Gratwanderung

Chance und Risiko auf den höchsten Bergen der Welt


Chance und Risiko auf den höchsten Bergen der Welt Kolumne

Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts und ein erneuter Blick nach links: Diese Regel beim Überqueren einer Straße wird jedem von uns bereits in Kindheitstagen als Schemata eingeimpft. Dahinter steckt nichts anderes als persönliches und tief in unserer Intuition verankertes Risikomanagement. Jeder von uns ist ein mehr oder weniger professioneller Risikomanager beim Navigieren durch den Alltag. Jeden Tag aufs Neue: Jeder von uns trifft tagtäglich Entscheidungen unter Berücksichtigung des individuellen Risikoappetits und der Risikotragfähigkeit. Risikomanagement liegt uns quasi im Blut. Und doch sind wir diesbezüglich alle unterschiedlich.

Eine Winterbesteigung eines Achttausenders ist für die Wenigsten kompatibel mit dem persönlich definierten Risikoappetit und den körperlichen und psychologischen Möglichkeiten. Nicht so für Tamara Lunger. Die 33-jährige Südtirolerin liebt die Herausforderung. Als Tochter eines erfolgreichen Skibergsteigers hat Tamara Lunger die "Abenteuer-Gene" tief in sich verankert. Bereits seit Kindesbeinen ist Sport, Aktivität und Abenteuer eine wichtige Konstante in ihrem Leben. Sie war Mitglied in der italienischen Nationalmannschaft für Skibergsteigen und holte mehrere Titel als Staatsmeisterin. Mit 23 Jahren ist sie die jüngste Frau auf dem Lhotse, mit 8516 m der vierthöchste Berg der Welt. Im Jahr 2014 besteigt sie ohne Sauerstoff den K2, den schwierigsten und mit 8.611 m zweithöchsten Achttausender. Tamara Lunger suchte im Anschluss die besonderen Herausforderungen: Winterbesteigungen im Himalaya. An solchen extremen Expeditionen sind in der Vergangenheit viele Bergsteiger-Ikonen gescheitert. Aber Tamara Lunger mag es zu leiden, sich Ihren Grenzen zu nähern und neue Pfade zu begehen.

Ein anderer Blick in die Welt des Risikomanagements

Tamara Lunger war Gast auf dem RiskNET Summit 2019 im Schloss Hohenkammer. Mehr als 100 Risikomanager aus verschiedenen Branchen begleiteten Tamara Lunger auf eine spannende Reise auf die höchsten Berge der Welt, die kältesten Regionen auf diesem Globus und die Einsamkeit der Mongolei. Die Teilnehmer des RiskNET Summit erhielten einen anderen, neuen und sehr persönlichen Blick in die Welt des Risikomanagements auf den höchsten Bergen der Welt.

Weiter aufsteigen, abwarten oder umkehren sind die Risikogrößen mit denen Tamara in Ihrer Welt arbeitet. Sie selbst beschreibt sich eher als intuitive Bergsteigerin. Gepaart mit dem eher analytisch geprägten Stil Ihres Expeditionspartners, dem erfahrenden Simone Moro, hat Sie alle Voraussetzungen für ein wirksames Risikomanagement und Frühwarnsystem. Die Basis hierfür bietet eine fundierte Risikoidentifikation und -bewertung, selbst in kritischen Situationen. Und von diesen konnte Sie bereits einige erleben. Insbesondere Winterexpeditionen verlangen dem menschlichen Körper alles ab: Temperaturen kälter als minus 40 Grad Celsius, Windgeschwindigkeiten größer als 100 Kilometern pro Stunde, Einsamkeit, Abgeschiedenheit und der ständigen Lawinengefahr ausgesetzt, setzen Sie nicht nur dem Körper, sondern auch und vor allem der Psyche zu. Nur die stärksten Bergsteiger wagen sich überhaupt an diese Aufgabe heran. Wenn Tamara von Ihren Expeditionen spricht, hört der Zuhörer Worte voller Demut und Respekt vor den Bergen und gleichzeitig diese unnachahmliche jugendliche Neugier, in unbekanntes Terrain vorzudringen. In einem Interview sagte sie einmal: "Idealerweise ist auch ein erwachsener Mensch einer, der sein Kinderherz niemals verliert. Dabei muss ich nicht allen gefallen, stets aufrichtig bleiben und die Welt ohne Vorurteile betrachten." Für die Zuhörer ist es inspirierend, ihre Begeisterung für die Schönheit unserer Erde und gleichzeitig das Verlangen nach Freiheit zu spüren.

