Opfer von Wirtschaftskriminalität verzichten unnötig auf mehrere Milliarden Euro


Mehrere Milliarden Euro geben deutsche Unternehmen, die Opfer wirtschaftskrimineller Handlungen geworden sind, jedes Jahr unnötig verloren. "Viele Firmenchefs glauben nicht, dass eine Wiederbeschaffung der Vermögenswerte überhaupt möglich ist, vor allem, wenn die Täter im Ausland Scheinfirmen gegründet und dort auch Konten angelegt haben", sagt Bernd Klose. Der Fachanwalt für Insolvenzrecht gilt bundesweit als einer von wenigen Experten mit dem notwendigen Spezialwissen im angelsächsischen Recht, wenn es darum geht, Vermögenswerte in so genannten Offshore-Gebieten – etwa auf den Caymaninseln, den Bahamas, Bermudas oder den britischen Jungferninseln – zu ermitteln, sicherzustellen und den betrogenen Unternehmen zurückzubringen. Im Durchschnitt konnte er 60 bis 70 Prozent der entwendeten Gesamtsumme wiederbeschaffen. Bei seiner Arbeit stützt er sich auf ein weltweites Netzwerk: Klose ist einziger deutscher Repräsentant von fraudNet, einer unter dem Dach der Internationalen Handelskammer in Paris angesiedelten Organisation von führenden Rechtsanwälten in der Betrugsbekämpfung.

Der Buchhalter geht zum Chef und teilt ihm mit, dass zehn Millionen Euro in der Kasse fehlen." So beginnt laut Klose (Bild) ein klassischer Fall. Doch der Chef weiß nicht, wo das Geld geblieben ist, er hat keinen Beleg oder nur einen verdächtigen Beleg. Danach starten meistens firmeninterne Ermittlungen mit Controllern, Anwälten und dem Haussicherheitsdienst. Schließlich wendet sich das Opfer an die heimische Staatsanwaltschaft, die neben der Täterverfolgung nach der Strafprozessordnung auch für die Rückgewinnungshilfe (§§ 111b ff StPO), also die Sicherung der entzogenen Vermögendwerte, zuständig ist. Im Vergleich zu den staatlichen Behörden, kann Klose schneller agieren. Sein Interesse gehört primär dem Vermögen des Opfers: "Was ich mache, ist in Deutschland wenig bekannt und wird für kaum möglich gehalten.", berichtet Klose. Wie der Fachmann genau vorgeht, hängt vom einzelnen Fall ab

Geht es um Wirtschaftskriminalität, ist es schwierig exakte Zahlen zu erhalten. "Die Dunkelziffer ist extrem hoch", sagt Klose. Unter anderem aus Imagesorgen würden viele Unternehmen die Schäden vor der Öffentlichkeit geheim halten. "Dabei besteht die wirkungsvollste Abschreckung vor Betrug gegen Unternehmen gerade darin, dass die Unternehmen nicht bereit sind, betrügerische Handlungen zu dulden und dem Grundsatz folgen, dass Betrug sich nicht lohnen darf", so der Jurist. Die Dunkelziffer wird von Wirtschaftsprüfern dennoch auf bis zu 80 Prozent geschätzt. Damit kämen auf jeden entdeckten Fall vier unentdeckte.

Erfasster Gesamtschaden liegt bei 4,2 Milliarden Euro

Das Bundeskriminalamt (BKA) registrierte 2005 bundesweit knapp 90.000 Fälle. Der erfasste Gesamtschaden lag bei 4,2 Milliarden Euro. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers von 2005 war jedes zweite Großunternehmen in Deutschland in den drei Jahren zuvor Opfer eines Wirtschaftsdelikts. Über Fälle mit Auslandsbezug gibt es keine eigene Statistik, aber: "Bei Ermittlungsverfahren wegen Betrug und Korruption hat praktisch jeder größere Fall Auslandsbezug, teils schon bei den Tathandlungen selbst, teils bei den Geldflüssen und dem Vermögenstranfer", sagt Manfred Nötzel, Leitender Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft München.

