Analyse der Finanzkrise jenseits des "mainstreams" der etablierten Meinungen

Götzendämmerung – Die Geldreligion frisst ihre Kinder


Rezension

Das große Geld, das schnelle Geld – Heilsversprechen einer entgleisten Gesellschaft. Für Gertrud Höhler ist Geld zur Droge geworden und die Geldgesellschaft zur Suchtgemeinschaft. Die Welt wird zum Riesenspielzeug, während virtuelle Geldpakete um den Globus kreisen. Eine "Götzendämmerung" sieht die Autorin heraufziehen. Ihre Kritik richtet sich gegen eine Gesellschaft, in der jede Ethik vergessen wird uns die Geldreligion nur ein Ziel kennt: Geldvermehrung. Das Geschäftsmodell der Zocker ist ansteckend, auch die Politik wechselt ins Lager der Geldverbrenner, so die Autorin. "Wer ist schon wichtig ohne Geld? Wen verehren wir, wenn er arm ist?" fragt die Autorin.

Die promovierte Literaturwissenschaftlerin Gertrud Höhler legt dar, dass die Finanzkrise ein spätes Symptom einer systemischen Erkrankung ist. Nur wenn wir die Ethik aus ihren Fesseln befreien, können die entgleisten Energien für die Gesellschaft nutzbar gemacht werden. "Wir brauchen eine neue Story, um der alten zu entkommen. Eine hellwache Elite von Finanzakrobaten kannte sich nirgends aus als in den Rauschzentren der Investmentbanken, wo die ausgeschlafene Intelligenz nach wenigen Monaten schon in einen halbwachen Rauschzustand übergeht, der gar nicht mehr das Geld über alles stellt, sondern den Rausch im Sog des Geldes." In ihrer Einführung legt die Autorin dar, dass der Handel mit realen Waren, Industrieproduktion mit Lagerhallen und Containerschiffen aus der Perspektive der "Finanzverpackungskünstler" spannungslos und trivial wirkt. Zu wenig Absturzgefahr, zu wenig Abenteuer, zu wenig Risiko. Diese führt jedoch dazu, dass Geld kein anderes Ziel mehr hat als Geld. Das ist aus der Sicht der Autorin die wesentliche Ursache für das Scheitern der jüngsten Story. Geld, das nur noch die Potenzierung von Geld bezweckt, kann zu keinem käuflichen Wert mehr hinführen. Wer Geldprodukte kreiert, mit deren Wert er sich nie mehr etwas kaufen will außer noch mehr Geld, demontiert die Mittlerfunktion des Geldes. Gertrud Höhler kommt zu dem Schluss, dass in der jüngsten Finanzkrise die Rolle des Geldes als Mittel oder Ziel verwechselt wurden. Wo Geld nur noch zu Mehrung von Geld taugt, entsteht ein Dilemma, aus dem sich weder die Süchtigen noch ihre Mitläufer befreien können. "Finanzpiraten übernahmen das Kommando auf den Weltmeeren der Finanzindustrie. Das Erdbeben, das ihr Riesenroulette weit draußen vor den Küsten der Ahnungslosen auslöste, schickte auch die Realwirtschaft in die Tsunamiwoge."

Und die Gewinner sind bereits wieder untergetaucht und zocken weiter in der "community" der Geldmacher. Leider sind jedoch die Verlierer in der Mehrheit. Daher – so die Autorin – wird eine neue Story benötigt, in der alle Verlierer zu den Gewinnern gehören.

Die Lösung? Die Politik ruft nach Regeln, mit denen die Lust am Risiko stranguliert werden soll. Man fordert Strafen, die den Übermut der Abenteurer dämpfen sollen. Compliance hat Hochkonjunktur. Die Analyse der Autorin ist eindeutig: Wenn wir aus der Krise in eine Welt voller Verbote und Regeln gehen, wird die Kreativität der Regelbrecher zunehmen. Wir werden nur noch als Jäger und Gejagte existieren.

Eine entschlossene Umkehr beginnt damit, dass wir die jüngste Finanzkrise – und viele andere Krisen auch – als eine Krise unseres Ethos erkennen. Wenn "Wirtschaften mit Menschen für Menschen" das ethische Credo beschreibt, dem die Märkte folgen sollen, dann ist das Motto der Versandorgie, die unsere ethikferne Gesamtveranstaltung entlarvt hat, "Wirtschaften mit viel Geld für noch mehr Geld" ein Katastrophenprogramm, weil Menschen in diesem Projekt allen Ernstes nicht vorkommen. Verantwortung bedeutet vor allem "sich verantworten", d. h. Rechenschaft abzulegen, sein Reden und Tun begründen, die Wahrheit sagen. "Die Krise als Massenflucht aus der Verantwortung zeigt all jene gemeinsam auf der Flucht, die heute nicht mehr zusammen gesehen werden wollen: Banker, Ökonomen und Politiker." Die Fähigkeit und die Chance, sich zu "ver-"antworten, hat ihren Platz in der Mitte der Ethik.

Ethik ist keinesfalls die eiserne Reserve oder nimmt eine Alibifunktion ein. Vielmehr erleben ethisch orientierte Banken seit Ausbruch der Finanzkrise ein wahres Wachstumswunder. So steigerte die genossenschaftliche GSL-Bank ihre Kundenzahl im Jahr 2009 um 11.000 und 73.000. Die Umweltbank gewann im gleichen Zeitraum zu ihren 10.000 Kunden 70.000 neue. Ethik ist ein strategischer Erfolgsfaktor – insbesondere auch aus der Perspektive des Risikomanagements.


Fazit: Das Buch ist keinesfalls leichte Kost und distanziert sich klar und unmissverständlich von der überwiegenden Mehrzahl der Publikationen rund um die Aufarbeitung der Finanzkrise. Höhler versteckt sich bei Ihren Analysen nicht hinter dem "mainstream" der etablierten Meinungen, sondern schwimmt bewusst gegen den Strom und bringt ihre Sicht der Dinge fundiert, klar und prägnant auf den Punkt. Daher kann das Buch uneingeschränkt allen empfohlen werden, die sich für eine neue Agenda interessieren: Ethik als strategischer Erfolgsfaktor für die Finanzwirtschaft.
Ihr Fazit: Ethik als Risikomanagement der Zukunft.


Rezension von
Frank Romeike

 

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Details zur Publikation

Autor: Gertrud Höhler
Seitenanzahl: 320
Verlag: Wilhelm Heyne Verlag
Erscheinungsort: München
Erscheinungsdatum: 2010

RiskNET Rating:

Praxisbezug
Inhalt
Verständlichkeit

sehr gut Gesamtbewertung

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