Decentralised Finance

Ausfahrt Zukunft


Decentralised Finance: Ausfahrt Zukunft Kolumne

Die Vision eines unabhängigen Finanzsystems gibt es schon seit zwei Jahrzehnten. Praktische Lösungen hinken dieser Vision aber weiter hinterher. Die Einführung von Bitcoin beschränkte sich zunächst auf die Speicherung und Übertragung digitaler Vermögenswerte. Das Ziel des Bitcoin-Spiritus Satoshi Nakamoto waren sichere Finanztransaktionen außerhalb der staatlichen Aufsicht sowie eine algorithmische statt einer politischen Kontrolle der Geldschöpfung. Diese politische Mission ist der Grund für den Erfolg der Krypto-Währungen.

Erst in den letzten acht Jahren gewannen neue Finanzdienstleistungslösungen an Bedeutung. Verantwortlich dafür ist eine alternative Finanzinfrastruktur, die auf der Ethereum-Blockchain aufbaut.

In jüngerer Zeit wird der Begriff "Decentralised Finance", kurz DeFi, häufig verwendet. Darunter wird ein Ökosystem autonom arbeitender Finanzanwendungen wie dezentrale Börsen (DEX), Versicherungen oder Kredit- und Darlehensmarktplätze verstanden. 

DeFi unterscheidet sich vom etablierten Finanzsystem (Centralised Finance, CeFi) in dreierlei Hinsicht: 

  1. Vermittlung: DeFi benötigt keine Intermediäre. Komplexe Finanzströme werden über unveränderliche Protokolle verwaltet und automatisiert. Die Disintermediation kann die Transaktionskosten senken und zu mehr Liquidität im System führen. Es ist allerdings nicht einfach, in einem dezentralen Umfeld ohne Liquiditätssicherung Stabilität und Effizienz zu erreichen.
  2. Interoperabilität: Die DeFi-Anwendungen sind quelloffen und in hohem Maße interoperabel. DeFi-Protokolle können als Legosteine betrachtet werden. Häufig wird der Begriff "money legos" verwendet: Jeder Baustein hat seine eigene Funktionalität, wie z. B. das Ausleihen, Verleihen oder Einsetzen von Vermögenswerten. Bei DeFi gibt es keine Urheberrechte an entwickelten Anwendungen, und der Wettbewerb ist hoch. 
  3. Inklusion: DeFi-Anwendungen bestehen aus autonomer Software und stützen sich nicht auf Identitäten, sondern auf pseudonyme Identifikatoren. Daher können Marktteilnehmer nicht per se ausgeschlossen werden. Da DeFi auf dem Internet aufbaut, wird nur ein Gerät mit Internetanschluss benötigt, um auf vernetzte Kapitalmärkte zuzugreifen. So könnte DeFi zu einem Instrument für wirtschaftliche Stärkung und Entwicklung werden, indem es eine potenzielle Lösung für über 1,7 Milliarden Menschen weltweit bietet, die derzeit keine Bankverbindung haben.

Die Aufsichtsbehörden schauen sehr genau auf diese Entwicklung. Sie nehmen vor allem die Risiken für die Finanzstabilität in den Blick. Folgerichtig hat der Finanzstabilitätsrat (FSB) im Februar einen umfangreichen Report zu den "DeFi-Risiken" veröffentlicht. Während die Verfahren zur Erbringung von Dienstleistungen in vielen Fällen neu sind, unterscheidet sich DeFi in den Funktionen, die es ausführt, nicht wesentlich vom traditionellen Finanzsystem.

Schwachstellen wie operationelle Anfälligkeiten, Liquiditäts- und Laufzeitinkongruenzen, übermäßige Verschuldungsgrade sowie Verflechtungen, Konzentration und Komplexität können auf besondere DeFi-Merkmale zurückzuführen sein. Die besonderen Merkmale von DeFi können dazu führen, dass diese Schwachstellen zuweilen anders zum Tragen kommen als im traditionellen Finanzwesen. So kann es zum Beispiel das Ausführungsrisiko von "smart contracts" geben, d.h. das Risiko von Notverkäufen im Zusammenhang mit der automatischen Verwertung von Sicherheiten. 

