Ende einer Boomphase ...

Ein chinesisches Problem?


News

Es gibt zwei Bilder von China, die nicht zusammenpassen: Auf der einen Seite ist das fernöstliche Land das Mekka für alle Unternehmen, die expandieren wollen. Es gilt als Retter der Weltwirtschaft, das mit seinen hohen Wachstumsraten (zuletzt + 10,7 %) die anderen Staaten aus der Rezession gezogen hat. Auf der anderen Seite enttäuscht der Aktienmarkt in Shanghai auf breiter Front. Seit Mitte letzten Jahres haben die Kurse dort per Saldo nicht mehr zugelegt. In den USA und in Europa sind sie in dieser Zeit dagegen deutlich gestiegen (Dow Jones + 28 %, DAX + 25 %). Wie passt das zusammen? Signalisiert der Aktienmarkt, dass die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten so nicht durchzuhalten sind und dass es zu Problemen kommen könnte? Oder sind die Aktienhändler einfach zu pessimistisch?

Am Markt gibt es zwei Erklärungen für diesen Widerspruch. Die eine ist, dass das Land in der Konjunkturzyklik schon weiter fortgeschritten ist. Es hat bereits die zweite Stufe der Erholung erreicht. Da sind die Verbesserungen nicht mehr so spektakulär und werden nicht mehr so stark wahrgenommen. Das Wachstum schwenkt in den Normalmodus ein. In den Industrieländern bewegt sich der Aufschwung dagegen noch auf dünnem Eis. Die Aktienanalysten freuen sich über jede gute Zahl als Bestätigung, dass die Erholung gelingt.

Die zweite Erklärung ist, dass die Chinesen als Reaktion auf den stärkeren Anstieg der Verbraucherpreise (2,7 % im Februar) schon dabei sind, die monetären Impulse auf die Wirtschaft wieder einzusammeln. Die Kreditgewährung der Banken wird gebremst. Die Mindestreserven werden erhöht. Bald werden auch die Zinsen angehoben. Das ist natürlich Gift für die Aktien. Weder die USA noch Europa sind schon so weit, dass die Notenbanken Liquidität stärker beschränken und die Zinsen anheben könnten. Hier lebt der Markt noch weitgehend von der hohen Geldversorgung.

Die beiden Argumente erklären manches, aber nicht alles. Offen bleibt vor allem, warum die Aktien in anderen Schwellenländern, die in der Dynamik durchaus mit China vergleichbar sind, eine so viel bessere Performance aufweisen. Dazu gehören Länder wie Indonesien (+ 38 % seit Juli 2009), Indien (+ 18 %), Korea
(+ 18 %) oder Brasilien (+ 37 %). Das könnte doch darauf hindeuten, dass es ein spezifisch chinesisches Problem gibt. Nicht dass China kurz vor dem Ende des Aufschwungs und der Zeit der hohen Wachstumsraten stünde (die Kurse fallen ja nicht). Aber die Risiken haben offenbar zugenommen.

Es gibt hierfür eine Reihe von Indizien: Auf dem großen Volkskongress in Peking Anfang März hielt der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao eine überraschend pessimistische Rede. Er sprach vom schwierigsten Jahr für die chinesische Wirtschaft. Die Geschäfte der Unternehmen hätten sich noch nicht fundamental gebessert. Viele seien noch von Konjunkturprogrammen abhängig, um sich über Wasser zu halten. Es sei auch schwierig, die Preise in Griff zu halten. Ich war über diese Aussagen überrascht. Vom Regierungschef eines der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder der Welt hätte ich andere Worte erwartet. Niemand würde hierzulande so über China sprechen. Bemerkenswert war aber auch, dass diese Rede in der Öffentlichkeit wenig Beachtung fand. Der Premierminister muss Gründe haben, wenn er so etwas sagt (wenn es nicht taktisches Kalkül war, was natürlich auch gewesen sein könnte).

