Location Intelligence

Raumbezug mit Nebenwirkungen


Raumbezug mit Nebenwirkungen: Location Intelligence Kolumne

Wer kennt nicht den Ausspruch: "Oh, und falls wir uns nicht mehr sehen: guten Tag, guten Abend und gute Nacht!" So ruft es Truman Burbank beim Abgang aus der künstlichen Welt "Seahaven" im Film "Die Truman-Show" dem Produzenten und "Überwacher" Christof entgegen. Truman entschwindet am Ende einfach aus der Kulisse der schönen heilen Kunstwelt mit einem permanenten 360-Grad-Blick auf den Protagonisten. Im Klartext: Er entzieht sich der Überwachung, der Analyse seiner Person. Ein "Happy End", gerade nach dem Geschmack Hollywoods. Die Realität sieht indes anders aus. In unserer modernen Welt mit Digitalisierung, Überwachung und jeder Menge personalisierter Daten gibt es kein Entkommen, keinen Notausgang. Hier schreibt das Drehbuch nicht Hollywood, sondern federführend sind knallharte wirtschaftliche und politische Interessen. Das heißt, wir alle sind Trumans und mittendrin statt nur dabei in der Big-Data-Welt mit Algorithmen, Analysen und Angeboten.

LI und der Raumbezug

Den Weg zu noch mehr Datenqualität und Analyse ebnen Geoinformationen – sprich die intelligente Verknüpfung von Datensätzen mit raumbezogenen Informationen. Kenner sprechen von Location Intelligence (LI), also der Integration des Raumbezugs in die Analysewelt. Wen wundert es, dass die Analysten von Gartner bereits 2013 im "Hype Cycle for Emerging Technologies" LI als eine der kommenden Lösungen identifizierten. Sehr zur Freude von Internetunternehmen, Konsumgüterherstellern, dem Handel sowie staatlichen Stellen. Diese möchten die Tür zur uneingeschränkten Datenauswertung und -nutzung gerne weiter aufstoßen. Und ganz im Gegensatz zu vielen Kritikern, denen der kleinste Spalt, der einen Blick in die große weite Datenwelt eröffnet, noch zu groß ist.

"Die Dinge, die wir lesen, lesen uns"

"Das Netz, das wir machen, ist nicht das Netz, das wir wollen." Der das sagte, ist Eben Moglen, seines Zeichens Professor für Recht und Rechtsgeschichte sowie passionierter "Netzkritiker". Im Rahmen der im Mai zu Ende gegangenen Internetkonferenz "re:publica 2016" formulierte Moglen seine Befürchtungen: "Es ist ein Netz der Überwachung, des Data-Minings und des Despotismus", so Spiegel Online. Schon 2012 schrieb Zeit Online in einem Beitrag: "Die Dinge, die wir lesen, lesen uns, sagt Moglen. Wir würden bei jedem Schritt beobachtet und verfolgt und es sei das oberste Ziel der Anbieter, diese Daten auszuwerten, um das menschliche Verhalten vorherzusagen". Schwarzmalerei oder längst Realität? Bei dieser Frage gehen die Meinungen weit auseinander. Es treffen Skeptiker und Kritiker auf Befürworter und Verfechter der digitalen Welt mit all ihren Vor- und Nachteilen.

Längst ist ein virtueller Kampf um die vorherrschende Meinung des Pro und Kontra einer durch und durch digitalisierten Welt entbrannt. Die Hauptdarsteller: (Daten-)Unternehmen, Marketingstrategen, Lobbygruppen, Gewerkschaften, Politik, Wissenschaft und Forschung sowie Nichtregierungsorganisationen und Medienkritiker. Ihr gemeinsames Ziel liegt vielfach in der Uneinigkeit mit widersprüchlichen Aussagen, Meinungen und Einschätzungen – je nach Interessenlage im politischen und gesellschaftlichen Kontext.

Digital weggespült

Einig waren sich dagegen die Macher des sogenannten "Cluetrain Manifesto". Sie schrieben einst ihre 99 Thesen zu Märkten und Marketing und leiteten das Pamphlet mit einer Präambel ein: "Online-Märkte ... Vernetzte Märkte beginnen sich schneller selbst zu organisieren als die Unternehmen, die sie traditionell beliefert haben. Mithilfe des Web werden Märkte besser informiert, intelligenter und fordernder
hinsichtlich der Charaktereigenschaften, die den meisten Organisationen noch fehlen." Das war 1999. Zu einer Zeit, als keiner unsere moderne Datenwelt mit ihren vernetzten Strukturen sowie den Möglichkeiten der Interaktion und Analysepotenziale voraussagen konnte. Im Grunde genommen war es ziemlich avantgardistisch, wie die Autoren des Cluetrain Manifesto die Welt von morgen sahen. Und diese radikale Vorausschau der Gruppe an Vorkämpfern hat sich in vielen Teilen ihrer Thesen bewahrheitet. Dort ist unter anderem zu lesen: "Eure überholten Vorstellungen von dem Markt haben eure Sicht vernebelt. Wir erkennen uns in euren Entwürfen der Wirklichkeit nicht wieder – vielleicht, weil wir wissen, dass wir schon
ganz woanders sind."

