Schlechte Nachhaltigkeitsbilanz erhöht Reputationsrisiko

Führt der Klimawandel zu neuen Haftungsrisiken?


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Der anthropogene Klimawandel wird Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft haben. Darin sind sich die Experten einig. Wenig berücksichtigt wurde bislang allerdings die Frage, welche Veränderungen der Klimawandel für die Haftpflichtversicherung nach sich ziehen wird. Mitte Oktober fand auf Einladung der Münchener Rück am Geschäftssitz der US-Tochter Munich Re America in Princeton eine ganztägige Diskussion zu diesem hochaktuellen Thema statt. Beim "Munich Re Climate Change and Liability Workshop" diskutierten Wissenschaftler, Versicherungsmakler, Berater, Versicherungs- und Rechtsexperten über die derzeitige Rechtsprechung und Perspektiven bei Klimawandel und Haftungsfragen.

In den Vereinigten Staaten mehren sich bereits die Klagen, unter anderem gegen Energieunternehmen, Autohersteller und auch Behörden. Einigen Klägern geht es um Schadenersatzzahlungen, andere wollen, dass sich die Regierungspolitik ändert, dass Unternehmen stärker zur Rechenschaft gezogen werden und Verbraucher sich verantwortungsbewusster verhalten. Mit der wachsenden Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Klimawandel nimmt natürlich auch das Interesse an solchen Rechtsstreitigkeiten zu. In Zukunft ist daher davon auszugehen, dass gegen staatliche Organe sowie gegen einzelne privatwirtschaftliche Unternehmen zunehmend geklagt wird. Ob diese Klagen Erfolg haben werden, ist allerdings unklar.

Wie ist der aktuelle Stand zum Thema Klimawandel und Haftpflicht? Wer sind die potenziellen Kläger und wer die potenziellen Beklagten? Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt es bereits? Inwieweit soll – und kann – die Versicherungswirtschaft reagieren? Wie lassen sich die neuen Risiken beherrschen? Wie kann man Ursachen und Folgen voneinander abgrenzen? Wer ist letztlich schuld an den Schäden infolge des Klimawandels? Und wie stellt man fest, welche Schäden auf den Klimawandel zurückzuführen sind und welche nicht?

Die Situation aus Sicht des Rückversicherers

"Die Kernfrage im Zusammenhang mit der Haftung für die Folgen des Klimawandels lautet: Wer hat welchen Schaden bei wem verursacht?", so Ina Ebert, Expertin für Grundsatzfragen des Haftungsrechts der Münchener Rück. Die Frage lässt sich zumindest derzeit noch nicht eindeutig beantworten. Ursache und Wirkung sind so komplex, dass es bislang nicht möglich ist, bestimmte Schäden aus dem Klimawandel eindeutig einem Verursacher zuzuordnen. Ebenso offen ist die Frage, wie Widersprüche zwischen US-Bundesrecht oder Entscheidungen von Bundesbehörden und dem Haftungsrecht der Einzelstaaten zu lösen sind. Auch ist unklar was passiert, wenn die betreffende Zuwiderhandlung eingestellt wird – was ist mit dem Verhalten in der Vergangenheit? Wie grenzt man hier ab? Vor allem aber: Sind das überhaupt Fragen, die über das Haftungsrecht gelöst werden sollten? Oder sind nicht eher der Gesetzgeber und internationale Übereinkommen gefordert?

Die Münchener Rück unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei Arten von Haftung:

  • Direkte Haftung: Schäden, die unmittelbar durch CO2-Emissionen und/oder andere Treibhausgase verursacht werden.
  • Indirekte Haftung: Schäden, die indirekt mit dem Klimawandel zusammenhängen.


