Der große Schuldenzyklus

Wie Staaten bankrott gehen


Rezension

Dalio beginnt in seinem neuen Buch "Wie Staaten bankrott gehen" (How Countries Go Broke) damit, die These aufzustellen, dass Staaten – selbst solche mit eigener Währung und vermeintlich starker wirtschaftlicher Stellung – sehr wohl in einer Form von Bankrott oder schweren Schuldkrise geraten können. Er stellt das Konzept des "großen Schuldenzyklus" ("Big Debt Cycle") vor – eine Langfristbewegung von Aufschwung über zunehmende Verschuldung hin zu Krisen und Neuordnung. Er stellt die Fragen: Gibt es Grenzen für Staatsschulden? Wie wirken Zinsen, Wachstum, Geldpolitik und politische Reaktionen zusammen? 
In einem einführenden Kapitel beschreibt Dalio die Mechanik des großen Schuldenzyklus: Er erläutert, wie Privatschulden und Staatsschulden langfristig aufgebaut werden – er liegt nicht nur auf kurzfristigen Geschäfts- oder Auf- und Abzyklen, sondern auf einem längeren Zyklus (oft 50 bis 80 Jahre) mit charakteristischen Phasen. Er skizziert, wie zunächst ein Aufschwung entsteht: Wachstum, Kreditaufnahme, Optimismus. Dann vergrößert sich die Verschuldung, es kommt zu Überdehnung, Zinsen steigen, Wachstum schwächt sich, Investoren werden skeptisch – bis zur Krise oder Restrukturierung. 

Dalio gliedert den großen Schuldenzyklus in mehrere typische Stadien – von der Aufbauschuldenphase über den Boom, die Krise bis zur "Neuordnung". Eine Rezension spricht von neun aufeinanderfolgenden Phasen, die Staaten durchlaufen bei einer Schulden- und Währungs-Krise. Beispiele solcher Phasen: Private Verschuldung wächst stark, Staat übernimmt Bürgschaften, greift ein, Zinsbelastung wird hoch, Währung unter Druck, Inflation oder Währungsabwertung, Restrukturierung, Neuordnung der Macht-, Finanz- und Währungsordnung. Dalio zeigt anhand historischer Fälle (über 65 Krisen) diese Muster auf. 

In einem anschließenden Kapitel widmet sich Dalio der Frage, warum Staaten "bankrott gehen" können. Hier untersucht er, wie Staaten mit eigener Währung dennoch faktisch in eine gefährliche Lage geraten können: Wenn die Schulden so groß werden, dass die Zinslast über Handlungs- und Wachstumsraum hinausschießt, das Vertrauen sinkt und Investoren oder die Kreditmärkte nicht mehr mitspielen. Er diskutiert, wie Zentralbanken und Regierungen intervenieren: via Geldschöpfung, Abwertung, Tabu-Brüche, Neuordnung – was letztlich die reale Last auf Bevölkerung und Wirtschaft verschiebt.

In einem weiteren Abschnitt geht Dalio auf konkrete Indikatoren ein: Verhältnis von Schulden zu BIP, Zinskosten, Sparrate, Wachstum, Leistungsbilanz, Währungsreserven, Staatsquote, politische Rahmenbedingungen. Er stellt fest: Selbst große Staaten mit Reservenwährung (beispielsweise die USA) sind nicht immun – solange die fundamentalen Mechaniken greifen: "A debt crisis occurs when there have been more promises made than there is money to deliver on them." 

Doch was sollten Staaten machen, wenn der Wendepunkt erreicht ist? Dalio zeigt die möglichen Reaktionen:

  • Austerität (Staat kürzt Ausgaben / erhöht Steuern)
  • Monetäre Expansion (Zentralbank senkt Zinsen, druckt Geld)
  • Strukturreformen
  • Währungs-/Schulden-Neuverhandlungen

Dalio betont: Jede Reaktion hat Kosten – politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Und oft bemerken die Staaten zu spät, dass sie sich in der kritischen Phase befinden. 

