Sind wir einer Chimäre aufgesessen?

Fragezeichen zur Konjunktur


Sind wir einer Chimäre aufgesessen? Fragezeichen zur Konjunktur Kolumne

Sind wir einer Chimäre aufgesessen? Noch selten sind die Konjunkturforscher mit so viel Optimismus in ein Jahr gegangen wie diesmal. Die große Finanz- und Wirtschaftskrise ist vier Jahre vorbei. Die Eurokrise hat ihren Höhepunkt überschritten. Die großen Volkswirtschaften haben ihre Hausaufgaben gemacht und manche Schwachstellen beseitigt. Viele Unternehmen sind wettbewerbsfähiger. Was sollte da noch einer kräftigen Erholung entgegenstehen?

Dann aber kamen Enttäuschungen. Es begann in den USA. Dort stieg das reale BIP im ersten Quartal nicht wie erwartet an. Es ging vielmehr kräftig zurück (minus 2,9 Prozent). Zuerst wurde das noch mit dem harten Winter erklärt. Aber mehr und mehr machte sich die Einsicht breit, dass da vielleicht noch andere Dinge eine Rolle gespielt hatten, die man nicht so genau einordnen konnte. So sind beispielsweise die Gesundheitsausgaben stark gesunken. Die Lagerbestände wurden abgebaut. Glücklicherweise hat dann im zweiten Quartal die Wirtschaft wieder Fahrt aufgenommen, so dass man die Ursachenforschung nicht zu weit treiben musste. 

Dann folgte der nächste Schlag. Auch im Euroraum enttäuschte die Konjunktur im ersten Quartal. Trotz des hierzulande relativ milden Winters, der die Wirtschaftsaktivität an sich hätte befördern müssen, hat sich das BIP-Wachstum nicht beschleunigt. Es blieb bei 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Auch hier hatte man schnell Erklärungen parat, nämlich die unbefriedigende Situation in Italien und Frankreich sowie der witterungsbedingte Rückgang der Gasproduktion in den Niederlanden. Aber nach einem richtigen Aufschwung sah das nicht aus. 

Die dritte Enttäuschung folgte in den letzten Wochen. Im Mai häuften sich negative Konjunkturmeldungen wie selten zuvor. In Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien ging die Industrieproduktion zurück. Die Stimmung der Unternehmen verschlechterte sich in Deutschland und Frankreich. In den USA stieg der wichtige Index des Institute of Supply Management nicht mehr, sondern verringerte sich leicht. So eine Massierung schlechter Nachrichten kann natürlich vorkommen. Aber sie ist ungewöhnlich.

All diese Entwicklungen hinterlassen bei mir ein ungutes Gefühl. Könnte es sein, dass wir zu optimistisch waren? Legt der Aufschwung vielleicht eine Pause ein? Oder ist er vielleicht schon vorbei? Hat es ihn vielleicht nie gegeben? Schauen Sie sich dazu die deutsche Industrieproduktion im längeren Zusammenhang an. Das, was wir dort seit einiger Zeit beobachten, hat nicht im entferntesten etwas zu tun mit den Konjunkturaufschwüngen, wie wir sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten kannten. Im letzten Jahr ging es zwar ein paar Monate nach oben. Das ist durch die Korrektur in den letzten drei Monaten aber wieder fast alles weg.

Wo bleibt der Aufschwung? Industrieproduktion, Deutschland, 2010 = 100 [Quelle: Bundesbank]

Wo bleibt der Aufschwung? Industrieproduktion, Deutschland, 2010 = 100 [Quelle: Bundesbank]

Andererseits sollte man nicht übertreiben. Die meisten Konjunkturforscher sind bisher noch nicht verunsichert. Sie machen mit dem Optimismus munter weiter. Das ifo-Institut beispielsweise hat erst kürzlich seine Prognosen für Deutschland noch einmal angehoben. Auch international heißt es überall, dass das zweite Halbjahr deutlich besser verlaufen wird. 

