RMA Jahreskonferenz 2009

Das Risiko, ein Risiko falsch einzuschätzen


News

Trotz (oder vielleicht sogar wegen?) der anhaltenden Wirtschaftskrise konnte die Risk Management Association e. V. bei ihrer vierten Jahreskonferenz die Teilnehmerzahl abermals steigern: Am 24./25. November trafen sich mehr als 130 Risikomanager aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Ismaning bei München, um sich über aktuelle Entwicklungen zu informieren und ihr Netzwerk zu pflegen und auszuweiten. Ganz im Sinne des Rahmenthemas der Veranstaltung "Mit Risikomanagement erfolgreich aus der Krise" beschränkten sich die Beiträge der Referenten hierbei nicht auf die Ursachenanalyse der Finanzkrise. Vielmehr wurde anhand von modernen theoretischen Ansätzen und zahlreiche Praxisbeispielen aufgezeigt, wie das Risikomanagement als zentrales Instrument zur Sicherung und Steigerung des Unternehmenswertes eingesetzt werden kann.

Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität FreiburgProf. Dr. Bernd Raffelhüschen (Foto), Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, setzte sich in seinem Vortrag "Demographiekrise – Bankenkrise – Staatskrise" mit Schulden auseinander, die man sieht und solchen, die man nicht sieht. Die offizielle Verschuldung betrug laut Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler 1.613.041.122.272 Euro (als ich diese Zeilen schreibe sind es bereits 1.644.140.939.080 Euro bzw. pro Kopf 20.036 Euro). Das sind 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Staatsverschuldung Deutschlands wächst dramatisch. Doch der offizielle Schuldenstand, so Raffelhüschen, spiegelt nur die halbe Wahrheit wider, da die zukünftigen Belastungen des Rentensystems, der Beamtenversorgung sowie des Gesundheits- und Pflegesystems in den Zahlen nicht enthalten sind. So rechnete der Finanzexperte vor, dass um unrealistisch optimistischen Fall die Schulden tatsächlich 5.000.000.000.000 Euro betragen und im realistisch optimistischen Fall 9.000.000.000.000 Euro.

Wir leben immer stärker auf Kosten unserer Kinder und Enkel.

Mit einigen gängigen Thesen zur Finanzkrise räumte Raffelhüschen auf. Seiner Ansicht nach wird die  Finanzkrise allgemein überschätzt. Und sie wird hysterisch geredet. Vor allem von den Medien, die wohl nur mit einer Schwarmintelligenz ausgestattet seien, so der Finanzexperte. Fische, die im Schwarm unterwegs sind, benötigen nur ein Kurzzeitgedächtnis von wenigen Sekunden, um dem Fisch vor sich zu folgen. Der Finanzwissenschaftler zeigte auf, dass es sich nicht um die größte Finanzmarktkrise der Wirtschaftsgeschichte handeln würde, sondern höchstens die zweit- bis drittgrößte. Auch wenn es starke Einbrüche in den Finanzmärkte gab - das Finanzvermögen ist in Deutschland nach seinen Angaben gerade mal drei Prozent gesunken. Im Jahr 2008 konnte die Gebietskörperschaften – so der Ökonom - die größten Steuereinnahmen in der deutschen Geschichte verbuchen. "Und für dieses Jahr werden die zweitgrößten Steuereinnahmen in der deutschen Geschichte erwartet", so Raffelhüschen weiter. Aufgrund der demografischen Entwicklungen sowie der verfehlten Ausgabenpolitik leben wir immer stärker auf Kosten unserer Kinder und Enkel. "Wir geben für Zinsen mehr Geld aus als für Bildung. Zinsen sind Zahlungen für die Fehler der Vergangenheit", so der Finanzexperte auf der RMA Jahreskonferenz.

Im Kontext der Finanzkrise hatte der Freiburger Wissenschaftler vier Tipps für die anwesenden Risikomanager parat: 1. Lege nicht alle Eier in einen Korb! 2. Lege nicht alle Eier in einen Korb! 3. Lege nicht alle Eier in einen Korb! 4. Lege nicht alle Eier in einen Korb!

Jürgen Hahn, Vorstand Finanzen und Risikomanagement, Marc O‘Polo International GmbHRisikomanagement muss gelebt werden!

Jürgen Hahn (Foto), Vorstand Finanzen und Risikomanagement, Marc O‘Polo International GmbH, wies in seinem Vortrag auf die Bedeutung einer gelebten Unternehmens- und Risikokultur hin. Bei den Instrumenten einer risiko- und wertorientierten Steuerung setzt Marc O’Polo auf die Verknüpfung des Risikomanagements mit Prozessmanagement, strategischer und operativer Planung, Balanced Scorecard sowie regelmäßigen Mitarbeiter- und Kundenbefragungen. Basierend auf der Wertschöpfungskette skizzierte Jürgen Hahn die wesentlichen Risiken im Groß- und Einzelhandel.

