§1 StaRUG

COVID-19 Pandemie, Energiekrise und Staatshilfen und die "bestandsgefährdenden Entwicklungen" 


§1 StaRUG: COVID-19 Pandemie, Energiekrise und Staatshilfen und die "bestandsgefährdenden Entwicklungen"  Kolumne

In der COVID-19 Pandemie traten in der Folge der "Lockdowns" (siehe dazu Gleißner 2020 und 2021a sowie Daumann et al. 2022 sowie Romeike 2021a und 2021b) bei vielen Unternehmen so schwerwiegende Umsatzeinbrüche auf, dass die damit einhergehenden Verluste durch das vorhandene Risikodeckungspotential – Eigenkapital und Liquiditätsausstattung – nicht mehr zu tragen waren. Der deutsche Staat reagiert mit ganz erheblichen, und zunächst durchaus eher unbürokratischen Hilfsprogrammen, um Insolvenzen von Unternehmen, speziell in den besonders betroffenen Branchen (wie beispielsweise Gastronomie und Reisebranche) zu verhindern. Auch große, börsenorientierte Unternehmen, wie die Lufthansa, waren auf solche Staatshilfen angewiesen.

In der sich nun infolge des Ukraine-Kriegs und der damit einhergehenden Gas- und Energiekrise in Deutschland abzeichnenden Krise (siehe Gleißner, 2022b) werden voraussichtlich wieder umfangreiche Staatshilfen erforderlich sein, um die Existenz von Unternehmen zu sichern. Es erscheint deshalb geboten, die Praxis solcher Staatshilfen einmal vor dem Hintergrund der gesetzlichen Anforderungen an das Krisen- und Risikomanagement für Unternehmen zu betrachten. 

Grundsätzlich sind diese Staatshilfen nämlich genau dafür gedacht den Bestand des Unternehmens zu sichern und sie sind entsprechend für Unternehmen vorgesehen, die sich in einer "bestandsgefährdenden Entwicklung" (siehe Gleißner 2017 sowie Romeike/Hager 2020) befinden. Eine solche bestandsgefährdende Entwicklung ist eine schwere Krise, die die Unternehmensleitung voraussichtlich nicht mehr ohne Unterstützung Dritter bewältigen kann. Eine Unterstützung solcher Dritter ist möglich durch Eigentümer (Kapitalerhöhung), Gläubiger (Verlängerung von Krediten) oder eben durch den Staat – wie bei den Staatshilfen in den oben angesprochenen Wirtschaftskrisen. Nun ist es durchaus sinnvoll durch eine solche Unterstützung zu erreichen, dass aus einer bestandsgefährdenden Entwicklung keine Insolvenz wird (siehe Gleißner 2021b). 

Persönliche Haftungsrisiken für Geschäftsleiter

Aber wenn ein Unternehmen in einer bestandsgefährdenden Krise ist und dies durch die Inanspruchnahme von Staatshilfe explizit anzeigt, kann sich hier unmittelbar ein persönliches Haftungsrisiko für die Geschäftsleiter ergeben, zumindest wenn das Unternehmen eine haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaft darstellt. Seit 01.01.2021 fordert nämlich §1 StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) (siehe Gleißner/Lienhard/Kühne 2021 und Weitzmann 2021 sowie Gleißner/Romeike 2022), dass die Unternehmen in der Lage sein müssen mögliche bestandsgefährdende Entwicklungen früh zu erkennen. Solche bestandsgefährdenden Entwicklungen ergeben sich meist aus Kombinationseffekten von Risiken, was zur Erfüllung der gesetzlichen Mindestanforderungen die Identifikation, Quantifizierung und Aggregation von Risiken voraussetzt (siehe zu den grundlegenden Methoden Romeike/Hager 2020 und Gleißner 2022a). 

