Deutschland rüstet sich

Neue zivile Verteidigung


Neue zivile Verteidigung: Deutschland rüstet sich Kolumne

"Auf den Notfall vorbereit sein!" lautet ein Video des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Der Film zeigt, wie man sich auf Notfälle vorbereiten kann. Da sitzt der Hauptdarsteller Christoph Biemann (bekannt aus der Sendung mit der Maus) am rustikalen Holztisch und liest. Das Licht fällt aus und er fragt: "Was ist da los?" Eine gute Frage, die den Zuseher der bizarren Szenerie an die Lach- und Sachgeschichten erinnert. Biemann schläft schlecht, geht am nächsten Tag Wasser und Lebensmittel einkaufen und füllt den Verbandskasten auf. Flankierend warnt das Bundesamt auf den eigenen Seiten: "Ist ein Notfall erst eingetreten, ist es für Vorsorgemaßnahmen meist zu spät. Wenn es brennt, müssen Sie sofort reagieren. Wenn Sie und Ihre Familie evakuiert werden müssen, können Sie nicht erst beginnen, Ihr Notgepäck zu packen. Wenn der Strom für Tage ausfällt, sollten Sie einen Notvorrat im Haus haben." Empfohlen wird unter anderem "Essen und Trinken bevorraten" und "Gepäck für den Notfall". Nun im Ernst und nochmals die Frage: Was ist da los? Eine klare Antwort muss lauten: Ein durchdachter Zivil- und Katastrophenschutz sieht anders aus.

Konzept "Zivile Verteidigung"

Dies sieht auch Heribert Prantl, seines Zeichens Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und Leiter des Ressorts Innenpolitik, wenn er schreibt: "Der Katastrophen- und Zivilschutz in Deutschland ist in schlechtem Zustand. Ihn als halbkatastrophal zu bezeichnen ist kein billiges Wortspiel, sondern Tatsache." Zu einer ähnlichen Bewertung dürften die politisch Verantwortlichen wohl selbst gekommen sein. Grund genug, den  Zivil- und Katastrophenschutz zu überdenken und sich auf die verändernden  Gefahrensituationen einzustellen. Denn neue geo- und sicherheitspolitische Spannungsfelder drängen die Zivil- und Katastrophenschützer zum Handeln.

Nicht umsonst hat daher gestern Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Christoph Unger, das neue Konzept "Zivile Verteidigung" (KZV) vorgestellt. Zu dem Dokument heißt es: "Die Konzeption Zivile Verteidigung ist das konzeptionelle Basisdokument für die ressortabgestimmte Aufgabenerfüllung im Bereich der Zivilen Verteidigung und zivilen Notfallvorsorge des Bundes. Sie beschreibt Zusammenhänge und Prinzipien und macht Vorgaben für die künftige Ausgestaltung einzelner Fachaufgaben." Das klingt sperrig. Ein Blick in das Dokument verrät, dass die Bevölkerung Trinkwasser und Lebensmittel vorhalten soll. "Die Bevölkerung soll durch geeignete Maßnahmen angehalten werden, zur Eigen-/ Erstversorgung bis zur Installation staatlicher Einzelmaßnahmen für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Wasser pro Person und Tag in nicht gesundheitsschädlicher Qualität vorzuhalten", so das Dokument. Und weiter heißt es: "Die Bevölkerung wird angehalten, einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln für einen Zeitraum von zehn Tagen vorzuhalten, um durch entsprechende Eigenvorsorge die staatlichen Maßnahmen zu unterstützen."

Das aktuell in den Medien hochkochende Thema der "Hamsterkäufe" ist nicht neu. So warnt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf den eigenen Seiten: "Über mögliche Versorgungsengpässe macht sich kaum noch jemand Gedanken. Auf eine private Vorratshaltung wird vor allem in den städtischen Haushalten in der Regel verzichtet." Und das Ministerium führt fort: „Dabei gibt es neben einem zum Glück heutzutage bei uns sehr unwahrscheinlichen Kriegsszenario auch zahlreiche friedenszeitliche Krisensituationen, die zu einer Verknappung von Lebensmitteln und damit zu Versorgungsengpässen führen können. Hierzu zählen z.B. Naturkatastrophen (z.B. Hochwasser), Tierseuchen (z.B. MKS) oder schwere Unglücksfälle in großtechnischen Anlagen (z.B. Kernreaktorunfälle)." Der "mdr" zitiert in diesem Zusammenhang die Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums, Friederike Lenz, mit den Worten: "Das ist insofern nichts Neues" (…)"Wir informieren darüber schon seit Jahren." Darüber hinaus sei der Eindruck der Panikmache falsch, wie es aus dem Bundesinnenministerium heißt. Vielmehr sei das KZV-Dokument der zivile Gegenpart zur "Konzeption der Bundeswehr" (KdB). "Beide Dokumente gemeinsam sollen als Grundlage für eine Novelle der Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung (RRGV) dienen."