 

 

 

 

Dr. Thomas Blunck, Mitglied des Vorstands der Münchener RückDr. Thomas Blunck (Foto), Mitglied des Vorstands der Münchener Rück, wies in seinem Vortrag auf die Bedeutung einer risiko- und wertorientierten Steuerung bei der Münchener Rück hin und zeigte den Mehrwert auf, den Rückversicherer bieten können. Risikomanagement muss seiner Meinung nach in die Kerngeschäftsprozesse und den täglichen Entscheidungsprozess integriert werden.

 

 

 

 

Dr. Werner GleißnerDr. Werner Gleißner (Foto), Beirat der Risk Management Association e. V. und Vorstand der Future Value Group AG, beschäftige sich in seinem Vortrag "Meta- und Modellrisiken" mit dem Risiko, ein Risiko falsch einzuschätzen.

Noch immer berücksichtigen viele Risikomanagementsysteme zu wenig die empirischen Erkenntnisse, dass der Risikoumfang selbst volatil ist und extreme Marktbewegungen ("crashs") wesentlich häufiger auftreten als dies der Standardansatz nahe legt. Die notwendigen Verfahren (beispielsweise aus der Extremwerttheorie bzw. aus dem Ansatz der pareto-stabilen Verteilungen) zur Beschreibung und Steuerung von Risiken haben bis heute nicht die notwendige Verbreitung gefunden. Entsprechend wurden die in letzter Zeit zu beobachtenden extremen Marktbewegungen von vielen Marktteilnehmern als so unwahrscheinlich eingeschätzt, dass diese keiner Beachtung wert wären. Die Subprime-Krise ist dafür ein Paradebeispiel. Langlaufende Asset Backed Securities (ABS) wurden an ein so genanntes "Conduit" außerhalb der Bilanz verkauft, das sich über Commercial Papers (CPs) refinanzierte. Für den Fall, dass CPs aufgrund einer Marktstörung nicht mehr begeben werden könnten, stellte die Bank eine "Liquiditätslinie" – eine Eventualverbindlichkeit. Praktisch gingen alle Institute davon aus, dass dieser Fall sehr unwahrscheinlich war, nachdem der CP-Markt auch nach dem 11. September 2001 funktioniert hatte. Einige Banken aber hatten Liquiditätslinien in einer Größenordnung gestellt, die sie im Zweifel nicht bedienen konnten. Mathematisch ausgedrückt, sie hatten ihnen eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 0 zugeordnet – unter Normalverteilungsannahme wahrscheinlich sogar vertretbar, in einer Realität mit extremen Marktbedingungen tödlich.


Romeike, Frank (Hrsg.): Die Bankenkrise - Ursachen und Folgen im Risikomanagement, Köln 2010, ISBN: 978-3-86556-230-2Weitere Informationen zum Thema finden Sie in dem Buch:

Romeike, Frank (Hrsg.): Die Bankenkrise - Ursachen und Folgen im Risikomanagement, Köln 2010, ISBN: 978-3-86556-230-2








[Bildquelle oben: iStockPhoto, alle anderen Bilder: RiskNET GmbH]






Kommentare zu diesem Beitrag

Sabine /03.12.2009 22:15
Das Risiko, ein Risiko falsch einzuschaetzen ist ziemlich gross. Das haengt vor allem damit zusammen, dass unser Gehirn mit Wahrscheinlichkeiten nichts anfangen kann. In der Steinzeit waere es toedlich gewesen, wenn der Jaeger beim Angriff des Saebelzahntigers zunaechst die Wahrscheinlichkeits des Erfolgs oder Misserfolgs ausgerechnet haette ;-( da hat sich bis heute nichts geaendert - wie die Finanzkrise zeigt. Die Verluste in der Folge der Finanzkrise waeren sicherlich niedriger gewesen, wenn die Banker haeufiger auf ihren Bauch gehoert haetten. Aber vielleicht haette das auch nicht viel geholfen - sie hatten ja kein Downside-Risk, da sie mit der Kohle anderer Leute gezockt haben. Und die Verluste traegt dann ja bekanntlich der Staat bzw. der Steuerzahler. Und nicht nur das ... sondern auch die 9.000.000.000.000 Euro, die Bernd Raffelhueschen berechnet hat. Was sind da die Peanuts-Milliarden-Betraege durch die Finanzkrise?
Pleitegeier /03.12.2009 23:53
Kleiner Beitrag zum Thema Risikomanagement und Verantwortung von Handelsblatt online: "Dass das Image der Prüfungsgesellschaften in der Krise leidet, kann (Ernst & Young-Chef, a.d.R.) Müller dagegen nicht verstehen. Eine Verantwortung der Wirtschaftsprüfer für die Risiken in den Bilanzen wies er zurück."