Krisen lassen sich praktisch immer auf die Auswirkung von Risiken zurückführen. Wenn nun ein Unternehmen in einer bestandsgefährdenden Entwicklung – einer schweren Krise – und Staatshilfen in Anspruch nimmt, ergibt sich naheliegenderweise eine Frage: Waren die diese Krise verursachenden Risken vorab bekannt? Die Möglichkeit einer Pandemie, steigender Energiepreise sowie steigende Inflationsraten und Zinsen sind natürlich – ebenso wie unternehmensspezifische Risiken (beispielsweise durch den Verlust von Kunden) – an sich bekannte Risiken. In vielen Fällen wird man bei einer kritischen Betrachtung erkennen, dass im Unternehmen eben keine adäquaten Methoden für die Identifikation, Quantifizierung und Aggregation von Risiken existiert haben. In all diesen Fällen ist die Inanspruchnahmen von Staatshilfen also ein deutliches Indiz für ein Versäumnis der Geschäftsleitung, mit der sich Aufsichtsrat oder Beirat befassen müssen und auch hier bestehen persönliche Haftungsrisiken sogar für Beirat und Aufsichtsrat (siehe Weitzmann 2021).

Faule Ausrede für fehlendes wirksames Risikomanagement

Vielmehr ist es häufig so, dass die vorhandene Risikoblindheit mit der Aussage "Das konnten wir nicht wissen" entschuldigt wird. Unter der Überschrift "Schwarzer Schwan und Vogel Strauss" hatte bereits Ende März 2016 Nikolaus von Bomhard, der damalige Vorstandsvorsitzende des Rückversicherers Munich Re, auf diese typische faule Ausrede hingewiesen (siehe von Bomhard 2016): "Meine These ist, dass die vermeintliche Unvorhersehbarkeit von Ereignissen nur allzu oft als Ausrede für fehlendes Risikomanagement herhalten muss. Auf diese Weise wird aus menschlichem Versagen höhere Gewalt, aus Leichtsinn wird Pech, aus Verantwortungslosigkeit wird Schicksal." Im gleichen Artikel verwies er auf ein anderes Szenario, dessen Wahrscheinlichkeit leider ebenfalls zugenommen hat, nämlich eine militärische Konfrontation des Westens mit Russland: "Der Ukraine-Konflikt und der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei haben gezeigt, dass ein militärischer Konflikt mit Russland zwar zum Glück nach wie vor sehr unwahrscheinlich, aber eben leider auch nicht undenkbar ist. Sind die Staaten und Unternehmen auf derartige Szenarien vorbereitet?"  

Wie kann es sein, dass die deutsche Automobilindustrie kritische Wertschöpfungsprozesse in die Ukraine verlagern (beispielsweise Prozesse zur Herstellung von Kabelbäumen) und später behauptet, dass der Konflikt völlig überraschend eingetreten sei. Vielmehr zeigt dieses Beispiel eine ausgeprägte Risikoignoranz und keine Lerneffekte aus der Vergangenheit (siehe Erfahrungen der deutschen Automobilindustrie in der Folge der "Arabischen Frühlings"). Vielmehr scheint zu gelten, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Frühwarnindikatoren wurden schlicht und einfach ignoriert und "unter den Teppich gekehrt".

Der Geschäftsleitung ist also aus schon rein ökonomischen Überlegungen dringend zu empfehlen, ein den gesetzlichen Mindestanforderungen genügendes und wirksames Risikomanagement aufzubauen, wie es beispielsweise in 2022 aktualisierten Risikomanagementstandart des Deutschen Instituts der Internen Revision beschrieben ist (DIIR RS Nr. 2 Version 2.1, 2022) (vgl. DIIR- und RMA-Arbeitskreis "Interne Revision und Risikomanagement" 2022). Vor allem vor der Inanspruchnahme und Beantragung von Staatshilfen sollte man – sofern noch nicht geschehen – das Risikomanagement überarbeiten und eine Risikoanalyse erstellen, die der aktuellen Risikolage gerecht wird und auf die Möglichkeit einer schweren Krise, speziell einer bestandsgefährdenden Entwicklung, wenigstens hinweisen.

Autoren:

Prof. Dr. Werner Gleißner
, Vorstand der FutureValue Group AG und Honorarprofessor für Betriebswirtschaftslehre, insb. Risikomanagement, an der TU Dresden. Er ist Autor zahlreicher Fachartikel und -bücher. 

