Missstände bei den Eigenkapitalvorschriften für Banken

Wer zahlt für die Krise?


Missstände bei den Eigenkapitalvorschriften für Banken: Wer zahlt für die Krise? News

In einem Brief an Wirtschaftsminister Gabriel hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf die Missstände bei den Eigenkapitalvorschriften für Banken hingewiesen. Dem Beirat gehören unter anderem Martin Hellwig, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und Professor an der Universität Bonn sowie Hans Gersbach, Professor für Makroökonomie, Innovation und Politik an der ETH Zürich, an.

Der von 37 Wissenschaftlern unterzeichnete Brief fordert den Wirtschaftsminister eindringlich auf, die deutsche und europäische Position zu überdenken: "Die derzeitigen Regeln weisen wichtige Lücken auf. Aufgrund dieser Lücken ist die Finanzstabilität gefährdet. Es ist zu befürchten, dass in absehbarer Zeit erhebliche neue Lasten auf das Finanzsystem bzw. den Steuerzahler zukommen."

Nach Ansicht der Wissenschaftler können die Argumente, die gegen die Basler Vorschläge vorgebracht werden, nicht überzeugen. Sie seien geprägt von den Interessen der Banken und vernachlässigen die Risiken für die Steuerzahler. Sie vernachlässigen auch die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts, so der Wissenschaftliche Beirat in ihrer Kritik.

Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht wurde im Jahr 1974 von den Zentralbanken und Bankaufsichtsbehörden der G10-Staaten als Reaktion auf den Konkurs der Herstatt-Bank und weiterer Banken gegründet, um einheitliche Standards im Bereich der Bankenregulierung vorzuschlagen. So schlägt der Basler Ausschuss aktuell unter anderem vor, das die Verwendung bankinterner Modelle zur Ermittlung der Risiken und zur Bestimmung der risikogewichteten Aktiva und des erforderlichen Eigenkapitals dadurch eingeschränkt werden, dass bestimmte Mindestanforderungen auf keinen Fall unterschritten werden. Bei der Eigenkapitalunterlegung für Immobilienkredite, die die Banken selbst halten, sollen zudem in einem stärkerem Maße als bisher auf die Risiken dieser Kredite abgestellt werden. In anderen Worten: Die bisherige Privilegierung der Immobilienkredite bei der Eigenkapitalregulierung soll eingeschränkt werden.

Die Argumente der Lobbyisten und Kritiker gegen diese Vorschläge stützen sich im Wesentlichen auf die nachfolgenden drei Argumente:

  1. Man müsse auf die risikogewichteten Aktiva abstellen, da die Banken sonst allzu große Anreize haben, hohe Risiken einzugehen. Eine risikounabhängige Untergrenze für Kapitalanforderungen auf Titel im Handelsbuch könne der Finanzstabilität schaden.
  2. Eine stärkere Berücksichtigung von Risiken bei Immobilienfinanzierungen würde europäische Banken stärker treffen als US-amerikanische, denn letztere sind seit längerem gewohnt, die Risiken ihrer Immobilienkredite über Verbriefungen weiterzugeben, teilweise an die staatlich geförderten Institute Fannie Mae und Freddie Mac, teilweise an Dritte im Kapitalmarkt.
  3. Eine Erhöhung der effektiven Eigenkapitalanforderungen könnte die Kreditvergabe hemmen und dem Wirtschaftswachstum schaden.

Nach Ansicht der Wissenschaftler kann keines der vorgebrachten Argumente überzeugen. "Zudem besteht zwischen dem ersten und dem zweiten Argument ein Widerspruch: Wenn man eine angemessene Risikogewichtung für notwendig hält, ist nicht einzusehen, warum bei Immobilienkrediten die Risikogewichtung durch Pauschalfestsetzungen ersetzt wird", so die Position des Wissenschaftlichen Beirats.

Verwendung bankinterner Risikomodelle im Handelsbuch

Grundsätzlich soll eine Bank für zusätzliche Risiken auch mehr eigene Mittel einsetzen. Die Wissenschaftler kritisieren in diesem Kontext aber, dass im derzeitigen System dann, wenn eine Bank vorgibt, weniger Risiken einzugehen, "sie mit einem geringeren Eigenkapitaleinsatz davonkommt".
Hierbei hilft ein Blick auf die Ursachen der letzten Finanzkrise (2007-2009), die maßgeblich durch Verluste auf Titel im Handelsbuch geprägt war. "Die Banken hatten die internen Modelle benutzt, um das zur Finanzierung dieser Titel aufgewandte Eigenkapital auf weniger als ein Prozent der Anlagesummen zu beschränken." So hatte die schweizerische UBS bereits im 2008 berichtet, wie beim Einsatz der bankinternen Modelle die Risiken kleingerechnet wurden [UBS Report to Shareholders on UBS’s Writedowns, Zürich April 2008].

Daher argumentieren die Wissenschaftler wie folgt: "Dem Argument, man benötige die Risikokalibrierung, um den Banken die Anreize zum Eingehen übermäßiger Risiken zu nehmen, steht die Erwägung gegenüber, dass eine fehlerhafte Risikokalibrierung den Banken die Möglichkeit bietet, mit wenig Eigenkapital sehr große und sehr stark gehebelte Investitionen in Anlagen zu tätigen, deren Risikogewichte nahe bei Null liegen, obwohl die Risiken tatsächlich signifikant sind. So wurde in den Jahren vor 2008 der Kauf von Verbriefungen hochriskanter Hypotheken in den USA durch systematisch überoptimistische Ratings und unangemessen niedrige Risikogewichte gefördert; der massenhafte Kauf solcher Papiere durch deutsche Finanzinstitute war ein wichtiger Grund für die besondere deutsche Betroffenheit durch die Krise."

