Es gab einmal den frechen Spruch: Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin. Wenn man sich die Entwicklung der Finanzmärkte in den letzten eineinhalb Jahren anschaut, ist man geneigt, den Spruch abzuwandeln: Stell Dir vor es ist Eurokrise und die Finanzmärkte kümmern sich nicht darum. Der Euro ist trotz aller Diskussionen über die Währungsunion fest. Die Renditen für 10-jährige Bundesanleihen sind trotz der Belastungen aus den Rettungspaketen niedrig. Der DAX liegt nur gut 10 Prozent unter dem absoluten Höchststand. Wenn ich die Dramatik in der Währungskrise zu Jahresbeginn auch nur geahnt hätte, hätte ich so etwas nie prognostiziert.
Wo ist die Krise? Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar [Quelle: Bundesbank]
Nun muss man allerdings die Kirche im Dorf lassen. Ganz so unberührt von der Eurokrise, wie es auf den ersten Blick aussieht, sind die Finanzmärkte nicht. In den letzten Tagen wurde am Markt viel über die mögliche Umschuldung Griechenlands diskutiert. Die Grafik zeigt, dass sich der Euro in der ersten Hälfte des vorigen Jahres, als Griechenland zum Thema wurde, deutlich abschwächte. Er fiel bis auf USD 1,19. Danach wertete er sich aber wieder kräftig auf, obwohl sich die Krise eher noch verschärfte. Die Stärke des Schweizer Frankens hängt natürlich auch mit dem Euro zusammen. Die Aktien- und Bond-Märkte der europäischen Schuldnerstaaten leiden unter den Ereignissen.
Trotzdem: Der Trend der Märkte vollzieht sich weitgehend unabhängig von der Eurokrise. Wie kommt das? Zum einen natürlich, weil es neben der Eurokrise noch eine ganze Reihe anderer marktbeeinflussender Faktoren gibt. Die Gemeinschaftswährung profitiert davon, dass die Europäische Zentralbank anders als die Federal Reserve die Zinsen erhöht. Die US-Wirtschaft entwickelt sich nicht so dynamisch, wie das in früheren Aufschwungsphasen der Fall war. Beides drückt natürlich auf die Stimmung für den Dollar. Für die Aktienmärkte ist wichtig, dass die Konjunktur in Deutschland unerwartet dynamisch läuft. An den Bond-Märkten wirkt sich die hohe Liquidität bei gleichzeitig niedrigen Zinsen aus.
Zum anderen aber sind die Ansteckungsmechanismen der Krise diesmal anders. Pointiert formuliert: Die Krise schadet nicht den Märkten, sondern beflügelt sie. Ich möchte das das Euro-Paradoxon nennen. Ausländer trennen sich wegen der Probleme in der Währungsunion nicht von der Gemeinschaftswährung. Sie kaufen eher noch zu. Denn wenn Griechenland oder ein anderer Schuldner aus der Union austreten würde, würde dies den Euro nicht schwächen. Es würde ihn stärken. Dann gäbe es ein schwaches Mitglied weniger. Die Situation wäre nur dann anders, wenn ein starkes Mitglied wie etwa Deutschland aus dem Euro austreten würde. Davon ist bisher aber nicht die Rede.
Ähnlich bei Umschuldungen. Wenn ein Land pleite geht, dann verlieren die Gläubiger zwar Geld. Sie müssen in Zukunft aber weniger Unterstützung an den betroffenen Staat leisten. Das entlastet die Länder.
Die Bond-Märkte profitieren davon, dass es erhebliche Kapitalflucht aus den Peripherieländern gibt. Ohne diesen Effekt wären die Renditen für Bundesanleihen vielleicht 30 bis 50 Punkte höher. Die Kapitalflucht kommt daneben auch amerikanischen Staatsanleihen sowie Anlagen in der Schweiz zugute. Manches Geld soll in den britischen Immobilienmarkt fließen.
Bei Aktien sind die Verhältnisse nicht ganz so eindeutig. Sie bekommen zwar ebenfalls Fluchtgelder, allerdings ist das nicht so ausgeprägt wie bei Bonds. Normalerweise wollen "Flüchtlinge" nicht zusätzliche Risiken am Aktienmarkt eingehen. Zudem belasten die Ereignisse in den Schuldnerländern die Exportunternehmen. Sie können nicht mehr so viel verkaufen. Zahlungen gehen zum Teil nur mit Verzögerung ein. Banken und Versicherungen leiden unter den Abschreibungen auf Anleihen und Kredite an diese Länder sowie unter der Diskussion über Umschuldungen und eventuelle "freiwillige" Leistungen.
Das bedeutet: Der hohe Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar ist nicht – wie manch ein Zentralbanker beruhigend sagt – ein Zeichen dafür, dass die Krise nicht so schlimm ist. Er liegt nicht daran, dass nur ein paar Länder an der Peripherie der Gemeinschaft von den Problemen betroffen sind, auf die nur 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Euroland entfallen. Er ist auch nicht ein Zeichen, dass der Euro so stabil und widerstandsfähig ist.
Es ist genau anders herum. Der Euro wertet sich auf, weil die Krise so heftig ist und die Gefahr besteht, dass das eine oder andere Mitglied sie nicht im Euro überlebt. Das ist ganz anders als bei etablierten Währungen. Wenn es dort kriselt, werden sie schwach. Denn dort wird nicht über den Austritt von Mitgliedern diskutiert. Dort gibt es auch keine Kapitalflucht im Inland. Das Euro-Paradoxon ist also kein Zeichen der Stärke des Euro, sondern Ausdruck seiner Unvollkommenheit. Die Mitglieder sind noch nicht so zusammengewachsen, wie es bei einer Währung eigentlich sein sollte.
Anleger sollten aus dieser These freilich keine zu weitgehenden Schlussfolgerungen ziehen. Die Finanzmärkte sind noch keineswegs aus dem Schneider. Ich habe das Ganze etwas extrem formuliert, um deutlich zu machen, dass die Eurokrise nicht unterschätzt werden soll und dass sie aus meiner Sicht noch lange nicht vorbei ist. Sie äußert sich nur anders. Wenn es am Ende doch zu einer Umschuldung (zudem noch einer ungeordneten) kommen sollte oder ein Land aus der Union austritt, kann es wegen der damit verbundenen Unsicherheit, doch zu erheblichen Turbulenzen (vielleicht sogar à la Lehman) kommen.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: iStockPhoto]
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