Risiken und Chancen an den Kapitalmärkten

Ein Quantum Trost


Ein Quantum Trost: Risiken und Chancen an den Kapitalmärkten Kolumne

Ein "Quantum Trost" ist der zweite James Bond-Film mit Daniel Craig in der Hauptrolle. Der Streifen, der 2008 in die Kinos kam, übertraf bei Weitem den Erfolg seines Vorgängers. Er war jedoch mit einem Budget von USD 230 Mio. auch erheblich teurer, die Szenen schneller und die Handlung noch ereignisreicher als bei "Casino Royale". Schon die Eröffnungssequenz schlägt die Zuschauer mit einer äußerst spannenden und an Dramatik kaum zu überbietenden Verfolgungsjagd am Westufer des Gardasees mit einem alsbald schrottreifen Aston Martin in seinen Bann.

Einen filmreifen Jahresauftakt erlebten die Investoren auch an den Kapitalmärkten. Den Anfang machte am 15. Januar 2015 die schweizerische Nationalbank (SNB), die sich entschied, den Wechselkurs ihrer Landeswährung freizugeben. Nachdem sich der Euro infolge der Krise der Eurozone bereits 2011 anschickte, unter die kritische Marke von einem Schweizer Franken zu fallen, setzten die Schweizer bisher alles daran, ihre beim Export zunehmend ins Hintertreffen geratende heimische Wirtschaft zu schützen. Dazu war es notwendig, den bis dahin ungebremsten Anstieg der Landeswährung aufzuhalten. Nachdem sich die SNB selbst dazu verpflichtete, bei einem Verhältnis von 1,20 Schweizer Franken zum Euro zu intervenieren und die Zentralbanker rein theoretisch unbegrenzt Schweizer Franken direkt aus der Notenpresse verkaufen konnten, hielt der Damm auch für einige Jahre – eben bis er nicht mehr hielt.

Kurs des Euros zum Schweizer Franken [Quelle: Bloomberg]

Kurs des Euros zum Schweizer Franken [Quelle: Bloomberg]

Grund für die Entscheidung der SNB, sich aus dem Devisenmarkt zurückzuziehen, war der Umfang der bereits angekauften Fremdwährungen und das damit verbundene Risiko für das Alpenland. Die SNB hatte bereits ausländische Noten in einem Umfang von 80 Prozent des jährlichen Bruttosozialproduktes des Alpenlandes erworben. Um dennoch einem weiteren Anstieg der Währung entgegenzuwirken, wurde gleichzeitig der Leitzins, der noch bis in den Dezember letzten Jahres hinein bei 0 Prozent lag, auf zuletzt -0,75 Prozent (Libor Target Rate; die gesetzte Bandbreite reicht von -0,25 % bis -1,25 %] gesenkt.

Der so in Gang gesetzte Dominoeffekt wirkte sich unmittelbar auf Aktien-, Anleihe- und Devisenmärkte aus und veranlasste eine Reihe weiterer Zentralbanken zu raschem Handeln. Zwar gab der Schweizer Aktienindex sofort nach der Bekanntgabe der geldpolitischen Kursänderung der SNB erheblich nach. Doch die Verluste sind zwischenzeitlich weitestgehend wettgemacht. Die Leitindizes der übrigen europäischen Länder setzten dagegen zu einem noch immer anhaltenden Höhenflug an und erreichten so neue Rekordhöhen.

Abgehängt: Europas Aktien auf Rekordjagd

Der Deutsche Aktienindex erklomm ein Rekordhoch von jetzt über 11.400 Punkten, dies entspricht einem Gewinn von respektablen 16,4 % seit Jahresbeginn. Zum Vergleich: Der US-amerikanische S&P 500, der im letzten Jahr noch deutlich stärker zulegen konnte, bleibt mit einem Plus von 2,5 % in Landeswährung seit Anfang 2015 weit abgeschlagen.

