RiskNET-Kolumne: Wertbeitrag und Nutzen von Risikobewältigung und Versicherungen


Risikomanagement wird nicht nur betrieben, um Transparenz über die Risikosituation bei unternehmerischen Entscheidungen zu erhalten, sondern insbesondere, um die Risikobewältigung (beispielsweise den Versicherungsschutz) zu optimieren. Nutzen und Wertbeitrag des Risikotransfers (Hedging oder Versicherung) erscheint dabei völlig unstrittig.

Unstrittig? Tatsächlich gibt es zwei völlig gegensätzliche Positionen, die in den jeweiligen Personenkreisen als nahezu unstrittige Selbstverständlichkeiten angesehen werden.

Das sind auf der einen Seite die Praktiker der Unternehmen, die Risikomanagement- und Versicherungsfachleute, die Makler und die meisten Risikomanagementberater sowie die Repräsentanten der Versicherungsgesellschaften. Aus ihrer Sicht ist die Risikobewältigung, speziell der Risikotransfer, sinnvoll für die Eigentümer eines Unternehmens, zumindest, wenn durch keine übermäßig hohen Kosten entstehen. Es werden Versicherungen abgeschlossen, um bestandsbedrohenden Risiken zu begegnen, die Überlebenswahrscheinlichkeit und das Rating des Unternehmens zu verbessern oder um die Ertragsvolatilität zu reduzieren.

Reduzierung des Risikoumfangs zerstört Unternehmenswerte

Auf der anderen Seite stehen Wissenschaftler, die dem noch immer vorherrschenden Paradigma der vollkommenen Märkte folgen. Aus deren Sicht ist es ebenso unstrittig, dass die Reduzierung des Risikoumfangs (selbst wenn sie nur mit minimalen Kosten verbunden ist) Unternehmenswert zerstört und damit nicht im Interesse der Eigentümer ist. So wird mit Bezug auf die sogenannten Modigliani-Miller-Thesen darauf verwiesen, dass weder durch die Veränderung des Verschuldungsgrades noch durch Risikotransfer der Unternehmenswert gesteigert werden kann – und diese Überlegungen sind immerhin mit einem Nobel-Preis ausgezeichnet worden. Aus Sicht der etwas jüngeren Optionspreistheorie führt sogar eine Zunahme des Risikoumfangs zu einem steigenden Unternehmenswert. Eine Risikozunahme führt nämlich zu mehr Chancen (an denen die Eigentümer unbegrenzt partizipieren), während die möglichen Verluste (bei der Haftungsbeschränkung von Kapitalgesellschaften) dagegen begrenzt bleiben. Versicherungen und das Hedging von Zins-, Währungs- und Rohstoffpreisrisiken zur Volatilitätsreduzierung vermindert damit zwar die Insolvenzwahrscheinlichkeit eines Unternehmens zwar, senkt aber dennoch den Unternehmenswert (Marktwert des Eigenkapitals) und ist damit abzulehnen.

Die beiden extremen Gegenpositionen zeigen, dass der Nutzen und der Wertbeitrag einer Risikobewältigung zumindest nicht ganz einfach darzustellen ist, und insbesondere die Selbstverständlichkeit, mit der Versicherungen abgeschlossen werden, vielleicht doch noch einmal vorsichtig zu hinterfragen ist. Um den richtigen Umfang und die richtigen Instrumente für eine Risikobewältigung für ein Unternehmen abzuleiten, ist weder der traditionelle Ansatz von Versicherungen und Versicherungsmaklern (jede kostengünstige Versicherung hilft) noch die Hypothese einer Irrelevanz jeglicher Risikobewältigung auf Grundlage der Annahme vollkommener Kapitalmärkte zielführend. Die Risikoreduzierung eines Unternehmens führt häufig lediglich zu einem Wertgewinn bei Versicherungsgesellschaften, Versicherungsmaklern und Banken, deren Kredite sicherer werden.

