Die Weltwirtschaft steht vor einer Phase erhöhter Fragilität. Zwar konnte in den vergangenen Monaten ein Totaleinbruch vermieden werden, doch die Dynamik ist gebrochen. Die Coface-Prognosen gehen im Basisszenario von einem globalen Wachstum von lediglich 2,2 Prozent für 2025 aus – ein deutlicher Rückschritt gegenüber den Vorjahren. Sollten die temporär ausgesetzten US-Zölle gegenüber China und anderen Handelspartnern wieder aktiviert werden, droht sogar ein Unterschreiten der 2-Prozent-Marke (vgl. Abb. 01).
Diese Entwicklung trifft insbesondere exportabhängige Länder und Branchen. Die Unsicherheiten rund um die US-Zollpolitik und geopolitische Konflikte – etwa zwischen Israel und Iran – führen zu einer globalen Investitionszurückhaltung. Auch die Inflation bleibt volatil: Während in den USA ein Anstieg auf rund 4 Prozent erwartet wird, profitieren Schwellenländer teils von sinkenden Rohstoffpreisen und einem schwächeren Dollar. Doch auch hier besteht Aufwärtspotenzial bei Ölpreisschocks.
Abb. 01: Globale reale BIP-Wachstumsprognose bis 2026 [Quelle: Coface Risk Review]
USA: Wirtschaftspolitik zwischen Chaos und Kalkül
In den USA ist die wirtschaftspolitische Richtung weiterhin unklar. Einerseits signalisiert die Administration Entschlossenheit im "Handelskampf", andererseits wurden seit Mai mehrere Deeskalationsversuche unternommen. Dennoch bleibt die Unsicherheit hoch. Obwohl erste Gerichtsentscheidungen gegen pauschale Zölle ergangen sind, könnten alternative Rechtsinstrumente wie Section 232 oder Section 301 erneut aktiviert werden.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind komplex: Trotz einer leichten Schrumpfung des BIP im ersten Quartal halten sich Arbeitsmarkt und Inflation bislang stabil. Doch viele Unternehmen haben Importe vorgezogen, was die reale Nachfrage überzeichnet. Die nächsten Quartale könnten daher schwächer ausfallen, da der vorgezogene Konsum fehlt und die Belastung durch höhere Einkaufspreise steigt. Die Datenlage bleibt widersprüchlich, die Prognosen vorsichtig (vgl. Abb. 02).
Abb. 02: USA: Wahrgenommene Rezessionswahrscheinlichkeit und handelspolitische Ungewissheit [Quelle: Coface Risk Review]
Europa: Im Spannungsfeld zwischen USA, China und eigenen Strukturproblemen
Europa steht im geopolitischen Kreuzfeuer. Die US-Zollpolitik trifft die EU überproportional hart, da sie stark in globale Wertschöpfungsketten eingebunden ist. Deutschland profitierte zu Jahresbeginn von Vorzieheffekten im Export, doch eine nachhaltige Dynamik ist nicht erkennbar. Große wirtschaftspolitische Entscheidungen – etwa zur Infrastruktur oder Energieversorgung – wurden bislang aufgeschoben.
Frankreich leidet unter stagnierendem Konsum und Investitionszurückhaltung (vgl. Abb. 03). Ein signifikanter Aufschwung ist frühestens 2027 zu erwarten. Italiens Wirtschaft wird durch die Abhängigkeit vom US-Markt gebremst, Spanien hingegen profitiert von Tourismus, Migration und EU-Fördergeldern. In Großbritannien belasten Steuererhöhungen die Konjunktur, doch Reformprojekte und Zinssenkungen könnten mittelfristig Stabilität bringen.
Abb. 03: Entwicklung des real verfügbaren Haushaltseinkommens in Westeuropa [Quelle: Coface Risk Review]
Asien: Chinas Stabilität, Indiens Dynamik
China bleibt ein wirtschaftlicher Anker, zumindest kurzfristig. Ein starkes erstes Quartal, gestützt durch Exportvorzieheffekte, staatliche Investitionen und Konsumsubventionen, führt zu einer leichten Aufwärtskorrektur der Wachstumsprognose. Doch im zweiten Halbjahr droht ein Rückgang durch auslaufende Sondermaßnahmen und Probleme im Immobiliensektor (vgl. Abb. 04).
Indien entwickelt sich derweil zum Wachstumsmotor der Region. Das starke erste Quartal war Ergebnis massiver Infrastrukturinvestitionen vor Ende des Haushaltsjahres. Doch dieses Tempo wird nicht durchzuhalten sein. Konsum bleibt als Stütze erhalten, doch steigende Kreditkosten und globale Unsicherheiten belasten die Exportaussichten.