Zwar haben die deutschen Justizbehörden die Möglichkeit, auf Basis des Europaratsübereinkommens Nr. 141 im Zuge der Rechtshilfe auf Vermögen im Ausland zuzugreifen. Darin haben sich die Unterzeichnerstaaten zur gegenseitigen Unterstützung beim Aufspüren und der Sicherung von Vermögenswerten verpflichtet. Außerdem können die Ermittler auf die Unterstützung von Eurojust, einer EU-Behörde mit Sitz in Den Haag, zählen, aber: "Das kontinentaleuropäische Rechtssystem stößt an seine Grenzen, wenn die Vermögenswerte ins nicht europäische Ausland transferiert wurden", sagt Klose. Die staatlichen Ermittler sind bei wirtschaftskriminellen Fällen mit Auslandsbezug häufig überfordert. Allein die Übersetzungsarbeit für die Rechtshilfeabkommen nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Az.: 5 Str 119/05) vom 2. Dezember 2005 heißt es: "Nach Erfahrung des Senats kommt es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsverfahren dazu, dass eine dem Unrechtsgehalt schwerwiegender Korruptions- und Steuerhinterziehungsdelikte adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgen kann, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen."

Ursache für viele Probleme bei Fällen mit Auslandsbezug sind die unterschiedlichen Rechtssysteme. Während in Kontinentaleuropa das Rechtssystem auf dem "Römischen Recht" basiert, gilt gerade in den Offshore-Gebieten "Angelsächsische Recht", das sich zwar von Land zu Land unterscheidet, aber im Kern auf englischem Recht basiert. Während in Deutschland die Staatsanwaltschaft Exekutiv-Hoheit auch bei Betrugsdelikten mit zivilrechtlichem Schaden hat, fallen in Ländern mit Angelsächsischem Recht Maßnahmen zur Rückgewinnungshilfe bei Wirtschaftsbetrug unter das Zivilrecht. "Im deutschen Rechtssystem steht die Wiedererlangung der entzogenen Vermögenswerte zwar nicht hinten an. Die Priorität liegt aber zunächst bei der Fahndung nach dem Täter und es fehlt das Verständnis des grundlegend anders arbeitenden angelsächsischen Rechts", kritisiert Klose.

Nach Angaben von Oberstaatsanwalt Manfred Nötzel ist in Offshore-Gebieten neben dem nicht so geläufigen Rechtssystem und den sprachlichen Barrieren auch die Herstellung von persönlichen Kontakten für die staatlichen Ermittler eine Herausforderung. Laut Barbara Hübner, einer Pressesprecherin des Bundeskriminalamts, tauchen Probleme vor allem durch die zum Teil fehlende Kompatibilität der jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen in den ausländischen Staaten auf. "Ferner wird eine effektive Vermögensabschöpfung mitunter durch unterschiedliche Zuständigkeiten im Bereich der Vermögensabschöpfung erschwert", so die BKA-Sprecherin.

Hochintelligente Täter

Laut Klose kommen viele Firmen über die Staatsanwaltschaft nicht weiter und geben ihr Geld auf.  Doch trotz der weltweit unterschiedlichen Rechtssysteme seien die Opfer von Vermögensstraftaten nicht schutzlos: " In unterschiedlicher Form existieren weltweit Rechtsbehelfe, die es den Opfern solcher Straftaten ermöglichen, die ihnen entzogenen Vermögenswerte wieder zu erlangen." Die Arbeit beginnt für Klose vom Schreibtisch seiner Kanzlei im hessischen Friedrichsdorf aus. "Häufig sind die Täter Mitarbeiter des geschädigten Unternehmens, nicht selten sitzen sie sogar im Management", berichtet der Jurist aus Erfahrung. Das seien mitunter ganz gewöhnliche Familienväter, die sonntags in die Kirche gingen. In der Regel sei der angerichtete Schaden umso höher, je höher die Stellung des Täters im betroffenen Unternehmen ist. "Die Täter sind hochintelligent und gesellschaftlich perfekt angepasst." Auch deshalb landen die veruntreuten Firmengelder häufig bei Scheinfirmen, die ihren Sitz in den Offshore-Gebieten haben.

Aber auch bei diesen vermeintlich sicher geltenden Verstecken, den Offshore-Standorten, haben Opfer eine Chance wieder an ihr Geld zu kommen. Bei seiner Arbeit greift der Jurist häufig zu Rechtsbehelfen, wie die so genannten Norwich Pharmacal Order (Information Injunction), der Anton Piller Order (Search Order) und die Mareva Order (Freezing Injunction). Selbst den meisten Anwälten in England sind die Rechtsbehelfe in der Form, wie sie Klose anwendet, nur in Grundzügen bekannt.

