Das "Rätsel der Liquidität"

Hilfe, wo ist die Liquidität?


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Alle reden darüber, dass es zu viel Liquidität in der Welt gibt. Das treibt die Kurse der Aktien nach oben. Es hat in den letzten Jahren zu Blasen auf den Immobilien- und Rohstoffmärkten geführt. Es bringt inflationäre Gefahren mit sich, wenn die Liquidität nicht rechtzeitig eingesammelt wird. Aber wo ist dieses Geld eigentlich? In Europa nimmt die Geldmenge M3 kaum noch zu. Vor zwei Jahren stieg sie noch um 12,5 Prozent, jetzt nur noch um 1,8 Prozent. Die Unternehmen klagen darüber, dass sie zu wenig Kredit bei den Banken bekommen. Private Equity-Gesellschaften können keinen Leverage mehr nutzen.

Das könnte man das "Rätsel der Liquidität" nennen: Es gibt in Europa derzeit sowohl zu viel als auch zu wenig Geld. Wie ist so etwas möglich? Wird es so bleiben? Und was bedeutet es angesichts der Tatsache, dass die Zentralbanken in den USA, Europa und Japan in den nächsten Monaten weniger die Zinsen im Auge haben werden als die Liquidität?

Der Schlüssel liegt darin, dass es derzeit zwei Töpfe von Liquidität gibt, die weitgehend voneinander getrennt sind: Den Topf der Banken und Finanzmärkte und den Topf von Wirtschaft und Privaten. Der Topf der Banken ist prall gefüllt. Die Kreditwirtschaft ist so liquide wie schon lange nicht mehr. Sie kann sich in Euroland unbegrenzt Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) beschaffen. Vorausgesetzt natürlich, die Häuser haben genügend Sicherheiten, die sie dafür hinterlegen können. Die Qualitätsanforderungen an die Sicherheiten sind aber deutlich verringert worden. Die Forderungen der EZB gegenüber Kreditinstituten in Euroland sind in den letzten zwei Jahren um über 60 Prozent gestiegen. Diese Liquidität gibt es inzwischen nicht wie sonst üblich nur zu Laufzeiten von wenigen Tagen bis zu drei Monaten. Sie wird zurzeit sogar für ein ganzes Jahr angeboten. Dabei ist sie zu dem extrem niedrigen Zins von 1 Prozent zu haben.
Im Topf von Wirtschaft und Privaten ist dagegen viel zu wenig Geld. Vor allem bei den Unternehmen fehlt es vorne und hinten. Zwar nimmt statistisch gesehen der Bargeldumlauf nach wie vor zu. Er macht jedoch weniger als 10 Prozent der gesamten Geldmenge aus, kann also praktisch vernachlässigt werden. Die täglich fälligen Sichteinlagen steigen leicht. Das heißt aber nicht, dass die Unternehmen überschüssiges Geld hätten. Sie halten sich vielmehr Liquiditätspolster, um gegen unerwartete Schwierigkeiten gewappnet zu sein. Termineinlagen und Geldmarktanlagen gehen absolut zurück. All das macht die Geldmenge M3 aus.

An sich müsste sich die Liquidität im Finanzsektor und in der Realwirtschaft wie in einem System kommunizierender Röhren aneinander angleichen. Das ist in normalen Zeiten auch der Fall. Dass es jetzt nicht geschieht zeigt, dass unser System noch nicht in Ordnung ist. Finanzsektor und Realwirtschaft laufen nicht synchron, wie das eigentlich sein sollte.

Die entscheidende Stellschraube dabei ist die Kreditgewährung. Normalerweise sollten die Banken die Liquidität, die sie von der Zentralbank bekommen, als Kredite an Unternehmen und Private weiterleiten. Im Augenblick tun sie das aber nur unvollständig. Zum Teil liegt das daran, dass die Risiken des Kreditgeschäfts wegen der konjunkturellen Unsicherheiten stark gestiegen sind und sich die Banken nicht noch neue Probleme einhandeln wollen. Zum Teil fehlt es den Banken an dem erforderlichen Eigenkapital. Hinzu kommt, dass die Kreditinstitute ihre eigene Liquiditätsvorsorge erhöht haben. Einige Häuser haben Gelder, die sie bei den Repo-Geschäften aufgenommen haben, gleich wieder in der Einlagenfazilität der Notenbank geparkt, um jederzeit darauf zurückgreifen zu können.