Abb. 04: Wachstumstreiber in China im Q1 2025 [Quelle: Coface Risk Review]
Lateinamerika: Heterogene Perspektiven, positive Entwicklungen in Argentinien
Mexiko bleibt angeschlagen. Die Abhängigkeit vom US-Markt und eine schwache Binnenkonjunktur verhindern einen Aufschwung. Für 2025 rechnet Coface mit stagnierendem Wachstum. Brasilien hingegen konnte durch eine starke Landwirtschaft und steigenden Konsum punkten. Doch mit Zinssätzen von 15 Prozent bleibt die Finanzierungslage angespannt.
Argentinien überrascht positiv: Liberalisierungen, reduzierte Kapitalverkehrskontrollen und eine stabilere Inflation fördern die Investitionsbereitschaft (vgl. Abb. 05). Die Coface-Prognose sieht für 2025 ein Wachstum von 5 Prozent. Dennoch bleiben strukturelle Risiken bestehen, etwa beim Devisenpolster und in der Schuldenstruktur.
Besonders hervorzuheben ist die wirtschaftspolitische Neuorientierung unter Präsident Javier Milei. Inspiriert von der Österreichischen Schule des Liberalismus setzt seine Regierung auf konsequente Deregulierung, fiskalische Disziplin und ein radikales Zurückdrängen des Staates. Die Abschaffung von Preiskontrollen, die Öffnung der Märkte und die strikte Haushaltskonsolidierung haben erste Erfolge gezeigt: Das Vertrauen internationaler Investoren steigt, Kapital kehrt zurück, und die Inflation zeigt Anzeichen einer nachhaltigen Entspannung. Mileis libertärer Kurs gilt als Experiment mit Vorbildcharakter für andere Länder. Milei bezieht sich explizit auf zentrale Denker der Österreichischen Schule, insbesondere Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek und Murray Rothbard. Ihre Konzepte wie individuelle Freiheit, freie Märkte, Nicht-Interventionismus und die Ablehnung staatlicher Geldpolitik prägen Mileis wirtschaftspolitisches Denken. Die Orientierung an dieser Tradition macht Argentinien derzeit zu einem einzigartigen realweltlichen Testfeld radikal-libertärer Reformpolitik.
Abb. 05: Argentinien: Öffentlicher Saldo und Inflation [Quelle: Coface Risk Review]
Unternehmensinsolvenzen: Eine neue Normalität?
Insolvenzen bleiben im Jahr 2025 ein zentrales Thema auf der Agenda der Risikomanager. Die pandemiebedingte Ausnahmesituation mit niedrigen Insolvenzzahlen ist endgültig vorbei. In über 80 Prozent der entwickelten Volkswirtschaften liegen die Fallzahlen über dem Niveau von 2019. Besonders betroffen sind Japan, Australien und mehrere europäische Staaten (vgl. Abb. 06).
Die Ursachen sind vielfältig: hohe Finanzierungskosten, anhaltende Lieferkettenprobleme, sinkende Nachfrage und eingeschränkte Preissetzungsmacht. Auch in Nordamerika steigt der Druck, insbesondere in den zinssensiblen Sektoren. Coface erwartet für 2026 einen weiteren Anstieg der weltweiten Insolvenzen.
Abb. 06: Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen (Index, 2019 = 100), gleitender 3-Monatsdurchschnitt [Quelle: Coface Risk Review]
Branchen unter Druck: Die Metallindustrie als Frühindikator
Keine Branche ist so stark betroffen wie die Metallindustrie. Acht Länder wurden herabgestuft. Überkapazitäten, steigende Energiekosten und sinkende Nachfrage setzen die Branche weltweit unter Druck. Besonders betroffen: Europa, Kanada, Mexiko und Südkorea.
Auch die Automobil- und Chemiebranchen leiden. In Ländern wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien wurden gleich mehrere Industriesektoren herabgestuft. Grund sind steigende Produktionskosten, Absatzrückgänge und überalterte Infrastruktur. Die Digitalisierung allein wird den Strukturwandel nicht auffangen können.
Fazit: Wirtschaften unter Risiko
Der Coface Risk Review zeigt eindrücklich: Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Phase multipler Krisen. Geopolitik, Protektionismus, Inflation und Schuldenberge bilden ein explosives Gemisch. Unternehmen und Staaten müssen lernen, in Szenarien zu denken, Resilienz aufzubauen und ihre Risikoexponierung aktiv zu managen.
Trotz einzelner Lichtblicke – etwa in Indien oder Argentinien – ist die globale Perspektive besorgniserregend. Investitionen bleiben zurückhaltend, Lieferketten fragil und der politische Wille zur Zusammenarbeit gering. Ohne strukturelle Reformen und multilaterale Abstimmung wird der wirtschaftliche Rückschritt kein temporäres Phänomen bleiben.