Kevin Haroff, Partner in der weltweit tätigen Kanzlei Sonnenschein, Nath & Rosenthal LLP, stellte fest, dass die derzeitigen US-Gesetze wie der Federal Clean Air Act (CAA) und der National Environmental Policy Act (NEPA) nicht ausreichen, um den beispiellosen Herausforderungen der Erderwärmung und deren Folgen zu begegnen. Kalifornien übernimmt in den Vereinigten Staaten in Sachen Klimaschutz eine Vorreiterrolle und hat hier weitreichende Gesetze verabschiedet, beispielsweise zur Einführung einer Umweltverträglichkeitsuntersuchung bei Bauprojekten. Nicht nur Kalifornien, sondern auch andere US-Bundesstaaten und nicht zuletzt die amerikanische Regierung stehen aber vor der immensen Herausforderung, eine Gesetzgebung zu schaffen, die tatsächlich diejenigen ahndet, die für Schäden infolge des Klimawandels verantwortlich sind. Solange noch keine entsprechenden gesetzlichen Regelungen existieren, werden die Versicherer kaum in der Lage sein, im Hinblick auf den Klimawandel Deckungen zu entwickeln bzw. bestehende Policen anzupassen.

Verschärfung der indirekten Haftung erwartet

Bei indirekter Haftung ist das Thema Klimawandel für die Berufshaftpflicht- und D&O-Versicherung (Directors'-&-Officers'-Versicherung = Managerhaftpflicht) relevant. Es besteht Deckung, weil die Schäden nicht auf dem Klimawandel an sich beruhen, sondern darauf, dass dieser im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Wir gehen davon aus, dass die Bedeutung der indirekten Haftung im Zusammenhang mit dem Klimawandel für die Versicherungsindustrie zunehmen wird.

Die Hauptgründe dafür sind

  • die Verschärfung der gesetzlichen Regelungen und Sorgfaltspflichten,
  • die zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch die ausführliche Berichterstattung in den Medien und
  • der wissenschaftliche Konsens über die anthropogenen Ursachen des Klimawandels.

Es ist zu erwarten, dass in Zukunft Versicherungsprodukte für "neue" Haftungsrisiken entstehen werden. Diese könnten folgende Risiken abdecken:

  • Verletzung von Hinweis- und Informationspflichten
  • unzulässige Absprachen
  • Fehlverhalten in Notfallsituationen
  • unsachgemäße Schadenbearbeitung


Zunehmend relevant kann außerdem die Frage werden, ob sich aus der allgemeinen Haftpflicht oder der Produkthaftpflicht Deckungsansprüche ergeben. An sich erstreckt sich die Deckung hier nur auf Emissionen, die durch zufällige Ereignisse entstehen, nicht aber auf solche, die im regulären Betrieb oder vorsätzlich verursacht werden. Der Begriff "regulär" wird dabei von der Rechtsprechung und in den Energie- und Umweltverhaltenskodizes der Unternehmen noch genauer definiert werden müssen.

Schlechte Nachhaltigkeitsbilanz kann zu Reputationsverlust und finanziellen Risiken führen

Die Teilnehmer stimmten weitgehend überein, dass die Versicherer beim derzeitigen Stand der Entwicklung nicht unmittelbar gefordert sind, eine Deckung für direkte Haftungsrisiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel anzubieten. Vielmehr müssten die einzelnen Unternehmen Lösungen suchen, wie sie künftige Haftungsrisiken vermeiden.

"Wer nicht mitzieht, hat schlechte Karten", so Thaddeus Huetteman, Consultant bei der Firma PEAR, Power & Energy Analytic Resources in Georgia, über eine mögliche Beteiligung der Industrie an den Beratungen zu Klimaschutzgesetzen im US-Kongress. "Man muss sich als Teil der Lösung sehen, nicht als Teil des Problems." Unternehmen, die besonders im Fokus von Klimaschützern stehen wie die Erdöl- und Energieerzeuger sind bevorzugtes Ziel von Klagen und haben ein Interesse daran, aktiv zu einer Lösung beizutragen. Sie wissen aber auch, dass selbst Firmen, die ihre unternehmerische Verantwortung ernst nehmen, nicht vor künftigen Haftungsrisiken gefeit sind.

Nachhaltigkeitsmanagement ist in den meisten Unternehmen mittlerweile Standard. Dass sich die Geschäftsleitungen zur Nachhaltigkeit bekennen, fordern auch Aktionäre immer mehr. Große institutionelle Investoren beobachten und bewerten inzwischen auch noch Unternehmenskriterien wie CEO-Leadership, Nachhaltigkeitsberichte, Emissionsbilanzierung und strategische Planung. Neben den Reputations- und den finanziellen Risiken, die Unternehmen mit schlechter Nachhaltigkeitsbilanz zu tragen haben, können auch Haftungsrisiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel entstehen.