Kursgewinne internationaler Aktienleitbörsen in 2014 und seit Jahresbeginn [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]

Kursgewinne internationaler Aktienleitbörsen in 2014 und seit Jahresbeginn [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]

Unterstützt wurde die beeindruckende Rallye der Dividendenpapiere diesseits des Atlantiks nicht zuletzt auch von der weithin erwarteten Ankündigung der Europäischen Zentralbank, die Geldpolitik weiter lockern zu wollen. Angesichts der unvermindert rückläufigen Preissteigerungsrate im Euroraum war dies von den meisten Teilnehmern auch so antizipiert worden.

Doch der am 22. Januar 2015 in Aussicht gestellte Umfang des sogenannten "Expanded Asset Purchase Programme" (EAPP) übertraf selbst die optimistischsten Vorhersagen. Trotz aller Euphorie sind jedoch Zweifel, ob es der EZB gelingt, bis September 2016 monatlich Anleihen im Wert von EUR 60 Mrd. zu erwerben, berechtigt.

Auf den ersten Blick ähnelt das EAPP sehr der Vorgehensweise der US-amerikanischen Notenbank bei der Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise, insbesondere der hohen Arbeitslosigkeit. Hier wurden zwischen 2012 und 2014 jeden Monat USD 40 Mrd. Hypothekenanleihen sowie weitere USD 45 Mrd. US-Treasuries von der Fed erworben. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Programmen ist jedoch, dass das verfügbare Angebot an geeigneten Schuldverschreibungen im Euroland sehr viel überschaubarer ist – und die möglichen Abgeber dazu noch sehr zögerlich. Dass also das "Quantitative Easing" in den USA bemerkenswert erfolgreich war, macht zwar Hoffnung auf eine vergleichbare Wirkung in der Eurozone, aber auch nicht mehr als das.

Das Orakel von Washington bleibt eindeutig mehrdeutig

Und gerade weil die Amerikaner mit ihrer ultralockeren Geldpolitik gut gefahren sind, ist jetzt wohl Schluss damit. Schon versucht die amtierende Chefin der Fed, Janet Yellen, den Kapitalmarkt mit wohl gesetzten Hinweisen behutsam auf eine möglicherweise schon im Juni anstehende Leitzinserhöhung einzustimmen – bislang allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Denn ob in den USA in Kürze eine nun schon sechs Jahre anhaltende Ära von Leitzinsen in der Nähe von null Prozent zu Ende geht oder nicht, ist nicht allein eine Funktion der Stabilität des amerikanischen Wirtschaftswachstums, der Arbeitslosenquote und der Löhne. Zu groß sind die Bedenken, dass sich Amerika als Weltkonjunkturlokomotive übernehmen könnte und das dahinsiechende Europa am Ende die Erholung ausbremsen könnte.

Hinzu kommt die konfrontative Haltung der neuen griechischen Regierung, die sich vor allem mit dem Versprechen, sich an die von den Vorgängern zugesagten Maßnahmen zum Schuldenabbau nicht mehr gebunden zu fühlen, die politische Macht sicherte. Auch wenn die unmittelbare Gefahr eines Austritts Griechenlands aus dem Euro, dem "Grexit" und eine dadurch bedingte mögliche Destabilisierung der Eurozone zunächst gebannt scheint, ist die Situation keineswegs stabil. Dies ist der Fed nicht entgangen und wurde in der Beurteilung des eingeschlagenen geldpolitischen Kurses ausdrücklich erwähnt.

Auch wenn es bislang keine große Überzeugung an den Finanzmärkten hinsichtlich einer anstehenden Erhöhung des Leitzinses durch die Fed zu geben scheint, sind die Renditen langlaufender US-Staatspapiere zuletzt doch merklich angestiegen. Rentierten 10-jährige Treasuries Mitte Januar noch mit 1,64 Prozent, so sind es nun immerhin schon mehr als 2,10 Prozent – ein Anstieg von einem halben Prozent, der entsprechend auch auf der Performance von auf US-Dollar lautenden festverzinslichen Anleihen lastet.

