Zinsrisikosteuerung des Anlagebuchs von Banken

Die Rückkehr der Zinsen


Die Rückkehr der Zinsen: Zinsrisikosteuerung des Anlagebuchs von Banken News

Die Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) hat den Bankensektor in den vergangenen Jahren vor massive Herausforderungen gestellt. Nach Jahren extrem niedriger Zinsen folgte ab 2022 ein steiler Anstieg des Leitzinses – und seit 2024 eine allmähliche Lockerung. Diese Achterbahnfahrt der Geldpolitik zwingt Banken dazu, ihre Zinsrisikopositionen noch präziser zu steuern und regulatorische Anforderungen konsequent umzusetzen.

Von Null- zu Hochzinsen und wieder zurück

Die EZB steuert die Preisstabilität im Euroraum primär über ihre Leitzinsen. Zwischen 2016 und Mitte 2022 verfolgte sie eine ultralockere Politik: Der Hauptrefinanzierungssatz lag bei 0 %, der Einlagenzins sogar bei -0,50 %. Ziel war es, Investitionen und Kreditvergabe anzukurbeln. Diese Phase endete abrupt im Sommer 2022 mit dem ersten Zinsschritt seit über einem Jahrzehnt – eine Reaktion auf die stark gestiegene Inflation infolge von Lieferkettenproblemen, Energiepreisschocks und geopolitischen Spannungen, insbesondere durch den Ukrainekrieg.

Bis September 2023 kletterte der Leitzins auf 4,5 %. Seit Mitte 2024 folgt nun wieder eine schrittweise Senkung, bei aktuell rund 2,15 % (Stand Juni 2025). Diese Zinsentwicklung ist jedoch nicht nur eine technische Größe der Geldpolitik, sondern ein zentraler Faktor für die Ertragslage und Stabilität von Banken.

Auswirkungen auf Banken: Fluch und Segen der Zinsänderungen

Steigende Zinsen erhöhen zunächst die Erträge aus variabel verzinsten Krediten. Gleichzeitig verteuern sie jedoch die Refinanzierungskosten – eine Herausforderung für Banken mit hoher Fristentransformation. Auch das Kundenverhalten ändert sich: Die Kreditnachfrage kann sinken, Einlagen werden in höher verzinste Anlagen umgeschichtet. Zudem fallen die Marktwerte langfristiger festverzinslicher Wertpapiere bei Zinsanstiegen.

Das Management dieser Risiken ist entscheidend für die Profitabilität und Stabilität der Banken. Hier greift das Konzept des „Interest Rate Risk in the Banking Book“ (IRRBB): Banken müssen ihr Anlagebuch – das im Gegensatz zum Handelsbuch langfristig gehalten wird – gegen Zinsschwankungen absichern und regulatorische Vorgaben einhalten.

Regulatorischer Rahmen: Strenger und detaillierter

Die Zinsrisikosteuerung im Anlagebuch ist keine freiwillige Aufgabe. Seit 2000 haben sich die aufsichtsrechtlichen Vorgaben deutlich verschärft:

  • Basel II (ab 2004) integrierte das Thema erstmals in den Säule-2-Prozess.
  • Später folgten detaillierte CEBS- und BCBS-Leitlinien (u.a. 2016), die Ausreißergrenzen und Szenarien vorschreiben.
  • Ab 2024 müssen Banken in der EU noch umfangreichere Meldebögen und Szenarioanalysen liefern (EBA-Verordnung 2024/855).

Ein Kernpunkt: Banken müssen sowohl die Barwertsicht (Economic Value of Equity, EVE) als auch die Ertragssicht (Net Interest Income, NII) messen. Während EVE die Marktwertänderung des Eigenkapitals bei Zinsschocks abbildet, fokussiert NII auf die Ertragslage über einen mittelfristigen Horizont.

Aufsichtsbehörden verlangen nicht nur Standard-Szenarien (Parallelverschiebungen der Zinskurve), sondern auch komplexere Szenarien wie Versteilung, Verflachung oder kurzfristige Schocks. Zudem gelten klare Schwellenwerte: Überschreiten Banken beispielsweise in einem Szenario einen Verlust von 20 % des Eigenkapitals, gelten sie als Institut mit erhöhtem Zinsrisiko und müssen verschärfte Anforderungen erfüllen.

Praxis der Steuerung: Mehr als nur Messen

Die regulatorische Pflicht zur Messung ist nur der erste Schritt. Banken müssen ihre Fristentransformation aktiv steuern – etwa über Derivate, Änderungen im Produktportfolio oder strategische Neuausrichtung. Stresstests und Szenarioanalysen sind integrale Bestandteile eines robusten Risikomanagements. Hierzu zählen auch inverse Stresstests, die identifizieren, bei welchen Zinsbewegungen festgelegte Verlustgrenzen überschritten würden.

In der Praxis ist oft zu beobachten, dass Banken zwar EVE und NII berechnen, aber nicht in ihren Wechselwirkungen analysieren. Eine moderne IRRBB-Strategie muss jedoch genau diese Zusammenhänge verstehen und steuern. Dazu braucht es leistungsfähige Tools und ein abgestimmtes Reporting an das Management.

Ausblick: Steigende Anforderungen und notwendige Investitionen

Die vollständige Umsetzung der aktuellen EBA- und BCBS-Standards wird bis Ende 2025 erwartet. Für Banken bedeutet das einen erheblichen Umsetzungsdruck – organisatorisch, prozessual und technisch. Gerade kleinere Institute profitieren zwar von Proportionalitätsregeln, doch auch sie müssen ihre Zinsrisikosteuerung professionalisieren.

Denn die EZB-Zinspolitik bleibt volatil und geopolitische Unsicherheiten oder makroökonomische Schocks können jederzeit neue Zinswenden erzwingen. Für Banken gilt daher: Wer sein IRRBB-Management heute robust aufstellt, reduziert nicht nur regulatorisches Risiko, sondern schafft auch die Basis für stabile Erträge in einem weiterhin unsicheren Zinsumfeld.

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[Ying Wang-Bernigau | Alexander Kreutz-Peil: EZB-Zinspolitik und Zinsrisikosteuerung des Anlagebuchs von Banken]

 

[ Bildquelle Titelbild: Generiert mit AI ]
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