen der Weltwirtschaft: Triathlon der Volkswirtschaften Kolumne

In diesem Jahr wurde der Triathlon in New York wegen großer Hitze abgesagt. Mit atmosphärischen Störungen hat aber auch die Weltwirtschaft zu kämpfen. Die Energy-Drinks der Zentralbanken dürften erst später im Jahr 2019 die beabsichtigte Wirkung entfalten.

Der "Triathlon der Volkswirtschaften" bietet derzeit ein eher deprimierendes Bild: So droht dem erfolgsverwöhnten US-amerikanischen Athleten der Hitzschlag, während sein ambitionierter Verfolger aus China zusehends zurückfällt. Die deutsche Hoffnungsträgerin ist dagegen von einer ausgeprägten Erschöpfung gezeichnet und droht sogar ganz aus dem Rennen auszuscheiden. Außerdem ist die Stimmung unter den Teilnehmern gereizt.

Liquiditätsspritzen beleben nicht

Die Zentralbanken als Mitorganisatoren geben sich redlich Mühe, für einen reibungslosen Ablauf des Wettkampfes zu sorgen. Von den im Jahr 2018 angekündigten Zinserhöhungen und Liquiditätsverknappungen ist seit Anfang 2019 jedoch keine Rede mehr. Stattdessen hat die US- Notenbank Fed die Zinsen jüngst sogar gesenkt, und die Europäische Zentralbank (EZB) beabsichtigt ihre lockere Geldpolitik auszuweiten. Zwar herrscht an den Verpflegungsstationen Hochbetrieb, doch die angebotenen Energy-Drinks spornen die Teilnehmer kaum zu mehr Tempo an. In Europa und China läuft die Konjunktur besonders schleppend.

Viele Beobachter fragen sich derzeit, ob den Zentralbanken zunehmend die Kontrolle entgleitet. Darauf sind mehrere Antworten möglich: Einerseits sind stützende geldpolitische Maßnahmen willkommen, da eine ansprechende Wirtschaftsentwicklung niedrige Zinsen und ausreichend Liquidität voraussetzt. Andererseits verlieren die erneuten Liquiditätsspritzen zusehendes ihre Wirkung, denn auch beim Geld gilt das ökonomische Prinzip des abnehmenden Grenznutzens. Dieser liegt unserer Meinung aber immer noch weit über null. Der starke Rückgang der Anleihenrenditen zeigt auf, dass sich die Wirtschaftsaussichten deutlich eingetrübt haben. Insofern ist die erheblich großzügigere Geldpolitik der Zentralbanken nur folgerichtig. Die Finanzierungskosten der Unternehmen sinken dadurch, wobei sich der positive Effekt erst mit einiger Verzögerung einstellen wird (siehe Grafik). Gemäß unserer Analyse werden daher die Volkswirtschaften die Früchte der geänderten Geldpolitik erst im zweiten Halbjahr 2019 ernten können.

Abb.: Europäische Wirtschaft profitiert in der Regel neun Monate später von LiquiditätsmaßnahmenAbb.: Europäische Wirtschaft profitiert in der Regel neun Monate später von Liquiditätsmaßnahmen

Bruttoinlandprodukt Europäische Währungsunion (EWU) / EWU-Geldmenge M1 real (bereinigt um Konsumpreisinflation). Dies ist ein Maß dafür, wie die Liquiditätszufuhr der Zentralbank die Wirtschaft erreicht. [Quelle: Thomson Reuters Datastream, Vontobel]

Andere Kraftspender zur Stelle?

Angesicht der Diskussion darüber, ob den Zentralbanken zunehmend die Kontrolle entgleitet, stellt sich die Frage, ob vielleicht ein anderes Organisationskomitee das Rennen beleben könnte. Schließlich verfügen auch Regierungen über Instrumente zur Ankurbelung der Konjunktur, etwa steuerliche Anreize oder Investitionsprogramme. In diesem Zusammenhang wird vor allem Deutschland genannt, da es die dringend benötigte Erneuerung seiner Infrastruktur ohne große Anstrengungen finanzieren könnte. Doch Berlin hat solchen Plänen eine klare Absage erteilt und will vorerst an einer schwarzen Null, sprich einem zumindest ausgeglichenen Haushaltsbudget, festhalten. Auch Italien denkt über Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft nach, kann sich diese jedoch wegen der hohen Verschuldung nicht leisten. Eingriffe von Regierungsseite sind also wenig wahrscheinlich. Allerdings könnten die USA und China umfangreichere Konjunkturprogramme in Angriff nehmen, als bisher erwartet.

Mit harten Bandagen auf der Laufstrecke

Bei Rangeleien unter Spitzenläufern nützen sinnvolle Maßnahmen der Rennleitung wenig. Der schwelende Handelskonflikt zwischen den USA und China hat sich mittlerweile wieder verschärft: US- Präsident Donald Trump hat Anfang August eine Importsteuer von 15 Prozent auf bisher noch nicht besteuerten Einfuhren aus China in Höhe von 300 Milliarden US-Dollar beschlossen. Immerhin hat er sie erst für die Hälfte der Güter per sofort erlassen, wohl aus Sorge über die Reaktion an den Börsen. Die Besteuerung für die andere Hälfte hat er auf Ende des Jahres anberaumt. Doch den Marktteilnehmern sitzt die Furcht vor einer weiter eskalierenden Auseinandersetzung fest im Nacken.

Lage nicht überdramatisieren

So ernst der Handelskonflikt zwischen den zwei weltweit größten Volkswirtschaften auch ist, gilt es dennoch, die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren. Bei Licht betrachtet, können sowohl die USA als auch China die neu verhängten Zölle verkraften. Wir rechnen mit einem negativen Konjunktureffekt von rund -0,1 Prozent für die USA bzw. -0,2 Prozent für China. Entgegen der landläufigen Meinung hängt die chinesische Wirtschaft wenig von den USA ab. Zwar gehen 20 Prozent der chinesischen Exporte in die USA, doch nimmt Amerika lediglich etwa 5 Prozent der Industrieproduktion Chinas in Anspruch. Rund
70 Prozent der chinesischen Kapazitäten sind für den eigenen Markt bestimmt, 25 Prozent für andere Länder. Daher halten wir die derzeitigen Rezessionsängste für übertrieben. Ein günstiges Szenario setzt aber voraus, dass die wichtigsten Zentralbanken nicht nur reden, sondern auch Taten folgen lassen. Davon gehen wir aus, obwohl beispielsweise der US-Notenbankchef Jerome Powell alles daransetzt, keine allzu großen Erwartungen hinsichtlich einer weiteren Lockerung der Geldpolitik zu wecken.

Autor:
Frank Häusler, Leiter für makroökonomischen und Cross-Asset Research, Vontobel Asset Management
Frank Häusler, Leiter für makroökonomischen und Cross-Asset Research, Vontobel Asset Management

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]
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