Geopolitische Risikolandkarte

Globaler Ordnungsanspruch, made in China


Geopolitische Risikolandkarte: Globaler Ordnungsanspruch, made in China Kolumne

"Lesung an den Unis Duisburg und Hannover wegen Druck aus China abgesagt." Mit diesem Titel trat der Spiegel jüngst in die Öffentlichkeit. Hintergrund ist das erfolgreiche Intervenieren chinesischer Stellen gegen Lesungen zu einem Buch mit dem Titel: "Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt." Die Biografie, geschrieben von den beiden Autoren Stefan Aust und Adrian Geiges, befasst sich mit der Rolle des allmächtigen Staatspräsidenten Xi Jinping. Der herausgebende Piper-Verlag schreibt mit Blick auf den Inhalt vom "Kommunismus als Motor für den Aufstieg zur Weltmacht", von der: "Autokratie mit hippem Lifestyle". Und von der internationalen Politik der Öffnung und einer nationalen Kontrolle durch Überwachung. Dass Letztere sich nicht nur auf das chinesische Staatsgebiet beschränkt, das mussten nun die Autoren, der Verlag und die Veranstalter der Lesereihe bitter erfahren. 

Und damit sollte uns das alte Sprichwort und Teil der Inhaltsangabe des Buchs: "Was juckt es uns, wenn in China ein Sack Reis umfällt?" zukünftig doch stärker interessieren. Denn der Fall macht nach den Worten von Stefan Aust eines deutlich: "Erstmals ist eine Diktatur dabei, den Westen wirtschaftlich zu überholen, und versucht jetzt auch, ihre gegen unsere Freiheit gerichteten Werte international durchzusetzen." Dass diese chinesischen Werte wenig mit denen unserer westlich geprägten Vorstellungen zu tun haben, das zeigte sich im Rahmen des diesjährigen RiskNET Summit, der Ende Oktober als Gipfeltreffen der professionellen Risikomanager bei Bora in Raubling stattfand. 

Professor em. Dr. Günther Schmid, ehemals Bundesnachrichtendienst (BND)Professor em. Dr. Günther Schmid, ehemals Bundesnachrichtendienst (BND)

Chinas umfassende Kontrolle

Ein Blick in die Geschichtsbücher hilft vielfach, um heutige Denk- und Handlungsweisen besser zu verstehen. Bestes Beispiel: China und dessen innen- und außenpolitische Leitlinien. Die sind geprägt vom Konfuzianismus und der menschlichen Ordnung mit den zentralen Elementen von Harmonie und Mitte. Davon geleitet wird das Welt- und Gesellschaftsbild der chinesischen Kommunistischen Partei (KP) als einzig legitime und alternativlose politische Kraft in der über 1,4 Milliarden Einwohner zählenden Volksrepublik China. 

Denn das Trauma einer gedemütigten Nation – sei es durch den Überfall Japans im Zweiten Weltkrieg oder der Kulturrevolution – ging stets mit Chaos und Zerfall einher. Solche Katastrophen möchte die KP unter allen Umständen verhindern und sieht sich in einer Art "Opferrolle" Ein Fingerzeig, warum China in Hongkong oder im Umgang mit den Uiguren mit brutaler Hand reagiert. Denn beide Konflikte sehen die politisch Verantwortlichen in Peking als Quellen des Chaos und als Gefahr, die Kontrolle, die staatliche Integrität und letztendlich die unerschütterliche Führungsrolle zu verlieren. Dieser selbsterklärte Führungsanspruch der KP geht nach Dr. Günther Schmid einher mit der umfassenden Kontrolle der Gesellschaft und des wirtschaftlichen Handelns. Eine Binnensicht auf China, vermittelt anlässlich des RiskNET Summit im Oktober in Raubling bei Rosenheim.

Die politische Deutungshoheit und die Ordnungsfrage

Schmid, ehemaliger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), bot in seinem Vortrag eine klare politische Einordnung zu Chinas Sicht auf die globale Ordnung in der 1. Hälfte des 21. Jahrhunderts. Nach seinem Dafürhalten sei die USA der größte Gegenspieler für China im Kampf um die wirtschaftliche Vormachtstellung im globalen Maßstab sowie die politische Deutungshoheit. China gehe es seiner Meinung nach nicht mehr alleine um wirtschaftliche Interessen, sondern gleichzeitig um einen Gegenentwurf zum demokratisch-liberalen Politikverständnis westlicher Nationen. Dieses politische Modell bedrohe China in seinen Grundfesten. Im Gegensatz zum Demokratieverständnis hierzulande, aber auch in den USA, sieht China das Kollektiv im Mittelpunkt. Damit verbunden ist der Vorrang kollektiver Menschenrechte, die klar das Wertesystem der KP und damit der chinesischen Gesellschaft sind. 