Die Chinesen wehren sich inzwischen wieder verstärkt gegen eine Aufwertung des Renminbi. Noch Anfang des Jahres war eine gewisse Kompromissbereitschaft zu erkennen. Natürlich spielt bei der Ablehnung auch Prestigedenken eine Rolle. Die Chinesen lassen sich nicht gerne von außen zu Maßnahmen drängen. Andererseits läge eine Höherbewertung ihrer Währung in ihrem eigenen Interesse. Sie würde die Preise für Importe verringern und die Bekämpfung der Inflation erleichtern. Aber offenbar sind sich die Chinesen noch nicht so sicher, dass die Wirtschaft auch ohne Wechselkurshilfen für den Export so reibungslos läuft. Sie brauchen noch mehr Zeit, um die Binnennachfrage als Ersatz für die Ausfuhren in Schwung zu bringen. Sie sind dafür auch bereit, international auf Konfrontationskurs zu gehen und möglicherweise protektionistische Gegenmaßnahmen der Vereinigten Staaten zu provozieren.

Die Ungleichgewichte in China nehmen zu. Bisher sprach man vor allem von den regionalen Disparitäten zwischen dem reichen Osten und dem Rest des Landes. Dazu kamen die Ungleichheiten in der Einkommens- und Vermögensverteilung, die hohe Arbeitslosigkeit und die vielen Ineffizienzen in öffentlichen Unternehmen. Jetzt addiert sich dazu, dass Banken durch die expansive Geldpolitik der letzten Jahre in erheblichem Maß faule Kredite in ihren Büchern haben. Auf den Immobilienmärkten zeigen sich vermehrt Überhitzungserscheinungen. Die Preise für Grundstücke und Gebäude steigen. Gleichzeitig gibt es Leerstände. Die hohe Investitionsquote (42 %) muss auf Dauer zu Fehlallokationen in den Unternehmen führen. So etwas ist bei hohen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten zu verkraften, da dann die Überkapazitäten früher oder später in den Produktionsprozess eingegliedert werden. Aber wenn sich das Wachstum verlangsamen sollte, wird es kritisch.

Schließlich gibt zu denken, dass die Zeit mit sehr hohem Wachstum (im Durchschnitt mehr als 9 % p. a.) nunmehr schon über 30 Jahre dauert. Natürlich ist das die Take off-Phase der Industrialisierung, die auch in den heutigen Industrieländern lange Zeit hielt. Aber 30 Jahre ohne größere Unterbrechung sind eine sehr lange Zeit. Sie muss einmal zu Ende gehen. Danach fällt eine Wirtschaft nicht ins Nichts, wohl aber in niedrigere Wachstumsraten von vielleicht 4 bis 5 %.

Insgesamt sind das keine harten Beweise. Es ist eher ein ungutes Gefühl, das aus der Addition von ein paar weichen Faktoren resultiert. Angesichts des Mangels an verlässlichen Statistiken sind sie schwer einzuschätzen. Niemand weiß, ob und wann die Probleme schlagend werden können. Die Regierung wird alles tun, das Ende des Booms so weit wie möglich hinauszuschieben. Aber verhindern wird sie es am Schluss nicht können.

Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.



[Bildquelle: iStockPhoto]

Risk Academy

Die Intensiv-Seminare der RiskAcademy® konzentrieren sich auf Methoden und Instrumente für evolutionäre und revolutionäre Wege im Risikomanagement.

Seminare ansehen
Newsletter

Der Newsletter RiskNEWS informiert über Entwicklungen im Risikomanagement, aktuelle Buchveröffentlichungen sowie Kongresse und Veranstaltungen.

jetzt anmelden
Lösungsanbieter

Sie suchen eine Softwarelösung oder einen Dienstleister rund um die Themen Risikomanagement, GRC, IKS oder ISMS?

Partner finden
Ihre Daten werden selbstverständlich vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.