Supply Chain Management

Das neue Lieferkettengesetz und seine Auswirkungen


Supply Chain Management: Das neue Lieferkettengesetz und seine Auswirkungen Kolumne

Die Einführung des Lieferkettengesetzes ab 2023 wird für viele größere deutsche Unternehmen weitreichende Folgen für die Organisation ihrer Lieferketten haben. Um hierbei negativen Konsequenzen vorzubeugen, sollten Unternehmen schon heute die Weichen zu einem umsichtigen Risikomanagement stellen.

Deutschland geht bei menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten voran. Der Bundestag hat die Einführung des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten am 11. Juni 2021 verabschiedet. Im Kern des Gesetzes, das ab 2023 gelten wird, ist festgelegt, in welchem Rahmen Unternehmen den Schutz von Menschenrechten in ihren Lieferketten gewährleisten müssen. Das deutsche Lieferkettengesetz wird damit zur Blaupause für eine europäische Lösung. Bereits Mitte Februar 2022 könnte ein erster Richtlinienentwurf der EU-Kommission für ein europäisches Pendant erscheinen, welcher vermutlich über die derzeitigen Regelungen des deutschen Lieferkettengesetzes hinausgehen wird. Ob, wann und in welchem Umfang ein europäisches Gesetz tatsächlich verabschiedet wird, ist allerdings vollkommen offen. Im deutschen Gesetzgebungsverfahren wurde der geplante Entwurf kurz vor der Zielgeraden entscheidend zugunsten der Haftungsrisiken der Unternehmen abgemildert.

Menschen- und Umweltrechte im Fokus

Mit dem Lieferkettengesetz gibt Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas ihren Unternehmen klare Regeln in Sachen Menschenrechte und Umweltstandards vor. Dies bedeutet: Mit Inkrafttreten ab 2023 können betroffene Unternehmen bei einer Verletzung der Sorgfaltspflicht weltweit für Verstöße bei ihren unmittelbaren Zulieferern hinsichtlich der Missachtung von Menschenrechten und Schädigung der Umwelt vor deutschen Gerichten mit Bußgeldern belegt werden. 

Einkaufs- und Supply-Chain-Management-Verantwortliche, aber auch Logistikerinnen und Logistiker in Unternehmen sollten ihre Risikomanagement-Routinen überprüfen und gegebenenfalls nachjustieren. Mit einer Risikoanalyse können Unternehmen nachweisen, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Tun sie dies nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht, drohen Bußgelder in Höhe von bis zu zwei Prozent des Umsatzes. Unternehmen müssen auch beachten, dass zusätzlich zu potenziellen Bußgeldern oft auch „indirekte“ finanziellen Auswirkungen eintreten können. Wird die Reputation eines Unternehmens beeinträchtigt, kann hieraus beispielsweise auch ein Umsatzrückgang durch Kundenverlust resultieren. Zudem können Verstöße auch zu einem Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen führen.

Das Gesetz im Überblick

Der Hintergrund der Gesetzesinitiative sind die im Jahr 2011 verabschiedeten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen. Mit einem nationalen Aktionsplan wurde seitens der Bundesregierung zunächst auf ein freiwilliges Engagement der Unternehmen gesetzt. Der Erfolg war jedoch nicht ausreichend, weshalb nun eine gesetzliche Regelung angestrebt wurde.

Mit dem Lieferkettengesetz sind die folgenden Ziele verknüpft:

  • Die Schaffung von verbindlichen Sorgfaltspflichten, um die Achtung von Menschenrechten und Klimastandards bei unmittelbaren Zulieferern sowie bei mittelbaren Zulieferern anlassbezogen zu gewährleisten.
  • Die Durchführung von Risikoanalysen, um den Sorgfaltspflichten nachzukommen sowie diese zu dokumentieren bzw. um vorbeugende Maßnahmen systematisch ergreifen zu können und Frühwarnindikatoren zu entwickeln.
  • Die Bildung einer rechtlichen Grundlage zur Verhängung von Bußgeldern, um Verletzungen von Menschenrechten und Klimastandards bei unmittelbaren Zulieferern zu ahnden, die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar gewesen wären.