Vermögen des Täters kann weltweit beschlagnahmt werden

Die Täter greifen natürlich nicht selbst in die Firmenkasse, sondern gründen über einen Firmengründungsservice eine Briefkastenfirma. Das ist nicht schwer: "Über Computer und Internet beträgt der zeitliche Aufwand gerade mal zehn Minuten", sagt Klose. Zunächst einmal prüft der Jurist, ob die Firma schon aufgelöst ist oder rechtlich noch existiert. Das wiederum ist gar nicht so leicht, denn in vielen Offshore-Zentren gibt es kein öffentliches Firmenregister, womit die Anonymität der Firmeninhaber und Direktoren vorerst einmal gewahrt bleibt. Hat die Firma zum Beispiel ihren Standort auf den Cayman Islands, beantragt Klose zur Beweissicherung vor dem örtlichen Gericht, dem High Court, eine Norwich Pharmacal Order. Kann Klose den Richter mit seinen Unterlagen und Argumenten überzeugen und gibt das Gericht seinen Anträgen statt, müssen sowohl der Registrierungsagent, wie auch die Bank sämtliche Unterlagen und Informationen, die sie in diesem Fall haben, an Klose weiterleiten. Mit Hilfe der Anton Piller Order kann Klose sogar auf Verfügung des High Court ohne Anhörung der Gegenpartei das Büro und die Wohnräume des vermutlichen Täters durchsuchen und Beweismittel beschlagnahmen.

Mit der Mareva Order, die ebenfalls beim High Court beantragt werden muss, kann Klose schließlich das gesamte Vermögen des Täters weltweit beschlagnahmen. Was sich theoretisch leicht anhört, ist in der Praxis äußerst kompliziert. Schließlich muss der Richter aus den Informationen und Unterlagen, die Klose im Vorfeld zusammengetragen hat, erkennen, dass eine Straftat vorliegt. "Das benötigt einiges an Vorbereitungszeit und nimmt viel Abstimmungsarbeit mit den Kollegen, die den Fall im Ausland vertreten, in Anspruch", so der Fachmann.

All diese gerichtlichen Anordnungen werden in der Regel durch die Gerichte ohne jede Anhörung des Gegners erlassen, um den Täter nicht zu warnen. Selbst die Empfänger der gerichtlichen Verfügungen wie Banken und Registrierungsagenten wird es durch das Gericht verboten, mit dem Täter Kontakt aufzunehmen. "Verstöße gegen dieses gerichtliche Verbot führen zu drakonischen Strafen", berichtet Klose. Spätestens wenn das Vermögen durch den Jurist beschlagnahmt ist, kommen die sonst so scheuen Täter aus ihrer Deckung. Meistens nicht allein, sondern mit ihren ebenfalls bestens vorbereiteten Anwälten, die wiederum versuchen die Vermögenswerte für ihre Klienten zu sichern. Sollte der Täter kalte Füße bekommen haben und sich nicht aus der Deckung trauen, beantragt Klose die Liquidation, also die Insolvenz der Scheinfirma. Dabei wird der örtliche Insolvenzverwalter durch den High Court bestellt. Selbst bei Fällen, in denen die Gesellschaft ihren Sitz in einem Offshore-Standort hat und ihre Bankverbindung in einem anderen Offshore-Standort, weiß der Experte Rat: Über die Regeln des Internationalen Insolvenzrechts kann auch der in einem Offshore-Standort bestellte Liquidator in anderen Ländern tätig werden.

Ermittler kämpfen gegen die Zeit

Bei der Fahndung nach den Vermögenswerten spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle. Sobald der Täter an seinem Fluchtort Wind von den Ermittlungen bekommt, versucht er die Vermögenswerte für sich zu retten, meistens indem er die geprellten Firmengelder auf ein anderes oder mehrere Konten verschiebt. "Wenn Gerüchte auftauchen, dann werden die Täter aufmerksam", sagt Birgit Galley, Direktorin am Institute Risk & Fraud Management der Steinbeis-Hochschule in Berlin. Die Täter seien extrem gut vernetzt, mitunter zähle jede Stunde um das Geld sicherzustellen. Der Weg über die Staatsanwaltschaft dauert aber bei Fällen, in denen das Geld vom Täter in das Ausland außerhalb Europas geschafft wird, grundsätzlich immer länger, weil sämtliche Vorgänge über die Generalstaatsanwaltschaft, über das Justizministerium und die Botschaft laufen.


 

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