Frank Romeike ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Kompetenzzentrums RiskNET - The Risk Management Network. Er ist Autor zahlreicher Fachartikel und -bücher sowie Dozent für Stochastik und quantitatives Risk Management an verschiedenen Hochschulen. 

 

Weiterführende Literatur

  • Daumann, F./Follert, F./Gleißner, W./Kamaras, E./Naumann, Ch. (2022): Political Decision Making in the COVID-19 Pandemic: The Case of Germany from the Perspective of Risk Management, in: International Journal of Environmental Research and Public Health, Vol. 19, No. 1, S. 397 ff., https://doi.org/10.3390/ijerph19010397
  • DIIR- und RMA-Arbeitskreis "Interne Revision und Risikomanagement" (2022): Der neue DIIR Revisionsstandard Nr. 2 zur Prüfung des Risikomanagementsystems. Implikationen von FISG und StaRUG für die Interne Revision, erarbeitet von Bünis, M./Disch, O./Gleißner, W./Gutzmer, M./Hadaschik, M./Kempf, A./Kimpel, R., in: ZIR, Heft 3, S. 112-117.
  • Gleißner, W. (2017): Was ist eine "bestandsgefährdende Entwicklung" i.S. des § 91 Abs. 2 AktG?, in: Der Betrieb Nr. 47 vom 24.11.17, S. 2749-2754.
  • Gleißner, W. (2020): Die Corona-Krise: Fakten, Prognosen und Risiken, in: Corporate Finance, Heft 05-06 vom 25.05.2020, S. 121-130.
  • Gleißner, W. (2021a): Die COVID-19-Pandemie und der Umgang mit Risiken und Krisen: Lessons Learned für Staaten und Unternehmen, in: Corporate Finance, Nr. 05-06 vom 28.05.2021, S. 121-127.
  • Gleißner, W. (2021b): Krisenfrüherkennung und Kennzahlen einer Krisenampel. Implikationen aus dem StaRUG (2021), in: Controller Magazin, Heft 5 (September/Oktober 2021), S. 34-42.
  • Gleißner, W. (2022a): Grundlagen des Risikomanagements. Handbuch für ein Management unter Unsicherheit, 4. Aufl., Vahlen Verlag München.
  • Gleißner, W. (2022b): Der Ukraine Krieg. Sechs kurze Botschaften für die Verantwortlichen in Staat und Wirtschaft, 22.06.2022, www.risknet.de/themen/risknews/sechs-kurze-botschaften-fuer-die-verantwortlichen-in-staat-und-wirtschaft/ (abgerufen am 22.06.2022).
  • Gleißner, W./Lienhard, F./Kühne, M. (2021): Implikationen des StaRUG. Neue gesetzliche Anforderungen an das Krisen- und Risikofrüherkennungssystem, in: Zeitschrift für Risikomanagement (ZfRM), 2. Jg., Heft 2.21, S. 32-40.
  • Gleißner, W. / Romeike, F. (2022): StaRUG und FISG: Neue Aufgaben für den Aufsichtsrat, in: Der Aufsichtsrat 01/2022, S. 2-4.
  • Romeike, F. (2021a): Systematic Risk Blindness, in: Risk Management Review, Edition 2021.
  • Romeike, F. (2021b): Risikowahrnehmungsfalle: Gefangen in einer Welt der "gefühlten Wahrheiten", in Trend-Dossier, Ausgabe 01/2021 | 13. Januar 2021.
  • Romeike, F./Hager, P. (2020): Erfolgsfaktor Risiko-Management 4.0. Methoden, Beispiele, Checklisten Praxishandbuch für Industrie und Handel, Springer Gabler, Wiesbaden.
  • von Bomhard, Nikolaus (2016): Schwarzer Schwan und Vogel Strauss, in: FAZ vom 29.03.2016,
  • Weitzmann, J. (2021): Teil 1 Krisenfrüherkennung und -management, in: Pannen, K./Riedemann, S./Smid, S. (Hrsg.): StaRUG. Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, C.H.Beck, S. 61–94.

 

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / VRD ]
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