Da bleibt einem doch die Spucke weg.... Fehlt nur noch ein Kommentar aus der Bankenwelt dass die auch keine Schuld trifft. Es muss wohl am Klimawandel liegen.
swissbanker /04.12.2009 05:34
Psycholgisch ist das einfach zu erklären. Auch die Finanzaufsicht und die Aufsichtsräte behaupten ja gerne, dass sie keine (Mit-)Schuld hätten. Das die Beratungsheinis der WPs sich in den vergangenen Jahren eine goldene Nase verdient haben und auch die Prüfungseinheiten blind waren für die Risiken in den Büchern (siehe IKB und HRE) wird dann gerne mal verschwiegen. Wer sich tiefer in das Thema einarbeiten möchte, sollte sich mal mit der Depfa und HRE beschäftigen. Dort haben die WPs - wenige Monate vor dem Kollaps - eine Risikotragfähigkeit testiert, die auch für diverse Strassszenarien ausreichend sein sollte. Das Ergebnis kennen wir. Auch bei der IKB und SachsenLB hat man wohl gerne zwei Augen zugedrückt. Einige Bilanzpositionen hat man wohl selber nicht ganz verstanden und nicht genauer nachgefragt. Man will ja seinen Auftrag mit dummen Fragen nicht verlieren ;-( Leider ist die Lobby der WPs so stark, dass weder die Politik noch sonst igendjemand das Thema angeht ;-(( Das ist bitter - aber leider die Wahrheit ...
ZahlenMufti /04.12.2009 07:20
Ich fand die Tagung insgesamt etwas bankenlastig, den Vortrag von Herrn Dr. Thomas Blunck jedoch sehr gelungen!
wolfgang /04.12.2009 09:06
Warum wundert sich KPMG, dass die Umsätze im Beratungsgeschäft zurückgehen. Haben die WPs in den vergangenen Jahren nicht gerade gezeigt (Seite an Seite mit den Banken), dass sie von einem gelebten und zukunftsorientierten Risk Management nicht sehr viel verstehen? Vielleicht verstehen sie etwas von (kreativer) Buchhaltung ... aus meiner eigenen Erfahrung als CRO muss ich leider bestätigen, dass die Mehrzahl der WPs methodisch nicht viel von Risk Management verstehen. Spätestens bei etwas komplexeren Verfahren, die über die Grundrechenarten hinausgehen, sind sie in der Regel masslos überfordert.

