Brexit

Ruhe vor dem (Insolvenz-)Sturm


Brexit: Ruhe vor dem (Insolvenz-)Sturm News

Die britische Wirtschaft zeigt sich nach dem EU-Referendum derzeit noch recht stabil und täuscht so über die langfristigen Konsequenzen des EU-Austritts hinweg, die das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hemmen. Die Profitabilität der Unternehmen gerät zunehmend unter Druck. Zudem verschlechtert sich die Zahlungsmoral zunehmend und bei den Insolvenzen zeichnet sich eine Trendwende ab. Zu diesem Schluss kommt der weltweit führende Kreditversicherer Euler Hermes in einer aktuellen Marktanalyse.

Großbritannien: Ruhe vor dem Insolvenz-Sturm

"Der Wendepunkt lässt sich sogar genau bestimmen: Seit dem zweiten Quartal haben Insolvenzen in Großbritannien angezogen", sagte Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Zuvor waren die Fallzahlen vier Jahre in Folge rückläufig. Zwar hat sich das Risiko einer Rezession durch die schnelle Benennung der neuen Premierministerin sowie durch die effiziente Nutzung der Geldpolitik verzögert, vom Eis ist die Kuh aber noch lange nicht. Die Zukunftsaussichten und die Attraktivität für künftige Investitionen aus dem Ausland haben bereits durch die Brexit-Unsicherheit und die möglichen Austrittsszenarien gelitten. Derzeit ist das wohl die Ruhe vor dem Insolvenz-Sturm."

Politische Anhaltspunkte oder Leitlinien für die Wirtschaft könnten helfen. So lange diese weiterhin unklar sind und die Unternehmen keine Planungssicherheit haben, wird der Sturm kaum aufzuhalten sein.

Vertrauen der Investoren leidet – aber Wirtschaft insgesamt bis Austritt relativ robust

"Investitionen basieren auf Vertrauen – und die derzeitige Unsicherheit ist quasi der böse Gegenspieler des Vertrauens", sagte Van het Hof. "Die Wirtschaft insgesamt wird aber vermutlich auch weiterhin relativ robust bleiben – jedenfalls bis zum effektiven EU-Austritt."

Dieser könnte 2019 stattfinden, wenn man von Austrittsverhandlungen ab März 2017 ausgeht.
"Obwohl die Wirtschaft recht widerstandsfähig ist, steigt das Risiko schon jetzt, sowohl im Inland als auch für Exporteure aus dem Ausland", sagte Van het Hof. "Unternehmen brauchen Planungssicherheit. Sie müssen dabei künftige Risiken berücksichtigen und genau verstehen, inwiefern der Brexit genau ihr Geschäftsmodell negativ beeinflussen könnte. Wenn investitionsintensive Branchen bei wichtigen Entscheidungen jetzt auf der Stelle treten, könnte das in der Zukunft weniger Produktionsmengen und Jobs bedeuten."

Dies betrifft vor allem Branchen wie die Luftfahrt, das Baugewerbe, die Metallindustrie und Automatisierung. Kapitalintensive Industrien wie beispielsweise der Automobilsektor sowie die Chemie- und Papierbranche merken jetzt schon die steigenden Kosten.

Investitionsstau: Übernahmen und Fusionen liegen vermehrt auf Eis

"Zudem führt die Unsicherheit zu einem Investitionsstau bei Fusionen und Übernahmen", sagte Ludovic Subran, Chefvolkswirt der Euler Hermes Gruppe. "Um ganze 30 Prozent sind in den vergangenen zwölf Monaten die Transaktionen gestiegen, die derzeit auf Eis liegen. Viele Unternehmen warten auf den formellen Beginn der Austrittsverhandlungen, bevor sie anfangen, ihre Planungen für Arbeitsplätze und Investitionen anzupassen."

