Verankerung und Förderung einer Risikokultur

Der Mensch im Mittelpunkt des Risikomanagements


Der Mensch im Mittelpunkt des Risikomanagements: Verankerung und Förderung einer Risikokultur Kolumne

Ein Schlüssel zur langfristigen Wertsteigerung und Kontinuität in einem Unternehmen ist ein durch alle Mitarbeiter getragenes und "gelebtes" Risikomanagement. In der Praxis existieren zahlreiche Risikomanagementsysteme, deren Unterstützung durch flexible und effiziente Instrumente gewährleistet ist. Die Herausforderung liegt jedoch in der permanenten Verbesserung des gesamten Systems. Am Beispiel der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) soll nachfolgend aufgezeigt werden, welche Aspekte die Nachhaltigkeit eines Risikomanagementsystems unterstützen können.

Allzu oft wird in Unternehmen bei der Ausarbeitung des Risikomanagements der Fokus auf die detaillierte Ermittlung von Kenngrößen zur Quantifizierung von Risiken gelegt. Mit der Berechnung von Risiken durch mathematische Modelle, etwa basierend auf statistischen Modellen, akzeptiert man eine hohe Komplexität des Systems: Nicht selten entsteht eine Black-Box, die auf zahlreichen Annahmen basiert. Für die Mitarbeiter werden nicht selten keine direkt verwertbaren Resultate zurück geliefert. Das Risikomanagementsystem verliert seine Akzeptanz und die ermittelten Resultate werden nicht in der Steuerung des Unternehmens berücksichtigt. Vor allem bei Konzernen mit zahlreichen Mitarbeitern, vielen Schnittstellen und diversen Prozessen und Systemen ist es wichtig, den Mensch in den Mittelpunkt des Risikomanagements zu stellen. Nur so kann eine breite Akzeptanz erzielt werden.

In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen i-Risk, einem Spin-Off der ETH Zürich, hat sich die SBB zum Ziel gesetzt, den Risikomanagementprozess so weiterzuentwickeln, so dass er von der Organisation gelebt wird und die Möglichkeit bietet, sich den Veränderungen des Marktes und der Organisation laufend anzupassen. Um dies zu erreichen, wurden vor allem Theorien der "Gruppenintelligenz" und der Entscheidung in Gruppen herangezogen.

Möglichst umfassende Identifikation der Risiken

Die Risikoidentifikation bildet das Fundament des gesamten Prozesses. Nur identifizierte Risiken können später gesteuert werden. Daher ist es in dieser Phase besonders wichtig, auf die im Unternehmen vorhandenen Erfahrungen und breiten Kenntnisse zurückzugreifen.

Experten übersehen oft Risiken in ihrem Bereich, Laien hingegen überschätzen [vgl. Christensen-Szalanski/Bushyhead 1981] diese. Daher sollten möglichst viele und möglichst verschiedene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu Risiken befragt werden.

Damit der individuelle Denkprozess nicht von Meinungen Anderer beeinträchtigt wird, sollten bei  der Risikoidentifikation lediglich Strukturen und keine Risiko-Listen (bzw. Risikoatlanten) vordefiniert werden. Menschen tendieren dazu, vor allem externe Risiken aufzuführen, welche nur sehr beschränkt beeinflussbar sind. Die gewichtigsten und leider oft nicht erkannten Risiken sind jedoch interne Risiken [vgl. Hamilton/Micklethwait 2006].

Aufgrund dieser Erkenntnisse wurden bei der SBB über 100 Führungskräfte aus allen Bereichen der Organisation befragt:

  • Mit den Führungskräften wurden Risiken aus ihren, wie auch aus anderen Bereichen beleuchtet.
  • Im Prozess wurden zunächst nicht die Resultate der Vorjahre herangezogen. Unterstützend kam die "Bow-Tie-Methodik" [vgl. Sutton 2010] zur Anwendung, durch welche die Risiken jeweils in einer Kette von Ursache-Ereignis-Auswirkung dargestellt wurden.
  • Die Führungskräfte wurden vor allem auch auf interne Schwächen der SBB aufmerksam gemacht.


Qualitative Bewertungskriterien

Im unternehmensweiten Risikomanagement ist es wichtig eine Priorisierung zu erreichen, damit das Management Maßnahmen priorisieren kann. Daher steht weniger die Genauigkeit der Bewertung der Risiken im Vordergrund, als vielmehr die Relation der Risiken zueinander. Als Format eignen sich dabei moderierte Gruppenworkshops. Jeder Teilnehmer hat dabei pro Risikobewertung eine "Stimme" und bewertet jedes Risiko aus seiner persönlichen Sicht. Dabei wird die Theorie herangezogen, dass sich jede Bewertung der Teilnehmer aus dem genauen Wert und einem Delta, geprägt von Erfahrungen, zusammensetzt. Je mehr Teilnehmer bewerten, desto besser hebt sich dieses Delta auf und das arithmetische Mittel wird genauer [vgl. Gordon 1924]. Der Einbezug einer Gruppe zur Bewertung der Risiken erhöht auch die Akzeptanz der erhaltenen Resultate.

Damit die Gruppe bestmögliche Resultate in der Bewertung der Risiken erzielt, sind drei Grundsätze zu berücksichtigen:

  • Heterogene Gruppenzusammensetzung: Aufgrund der Streuung der Schätzungen gleichen sich die Abweichungen der einzelnen Werte gegenseitig aus [vgl. 'T Hart/Stern/Sundelius 1997].
  • Unabhängigkeit der Gruppenmitglieder: Die Gruppenmeinung wird nicht in eine bestimmte Richtung beeinflusst oder verschoben [vgl. Asch 1952].
  • Unbeeinflusste Aggregation: Das arithmetische Mittel stellt das Ergebnis des Gruppenentscheidungsfindungsprozesses dar [vgl. Larrick/Soll 2003].