Daher wundert es mich überhaupt nicht, dass die Umsätze gerade in dem Segment einbrechen, wo man gerade die eigenen Blindheit bewiesen hat. Kurioserweise investieren die Unternehmen mehr Geld in die Professionalisierung ihrer Risikomanagement-Systeme als in der Vergangenheit. Nur fliesst das Geld nicht an die WPs - was aus meiner Sicht auch richtig ist.
Aber es beruhigt mich doch sehr im Handelsblatt zu lesen, dass es Zuwächse im Bereich der Steuerberatung gibt. Je mehr Bürokratie sich die Politik ausdenkt umso praller füllt sich die Kasse bei den WPs. Kurios! Aber die Lobbyarbeit der WPs war schon immer professionell ;-)
mn /04.12.2009 09:15
@ZahlenMufti: Du hast Recht. Von den Rückversicherern könnten die Banken einiges lernen - sowohl bei den Methoden (siehe Extremwerttheorie, LPM etc.) als auch bzgl. Verknüpfung von Risikomanagement und der strategischen Steuerung. Raffelhüschen war auch sehr gut - und hatte einen hohen Unterhaltungswert. Seine Analyseergebnisse sind jedoch niederschmetternd ;-( Gleissner und Gisdakis fand ich auch sehr gut - die Mehrzahl wird aber wohl beide Vorträge als zu theoretisch beurteilen (was sie nicht waren - sie waren lediglich wissenschaftlich fundiert)
oekoek68 /04.12.2009 09:18
@Wolfgang: Das wird jeder größere Mittelständler bestätigen! Die haben auch keine Lust mehr die "WP's" bzw. deren Nachwuchs "auszubilden". Jedes Jahr rücken neue Greenhorns nach, völlig planlos und ahnungslos von der Praxis und dem zu prüfenden Geschäft. Manche Mittelständler beschweren sich dass sie jedes Jahr blutige Anfänger ausbilden und durchfüttern müssen. Andere schicken diese Leute wieder nach Hause und ich kann da nur sagen: Zu Recht!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
MK-Controller /04.12.2009 09:31
@all: Es gehört ja vielleicht nicht hier rein, aber ich mache einen guten Wein auf wenn das erste Mal abends in der Tagesschau ein WP in Handschellen vor Gericht seht, so wie in den USA! Oder wie Bernard Madoff & Co. Aber in solchen Sachen Transparenz zu schaffen, davon ist die Bundesrepulik mit ihren vielen Lobbies noch weit entfernt. Manchmal sind wir dem Schlaraffenland der Bananen(republiken) ganz nah :-)))))
Chris /04.12.2009 09:38
Ich muss hier mal eine Lanze brechen für die Zunft der WPs. Wir können nicht alle Fehler in den Unternehmen (Fraud, Versagen im Risikomanagement etc.) den Wirtschaftsprüfern in die Schuhe schieben. Es ist für einige Kommentatoren sicherlich sinnvoll, sich einmal genauer damit zu beschäftigen, was die WPs eigentlich - im Zusammenhang mit Risikomanagement-Systemen - eigentlich zu prüfen haben. Das ist nicht besonders viel ;-(
Im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Bilanzprüfung prüft der Wirtschaftsprüfer zunächst mal, ob die die Rechnungslegung den gesetzlichen Vorschriften entspricht und fügt der Bilanz einen entsprechenden Bestätigungsvermerk an. Basierend auf § 91 II AktG prüft er in dem Kontext auch, ob ein Risikofrüherkennungssystem installiert ist. Er wird aber nicht in die Tiefen solcher Systeme einsteigen oder gar so etwas wie eine Risikokultur prüfen!
Pleitegeier /04.12.2009 09:58
Chris: Sachlich korrekt! Es wäre aber begrüßenswert wenn die Kollegen Wirtschaftsprüfer die gleiche Bescheidenheit, die den Inhalt ihrer Arbeit darstellt, auch nach außen zeigen würden. Die spielen sich bei uns im Unternehmen auf wie überirdische und allwissende Wesen ohne die man nicht existieren kann, wann immer was schief geht, gehört es aber a) in deren Zuständigkeit und wäre b) sowie für einen Externen nicht zu erkennen gewesen.

Und wo wir schon bei Bescheidenheit sind: Wenn deren tatsächliche Leistung so bescheiden ist, würde denen die gleiche Bescheidenheit sicherlich auch bei der Rechnungsstellung gut zu Gesicht stehen!!!

Und zu der Qualifikation der tatsächlich vor Ort eingesetzten Prüfer kann ich nur meinen Vorredern Recht geben: Hier passt das Thema "Das Risiko, ein Risiko falsch einzuschätzen" hervorragend.
Chris /04.12.2009 12:37
@Pleitegeier: Richtig, etwas mehr Bescheidenheit wäre in vielen Fällen angebracht! Nicht selten wird von Kollegen auch etwas kommentiert, ohne dass man wirklich fundiert recherchiert hat. Leider ;-) Vor allem sehe ich aber ein Problem in der nicht vorhandenen Neutralität durch Vermischung von Beratungsaufträgen und Prüfungsmandat. In der Praxis wird da dann gerne mal etwas durchgewunken, weil der Kunde mit Entzug des Prüfauftrags droht ;-(
carsten /05.12.2009 11:44
Kennt eigentlich jemand eine Übersicht über Unternehmenspleiten, aus denen erkennbar ist, welche Rolle die WPs sowie Strategieberater gespielt haben (Beispiel Hunterstrategie der Swissair)? Wenn ich mich richtig erinnere waren doch auch bei Enron, Worldcom, HRE, BoA, UBS, Citibank, IKB, SachsenLB etc. die WPs blind für die Risikorealität, oder?
Risk Academy

Die Intensiv-Seminare der RiskAcademy® konzentrieren sich auf Methoden und Instrumente für evolutionäre und revolutionäre Wege im Risikomanagement.

Seminare ansehen
Newsletter

Der Newsletter RiskNEWS informiert über Entwicklungen im Risikomanagement, aktuelle Buchveröffentlichungen sowie Kongresse und Veranstaltungen.

jetzt anmelden
Lösungsanbieter

Sie suchen eine Softwarelösung oder einen Dienstleister rund um die Themen Risikomanagement, GRC, IKS oder ISMS?

Partner finden
Ihre Daten werden selbstverständlich vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.