"Das Rennen ist offen", bringt es Schmid auf den Punkt und fügt hinzu: "China stellt die Ordnungsfrage gegenüber den USA." So komme als Gegenspieler im großen Maßstab aktuell nur die USA infrage, denn beide Länder seien mit Abstand auf weltpolitischer Bühne führend. Der globale Ordnungsanspruch, made in China, erstreckt sich auf multilaterale Organisationen – von der Weltgesundheitsorganisation bis zu den Vereinten Nationen. 

Für Schmid befinde sich China im Status- und Systemwettbewerb mit den USA und letztendlich um mehr Mitsprache im globalen Maßstab. "China möchte bei globalen Fragen mit am Tisch sitzen", untermauert Schmid den Hoheitsanspruch Chinas im Konzert der Staaten. Hierzu tritt die chinesische Außenpolitik seit Jahren verstärkt aggressiv auf. Dies zeigt sich nicht zuletzt in einer Ideologisierung des diplomatischen Dienstes, der mit einem aggressiven Auftreten der politischen Kader auf internationalem Parkett einhergeht. Dies mussten nicht zuletzt die zu Beginn erwähnten Autoren samt Verlag erleben. Dahinter steckt politisches Kalkül, wonach der politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsanspruch mit einem eigenen Entwicklungsmodell nach Lesart Pekings einhergeht. Ein Anspruch, den China zudem militärisch immer stärker mit Drohgebärden versucht zu zementieren – sei es bei Konflikten um Inseln im südchinesischen Meer, sei es Kaschmir oder bei der Taiwan-Frage. 

Scheckbuchmentalität und wirtschaftliche Macht

Flankiert wird das starke Auftreten Pekings in der Weltöffentlichkeit durch eine geschickte "Scheckbuchmentalität" auf Pump gegenüber afrikanischen, aber auch europäischen Ländern. So ist beispielsweise der Hafen von Piräus fest in Chinas Händen. Häfen und weitere Schlüsselinfrastrukturen dienen der chinesischen Regierung als Einfallstor nach Europa. Andere Städte, Länder und Kontinente, gleiche Strategie. Nicht umsonst schreibt die Tagesschau: "Heute ist Piräus die Nummer vier in Europa, hinter Rotterdam, Antwerpen und Hamburg. Der Hafen ist der Endpunkt der maritimen Seidenstraße, von China über den Indischen Ozean ins Rote Meer." Gerade das ehrgeizige Seidenstraßenprojekt zeigt deutlich, dass China längst seine eigene Agenda im internationalen Welthandel setzt und dabei strategische Projekte massiv vorantreibt. 

Diese von der KP vorgegebenen Expansionsstrategie ist für Chinas Wirtschaft wichtig, um sich unter anderem Absatzmärkte in der Europäischen Union zu sichern. Der praktische Nebeneffekt für Chinas Strategie: Mit großzügigen Investitionen bindet China diverse Länder an sich. Nicht wenige Kritiker sprechen gar von einem Abhängigkeitsverhältnis, das durch dieses finanzielle Engagement der chinesischen Politik aufgebaut wird. Diesen Gedanken skizziert auch Schmid. Gleichzeitig weißt er darauf hin, dass China innenpolitisch keine alternativen Machtzentren dudelt. Dies mussten jüngst der Tech-Konzern Alibaba und das Immobilienunternehmen Evergrande erfahren. Durch massive Eingriffe der chinesischen Regierung wurden beide Unternehmen auf "Linie" im Sinne der KP gebracht und teils entmachtet. Dies sollte ein Warnsignal für Unternehmen sein, die versuchen in China Fuß zu fasen. Denn im Grunde dient China sich selbst und sieht Marktzugänge als Waffe im Kampf der Systeme. Hierbei kann und wird es keine Auswüchse nach US-amerikanischem Vorbild geben. Das heißt: Werden Unternehmen zu groß und damit mächtig, müssen sie mit massiven wirtschaftlichen und de facto politischen Eingriffen durch Chinas Regierung rechnen. Ein Umstand, der im Zweifel das Ende von Konzernen bedeuten kann. 

Dieses Risiko sollten Risikomanager mit einem starken Engagement in China, aber auch in den benachbarten Ländern bis hin nach Europa in ihre Planungen einkalkulieren. Wichtig, gerade vor dem Hintergrund wachsender politischer Spannungen und wirtschaftlicher Konflikte mit Drohungen, Embargos und zunehmend aggressiveren Tönen in der Außenpolitik. An dieser sensiblen Nahtstelle zwischen den Systemgrenzen braucht es vermehrt politischen Sachverstand in Organisationen. Und diesen sollten sich Unternehmen ins eigene Haus holen – abseits des Mainstreams, faktenbasiert sowie mit Maß und Ziel. 

 

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[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / zapp2photo ]
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