Die wohl besorgniserregendsten Schwachstellen bei DeFi sind die unterschiedlichen Liquiditäts- und Laufzeitprofile von Verbindlichkeiten und Vermögenswerten der betreffenden Unternehmen. Solche Inkongruenzen können zu Risiken führen, die sich möglicherweise auf andere Teile des Finanzsystems auswirken. In der DeFi sind diese Arten von Liquiditätsrisiken im Falle von Stablecoins und Kreditprotokollen besonders ausgeprägt. 

Stablecoins spielen eine Schlüsselrolle im DeFi-Ökosystem. Sie werden so genannt, weil sie in der Regel an ein Zahlungsmittel wie den US-Dollar gekoppelt sind. Sie können sich aber auch am Preis anderer Währungen oder Vermögenswerte (z. B. Gold) orientieren. In diesem Sinne übernehmen sie oft die Glaubwürdigkeit, die das von der Zentralbank ausgegebene Geld bietet. Ihr Hauptanwendungsfall ist die Überwindung der hohen Preisvolatilität und geringen Marktliquidität von ungesicherten Krypto-Assets wie Bitcoin. 

Darüber hinaus weist der Bericht darauf hin, dass Krypto-Vermögenswerte, die einem Großteil von DeFi zugrunde liegen, keinen inhärenten Wert haben. Dies verstärkt die identifizierten Schwachstellen. 

Ebenso kann die Verschuldung die Marktdynamik wesentlich beeinflussen. Aufgrund der Pseudonymität beruht die Finanzintermediation in DeFi weitgehend auf der Verwendung von Sicherheiten und der damit verbundenen Hebelwirkung.

Der Bericht bewertet, ob diese Schwachstellen für die Finanzstabilität besorgniserregend sind. Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass dies hauptsächlich von den Verflechtungen und Übertragungskanälen zwischen DeFi, dem traditionellen Finanzwesen und der Realwirtschaft abhängt. 

Bislang ist DeFi hauptsächlich selbstreferenziell, d. h. seine Produkte und Dienstleistungen interagieren eher mit anderen DeFi-Produkten und -Dienstleistungen als mit dem traditionellen Finanzsystem und der Realwirtschaft. Das zeigen auch die beschränkten Auswirkungen der Turbulenzen auf dem Krypto-Markt im Mai 2022 und der Zusammenbruch der Krypto-Handelsplattform FTX im November 2022. Sollte DeFi jedoch deutlich wachsen, würde sich der Spielraum für Spillover-Effekte vergrößern. 

Die Aufsichtsbehörden lassen sich weiterhin vom herrschenden Prinzip der Finanzregulierung leiten: "gleiche Aktivität, gleiche Regulierung". Dieser Grundsatz erfasst allerdings immer nur die einzelnen Aktivitäten und ignoriert die Verstärkung der Risiken, die durch die Bündelung der Aktivitäten in einem Krypto-Konglomerat entstehen. Der Fall von Silvergate Capital zeigt, wie die Verflechtung zwischen Krypto-Konglomeraten und dem traditionellen Finanzsektor Risiken auf die Makroebene übertragen können. 

Auch wenn im FSB-Bericht die Risiken nicht danach unterscheiden, nähert man sich den DeFi-Risiken durch ausgewählte Indikatoren. Sie könnten zur Überwachung der Anfälligkeit von DeFi und der Übertragungskanäle verwendet werden. Der Rat identifiziert mindestens vier Schlüsselkennzahlen, die zur Überwachung der Entwicklung des DeFi-Ökosystems verwendet werden können: 

  1. Die Gesamtsumme der abgeschlossenen Werte (Total Value Locked, TVL) auf dem Krypto-Markt misst den Betrag der in Smart Contracts eingezahlten Gelder. Die DeFi-Kreditvergabe betrug im Februar 2023 knapp 14 Milliarden US-Dollar. 2017 waren das schon mal 45 Milliarden US-Dollar.
  2. Die Anzahl der DApps kann als Proxy für die Anzahl der DeFi-Projekte verwendet. DApps sind DeFi-Anwendungen, die Dienstleistungen wie Kreditvergabe oder Handel anbieten, vor allem zwischen Krypto-Assets.
  3. Die dritte Metrik ist die Stablecoin-Marktkapitalisierung, die einen Hinweis auf die Bedeutung von Stablecoins innerhalb von DeFi geben kann. 
  4. Schließlich kann die Zahl der DApps-Nutzer auf der Grundlage der eindeutigen Adressen in den zugrundeliegenden Blockchains einen Hinweis darauf geben, inwieweit die Beteiligung am DeFi-Markt wächst.

