Risiken in der Luftfahrt

Weniger tödliche Unfälle, höhere Schäden


Risiken in der Luftfahrt: Weniger tödliche Unfälle, höhere Schäden Studie

Immer weniger tödliche Unfälle – und gleichzeitig immer höhere Schäden: Die globale Luftfahrtindustrie hat in jüngster Vergangenheit trotz einiger Abstürze die sichersten Jahre aller Zeiten erlebt. Dieser Trend wird jedoch durch eine wachsende Zahl von Versicherungsschäden und neue Risiken in Frage gestellt, so der Industrie- und Luftfahrtversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) in der neuen Studie "Aviation Risk 2020: Safety And The State of The Nation, die gemeinsam mit der renommierten Flugschule Embry-Riddle Aeronautical University aus Florida erstellt wurde.

Teurere Reparaturen und Triebwerksschäden, Schäden durch Fremdkörper wie Vogelschlag, Bodenkollisionen, Stürze von Passagieren am Flughafen, Falschbetankung von Maschinen oder steigende Haftpflichtzahlungen sind nur einige der Bereiche, in denen die Versicherer eine erhöhte Schadenaktivität verzeichnen.

"Glücklicherweise sind Abstürze von modernen Jets heute sehr selten. Die letzten Jahre gehören zu den sichersten in der Geschichte der Luftfahrt", erklärt Axel von Frowein, der bei der AGCS für die Luftfahrtversicherung in Zentral- und Osteuropa zuständig ist. Diese grundlegende Verbesserung solle die Luftfahrtindustrie jedoch nicht in einem falschen Sicherheitsgefühl wiegen. Das schiere Volumen und die Größenordnung von Luftfahrtschäden werde oft unterschätzt: "Die AGCS bearbeitet laufend tausende Aviation-Schadenfälle weltweit. Zudem gibt es zahlreiche neue Risiken wie Drohnen- oder Cybervorfälle, die auf Fluggesellschaften, Hersteller und Flughäfen zukommen."

Die Studie analysiert mehr als 50.000 Schadensfälle der Luftfahrtbranche von 2013 bis 2018 im Wert von mehr als 14,8 Milliarden Euro – mit diesem Ergebnis: Zusammenstöße und Abstürze machen derzeit mehr als die Hälfte des Wertes aller Schadensfälle (57%) aus, was 8,4 Milliarden Euro entspricht – und mehr als ein Viertel der Schäden nach Anzahl (27%). Weitere Ansprüche resultieren aus Ereignissen wie harten Landungen, Vogelschlag und Vorfällen am Boden. Der durchschnittliche Schadensfall beläuft sich auf rund 1,7 Millionen Euro. Produktions- oder Wartungsfehler sind ist die zweithäufigste Ursache für Schäden, gefolgt von Triebwerksausfällen.

Mehr Schäden durch Wachstum im Luftverkehr

"Insgesamt nehmen die Schadensfälle in der Luftfahrtversicherung zu, weil sich Flugzeugwerte, Reparaturkosten und Haftpflichtvergütungen kontinuierlich weiter nach oben entwickeln", sagt Till Kürschner, Leiter Luftfahrtschäden bei der AGCS in Zentral- und Osteuropa. "Die wachsende Schadenbelastung ist auch Folge des generellen Wachstums im Luftverkehr – mit steigenden Passagierzahlen, stark frequentierten Flughäfen sowie wachsenden Anforderungen an Fluggesellschaften, Hersteller und Bodenverkehrsdienste."

Moderne Jets sind aus leichteren Verbundwerkstoffen und mit hochentwickelter Technik gefertigt – dies erhöht die Kosten für Flugzeugreparaturen erheblich. Die zunehmende Komplexität von Flugzeugdesign, -technologie und -fertigung führt auch zu teuren behördlich angeordneten Flugverboten ("grounding"), die ganze Flotten betreffen können. Dies zeigt der Fall der Boeing 737 Max, die nach zwei tödlichen Unfällen innerhalb von fünf Monaten in den Jahren 2018 und 2019 schon seit Jahresanfang am Boden bleiben muss. "Solche Vorfälle verdeutlichen, wie schwierig es mitunter ist, technische Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Die Behörden für Zivilluftfahrt und Flugsicherheit sind zudem zu Recht vorsichtiger geworden. Daher rechnen wir in Zukunft mit häufigeren und längeren Flugverboten", sagt Kürschner.

Vogelschlag und andere Kollisionen

Der Bericht stellt weiter fest, dass Haftpflichtvergütungen pro Passagier zunehmen, da viele Anwälte von Klägern in den USA höhere Schadenersatzansprüche einfordern. Bei potenziellen Vergütungen pro Passagier in Millionenhöhe könnte ein schwerer Flugzeugabsturz zu einem Haftpflichtschaden von einer Milliarde US-Dollar führen. Auch der Anteil an Schäden durch Fremdkörpereinwirkung steigt: Laut der US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration gab es allein 2018 in den Vereinigten Staaten mehr als 14.600 gemeldete Flugzeugkollisionen mit Wildtieren. Insbesondere Vogelschlag-Vorfälle sind zu verzeichnen - mit einem durchschnittlichen Schadenaufwand von rund 360.000 US-Dollar. In Deutschland lag der größte Schaden durch einen Vogelschlag an einem Triebwerk bei über 18 Millionen Euro.