Bessere Klimamodelle erleichtern die Zuordnung der Schäden

Der wissenschaftliche Fortschritt in der Klimamodellierung könnte es künftig erleichtern, Klimaschäden direkt einem Verursacher zuzuordnen. Wenn es gelingt, natürliche Klimaschwankungen auf dekadischen Zeitskalen fundiert vorherzusagen, lassen sich verlässlichere Aussagen darüber treffen, auf welche Ursachen die beobachteten Veränderungen zurückgehen.

Thomas L. Delworth, Leiter des Geophysical Fluid Dynamics Laboratory in Princeton, USA, wies darauf hin, wie wichtig es sei, die Aussagekraft von Klimamodellen insbesondere in ihrer räumlichen Auflösung zu erhöhen. Dafür ist ein besseres Verständnis physikalischer Prozesse wie Wolkenbildung, Wirkung von Aerosolen und Atmosphärenchemie erforderlich. Außerdem sollte der komplette CO2- und Methankreislauf in die Modelle einbezogen werden, denn aufgrund der großen natürlichen Variabilität lassen sich die beobachteten Veränderungen im Detail derzeit nur schwer einer anthropogenen Ursache zuordnen. Ein zukünftiger Forschungsschwerpunkt ist die Mechanismen der natürlichen Klimavariabilität noch genauer zu analysieren, um derartige Klimaschwankungen besser vorhersagen zu können und genauer zwischen anthropogenen und natürlichen Verursachern trennen zu können.

Klimahaftpflichtrisiken: Chancen für die Versicherungswirtschaft

Es gibt erste Policen mit Klimawandel-Bezug, reine Klimahaftpflichtdeckungen sind in der näheren Zukunft aber eher unwahrscheinlich. Inzwischen liegen zwar wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die belegen, dass der Mensch mit seinem Verhalten zum globalen Anstieg der Luft- und Meeresoberflächentemperatur, dem Abschmelzen der Gletscher und Eisflächen, der Erhöhung der Meeresspiegel und der Schädigung der Ökosysteme beiträgt. Was hingegen die Sekundäreffekte angeht, wie die Änderung von Häufigkeit und Ausmaß von Wetterkatastrophen, ist nicht zu erwarten, dass in nächster Zeit ausreichende Beweise vorliegen, um bestimmte Schäden einem konkreten Verursacher zuzuordnen und auf dieser Grundlage ein Gerichtsverfahren zugunsten des Klägers zu entscheiden.

"Die Versicherungswirtschaft hat inzwischen viel Wissen und Expertise zum Thema Klimarisiken aufgebaut", so Evan Mills vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien. "Sie bietet neue Produkte und Services an, um Klimarisiken in Verbindung mit aktuellen bzw. zukünftigen Schadenfällen proaktiv zu managen und künftige Klimahaftpflichtfragen klar zu regeln."

Laut einer Studie von Ernst & Young (Strategic Business Risk – Insurance, 2008) ist der Klimawandel das Versicherungsrisiko Nummer 1. Neben Risiken werden sich aber auch Chancen ergeben. Der weltweit agierende Versicherungsmakler Willis hat eine Klimawandel-Task-Force eingerichtet, um Entwicklungen und Marktlösungen zu beobachten und die Kunden zu informieren. Trotzdem werden Versicherungen nicht die einzige Antwort auf Haftungsfragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel sein. Denn die potenziellen Schadenhöhen können dramatisch ansteigen, die Deckungsverfügbarkeit jedoch bleibt begrenzt. Neue gesetzliche Regelungen und innovative, CO2-arme Technologien eröffnen deutliche Chancen für die Versicherungsindustrie, den Kampf gegen den Klimawandel aktiv und nachhaltig zu unterstützen.

[Bildquelle: NASA image courtesy Jeff Schmaltz, MODIS Land Rapid Response Team at NASA GSFC, Eigener Text basierend auf Veröffentlichung der MunchRe, www.munichre.com]

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