Weiter heißt es: "Der neue Marktplatz gefällt uns viel besser. Tatsächlich schaffen wir ihn uns nämlich selber." Und die Autoren sollten Recht behalten. Ein Blick auf unsere modernen Märkte zeigt vor allem eins: Digitalisierung, Vernetzung und Datenauswertung. Sprich, wer noch am analogen "Planwagen-Verkaufsdenken" festhält, potenzielle Kunden nach dem Zufallsprinzip einfängt und über eine mangelhafte Informationsgrundlage verfügt, gerät als Unternehmer auf die Verliererstraße. Drastisch formuliert, bedeutet das für die Unternehmen, dass sie digital weggespült werden. Das Cluetrain Manifesto hierzu: "Den traditionellen Unternehmen mögen die vernetzten Gespräche verworren und verwirrend erscheinen. Aber wir organisieren uns schneller, als sie es tun. Wir haben die besseren Werkzeuge, mehr neue Ideen und keine Regeln, die uns aufhalten."

Die neue Qualität des BI-Werkzeugkastens

Apropos Werkzeuge: Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon & Co. haben diese besseren Werkzeuge in Form von Datenanalysen und Auswertungstools. Das Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnologie (SIT) sieht in diesem Zusammenhang "eine Evolution der Werkzeuge, welche die Datenmengen verarbeiten". Und weiter heißt es: "Diese erreichen inzwischen eine Qualität und Komplexität, welche die Möglichkeiten herkömmlicher Datenverarbeitung im Sinne von Datenbankabfragen oder statistischen Übersichten weit übertreffen." Dank der raumbezogenen Komponente der Location Intelligence gewinnt der Business-Intelligence-Werkzeugkasten zusätzliche Qualität. Hintergrund ist, mithilfe des Raumbezugs den Geschäftsprozessen eine neue Dimension zu verpassen und die Frage nach dem "wo" und "warum" zu beantworten. Doch was heißt das konkret? Nun ist die Anwendung der räumlichen Komponente im Grunde keine neue Erfindung, wie die GIS-Systeme und deren vielfältigen Anwendungsbereiche seit Jahren zeigen. Interessant wird die Erweiterung klassischer Business-Intelligence-Werkzeuge um die Frage, warum sich beispielsweise ein potenzieller Kunde am Ort "XY" aufhält. Damit wird BI um mehr als den Faktor "wo" erweitert. Denn dieser bot in der Vergangenheit lediglich grobe Informationen darüber, wo sich die Person auf einer Karte befand. LI verspricht dagegen nach Expertenmeinung mehr. An dieser Stelle werden Fragen beantwortet, warum sich ein Mensch an der Stelle befindet und wonach er unter anderem sucht. Für werbetreibende Unternehmen oder beispielsweise den Handel sind diese Informationen von unschätzbarem Wert – sind sie doch ein entscheidender Wettbewerbsvorteil im Kampf um den Kunden und dessen Vorlieben.

Bei all der digitalen Euphorie mit grenzenlosen Analyse- und Auswertungsmöglichkeiten sollte die Überlegung mitschwingen, wer am Ende des Tages von dem ganzen Hype profitiert. Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, sprach in einem Gastkommentar zu "Erleuchtete Digitalisierung" in der letzten Wochenendausgabe des Handelsblatts (12. bis 14. August 2016) von einem "Plattform-Kapitalismus" durch "große Imperien". Eine Anspielung auf Apple, Google & Co., die wie Monopolisten eines neuen Zeitalters wirken. "Im digitalen Königreich gewinnen immer diejenigen die Hoheit über die Daten, die schon die Hoheit haben", so ein Fazit des Kommentars. Was wohl Truman dazu sagen würde?

Hinweis: Einen weiterführenden PDF-Beitrag zum Thema Location Intelligence finden Interessenten auf den Verlagsseiten von gis.Business.

 

[ Bildquelle Titelbild: © yukipon00 - Fotolia.com ]
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