Renditeentwicklung 10-jähriger deutscher und US-Staatsanleihen und Differenz [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]

Renditeentwicklung 10-jähriger deutscher und US-Staatsanleihen und Differenz [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]

Sichere Verluste mit sicheren Bundesanleihen

Ganz anders dagegen, nämlich gefragt wie nie zuvor, präsentieren sich die Staatsanleihen der Euroländer. Mit dem Rückenwind der EZB eilen deutsche Bundesanleihen, aber auch spanische Bonos oder italienische BTPs von einem Kurshoch zum nächsten. Da sich der Kurs einer Anleihe invers zu seiner Rendite verhält, weisen mittlerweile Bundesanleihen mit einer Laufzeit von bis zu sieben Jahren eine negative Rendite auf. Investiert also ein auf Sicherheit bedachter Anleger beispielsweise in die zuletzt emittierte Bundesobligation mit einem Kupon von 0 % und einer Fälligkeit im April 2020, erzielt er damit eine garantierte Wertminderung in Höhe von 0,06 % des eingesetzten Kapitals.

Deutsche Zinsstrukturkurve im Zeitvergleich [Quelle: Bloomberg]

Deutsche Zinsstrukturkurve im Zeitvergleich [Quelle: Bloomberg]

Die Ursache dafür ist der massive Zinsrückgang des vergangenen Jahres. Die Renditen 10-jähriger Bundesanleihen sind im Verlauf des letzten Jahres um fast 2 Prozent gesunken. Lohnende Alternativen zu den deutschen Bundesanleihen sind dabei zunehmend schwer zu finden. Neben den Schweizern und den Euroländern lockerten weitere 20 Länder ihre Geldpolitik, nicht wenige davon überraschend und um einer Aufwertung ihrer Währung gegenüber dem Euro zuvorzukommen. Die Folgen sind dramatisch. Der Anteil europäischer Staatsanleihen mit einer negativen Rendite beträgt aktuell 21 Prozent des Gesamtmarktes oder EUR 1,8 Billion Gegenwert.

Während institutionelle Investoren diese Entwicklung mit zunehmender Besorgnis beobachten, zeigen sich private Anleger ratlos. Noch halten sich die Banken zurück, Sichteinlagen von Privatkunden mit einem als Strafzins bezeichneten Abschlag zu belegen. Ob dies so bleibt, ist mehr als fraglich. Dennoch muss das Kalkül der Zentralbanker, mit billigem Geld oder vielmehr billigem Kredit die Konjunktur zu stimulieren, nicht notwendig aufgehen.

Überblick über Staatsanleihen europäischer Länder mit positiver und negativer Rendite [Quelle: Bank of America/Merrill Lynch]

Überblick über Staatsanleihen europäischer Länder mit positiver und negativer Rendite [Quelle: Bank of America/Merrill Lynch]

Voraussetzung für den Erfolg der Geldpolitik ist, dass das günstige Fremdkapital von der Wirtschaft angenommen und entweder in die Produktion oder in Investitionen fließt. Zwar werden für Investoren risikoreichere Investments attraktiver, wenn die Erträge sicherer Alternativen nicht ausreichen oder gar sichere Verluste sind. Und Investitionsvorhaben von Firmen werden interessanter, wenn die Aufwendungen wie etwa Fremdkapitalkosten sinken, der erzielbare Ertrag aber unverändert bleibt. Doch bislang blieb die Wirkung dieses geldpolitischen Impulses weitgehend aus, die Preissteigerungsrate im Euroland verharrt auf niedrigem Niveau.

Auch der großformatige Anleihekauf durch die EZB birgt Risiken. Verkaufen etwa ausländische Investoren ihre Bestände an die EZB, fließt kein Geld in die inländische Wirtschaft. Trennen sich Banken von ihren als Liquiditätsreserven gehaltenen Staatsanleihen, wird der so erlöste Betrag wohl als Kasse vorgehalten, um aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Liquidität zu erfüllen.

