Wie Entscheider die Wirklichkeit definieren

Kommunikation und Krise


Rezension

Täuschungen beruhen physiologisch auf der Bau- und Funktionsweise des menschlichen Auges, psychologisch auf einer Fehldeutung bzw. einem Schätzfehler bei Erfassung des Wahrgenommenen. Als ein Beispiel aus der Physik sei die oppelsche Täuschung genannt, bei der eine unterteilte Strecke für länger gehalten wird als eine gleich lange nicht unterteilte Strecke.

Nicht selten wird eine Wirklichkeit definiert, die objektiv nicht vorhanden ist. Ähnlich verhält es sich mit Wirtschaftsprognosen, deren Urheber die Realität zwar exakt beschreiben wollen, aber häufig nicht eindeutig sind. Nicht selten konstruieren Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eine Wirklichkeit, um das Meinungsbild der Öffentlichkeit zu beeinflussen. Wer sind aber die Führungskräfte und wie transferieren sie die Bilder, um Meinungen und Wertvorstellungen zielorientiert zu lenken? Mit dieser Thematik hat sich eine Ringvorlesung der Freien Universität Berlin mit Beiträgen aus der Wissenschaft und Praxis beschäftigt. Eine Grundthese ist, das die "Realität der Wirtschaft aus der Interaktion zwischen Managern, Wissenschaftlern, Politikern, Journalisten entsteht – alle gemeinsam entwickeln ein Weltbild und verankern es öffentlich". Die These basiert auf den Erkenntnissen des Konstruktivismus. Demnach sollen menschliches Denken, Handeln und Reden rekonstruierbar, dass heißt in ihren Invarianzen und jeweiligen Gültigkeit in schrittweise gewonnenen Einsichten begriffen werden. Die Menschen können die Wirklichkeit nicht objektiv abbilden oder erfassen; jegliche Erkenntnis bzw. Wissen existiert nur in den Köpfen von Menschen. Somit ist auch erklärbar, warum sich "Moden" wie Business Process Reengineering durchsetzen konnten. Die Idee hierfür entstand im Kopf eines Wissenschaftlers und wurde durch eine Beratungsgesellschaft aktiv vermarktet.

Eine nicht unerhebliche Anzahl von Führungskräften unterlag dieser Modeströmung, obwohl selbst die Urheber konstatieren mussten, dass die überwiegende Zahl an Projekten scheiterte. Wie die aktuelle Wirtschaftskrise zeigt, neigen nicht wenige Entscheidungsträger dazu, Modetrends wie eine Herde von Schafen hinterherzulaufen. Sie unterliegen einem Herdentrieb, wobei die Ernüchterung häufig nicht lange auf sich warten lässt. Auch die Vielfalt der Medien hat sich in der zurückliegenden Dekade vergrößert. Insbesondere führte das Internet dazu, dass Nachrichten immer schneller in Umlauf kamen. Parallel stieg auch die Anzahl der Personen, die Nachrichten via Blogs, Twitter und weiterer Technologien im Internet publizieren.

Das vorliegende Buch behandelt vertiefend die folgenden Themen:

Teil A: Entscheider in der Krise,
Teil B: Weltbilder setzen – was Manager von der Politik lernen können
Teil C: Deutungshoheit erlangen – wie Unternehmen die Realität definieren.

Renommierte Wissenschaftler liefern Grundlagen der Kommunikation sowie aktuelle Forschungsergebnisse zur Frage, wie Meinungsbildner ihre Realität konstruieren. Erfahrene Politiker verdeutlichen, mit welchen Techniken und Maßnahmen der Meinungsbildungsprozess verläuft. Andere Autoren beschreiben anhand von Beispielen, wie über die Macht der Kommunikation Meinungen manipuliert werden.

So wird dargelegt, dass zunehmend Kommunikation ein zentrales Element des strategischen Managements ist. Die Autoren weisen darauf hin, dass Kommunikation immer dann an Grenzen stößt, wenn sie lediglich als eine eng umrissene betriebswirtschaftliche Funktion verstanden wird. Gerade im Zuge der Finanzkrise und der Sprachlosigkeit vieler Spitzenmanager weist der Beitrag von Herrmann Scheer (Mitglied des Bundestages und Träger des alternativen Nobelpreises) explizit auf die Gefahren eines blinden Vertrauens in die Rationalität des Marktes hin.  

Vielfältige Beiträge befassen sich in diesem Buch mit dem Thema Kommunikation, Medien und Sprache von Meinungsbildnern. Über das Internet haben immer mehr Teilnehmer Zugang zu Nachrichten. Jedoch fehlt es im Internet vielfach an korrektiven Maßnahmen. So können Internetnutzer sich echauffieren und ungefiltert Meinungen und Behauptungen aufstellen, die einer näheren Prüfung nicht standhalten. Und nicht wenige Nutzer schenken den Behauptungen Glauben.

Oder auch Unternehmen erwecken durch Duplizierung von Nachrichten den Eindruck, als handele es sich um eine Mehrzahl von Teilnehmern, die ebenfalls diese Auffassungen teilen. Das Internet stellt – nach Ansicht der Autoren – eine moderne Form der Meinungsmanipulation dar. Seriöse Printmedien, bei denen professionelle Redaktionen Nachrichten und Informationen recherchieren, wichtige Informationen von unwichtigen trennen, sind hingegen auf dem Rückzug. Daher stellen sich einige Autoren die Frage, ob nicht Regelungen und Restriktionen hinsichtlich Nachrichtenverbreitung im Internet notwendig sind. Oder sollte vielmehr die Medienkompetenz gefördert werden? Beispiele für die Rechtfertigung einer Regelung gäbe es. Leider bleiben diese Aspekte bei den Erörterungen unberücksichtigt.

Dank der hochrangigen Autoren ist es den Herausgebern gelungen, ein lesenswertes und informatives Buch zum Thema Kommunikation und Krise zu veröffentlichen.

Autor der Rezension: Christoph Tigges


Details zur Publikation

Autor: Oltmanns/Kleinaltenkamp/Ehret
Seitenanzahl: 190
Verlag: GWV Fachverlage GmbH
Erscheinungsort: Wiesbaden
Erscheinungsdatum: 2009

RiskNET Rating:

Praxisbezug
Inhalt
Verständlichkeit

sehr gut Gesamtbewertung

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