Daher weisen die Autoren darauf hin, dass die zur Diskussion stehende Untergrenze für die Eigenkapitalanforderungen auf das Handelsbuch gerade den Missbrauch der Risikomodelle zum Kleinrechnen der Risiken einschränken soll. Im Kern geht es darum, Missbräuche im Rahmen des bestehenden Systems zu begrenzen.

Risiken der Immobilienkredite

Unter den derzeitigen Regeln werden Immobilienkredite pauschal als sicherer behandelt als Unternehmenskredite. Das wird traditionell damit begründet, dass die Immobilie als Sicherheit dient, die deutlich fungibler ist als die Maschinen und anderes bei Unternehmen.

Dabei wird nach Ansicht der Wissenschafter übersehen, dass Immobilienkredite regelmäßig im Zentrum von Finanzkrisen stehen: "Allein in den letzten vierzig Jahren wären zu nennen: die Krise der US-amerikanischen Sparinstitute Anfang der 1980er Jahre und erneut Anfang der 1990er Jahre, die Krise der englischen Building Societies und ihrer Kreditversicherer Anfang der 1990er Jahre, die Bankenkrisen in Japan, Schweden, der Schweiz Anfang der 1990er Jahre, die Subprime-Krise 2006-2009 in den USA, die Bankenkrisen in Irland 2010 und in Spanien 2012."

Für die Zukunft ist nach Ansicht der Autoren zu erwarten, dass die deutschen Banken Verluste aufgrund makroökonomischer Entwicklungen, wie etwa Einbrüchen in den Immobilienmärkten, nicht mehr so leicht absorbieren können wie in der Vergangenheit.

Hinter den durch Immobilienkredite verursachten Krisen stehen folgende Mechanismen:

  • "Die Marktpreise von Immobilien in einem Land sind positiv miteinander korreliert; sie werden gemeinsam beeinflusst durch Zinsentwicklungen und Konjunkturentwicklungen.
  • Bei steigenden Immobilienpreisen wird das Risiko einer Minderbewertung der Sicherheiten nach Zerplatzen der Blase unterschätzt.
  • Bei steigenden Immobilienpreisen erhalten auch Kunden Kredite, deren Schuldendienstkapazität nicht nachhaltig gesichert ist.
  • Bei steigenden Marktzinsen bewirken Zinsgleitklauseln ein erhöhtes Kreditrisiko. Festzinsverträge dagegen bergen das Risiko, dass die Kreditzinsen nicht ausreichen, die Refinanzierungskosten der Bank zu decken."

Die hier benannten Risiken werden in der Eigenkapitalregulierung vernachlässigt, weil diese traditionell auf das einzelne Institut abstellt und Systemzusammenhänge ausblendet, weil diese den Korrelationen der verschiedenen Risiken nur unzureichend Rechnung trägt und weil das Risiko einer Änderung der Refinanzierungskosten für Kredite im Bankbuch ebenfalls ausgeblendet wird, so die Regulierungsexperten weiter.

Einige der hier benannten Risiken sind derzeit als hoch anzusehen, denn Niedrigzinsphase und Immobilienpreisentwicklung haben viele Menschen veranlasst, in Immobilien zu investieren; auch haben viele Finanzinstitute Kredite mit Zinsbindungen von zehn Jahren und mehr vergeben. Sollten die Marktzinsen wieder ansteigen, so kann es wieder zu Krisen wie in den frühen 1990er Jahren kommen, so ein skizziertes Szenario der Wissenschaftler.

Asymmetrie der Wirkungen in Europa und den USA

Die Frage, ob eine bessere Berücksichtigung der Risiken von Immobilienkrediten die europäischen Finanzinstitute stärker treffen würde als die amerikanischen, ist in diesem Zusammenhang nach Ansicht der Autoren unerheblich. Der typische Immobilienfinanzierer in Deutschland steht nicht im Wettbewerb mit einem amerikanischen Immobilienfinanzierer. Und selbst wenn er mit diesem im Wettbewerb stände – hier muss es darum gehen, das Finanzsystem in Deutschland und den Steuerzahler in Deutschland vor den Risiken einer durch Immobilienkredite verursachten Finanzkrise zu schützen.

Die Wissenschaftler weiter: "Für die Wohlfahrt des Landes ist die entscheidende Frage nicht, ob 'unsere' Banken in den globalen Märkten wettbewerbsfähig sind, sondern ob die Ressourcen, die hier zur Verfügung stehen, effizient eingesetzt werden. Werden die Fähigkeiten von Physikern effizient genutzt, wenn sie bei Banken Risikomodelle entwickeln? Oder wäre es besser, sie würden sich mit der Entwicklung der Elektromobilität beschäftigen, um den bisher bestehenden komparativen Vorteil Deutschlands im Automobilsektor zu bewahren?"

Solche Fragen kann letztlich nur der Markt beantworten, aber die Antworten, die der Markt gibt, sind nur verlässlich, wenn die Marktprozesse nicht durch externe Effekte (etwa die Risiken einer Finanzsystemkrise) oder durch Steuern und Subventionen verfälscht werden. Wettbewerbserfolge, die durch Marktverzerrungen entstehen, können für die Volkswirtschaft und die Bürger sehr teuer sein, so ein wesentliches Argument der Autoren. Ein Blick in der Vergangenheit gibt ihnen in diesem Punkt Recht.

[ Bildquelle Titelbild: © Romolo Tavani - Fotolia.com ]
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