Die Talfahrt des Britischen Pfund (GBP) bringt dortige Unternehmen in eine teilweise schwierige Lage: Ein hoher Anteil an Komponenten für viele Produkte, die in Großbritannien gefertigt werden, müssen importiert werden – das führt zu einem steigenden Druck auf Kosten und Preise und schmälert jegliche Vorteile für Exporteure. Zudem ist die Abwertung noch nicht das Ende der Fahnenstange. Euler Hermes erwartet einen weiteren Kollaps des Pfunds, das sogar 2018 mit dem Euro gleichziehen dürfte.

Talfahrt des Pfunds drückt auf Unternehmensgewinne – Zahlungsverzögerungen steigen an

Der Druck auf die Cashflows und Gewinne der Unternehmen wirkt sich vermutlich noch weiter negativ auf das Zahlungsverhalten britischer Unternehmen aus. Wertet das Pfund ab und verlangsamt sich die Wirtschaft sukzessive, versuchen die Firmen, ihr Working Capital zu erhalten. Sie handeln mit Lieferanten längere Zahlungsziele und bessere Zahlungsbedingungen aus.

In einigen Branchen ist dies bereits sichtbar: Die Zahlungsverzögerungen sind im 2. Quartal 2016 beispielsweise in der Papierindustrie um 42 Prozent gestiegen, im Dienstleistungssektor um 38 Prozent, im Baugewerbe um 37 Prozent und in der Textilbranche um 34 Prozent. Branchenübergreifend verzeichnete Großbritannien einen Anstieg der Zahlungsverzögerungen um 4 Prozent. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel: Im Einzelhandel, in der Transportbranche und im Lebensmittelsektor waren verspätete Zahlen rückläufig.

Insolvenz-Sturm in Sicht: 2017 erwartet Euler Hermes 8 Prozent mehr Pleiten

Die Konsequenzen der Zahlungsverzögerungen auf Insolvenzen in Großbritannien würden sich im Falle eines "Hard Brexit" gleich doppelt negativ manifestieren. Für 2016 erwarten die Euler Hermes Experten rund 20.000 Insolvenzen. Das ist ein Anstieg von voraussichtlich 1 Prozent gegenüber 2015. 2017 allerdings dürfte es einen sprunghaften Anstieg um 8 Prozent auf rund 21.800 Fälle geben und weitere +6 Prozent in 2018 auf 23.100 Pleiten. Hauptgrund: die Brexit-Unsicherheit.

"2019 kommt es dann auf das Ausstiegsszenario an", sagte Subran. "Bei einem weichen Ausstieg mit Freihandelsabkommen rechnen wir mit einem weiteren Plus von 9 Prozent auf dann 25.170 Fälle. Beim harten Ausstieg wären es sogar voraussichtlich 15 Prozent mehr Pleiten und dann 26.570 Fälle. Dieser Anstieg wird zu einem schlechteren Geschäftsklima und einem Rückgang der Inlandsnachfrage führen."

Profitabilität außerhalb des Finanzsektors sinkt seit 2015

"Die derzeit überraschende Robustheit der britischen Wirtschaft täuscht demnach über zahlreiche vorhandene Probleme hinweg", ergänzte Subran. "Die Profitabilität der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors sinkt seit 2015. Überwiegend mit Fremdkapital finanzierte Branchen und Unternehmen sind besonders anfällig für externe Schocks. Hinzu kommen die Risiken der steigenden Zahlungsverzögerungen und Insolvenzen sowie eine Überschuldung der Verbraucher. Unsicherheit bezüglich des EU-Austritts sind nur ein Katalysator für die bereits bestehenden und wachsenden Probleme."

2017: Prognose von BIP nach unten korrigiert: +0,7 Prozent statt bisher +1 Prozent
Ab 2017 spielen diese negativen Aspekte nach Ansicht von Euler Hermes eine größere Rolle. Der Kreditversicherer hat entsprechend seine Prognose beim britischen BIP nach unten korrigiert. Statt wie bisher 1 Prozent Wachstum, erwartet Euler Hermes nur noch ein minimales Plus von 0,7 Prozent in 2017. Weitere Wellen der Nervosität sind nächstens Jahr auf dem Programm, wenn der Austrittsprozess startet.

[ Bildquelle Titelbild: © nito - Fotolia.com ]
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