Umgekehrt kann das Niedrigzinsniveau zur ernsthaften Belastung werden. Sind Investoren gezwungen, einen Mindestertrag zu erzielen, bleibt ihnen bei festverzinslichen Wertpapieren oft nur noch die Realisierung von Kursgewinnen oder die Hoffnung auf weiter rückläufige Zinsen. Für Versicherungen heißt dies gegebenenfalls, die Ausschüttungen für Lebensversicherungen zu reduzieren und so das Einkommen für Private weiter zu schmälern. Pensionskassen von Firmen werden gezwungen sein, Unterdeckungen ihrer Pensionskassen auszugleichen – mit der Folge sich verschlechternder Finanzkennzahlen. Werden Unternehmensanleihen zu diesem Zweck oder zur Zahlung einer Dividende über die operativen Erträge hinaus begeben, führt dies zu einer steigenden Verschuldung und möglicherweise fallender Ratings.

Nicht zuletzt zeigt sich auch die Bundesbank sehr skeptisch in der Beurteilung der Notwendigkeit eines solchen "Quantitative Easing". Aus ihrer Sicht lastet zwar der fallende Ölpreis auf der Inflationsrate. Ein moderater Anstieg der Preissteigerungsrate in den kommenden Jahren wird erwartet, das Risiko einer Deflation dagegen als niedrig eingestuft.

Unternehmens- besser als Staatsanleihen

Dennoch schafft das Bekenntnis der EZB, der Deflation kompromisslos entgegenwirken zu wollen, ein positives Klima an den Finanzmärkten. Da das Auseinanderdriften der Geldpolitik in den USA und Europa zu im Vergleich vorteilhafteren Emissionsbedingungen für auf Euro lautende Anleihen führt, wird der hiesige Kapitalmarkt mit Neuemissionen geradezu überschwemmt. Dem immensen Angebot steht gleichwohl eine noch größere Nachfrage gegenüber. In der Folge engten sich die Credit Spreads, also die Zusatzrendite im Vergleich zu Staatsanleihen, deutlich ein.

In diesem Umfeld finden auch Hybridanleihen, also Bonds mit sowohl Eigen- als auch Fremdkapitalmerkmalen, guten Absatz. Dafür muss der Kupon nicht einmal mit der Dividendenrendite des Emittenten mithalten können. Beispielsweise konnte sich der norwegische Ölförderer Total über ein Orderbuch von über 20 Mrd. Euro für seine auf zwei Tranchen aufgeteilte Hybridanleihen mit einem Gesamtvolumen von 5 Mrd. Euro freuen. Da bei dem mit einem selten gewordenen "AA"-Emittenten-Rating ("Aa1" bzw. "AA-" mit negativen Ausblick) auch eine nachrangige Anleihe noch wenigstens ein "A"-Rating erhält, konnten die Bonds mit einem überschaubaren Kupon von 2,25 % bzw. 2,625 % erfolgreich platziert werden und legten überdies im Sekundärmarkt noch über zwei Punkte zu.

Renditeaufschläge (Credit Spreads) von High Yield-Anleihen [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]

Renditeaufschläge (Credit Spreads) von High Yield-Anleihen [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]

Während die Kurse von Schuldverschreibungen US-amerikanischer Emittenten mit unterdurchschnittlicher Bonität (High Yield) im letzten Jahr aufgrund des Ölpreisverfalls noch stärker unter Druck geraten waren, profitierten diese im Vergleich auch mehr von der jüngsten Erholung an den Finanzmärkten. Ob dies so bleibt, hängt davon ab, ob Investoren hier eine größere Chance durch die anhaltend gute Wirtschaftsentwicklung oder eine größere Gefahr durch die wohl kommende Zinserhöhung sehen. Sowohl im Vergleich zu den vergangenen Monaten als auch zu der Kursentwicklung der Aktien scheinen die Renditeaufschläge der Corporate Bonds aktuell nicht teuer zu sein und lassen Spielraum für eine Fortsetzung der bisherigen positiven Entwicklung. Dass die Kursgewinne bei Unternehmensanleihen durch die Einengung der Credit Spreads zudem einen Teil der Verluste bedingt durch die zuletzt ansteigenden Renditen in den USA wettmachen konnten, mag den Anlegern dabei ein Quantum Trost sein.

Autor:

Michael Hünseler, Head of Credit Portfolio Management, Assenagon Asset Management S.A.

[ Bildquelle Titelbild: © fotogestoeber - Fotolia.com ]
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