Von Zuständigkeiten und neuen Gefahren

Nach Ausführungen des KZV sind Bund und Länder in den Katastrophenschutzprozess unterschiedlich und mit verschiedenen Kompetenzen eingebunden. Hierzu heißt es: "In einigen Bereichen der Daseinsvorsorge räumt die Verfassung dem Bund eine (ausschließliche oder konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz ein." Und weiter: "Gesetzgebung und Verwaltung im Bereich der Vorsorge für Katastrophen im Frieden sowie deren Bewältigung obliegen den Ländern. Soweit der Bund für seine Aufgaben in der Zivilen Verteidigung und der Notfallvorsorge eigene Ressourcen vorhält, kann er hiermit im Inland subsidiär und aus den bestehenden Strukturen heraus nach Maßgabe des Artikels 35 GG Amts- und Katastrophenhilfe zugunsten der Länder leisten." Das ist mehr Durcheinander und führt am Ende zu einem Zuständigkeits-Wirrwarr. Eine durchdachte und gut strukturiere Lösung sieht anders aus. Zu diesem Ergebnis kommt auch Heribert Prantl: "Die Malaise beginnt damit, dass nicht richtig klar ist, wer eigentlich wofür zuständig ist. Gewiss: Der Katastrophenschutz liegt in der Kompetenz der Länder, der Zivilschutz in der des Bundes. Aber was das im Einzelnen bedeutet, ist unklar. Die Zusammenarbeit von Bund und Bundesländern miteinander und untereinander sind unbefriedigend geregelt; es gibt ein Durcheinander von Führungsstrukturen und Kommunikationslinien. Gäbe es die Sirenen noch, die nach dem Kalten Krieg abgebaut wurden: Sie müssten heulen."

Was darüber hinaus aus dem Konzept ersichtlich wird, ist eine Reaktion auf die sich verändernde Bedrohungslage. Wörtlich heißt es hierzu: "Die KZV folgt deshalb der Bedrohungseinschätzung der Bundesregierung, wie sie im  Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr beschrieben ist." Neben der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und dem Terror zählen hierzu vor allem Angriffe im Cyberraum. Hierzu gehören auch konventionelle Waffen sowie der Ausfall oder die Störung von Kritischen Infrastrukturen. Als einen wesentlichen Punkt sehen die Verfasser "hybride Bedrohungen". "Netzpolitik.Org" schreibt hierzu: "Der nicht definierte Begriff der „hybriden Bedrohungen“ ist eine Wortschöpfung des 21. Jahrhunderts. Gewöhnlich wird damit eine Form der Kriegsführung gemeint, die unterhalb der Schwelle des Einsatzes militärischer Gewalt agiert und einen Gegenschlag auf Basis internationaler Konventionen erschwert." Als Beispiel nennt das Portal die Annexion der Krim durch Russland.

Festzuhalten bleibt, dass sich die veränderte geopolitische Lage verstärkt in den Zivil- und Katastrophenschutzplänen der politisch Verantwortlichen widerspiegelt. Der Kurs ist klar und verheißt nichts Gutes nach Jahren der Entspannung. Bezeichnend ist in diesem Kontext das Hervorheben der transatlantischen Partnerschaft im Rahmen der NATO als "eine der zentralen Grundlagen für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit für die Sicherheit und Verteidigung Deutschlands und seiner Verbündeten." Und weiter heißt es: "Bündnisverteidigung ist deshalb Landesverteidigung im erweiterten Sinne." Deutschland rüstet sich – auch sprachlich.

[ Bildquelle Titelbild: © magele-picture - Fotolia.com ]
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