Folgen für Unternehmen und Branchen

Das deutsche Lieferkettengesetz wird anfangs nur für Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitenden im Inland gelten. In einem zweiten Schritt ab 2024 sollen die Regelungen auch auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden ausgeweitet werden. Dies wird kleinere Unternehmen jedoch nur bedingt entlasten, insofern ihre Kunden zu den gesetzlich verpflichteten Unternehmen gehören. In diesem Falle müssen auch sie an ihre Abnehmer Bericht erstatten und ihrerseits ggf. relevante Teile der eigenen Lieferkette untersuchen.

Für das EU-Lieferkettengesetz wird erwartet, dass die Vorgaben noch einmal deutlich über die derzeit geplanten Regelungen der Bundesregierung hinausgehen. Besonders abhängig von importierten Vorleistungen und damit die Hauptbetroffenen des Lieferkettengesetzes bzw. einer europäischen Regelung sind nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ):

  • Textilindustrie (63 Prozent Anteil ausländische Wertschöpfung)
  • Elektronik (45 Prozent)
  • Chemische und pharmazeutische Industrie (39 Prozent)
  • Lebensmittelindustrie (37 Prozent)
  • Automobilindustrie (29 Prozent)
  • Maschinenbau (28 Prozent)

ESG-Risiken entlang der Lieferkette

Das Lieferkettengesetz steht im Kontext der Corporate Social Responsibility (CSR). Im Rahmen der Einhaltung konkreter Anforderungen an das eigene Unternehmen und seine Lieferanten werden vielfach sogenannte ESG-Kriterien verwendet, die auch hinsichtlich des Lieferkettengesetzes anwendbar sind. Das Akronym ESG steht für „Environment“, „Social“ und „(Corporate) Governance“ (Umwelt, Soziales/Gesellschaft und Unternehmensführung/-struktur).

Die wichtigste Voraussetzung, um Schadenfälle abzuwenden: ein wirksames und professionelles Risikomanagement, das Transparenz in den Lieferketten schafft. Dies ist entscheidend, da die schwerwiegendsten Missstände oftmals nicht bei den direkten Lieferanten auftreten, sondern in weiter vorgelagerten Stufen, zum Beispiel bei der Gewinnung von Primärrohstoffen. So gewinnen ESG-Kriterien im Lieferantenmanagement bzw. bei der Auswahl von Lieferanten immer mehr an Bedeutung.

Die Erfolgsfaktoren für ein effektives Lieferanten-Risikomanagement sind:

  • Aufbau und Pflege eines systematischen Managementsystems (strukturierte Vorgehensweise, klare Verantwortlichkeiten und regelmäßige Kontrollen)
  • Identifikation von Risiken über alle Ebenen der Lieferketten, inklusive einer Betrachtung der Abhängigkeiten/kritischen Pfade (Welche Funktion hat ein Lieferant und wie ist dieser im Gesamtkontext zu betrachten?)
  • Bewertung der Risiken hinsichtlich der Folgen für das eigene Unternehmen bei Risikoeintritt (Erkennen der kritischsten Risiken für Ihre Lieferkette, um eine Priorisierung der Ressourcen für proaktive Maßnahmen vornehmen zu können)
  • Minimierung von Risiken (Ergreifen von proaktiven Maßnahmen, um die Kritikalität von Risiken zu reduzieren und die Resilienz der Lieferkette zu erhöhen)

Unternehmen sollten daher eine Standortbestimmung bezüglich der neuen Anforderungen durchführen und ihr Risikomanagement um ESG-Risiken und die Überprüfung von Menschenrechts- und Umweltstandards erweitern. Ein erster Schritt ist, in den Lieferantenbedingungen auf eine „Grundsatzerklärung“ zu verweisen, mit dem das Unternehmen seine Erwartungen an die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten verbindlich festschreibt. 

Bis dahin, bleiben Sie sicher auf Kurs!

Autoren

Max von Bohlen

Sales Manager
Funk Risk Consulting GmbH

Fabian Konopka
Consultant
Funk Risk Consulting GmbH

 

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / Parilov ]
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