Vier Gründe werden dafür angeführt. Erstens sind die Sonderfaktoren, die das erste Halbjahr belasteten, inzwischen vergangen. Jetzt muss man sich nicht mehr auf neue Wetterkapriolen einstellen. Zweitens haben sich die üblichen Synergien eines Aufschwungs noch gar nicht entfaltet. Das wird erst jetzt beginnen. Dann steigen die Investitionen, weil es bei den Kapazitäten eng wird. Der Konsum erhöht sich wegen der Zunahme der Realeinkommen, vor allem wegen der niedrigen Preissteigerung. Drittens expandiert der Welthandel, weil  sich das Wachstum überall auf der Welt beschleunigt. Hier wird insbesondere auf die USA verwiesen. Viertens schließlich ist die Geldpolitik expansiv. Die EZB hat hier gerade erst noch einmal nachgelegt. Sie wird den Banken in den nächsten Monaten noch einmal wenigstens EUR 400 Mrd. langfristige Finanzierungsmittel zur Verfügung stellen. 

All das wird sich positiv auswirken. Andererseits sind es insgesamt eher weiche Faktoren, keine zwingenden Argumente. Vor allem gibt es auch Belastungen. Siehe zum Beispiel die zunehmenden politischen Spannungen in der Ukraine, im Nahen Osten und in Ostasien. Sie beeinträchtigen nicht nur den Export. Sie verunsichern auch die Unternehmen. In den Schwellen- und Entwicklungsländern gibt es Probleme. Im Inland legt der Bau  eine Pause ein. Die deutsche Wirtschaftspolitik gibt nicht unbedingt wachstumsfreundliche Impulse (Rente mit 63, Mindestlohn etc.). 

Mit all dem will ich den Konjunkturaufschwung nicht abschreiben. Ich rate jedoch zu verstärkter Vorsicht. Wir müssen uns die kommenden Daten genau anschauen.

Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A. 

[ Bildquelle Titelbild: © Giedrius - Fotolia.com ]

Kommentare zu diesem Beitrag

RiskNET Redaktion /25.07.2014 15:28
+++ Sorge um Krisenherde dämpft ifo-Geschäftklima kräftig +++

Die Furcht vor harschen Russland-Sanktionen und der kriegerische Konflikt in Israel belasten die Stimmung in den deutschen Unternehmen stärker als erwartet. Der ifo-Geschäftsklimaindex gab im Juli das dritte Mal in Folge nach und sank auf 108,0 von 109,7 Punkten. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte hatten lediglich einen Rückgang auf 109,4 Zähler vorausgesagt. "Die geopolitischen Spannungen belasten die deutsche Wirtschaft", erklärte ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Das hat zur Folge, dass das verarbeitende Gewerbe seine Exportchancen so schlecht bewertet wie seit über einem Jahr nicht mehr.

Der ifo-Index gilt als wichtigstes Konjunkturbarometer für die deutsche Wirtschaft. Befragt werden rund 7.000 Unternehmen nach ihrer aktuellen Lage und dem Ausblick für das kommende halbe Jahr. Im Juli waren die Firmen in beiden Fällen weniger optimistischer.

Die Lagebeurteilung fiel auf 112,9 von zuvor 114,8 Zählern, während die Geschäftserwartungen auf 103,8 von 104,8 Punkten einbüßten. Die Ergebnisse waren damit deutlich schwächer als die Prognosen der Analysten, die nur einen Rückgang auf 114,5 beziehungsweise 104,5 erwartet hatten.

Anders als Unternehmer und Manger sind die Verbraucher in Deutschland bester Stimmung. Das GfK-Konsumklima für August erreichte mit 9,0 Zählern ein Mehrjahreshoch. Die Menschen rechnen mit steigenden Einkommen und einer anhaltend guten Konjunktur.
RiskNET Redaktion /31.07.2014 08:21
+++ Geschäftsklima in der Eurozone im Juli eingetrübt +++

Das Geschäftsklima in der Eurozone hat sich im Juli stärker als erwartet eingetrübt. Der entsprechende Index fiel auf plus 0,17 von revidiert plus 0,21 (vorläufig: plus 0,22) Punkte im Vormonat, wie die Europäische Kommission berichtete. Von Dow Jones Newswires befragte Ökonomen hatten dagegen einen weniger starken Rückgang auf plus 0,19 Zähler erwartet.

Ein Indexstand des Geschäftsklimas von Null entspricht dem langfristigen Durchschnittswachstum der Industrieproduktion von 2 Prozent. Fällt der Index unter minus 0,5 Punkte, wird ein Produktionsrückgang angedeutet.

Die Generaldirektion Wirtschaft der Kommission betonte, dass die eher positiven Einschätzungen zu den Produktionsaussichten und den Auftragsbeständen durch die negative Bewertung der Produktionstätigkeit überkompensiert wurden. Die Bewertung bei den Exportorders und den Lagerbestände blieb indes unverändert.
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