Tamara Lunger: "Gratwanderung" – Chance und Risiko auf den höchsten Bergen der Welt
Intuition als Frühwarnsystem

Im Jahr 2016 plante Tamara Lunger eine Winterbesteigung des neunthöchsten Berges der Welt, dem 8.125 m hohen Nanga Parbat. Der Tag der Gipfelbesteigung war jedoch alles andere als optimal. Die Temperaturen lagen bei minus 34 Grad Celsius und der Wind pfiff mit 45 Kilometern pro Stunde den Bergsteigern um die Ohren. Und bereits am frühen Morgen sagte das Frühwarnsystem in ihrem Körper: "Heute ist nicht mein Tag!" Diese Einschätzung sollte sich recht schnell bewahrheiten. Denn jeder Schritt fiel ihr schwerer als sonst. Sie erbricht. Und doch rafft sie sich zusammen und hofft darauf, dass die ersten Sonnenstrahlen rauskommen und ihr neue Energie liefern. Doch als eine innere Stimme ihr sagt "Wenn Du jetzt weitergehst, kommst Du nie mehr zurück", weiß sie, dass sie die drei Männer in ihrer Seilschaft in Gefahr bringen würde, wenn sie jetzt nicht umkehrt. In diesen Höhen ist jeder für sich verantwortlich und kann sich nicht auf die Hilfe Anderer verlassen. 70 Meter vor dem Gipfel kehrt Tamara Lunger um. Risikomanagement "par excellence". Beim Abstieg springt sie über eine Gletscherspalte und rutscht aus. "Das ist das Ende", denkt sie, als sie den steilen Hang herunterrutscht. Erst ein Schneehaufen bremst sie nach 200 Metern und rettet damit ihr Leben.

70 Meter vor der Erfüllung eines Traums und einem weiteren Rekord dreht Tamara Lunger um. Sie selber nennt es im Nachgang "Abstieg zu Mehr". Ja, Sie hätte die jüngste Frau auf dem Gipfel eines Achttausenders im Winter sein können. Aber um welchen Preis: Erfrierungen, Lungenödem oder gar der Tod? Die Folgen hätten dramatisch sein können. Sie hat ohne Zweifel eine schwierige, aber vor allem richtige Entscheidung getroffen. Und sie hat auf ihre innere Stimme, ihr intuitives Frühwarnsystem, gehört. Wenn Tamara über diese Minuten in extremen Höhen spricht, merkt man, wie sehr Sie mit sich im Reinen ist. Wie sehr sie in sich ruht. Und wie stolz sie auf diese Entscheidung ist.

Gar nicht so selten ist das Nicht-Erreichen eines Ziels und das bewusste Zurücktreten der entscheidende Schritt, um Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Einer Perspektive, die es einem ermöglicht, trotz aller Investitionen, Risiken neu zu bewerten und im Zuge eines kontinuierlichen Prozesses Projekte abzubrechen, um langfristig zu überleben.

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Die einsamen Berge im eiskalten Osten Sibiriens

Von den höchsten Bergen des Himalayas nahm Tamara Lunger die Teilnehmer des RiskNET Summit mit auf eine abenteuerliche Reise in die eiskalten Regionen Ostsibiriens. Im Jahr 2018 gelang Tamara Lunger und dem Italiener Simone Moro bei Temperaturen um minus 50 Grad Celsius die erste Winterbesteigung des 3.003 Meter hohen Pik Pobeda. Auf dem höchsten Berg Sibiriens wurden in der Vergangenheit bereits mit minus 71,3 Grad Celsius die niedrigsten Temperaturen der Nordhalbkugel gemessen.

Die spannenden Reisen, auf die Tamara Lunger die Teilnehmer des RiskNET Summit mitgenommen hat, zeigten viele Parallelen zum wirtschaftlichen Handeln. Auch hier ist das kontinuierliche Abwägen von Chancen und Risiken von elementarer Bedeutung. Und auch wenn man sich in einer Sackgasse befindet, muss ein Unternehmer sich trauen den "Reset-Knopf" zu drücken, um umzukehren und noch einmal von vorne zu beginnen. Und auch 70 Meter vor dem Ziel kann es sinnvoll sein, umzukehren. Oder es kann sinnvoll sein, die Strategie anzupassen. Es ist besser, auf halbem Wege umzukehren, als auf dem falschen Weg zu bleiben.

"Der Glückliche ist nicht immer dankbar. Der Dankbare aber immer glücklich." sind die Schlussworte einer Frau, die mit Ihrer lebensbejahenden und positiven Einstellung die Fähigkeit besitzt, Menschen in ihren Bann zu ziehen und ganz neue Sichtweisen aufzuzeigen. Für Tamara Lunger gibt es nichts auf dieser Welt, was stärker ist als ihre Liebe zu den Bergen. Sie bedeuten für sie alles: Freiheit, Glück und Zufriedenheit.

[ Bildquelle Titelbild: Stefan Heigl / RiskNET GmbH | Tamara Lunger ]

 
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