Schließlich nutzen sie die Liquidität aber auch, um auf den Kapitalmärkten verstärkt Eigenhandel zu betreiben und damit ihre Ertragsrechnung aufzubessern. Wenn die Institute beliebig viel billigen Kredit bekommen, ist die Versuchung natürlich groß, das Geld zu spekulativen Geschäften zu nutzen. Das hilft den Aktien- und Rentenmärkten, war aber eigentlich nicht Sinn der Sache. Die EZB sieht das daher nicht gerne. Sie würde es auch nach Möglichkeit ändern. Aber zwingen kann sie die Banken nicht. Das Einzige was sie tun kann, ist die Liquidität bei den Banken vorsichtig einzusammeln, indem sie die Repo-Mittel nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung stellt. Das wird sie auch tun. Aber damit nimmt sie natürlich nur Geld aus dem Topf der Banken. Sie beseitigt nicht die Knappheit im Realsektor.

Wir werden also noch eine ganze Weile mit der Diskrepanz in der Liquiditätsversorgung leben müssen. Das ist nicht nur negativ. Gut ist, dass von dieser Liquidität keine Inflationsgefahren ausgehen. Sie bleibt im Kreislauf der Finanzwirtschaft und kommt nicht als Kaufkraft auf die Märkte für Güter und Dienstleistungen. Schlecht ist, dass es Konjunktur und Wachstum bremst. Zu wenig Liquidität heißt, dass die Unternehmen zu wenig investieren und dass damit natürlich auch Innovationen auf der Strecke bleiben. Eine Besserung ist erst zu erwarten, wenn sich die Risikosituation entspannt und die Banken aus eigenem Antrieb wieder mehr Kredit vergeben. Das wird auch irgendwann passieren. Die Banken sind als "Kreditinstitute" selbst daran interessiert, mehr Geld auszuleihen (zumal die Margen gestiegen sind). Aber es dauert eben.

Interessant: In den USA gibt es dieses Rätsel der Liquidität nicht beziehungsweise nicht in dem Maße. Die Geldmenge in den Händen der Privaten (MZM) steigt nach wie vor mit der beachtlichen Rate von neun Prozent. Der Grund liegt in dem anderen System. In den USA läuft die Kreditversorgung nicht nur über die Banken. Auch kleine und mittlere Unternehmen nehmen dort Mittel direkt am Kapitalmarkt auf. Entsprechend steuert die Zentralbank die gesamtwirtschaftliche Liquiditätsversorgung auch nicht nur über die Banken. Sie kauft direkt Wertpapiere am Markt und stellt damit den Privaten Zentralbankgeld zur Verfügung.


Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.



[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Pleitegeier /13.11.2009 09:40
Hallo Herr Hüfner, die "kontrollierte Zockerei" mit EZB-Mitteln hilft sicherlich den Banken ihre Bilanzen aufzupolieren. Bei den Unternehmen kommt sie in Form von Krediten nicht an und die wird ab 2010 noch extremer werden wenn sich die Anforderungen zur Eigenkapitalunterlegung von Ausleihungen erhöhen. Etwas Gutes kann man dem abgewinnen: Es ist letztendlich das Geld der Kunden oder im späteren Extremfall Steuerzahler das hier ausgeliehen wird. Und ein sorgsamer Umgang damit unter Abwägung der Kreditwürdigkeit der nachfragenden Unternehmen ist daher angesagt.
rainer /13.11.2009 18:35
die frage ist doch, warum die ezb bzw. die regierungen die rettungspakete nicht an die bedingung geknuepft haben, dass die mrd-gelder auch tatsaechlich als kredit bei den unternehmen ankommen. das hat man leider versaeumt und wird wohl erst im naechsten jahr so richtig weh tun.
echoblase /16.11.2009 00:16
die strategie der zentralbanken sind riskant. um die wirtschaft zu stabilisieren, pumpen sie billiges geld in den markt und riskieren neue spekulationsblasen. ein blick auf die aktien und rohstoffmaerkte laesst nichts gutes ahnen. das kgv kletterte in den vergangenen monaten auf 138 - den hoechsten wert seit dem jahr 1871. die echoblase ist bereits auf dem weg ...
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