Katastrophen - wer sie überlebt und warum

Survive


Rezension

Wussten Sie, dass bei allen schweren Flugzeugunglücken zwischen den Jahren 1983 und 2000 rund 56 Prozent der Passagiere überlebten? Es besteht also eine Fifty-Fifty-Chance. Im Buch "Survive" beschäftigt sich die Journalistin Amanda Ripley mit der Frage, warum manche Menschen schwere Unglücke überleben, während andere ihnen zum Opfer fallen.

So lernen wir gleich in der Einleitung zum Buch, dass Überlebende des Anschlags auf das World Trade Center am 11. September 2001 durchschnittlich sechs Minuten benötigten, bis sie ihre Arbeitsplätze verließen. Bei nicht wenigen Überlebenden dauerte es sogar bis zu 45 Minuten. Worauf warteten sie und warum? Amanda Ripley wollte genau wissen, welches Verhalten hinter den Statistiken steckt. Sie nimmt uns mit in die Twin Towers, auf die sinkende Fähre Estonia, zu Hurrikan Katrina und zu einem Geiseldrama in Bogota. Vor allem aber gibt sie die erstaunlichen Erkenntnisse weiter, die sie aus Interviews mit zahlreichen Überlebenden gewonnen hat. Ihr Buch ist eher das Gegenteil von Panikmache. Es beweist, dass wir mehr Kontrolle über unser Schicksal haben, als wir denken.

Als beispielsweise Elia Zedeño am 11. September 2001 in ihrem Büro im 73. Stock im Nordturm des World Trade Centers eine laute Explosion hörte und spürte, wie das Gebäude schwankt, verhält sie sich erst einmal abwartend und unternimmt nichts. Erst als ein Kollege sie anbrüllt: "Raus aus dem Gebäude!", holt sie ihre Handtasche, läuft an ihrem Arbeitsplatz im Kreis und sucht nach Dingen, die sie noch mitnehmen könnte. Sie packt einen Krimi ein, bevor sie sich endlich auf den Weg ins Treppenhaus macht. Das ist die Phase der Verleugnung, so Amanda Ripley. Menschen durchlaufen bei jeder Art von Katastrophe mental in etwa dieselben drei Phasen durch. Die drei chronologischen Phasen – Verleugnung, Überlegung und der entscheidende Moment – bilden die Struktur des Buches.

Die erste Phase ist die der Verleugnung. Außer in ganz furchtbaren Fällen neigen wir zu einer besonders kreativen und mutwilligen Form der Verleugnung. Manchmal äußert sie sich als Verzögerungstaktik, was – wie in einigen Fällen am 11. September -  tödlich enden kann. Aber warum tun wir das, wenn es so gefährlich ist? Welche andere Funktion hat die Verleugnung?
Wie lange wir es aufschieben zu handeln, hängt zum großen Teil davon ab, wie hoch wir das Risiko einschätzen. Und diese Einschätzung ist höchst subjektiv und abhängig von unserer Risikowahrnehmung.

Wenn wir den anfänglichen Schock der Verleugnungsphase überwunden haben, treten wir in die zweite Phase des Überlebensbogens ein, das Überlegen. Wir erkennen, dass irgendetwas furchtbar schiefläuft, aber wir wissen nicht, was wir dagegen tun können. Wie sollen wir uns entscheiden? Zuallererst müssen wir uns klarmachen, dass in diesem Moment nicht normal ist. Wir denken und fühlen anders. Wir werden zu Superhelden mit Ladehemmung, so Amanda Ripley. In diesem Kontext beschäftigt sich das dritte Kapitel im Buch mit der Beschaffenheit der Angst am Beispiel eines Diplomaten, der während einer Cocktailparty als Geisel genommen wurde. Uns allen ist eine grundlegende Angstreaktion gemein. Aber warum schaffen es manche Menschen, aus einem  brennenden Haus zu entkommen, und andere nicht? Im vierten Kapitel geht es um die Belastbarkeit, das Elixier des Überlebens. Wer hat es? Spielt die Geschlechtszugehörigkeit eine Rolle? Die Persönlichkeit oder die ethnische  Herkunft? Fast niemand erlebt eine Katastrophe allein. Deshalb geht es in Kapitel Fünf um das Gruppendenken, den Einfluss der anderen auf unsere Entscheidungen. Wie gut eine Gruppe funktioniert, hängt zum Großteil davon ab, wer dazugehört.

Schließlich gelangen wir zur dritten Phase des Überlebensbogens: dem entscheidenden Moment. Wir haben erkannt, dass wir in Gefahr sind, haben die Möglichkeiten abgewogen. Jetzt handeln wir. Zunächst schauen wir uns die Ausnahme an: das sechste Kapitel handelt von der Panik, den am häufigsten missverstandenen Verhalten im Katastrophenfall. Wodurch wird eine Panik ausgelöst, und wie fühlt es sich an, davon mitgerissen zu werden?

Viele, wenn nicht sogar die meisten Menschen neigen dazu, bei einer Katastrophe komplett abzuschalten, das genaue Gegenteil von Panik. Sie erschlaffen und scheinen nichts mehr wahrzunehmen, bestätigt Amanda Ripley.

Kapitel Sieben beschäftigt sich mit dieser Lähmung, die aber auch Ausdruck einer unbewussten Strategie sein kann. Das achte Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema Helden. Zum Abschluss des Buches werden Antworten auf die Frage gegeben, was wir tun können, um unserer Überlebenschancen zu erhöhen? Die Autorin stellt Personen vor, die anderen beigebracht haben, wie man überlebt, und zwar anhand der Funktionsweise unseres Gehirns. Wer versteht, wie sein Gehirn unter Stress arbeitet, hat in jedem Fall bessere Überlebenschancen.

Fazit: Das Buch ist anschaulich geschrieben und basiert auf empirischen Untersuchungen über menschliches Verhalten. Es sollte zur Pflichtlektüre jeden Krisen- und Risikomanagers gehören.


Autor der Rezension: Frank Romeike


Details zur Publikation

Autor: Amanda Ripley
Seitenanzahl: 334
Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag
Erscheinungsort: Frankfurt am Main
Erscheinungsdatum: 2010

RiskNET Rating:

sehr gut Praxisbezug
sehr gut Inhalt
sehr gut Verständlichkeit

sehr gut Gesamtbewertung

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