Darüber hinaus werden mehr Schäden durch Falschbetankung registriert. Fehler von Bodenpersonal können zu kostspieligen Triebwerksschäden und Reparaturen sowie zu längeren Ausfallzeiten führen, wenn Tanksysteme ausgetauscht werden müssen. Im schlimmsten Fall kann Falschbetankung sogar zu einem Triebwerksausfall während des Fluges führen.

Neue Herausforderungen am Horizont

Die Luftfahrtindustrie muss sich auch mit einer Reihe von neuen Risiken auseinandersetzen. So müssen sich Passagiere künftig auf unruhigere Flüge einstellen. Im Juli 2019 wurde auf einem Flug der Fluggesellschaft Air Canada von Vancouver nach Sydney fast 40 Menschen verletzt, als das Flugzeug in heftige Turbulenzen geriet und eine Notlandung durchführen musste – einer von vielen Vorfällen, die sich jeden Tag auf Flügen um die Welt ereignen. "In den kommenden Jahrzehnten dürften die Turbulenzen durch den Klimawandel und der sich erwärmenden Erdatmosphäre weiter zunehmen – insbesondere auf Flügen zwischen Europa und Nordamerika", sagt Axel von Frowein.

Auch der Bedarf von rund 800.000 neuen Piloten in den nächsten 20 Jahren vor allem in Schwellenländern – das Doppelte der heutigen Zahl – stellt eine Herausforderung für die Luftfahrtbranche dar. Zudem werden immer wieder Zweifel an einer übermäßigen Abhängigkeit der Piloten von Autopiloten gestellt. Eine Reihe von Unfällen in jüngster Zeit zeigt, dass die Piloten besser vorbereitet bzw. speziell ausgebildet sein müssen, um im Falle einer technischen Störung manuelle Korrekturmaßnahmen ergreifen zu können.

Die wachsende Zahl von Drohnen am Himmel und Cyberrisiken wie Hackerangriffe, Systemausfälle und Datenschutzverletzungen dürften in Zukunft erhebliche Auswirkungen auf die Schadenentwicklung in der Luftfahrt haben. Unfälle am Boden bleiben problematisch und können sich verschärfen. "Teilweise hat die Flughafeninfrastruktur mit dem rasanten Wachstum der Passagier- und Flugzeugzahlen nicht Schritt gehalten", sagt von Frowein. Die International Air Transport Association prognostiziert, dass die überwiegende Mehrheit der weltweiten Flughäfen innerhalb der nächsten zehn Jahre an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen wird. Die Überlastung am Boden ist nicht nur mit Blick auf Verzögerungen Anlass zur Sorge. Überfüllte Servicebereiche und Vorfelder führen potenziell zu mehr Kollisionen und Rampenunfällen, so die Studie.

2017 sicherstes Jahr aller Zeiten

Der Bericht hebt auch den anhaltenden Rückgang der Zahl der tödlichen Unfälle in den letzten 60 Jahren hervor – eine Zeit, in der das Passagierwachstum deutlich zugenommen hat. Zwischen 2008 und 2017 gab es 2.199 Todesfälle durch 67 Ereignisse in der Verkehrsflugzeugflotte weltweit – weniger als 8% der Gesamtzahl seit 1959. Im Jahr 2017 gab es zum ersten Mal in mehr als 60 Jahren Luftfahrt keine Todesfälle bei einer Verkehrsfluggesellschaft. 2018 gilt als das drittsicherste Jahr aller Zeiten, 2015 als das zweitsicherste.

Die kontinuierliche Verbesserung der Flugsicherheit ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen. Sicherheitssysteme haben sich enorm verbessert. Design- und Konstruktionsverbesserungen haben die Unfallrate positiv beeinflusst, dazu zählen aerodynamische Verbesserungen und Optimierungen an der Flugzeugzelle, ausfallsichere Konstruktionskriterien, Verbesserungen an der Cockpitinstrumentierung und die zunehmende Zahl von Fly-by-Wire gesteuerten Flugzeugen im Betrieb. Auch in den Bereichen Fertigung, Flugbetrieb und Regulierung wurden erhebliche Verbesserungen erzielt.

"Schließlich haben es wissenschaftliche Studien der Luftfahrtindustrie ermöglicht, besser zu verstehen, wie menschliche Faktoren die Sicherheit beeinflussen können. Pilotenmüdigkeit, Training und Ressourcenmanagement der Crew kommt eine immer größere Bedeutung zu", sagt E. David Williams, Assistenz Professor der Aerospace and Occupational Safety an der Embry-Riddle Aeronautical University, der weltweit wichtigsten Universität der Luftfahrt.

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]
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