Wenn man die Risiken in den Griff bekommt, dann könnte DeFi zu einem Paradigmenwechsel in der Finanzbranche führen und möglicherweise zu einer robusteren, offeneren und transparenteren Finanzinfrastruktur beitragen, so jedenfalls einige Protagonisten. In jedem Fall ist der Krypto-Markt im Vergleich zum gesamten Finanzsystem winzig und sehr transparent. Das daraus signifikante makroökonomische Probleme erwachsen, ist im Moment nicht zu erkennen.

Zukunft des Geldsystems 

Jedes Mal, wenn Haushalte und Unternehmen Zahlungen im Rahmen von Finanztransaktionen tätigen, vertrauen sie auf die Sicherheit des Geldes und der Zahlungssysteme als öffentliches Gut. Dieses Vertrauen zu erhalten, ist der Kern des Mandats der Zentralbank.

Für die Zentralbanken sind vor allem zwei Innovationen des Krypto-Sektors bedeutsam. Zum einen die Möglichkeit der globalen Netzwerkbildung durch Distributed-Ledger-Plattformen (Blockchain). Zum anderen die Möglichkeit der Programmierbarkeit von Geld und anderen Aktiva. Diese beiden Möglichkeiten hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ, Bank for International Settlements) zum Anlass genommen und ihrem Jahresbericht 2022 ein Kapitel zum künftigen Geldsystem verfasst.

Die BIS verwendet als Metapher einen Baum, dessen fester Stamm die Zentralbanken sind (vgl. Abb. 01). Das auf Zentralbankgeld basierende Geldsystem unterstützt ein vielfältiges und vielschichtiges digitales Ökosystem von konkurrierenden Teilnehmern und Funktionen. Sogenannte Payment Service Providers (PSPs) aus dem privaten Sektor erhalten vielfältigen Freiraum für Innovationen. 

Abb. 01: Die Zentralbank als Baumstamm, der ein vielfältiges Ökosystem stützt [Quelle: BIS (2022, S. 92)]Abb. 01: Die Zentralbank als Baumstamm, der ein vielfältiges Ökosystem stützt [Quelle: BIS (2022, S. 92)]

Das Hauptanliegen des Staates muss es sein, die Interoperabilität zwischen Plattformen und Nicht-Plattformen zu gewährleisten und Hindernissen für den freien Austausch verschiedener Arten von Geld entgegenzuwirken, so das Verständnis der Autoren. Eine wesentliche Voraussetzung ist die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung (CBDC). 

Die Zukunft des globalen Geldsystems sollte aus Sicht der BIS daher aus CBDCs als Basis bestehen, auf deren Grundlage dann privatwirtschaftliche, aber regulierte digitale Geldformen gebaut werden können. Wenn Bargeld perspektivisch verschwindet, wird ein Nachrichtenanker benötigt, der die Austauschbarkeit aller verschiedenen privaten Formen von Geld gewährleistet. 

CBDCs nutzen in erster Linie die gleiche Technologie wie Kryptowährungen. Anstatt die Kontrolle über das Geld zu dezentralisieren, zentralisieren sie die Infrastruktur einer digitalen Währung und ermöglichen so eine bessere Kontrolle und Verifizierung. Ein funktionierendes CBDC würde privat ausgegebene Krypto-Währungen, einschließlich der Stablecoins, eindämmen oder sie bei Finanztransaktionen weit weniger allgegenwärtig machen. 

Durch die Abschaffung mehrerer Ebenen privater, von Stablecoins betriebener Ökosysteme würde das CBDC die strukturelle Komplexität und Undurchsichtigkeit des Finanzsystems verringern und damit seine Überwachung und interne Steuerbarkeit vereinfachen. Außerdem würde es eine potenziell gefährliche Konzentration der Kontrolle über die Geldmenge – und die wirtschaftliche Macht im Allgemeinen – in den Händen einiger weniger großer privater Unternehmen verhindern.

Die BIS schlussfolgert, dass eine CBDC alle positiven Eigenschaften von privaten Krypto-Währungen replizieren könnte. Durch die Gewährleistung von Interoperabilität, die Einführung digitaler Zentralbankwährungen und andere Maßnahmen können Bedrohungen der Währungssouveränität verhindert werden, so die Vorstellung der Bank.

Autor:

Dr. Silvio Andrae 

 

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / Coloures-Pic ]
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