Wertsteigerungspotenziale des Risikotransfers

Um den Nutzen und Wertbeitrag einer Risikobewältigung für die Eigentümer aufzuzeigen, muss man sich mit den spezifischen Marktunvollkommenheiten und Restriktionen befassen. Auch wenn hier noch kein allgemein akzeptierter und in allen Fällen verwendbarer Ansatz existiert, worauf jüngst Kürsten (Kürsten, W., Corporate Hedging, Stakeholderinteresse und Shareholder Value, in: Journal of Business, 56/2006, S. 3-31) hingewiesen hat, hilft doch die Betrachtung der konkreten Wertsteigerungspotenziale des Risikotransfers. Der erzielbare Wertbeitrag durch Risikotransfer und Versicherungen ist dabei abhängig von der Höhe potenzieller Konkurskosten, dem Diversifikationsgrad des Vermögens der Eigentümer und der möglichen Veränderung der Kostenpositionen im Leistungsaustausch mit Stakeholdern (z.B. also die Fremdkapitalzinssätze), die wiederum von Informationsasymmetrien beeinflusst wird.

Vereinfacht kann man beispielsweise sagen, dass eine Reduzierung der Ausfallwahrscheinlichkeit einer börsennotierten Aktiengesellschaft durch einen zusätzlichen Versicherungsschutz im Sinne der Aktionäre ist, wenn damit eine überkompensierende Reduzierung bestimmter Kosten (beispielsweise der Fremdkapitalkosten über eine Verbesserung des Ratings) erreicht wird.

Die hier skizzierten Überlegungen werden bei der Optimierung einer Risikobewältigungsstrategie, dem Hedging von Finanzmarktrisiken und speziell auch bei der Diskussion der richtigen Versicherungslösung jedoch oft überhaupt nicht angestellt. Man kann davon ausgehen, dass aufgrund der persönlichen Interessen der beteiligten Personen viele Unternehmen eine falsche Risikobewältigungsstrategie verfolgen, und speziell in vielen Fällen deutlich falsch und überversichert sind. Speziell ist eine Optimierung der Versicherungslösung eines Unternehmens ohne Bezugnahme und Prognose der Konsequenzen z.B. für Rating, Fremdkapitalkosten und Insolvenzzkosten nicht sinnvoll. Der traditionelle Versicherungsberater oder Versicherungsmakler, der sich überhaupt nicht mit der Quantifizierung der Konsequenzen alternativer Versicherungslösungen für die erwarteten Konkurskosten und die Fremdkapitalkonditionen eines Unternehmens befasst, wird keine für das Unternehmen sinnvolle Lösung finden.

Silkodenken führt zu Ineffizienzen bei der Risikobewältigung

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Risikobewältigung durchaus einen Wertbeitrag für Unternehmen leisten kann – sofern (wie in der Realität anzutreffen) bestimmte Kapitalmarktunvollkommenheiten vorliegen. Aber der Bereich und die Gestaltungsvarianten, in denen Risikobewältigungs- und Risikotransferlösungen im Interesse der Eigentümer sind, ist viel geringer als dies meist oberflächlich erscheint. Für eine Optimierung der Risikobewältigungsstrategie eines Unternehmens sind detaillierte und den gesamten Finanz- und Kostenbereich des Unternehmens umfassende Analysen erforderlich, die heute meist – beispielsweise durch ein „Silodenken“ im Versicherungsbereich – unterbleiben. Nur derartige ergänzende Überlegungen führen zu einer sinnvollen Risikobewältigungsstrategie im Kontext einer (wertorientierten) Gesamtunternehmensstrategie.
 

Zum Autor:

Dr. Werner Gleißner ist Geschäftsführer der RMCE RiskCon GmbH sowie Vorstand der FutureValue Group AG, Leinfelden-Echterdingen,

Kontakt: w.gleissner@rmce.de
 

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