Die qualitative Bewertung der Risiken fand bei der SBB in Workshops statt, in welchen verschiedene Teilnehmer je eine Stimme zu jedem Risiko abgeben konnten. Der Moderator sorgte dafür, dass die drei Grundsätze eingehalten wurden, was nicht ganz einfach ist.

Verknüpfung mit der Strategie

Vor allem bei Konzernen mit zahlreichen Managementinstrumenten ist die Einbindung des  Risikomanagements in die bestehenden Systeme sehr wichtig. Die Zuordnung der Risiken zu den strategischen Stoßrichtungen ist mit erheblichen Vorteilen verbunden:

  • Die Granularität der Risiken wird vereinheitlicht, weil die Flughöhe der Analyse von der Strategie gesteuert wird. Damit werden nur die zentralen Risiken im unternehmensweiten Risikomanagement aufgenommen und die Effizienz des Prozesses wird erhöht [Vogler/Gundert 1998].
  • Die Verankerung, die Akzeptanz und das Verständnis des Risikomanagements im Bereich Unternehmensentwicklung sowie -steuerung wird erhöht.
  • Wenn das Management die erarbeiteten Resultate des Risikomanagements zur Aktualisierung der Strategie verwendet entsteht ein großer Mehrwert.


Daher wurde bei der SBB das Risikomanagement sehr eng mit der Strategie verknüpft.

Regelmäßiger Austausch und Weiterentwicklung des Systems

Damit ein Managementsystem auch langfristig Mehrwert schafft, muss man es den Veränderungen in Organisation und Markt laufend anpassen. Zu diesem Zweck wurde innerhalb der SBB eine "Risk Community" gebildet, bestehend aus 20 Führungskräften. Die Risk Community trifft sich regelmäßig, um übergreifende Themen zu behandeln und nötigenfalls Prozessänderungen einzuleiten. Wie bereits für die Risikobewertungs-Gruppe skizziert, ist auch für die Risk Community eine große Heterogenität und Unabhängigkeit der Personen wichtig.

Fazit

Die Einführung eines Risikomanagementsystems und die erstmalige Durchführung sind deutlich einfacher als die nachhaltige Verankerung des Systems in einer Organisation. Damit Risikomanagement in der Organisation lebt und auch sinnvoll eingesetzt wird, ist es zwingend notwendig, eine Risikokultur im Unternehmen aufzubauen. Vor allem bei großen Konzernen ist dabei ein Konzept des Risikomanagements zu wählen, das diese Risikokultur immer wieder ins Gedächtnis ruft. Nur wenn eine große Anzahl von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen das System verstehen und es mittragen, kann man langfristig Risiken sinnvoll managen. Dabei steht nicht das System im Zentrum, sondern der Mensch.


Quellenverzeichnis sowie weiterführende Literaturhinweise:

Asch, S. (1952): Effects of Group Pressure Upon the Modification and Distortion of Judgments, In Readings in Social Psychology, Guy Swanson, Theodore M. Newcomb, and Eugene L. Hart-ley, (edts.), Holt, Rinehart and Winston, New York.

Christensen-Szalanski, J. / Bushyhead J. (1981): Physician’s use of probabilistic information in a real clinic setting. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 7, 928-935.

Gordon, K. (1924): Group Judgment in the field of Lifted Weights. Journal of Experimental Psychology, 7, 398-400.

Larrick, R. / Soll, J. (2003): Intuitions about Combining Opinions – Missappreciation of the Aver-aging Principle, INSEAD working paper 2003/09/TM.

Sutton I. (2010): Process Risk and Reliability Management, Elsevier, New York.
Hamilton, St., Micklethwait, A. (2006): Greed and Corporate Failure: The Lessons from Recent Disasters, Palgrave Macmillan.

'T Hart, P. / Stern, E. / Sundelius, B. (1997): Beyond Groupthink: Political Group Dynamics and Foreign Policy Making, Michigan University Press, Ann Arbor.

Vogler, M. / Gundert, M. (1998): Einführung von Risikomanagementsystemen. Der Betrieb, 51. Jg., Heft 48, S. 2377-2383.


Autoren:

Dr. Eric Montagne
, Gründer und Managing Partner i-Risk GmbH.

Dr. Claus Zizek, Risk Management SBB Personenverkehr und Vizepräsident Netzwerk Risikomanagement.

Prof. Dr. Roman Boutellier, Vizepräsident für Personal und Ressourcen ETH Zürich und Beirat i-Risk GmbH.

 


[Bildquelle: © masterzphotofo - Fotolia.com]

 

Risk Academy

Die Intensiv-Seminare der RiskAcademy® konzentrieren sich auf Methoden und Instrumente für evolutionäre und revolutionäre Wege im Risikomanagement.

Seminare ansehen
Newsletter

Der Newsletter RiskNEWS informiert über Entwicklungen im Risikomanagement, aktuelle Buchveröffentlichungen sowie Kongresse und Veranstaltungen.

jetzt anmelden
Lösungsanbieter

Sie suchen eine Softwarelösung oder einen Dienstleister rund um die Themen Risikomanagement, GRC, IKS oder ISMS?

Partner finden
Ihre Daten werden selbstverständlich vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.