Markt- und Risikoanalyse

Risikoprofil der Märkte hat sich verbessert


Interview

Im Dezember letzten Jahres gingen wir davon aus, dass die Aktienmärkte 2018 auf neue Höchststände klettern und dass die Volatilität zunehmen würde, was lange überfällig war. Verglichen mit den günstigen Bedingungen von 2017 rechneten wir damit, dass sich das globale Wachstum verlangsamen und die geldpolitische Straffung deutlicher auswirken würde. Diese Prognosen erfüllen sich derzeit. Die Schlagzeilen werden indes von mehreren Entwicklungen dominiert: auf Volatilität ausgerichtete Verkaufsstrategien stehen unter Druck, das Risiko für Regulierungsmaßnahmen im Technologiesektor steigt und Sorgen über protektionistische Tendenzen greifen um sich. Dennoch sind wir überzeugt, dass sich die makroökonomischen Auswirkungen all dessen im Rahmen halten werden.

Letztlich werden wir es mit einem insgesamt ausgewogeneren Risikoprofil zu tun bekommen. Da die Wachstumsdynamik zuletzt abnahm, ist die Messlatte für positive Wachstumsnachrichten gesunken. Die Zinsen sind im ersten Quartal 2018 gestiegen. Was die Märkte bezüglich der Taktung der Zentralbankstraffung erwarten, bewegt sich mittlerweile mehr entsprechend unserer Vorhersagen.

Aufgrund der bisherigen Zinsanpassung glauben wir nicht, dass die Zinsen verglichen zum Jahresbeginn weiter stark ansteigen werden. Dadurch verringert sich das Risiko kurzfristiger negativer Spill-over-Effekte auf andere Anlageklassen. Angesichts der schwächeren kurzfristigen Risiken und der infolge des Ausverkaufs gesunkenen Vermögenspreise erscheinen uns die Märkte inzwischen attraktiver. Die Volatilität dürfte auf kurze Sicht zurückgeben, aber nicht bis auf ihre Tiefstände des letzten Jahres zurückfallen. Im weiteren Jahresverlauf rechnen wir mit erneuten vorübergehenden Kursverlusten. In diesen Phasen könnte ein dynamischerer Ansatz zur Risikosteuerung sinnvoll sein.

Andrew Wilson (Foto unten), CEO für EMEA und Co-Head des Global Fixed Income und Liquidity Management Teams bei GSAM beantwortet fünf Fragen zu den Marktentwicklungen im zweiten Halbjahr 2018 und bewertet ihre Auswirkungen für Investments.

Wie wird sich das globale Wachstum entwickeln?

Andrew Wilson: Nachdem die Wachstumsdaten zuletzt schwächelten, betrachten wir die Risiken für das globale Wachstum als weitgehend ausgeglichen.

  1. Vorerst dürften die positiven Wachstumsimpulse der USA und die fiskalischen Anreize die Markteinschätzungen dominieren.
  2. Die Unterstützung für das Wachstum im Euroraum lässt nach, da der Euro aufwertet, die Zinsen ansteigen und sich die globale Produktionstätigkeit voraussichtlich etwas abkühlt.
  3. Wir halten nach wie vor eine harte Landung in China in den kommenden Jahren für unwahrscheinlich. Dennoch deuten die derzeitigen Meldungen weiter darauf hin, dass nach der politischen Führungskonsolidierung die Prioritäten stärker auf Reformen ausgerichtet werden. Dies dürfte das Wachstum in diesem Jahr beeinflussen.

Fazit: Nachdem sich die Wachstumsdynamik etwas abgeschwächt hat, erscheinen die Risiken für das globale Wachstum weitgehend ausgeglichen. Wachstumspotenzial erkennen wir in den USA und Japan, während es im Euroraum und China Anzeichen für leichte Abwärtsrisiken gibt.

Welche Risiken ergeben sich aus steigenden Zinsen?

Andrew Wilson: Wir erwarten eine geldpolitische Straffung, doch die Auslöser dafür zeichnen sich noch nicht unmittelbar ab und die kurzfristigen Risiken, die steigende Zinsen für andere Anlageklassen darstellen, sind gesunken.

  1. Unserer Einschätzung nach sind restriktivere Finanzierungsbedingungen notwendig, um die US-Wachstumsrate auf ein nachhaltigeres Niveau zu senken.
  2. Da der Markt bereits eine fast 100-prozentige Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung im Juni einpreist, müssen wir vermutlich den weiteren Jahresverlauf abwarten, bis die Zentralbankkommunikation den Markt unter deutlicheren Druck setzt.
  3. Für Europa erwarten wir, dass die EZB ihre Wertpapierkäufe am Jahresende einstellen wird. Mit Zinserhöhungen rechnen wir jedoch erst in der zweiten Jahreshälfte 2019.

Fazit: Wir prognostizieren weiterhin steigende Zinsen, doch auf kurze Sicht sind die Impulsgeber dafür begrenzt. Es dürfte zunächst eine Konsolidierungsphase einsetzen, bevor die Zinsen weiter nach oben klettern. Das Risiko steigender Zinsen für Aktien hat sich abgeschwächt und wir sehen Anlagechancen in den Schwellenländern sowie in US-Small-Caps.

Nähern wir uns einem Regime hoher Volatilität?

