Die Geschichte ist noch nicht zu Ende

Marktversagen beim Brexit


Marktversagen beim Brexit: Die Geschichte ist noch nicht zu Ende Kolumne

Eine der größten Überraschungen der letzten Zeit war der Brexit. Nicht nur haben die meisten das Ergebnis des Referendums falsch eingeschätzt. Sie haben sich auch bei den Folgen für die Märkte getäuscht. Monatelang haben wir uns gegrämt, was alles passieren würde, wenn sich die Briten für den Austritt aus der EU entscheiden würden. Der Brexit galt als eines der großen Risiken der Weltwirtschaft. Manche fürchteten, dass die gesamte EU auseinanderbrechen könnte. Andere hatten Parallelen zur Finanzkrise nach dem Lehman-Debakel 2008 im Kopf. In jedem Fall würde Großbritannien tief in die Rezession stürzen.
Nichts davon ist bisher eingetreten. Was passiert ist, ist ein Einbruch der Konjunktur in Großbritannien. Das lässt sich aber mit entsprechenden geldpolitischen Lockerungen, vielleicht auch mit mehr "Deficit Spending" auffangen. Im Euroraum zeigen sich leichte Bremsspuren, weniger als gedacht. Hier muss die Wirtschaftspolitik vielleicht überhaupt nicht gegensteuern. Im Rest der Welt gibt es kaum Wirkungen. Man kann wieder zur Tagesordnung übergehen.

Vorsprung der Briten: Wachstumsraten von UK und Euroraum [Quelle: IWF]

Dass das alles so reibungslos über die Bühne ging, lag vor allem am unerwartet guten Management der Politik im Königreich. Der Premierminister trat sofort zurück. Seine Nachfolgerin wurde schneller ernannt als gedacht. Sie hat nicht lange gefackelt, sondern von Anfang an entschieden: Brexit heißt Brexit und wird auch so umgesetzt. Sie hat das Gespräch mit den wichtigen Partnern ohne Zögern und unaufgeregt aufgenommen. Mir fallen wenige Länder ein, denen ich zutrauen würde, ähnlich pragmatisch und entschlossen vorzugehen. Stellen Sie sich nur vor, wie das in Deutschland gewesen wäre. Die Finanzmärkte haben darauf außerordentlich positiv reagiert.

Wir sollten uns jedoch nicht zu früh freuen. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Das dicke Ende kann noch kommen. Einmal wissen wir noch nicht, was bei der Konjunktur noch alles an Zweit- und Drittrundeneffekten kommen kann. Zum anderen muss der Brexit umgesetzt werden. Vorsicht ist also weiter angebracht.

Grundsätzlich gibt es für die Umsetzung des Brexit zwei Möglichkeiten. Die eine ist ein "Brexit Light". Das ist das naheliegendste und daran denken heute die meisten. Danach würden die Briten versuchen, so viel wie möglich vom Zugang zum Binnenmarkt zu retten, ohne auf die gewünschte Beschränkung des Zuzugs von Ausländern zu verzichten. In diesem Fall würde sich Großbritannien wirtschaftlich gesehen in der Tat schlechter stellen. Es profitierte weniger vom Binnenmarkt und es könnte die Regeln im Binnenmarkt nicht mehr mitbestimmen. Dafür hat es weniger Migranten und mehr politischen Handlungsspielraum.
Es könnte aber erneut auch ganz anders kommen. Briten sind bekanntlich oft etwas kreativer und kommen auf unkonventionellere Ideen. Wir vergessen oft, dass die britische Wirtschaft in den letzten Jahren außerordentlich stark war. Sie ist in den letzten 25 Jahren real um 0,7 % p. a. schneller gewachsen als der Euroraum. In 19 von 25 Fällen war die Expansion in UK größer (siehe Grafik). Hier ist also Potenzial für Wachstum vorhanden.

Es könnte genutzt werden, um das Land selbstbewusst auf eigene Beine zu stellen. Ohne die oft strengen Brüsseler Regulierungen könnte man vielleicht eine neue marktwirtschaftliche Ordnung verwirklichen mit mehr unternehmerischen Freiheiten, mehr Flexibilität, Dynamik und Innovation. Dabei könnten niedrigere Unternehmenssteuern, Verbesserungen bei der Infrastruktur und natürlich das abgewertete Pfund helfen. Ein solches Großbritannien könnte auch für internationale Investoren interessant sein. Sie bekommen in UK zwar keinen direkten Zugang zum Binnenmarkt mehr. Sie haben dafür aber bessere Arbeitsbedingungen.
Auch der Finanzplatz London müsste in einem solchen Szenario nicht zu den Verlierern gehören. Es entfällt zwar ein Teil des Geschäfts mit dem Kontinent. Das könnte aber durch den Ausbau des weltweiten Finanzgeschäfts kompensiert werden. London könnte sich neben Hongkong, Singapur und New York als globaler Finanzplatz profilieren. Es hat eine günstigere Zeitzone, Englisch als Muttersprache und eine große Zahl hochprofessioneller Banker.

Ob eine solche radikale Wende gelingt, ist natürlich höchst unsicher. Sie erforderte von der Politik eine Kehrtwende, die an die Thatcher-Reformen in den 80er Jahren erinnert. Die Wirtschaft müsste eine gewaltige Kraftanstrengung vollbringen und Industrien wieder aufbauen, die vor Jahren wegen mangelnder Rentabilität geschlossen wurden. Sie dürfte nicht in die Lethargie zurückfallen, die es wegen mangelnden Wettbewerbsdrucks vor dem Beitritt Englands in die Gemeinschaft gab. Schließlich müssten die Partner Großbritanniens auf dem Kontinent "mitspielen". Auch das ist nicht selbstverständlich. Eine Abwertung des Pfundes sowie eventuell Senkungen der britischen Unternehmenssteuern tun den anderen weh. Zudem: Wenn Großbritannien mit seinem Alleingang erfolgreich ist, könnte mancher auf dem Kontinent neidisch auf die Insel werden. Das würde europakritischen Tendenzen in der EU weiteren Auftrieb geben.

Für den Anleger

Noch wissen wir nicht, wohin der Brexit uns noch führen wird. Es kann noch viele Überraschungen geben. Es ist daher noch zu früh, über die Konsequenzen für die Anlage nachzudenken. Man sollte sich jedoch genau anschauen, wie sich die Unternehmen in UK, auf dem Kontinent und weltweit auf den Brexit einstellen. Es könnte sein, dass sich hier – auf der Mikroebene – ganz neue Chancen ergeben. Wenn Sie in Großbritannien investieren sollten, seien Sie aber vorsichtig mit dem Wechselkurs. Wenn eines sicher ist, dann ist es, dass das Pfund in Zukunft schwächer sein wird.

Autor:

Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.

[ Bildquelle Titelbild: © 7razer - Fotolia.com ]
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