Was sind die Lehren für heute? Dalio warnt die großen Staaten (USA, China, Europa, Japan) davor, dass viele von ihnen Merkmale der Endphase eines großen Schuldenzyklus zeigen – hohe Schulden, niedrige Zinsen, schwaches Wachstum, hohe Ungleichheit, politische Spannungen. 

Er schlägt vor: Entscheider sollten frühzeitig Verkürzungen der Schulden- und Defizitquoten ins Visier nehmen, strategisch sparen, Reformen forcieren, und nicht einfach davon ausgehen, dass "weitermachen" funktioniert. 

Zum Abschluss des Buches gibt Dalio Empfehlungen: sowohl für Regierungen als auch für Investoren und Bürger. Er fordert mehr Transparenz, langfristige Denkweisen, Risikobewusstsein. Er warnt vor dem Fatalismus – aber auch davor, Risiken zu ignorieren, weil man glaubt "wir sind anders". Diese Warnung bildet eine zentrale Parallele zu Carmen M. Reinhart und Kenneth S. Rogoff, die in ihrem Standardwerk "This Time Is Different" (2009) nachweisen, dass Finanz- und Schuldenkrisen seit dem 14. Jahrhundert stets denselben Mustern folgen – unabhängig von Epoche, Kultur oder Technologie. Ihr berühmter Satz "The four most expensive words in the world are: This time is different.” drückt genau das aus, was Dalio in seiner Analyse als wiederkehrende menschliche Selbsttäuschung beschreibt: das Vertrauen darauf, dass neue Instrumente, Zentralbankpolitik oder moderne Finanzinnovationen alte Gesetzmäßigkeiten aufgehoben hätten.

Reinhart & Rogoff zeigen empirisch, dass Überschuldung, übermäßiges Kreditwachstum und staatliche Garantien immer wieder zu denselben Ergebnissen führen: erst Boom, dann Krise, schließlich politische und soziale Verwerfungen. Dalio ergänzt dieses Muster um die dynamische Perspektive des "großen Schuldenzyklus", in dem psychologische und politische Mechanismen das ökonomische Geschehen verstärken. Während "This Time Is Different" vor allem als quantitative historische Datenanalyse angelegt ist, interpretiert Dalio diese Daten im Kontext systemischer Verhaltensmuster und institutioneller Reaktionen.

So lässt sich sagen: Dalios Buch ist in gewisser Weise die verhaltens- und entscheidungstheoretische Fortsetzung von Reinhart & Rogoff. Beide Werke mahnen, dass jede Epoche die eigenen Schulden als "sicherer", "gerechter" oder "kontrollierbarer" ansieht – bis die Realität die Illusion einholt. Die Erkenntnis beider Autoren ist ernüchternd, aber realistisch: Finanzsysteme scheitern nicht, weil sie zu primitiv sind, sondern weil Menschen dazu neigen, zyklische Muster zu verdrängen.

Fazit: "Wie Staaten bankrott gehen" ist ein wertvoller Beitrag zur Debatte über Staatsschulden, Geldpolitik und langfristige Risikozyklen – insbesondere für Leser, die Makro-Ökonomie, Infrastrukturinvestitionen oder globale Finanzmechanismen interessieren. Allerdings sollte man das Werk kritisch lesen: Es liefert ein Modell, keine unfehlbare Prognose, und es ersetzt nicht tiefgehende ökonomische Analysen oder politikwissenschaftliche Kontextualisierung.

[ Bildquelle Titelbild: FinanzBuch Verlag ]

Details zur Publikation

Autor: Ray Dalio
Auflage: 1. Auflage
Seitenanzahl: 448
Verlag: FinanzBuch Verlag
Erscheinungsort: München
Erscheinungsdatum: 2025

RiskNET Rating:

sehr gut Praxisbezug
sehr gut Inhalt
sehr gut Verständlichkeit

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