Andrew Wilson: Nein. Nach einem außerordentlich ruhigen Jahr 2017 haben wir eine steigende Aktienvolatilität erlebt. Wir gehen jedoch davon aus, dass die Volatilität in Episoden kommen wird und mit temporären Kursverlusten einhergeht.

  1. Auf kurze Sicht hat der Ausverkauf des S&P 500 im Januar 2018 für ein ausgewogeneres Risikoverhältnis gesorgt, sodass unser Ausblick positiver ist.
  2. Mittelfristig gehen wir von häufigeren Ausverkäufen aus, die aktiven Investmentstrategien Anlagechancen eröffnen.
  3. Der Balanceakt zwischen Fiskal- und Geldpolitik wird höchstwahrscheinlich zu Volatilität führen.

Fazit: Wir erkennen Risiken für weitere Abschwächungen, die die Volatilität periodisch anheben werden. Wir befinden uns aber noch zu früh im Zyklus, um in ein Regime anhaltend hoher Volatilität überzugehen.

Welche Aktiensektoren sind derzeit vielversprechend?

Andrew Wilson: Am Aktienmarkt erscheinen US-Small-Caps und Schwellenländeraktien attraktiv.

  1. Entscheidend ist, welcher Faktor die Zinsen nach oben treibt. Aktien könnten sich weiter gut entwickeln, insoweit höhere Zinsen ein kräftiges Wirtschaftswachstum widerspiegeln, wie es im aktuellen Zyklus zu beobachten ist.
  2. US-Small-Caps haben sich in Phasen steigender Zinsen positiv entwickelt, da sie bei besseren Wachstumsaussichten eine höhere Hebelwirkung verzeichnen. Zudem sind sie durch ihre niedrigeren Dividenden generell weniger anfällig für Zinsentwicklungen.
  3. Unterstützende makroökonomische Fundamentaldaten haben das Gewinnwachstum in den Schwellenländern wiederbelebt, das inzwischen höher ausfällt als das der Industrieländer. Die Bewertungen der Schwellenländer hingegen notieren mit einem Abschlag von 20 bis 25 Prozent.

Fazit: Bei Aktien besteht ausreichend Spielraum, höhere Zinsen zu verkraften, ohne dass es zu einem nachhaltigen Ausverkauf kommt. Das gilt solange, bis die zehnjährigen US-Staatsanleihen 3,5 Prozent erreichen. US-Small-Caps und Schwellenländeraktien sind am besten aufgestellt, um in einem spätzyklischen Umfeld mit höheren Zinsen eine Outperformance zu erzielen.

Wohin entwickeln sich die Anleihemärkte?

Andrew Wilson: Wir rechnen weiterhin mit steigenden Zinsen in den USA und erkennen potenzielle Zugewinne bei Schwellenländerpapieren, da die Weltwirtschaft weiter wächst. Allerdings haben die Makrodaten etwas an Dynamik eingebüßt und die Volatilität wird wahrscheinlich zurückkehren.

  1. Die US-Zinsen werden auf kurze Sicht kaum steigen. Langfristig erwarten wir, dass sich der Aufwärtsdruck auf die US-Zinsen fortsetzt.
  2. Bei Schwellenländeranleihen erkennen wir Wertpotenzial, da sie in den vergangenen Wochen deutlich hinter Unternehmensanleihen zurückgeblieben sind und derzeit mit erhöhten Spreads gegenüber vergleichbaren US-Unternehmensanleihen notieren.
  3. Vor dem Hintergrund steigender Zinsen bevorzugen wir verbriefte Anleihen mit kurzer Laufzeit, die ein attraktives Carry bieten.

Fazit: Wir sind pessimistisch für US-Zinsen, während wir bei den Schwellenländerwährungen dank eines soliden makroökonomischen Umfelds optimistisch sind. Unter den Spread-Sektoren erkennen wir nach der jüngsten Underperformance Wertpotenzial bei Schwellenländeranleihen, bei qualitativ hochwertigen verbrieften Anleihen mit kurzer Duration sowie bei Unternehmensanleihen.

Zusammenfassung

Das Risikoprofil der Märkte hat sich verbessert. Die Konjunkturdaten haben sich dieses Jahr abgeschwächt, sodass die Messlatte für neue positive Wachstumsmeldungen gesunken ist. Durch die gestiegenen Zinsen sinkt das Risiko für weitere rasche Zinserhöhungen. Gepaart mit einem Ausverkauf bei Aktien und Schwellenländeranlagen könnte dies vermehrt zu potenziellen Renditesteigerungen bei Risikoanlagen führen. Jedoch sind die geopolitischen Risiken noch immer hoch und ein unerwartet kräftiger Inflationsanstieg dürfte Marktstörungen nach sich ziehen. Darüber hinaus könnte der Markt Gefahr laufen, am Ende des Zyklus verunsichert zu sein, wenn es zu einer unerwarteten Schwäche der Konjunkturdaten kommen sollte. Es wird deutlich, dass nun, da wir die Phase der wachstumsfreundlichen Politik hinter uns lassen, ein aktiver und flexibler Investmentansatz unerlässlich ist.

Andrew Wilson, CEO für EMEA und Co-Head des Global Fixed Income und Liquidity Management Teams bei Goldman Sachs Asset Management 

Andrew Wilson, CEO für EMEA und Co-Head des Global Fixed Income und Liquidity Management Teams bei Goldman Sachs Asset Management

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]
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