Pisa-Studie

Keine Unterscheidung von Fakten und Meinungen


Kolumne

Vor wenigen Tagen hat die "Organisation for Economic Co-operation and Development" (OECD) ihre PISA-Sonderstudie zu Lesekompetenz und Lesegewohnheiten von Jugendlichen in Zeiten zunehmender Digitalisierung vorgestellt. Die unter dem Titel "21st-Century Readers" veröffentlichte Studie beruht auf Daten aus der PISA-Erhebung im Jahr 2018, bei der 15-Jährige getestet und befragt wurden.

Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland haben beim digitalen Lesen noch Nachholbedarf, so die bahnbrechende Erkenntnis der Studie. 45 Prozent von ihnen sind demnach nicht in der Lage, in einem Text Fakten von Meinungen zu unterscheiden. Und damit unterscheiden sie sich womöglich nur wenig von ihren Eltern und politischen Entscheidungsträgern sowie Wissenschaftlern. In einer Welt der "alternativen Fakten" geht es immer häufiger um eine moralisch richtige Wirklichkeit (siehe "Cancel Culture") und weniger um evidenzbasierte Fakten. Oder wie es der Wissenschaftler und Historiker Egon Flaig formuliert: Wir erleben, wie institutionelle Wissenschaft unter das Niveau massenmedialer Fabrikation absinkt. Geleitet von Eitelkeit und Geltungsbedürfnis geht es immer weniger um wissenschaftliche Fakten oder einen wissenschaftlichen Diskurs, sondern um "Sich in Szene setzen", wie es der Medizinprofessor und Risikoforscher Klaus Heilmann formuliert. Und somit stellt er die richtige Frage: Wie schaffen die Forscher bei all der Medienpräsenz nur all die Forschungsarbeit im Labor, von der sie ständig berichten. 

Zurück zur Pisa-Studie: Es stellt sich die berechtigte Frage, wie Jugendliche zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden können, wenn dies bereits bei den Wissenschaftlern verschwimmt und auch Journalisten und Politiker immer wieder in die Falle der postfaktischen Kommunikation hineinrennen. In der Corona-Risikowahrnehmungswelt vertreten nicht wenige Wissenschaftler Wahrheitsansprüche, die alles andere als faktenbasiert sind. Immer häufiger wird ohne jegliche wissenschaftliche Fundiertheit Angst geschürt. Und wer Angst hat, wird kein Risiko akzeptieren.

Der Mediziner und Wissenschaftler Hans Rosling hat in seinem Buch "Factfulness" viele Beispiele aufgeführt, wie wir aus unvollständigen oder emotional aufgeladenen Informationen Verallgemeinerungen ableiten, die keinem statistischen Test standhalten. Doch wissenschaftlicher Diskurs ist der Kern seriöser Wissenschaft. Wissenschaft beschäftigt sich nicht mit der Kommunikation von Worst-Case-Szenarien und der Produktion von imaginären Angstszenarien, wie wir es in den vergangenen Monaten immer wieder erlebt haben. Wissenschaftliche Erkenntnis akzeptiert die Unsicherheit und kommuniziert diese auch. Wissenschaft ist weder Heilslehre noch Religion. Und Wissenschaft verkündet nie absolute Wahrheiten.

Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, fordert, dass die junge Generation in die Lage versetzt wird, Texte kritisch lesen und die Fakten darin erkennen zu können. Die Wissenschaftsministerin, die nie in der Wissenschaft tätig war, fordert, dass digitale Medien sinnvoll zu Lernzwecken eingesetzt werden. Doch was hat das mit der Fähigkeit zu tun, Fakten von Meinungen zu unterscheiden? Wird mit einem Tablet und einem WLAN die Ursache des Problems beseitigt?

Nein, denn eine der Ursachen liegt in der massenmedialen Fabrikation von "alternativen Fakten", um eine moralisch richtige Wunschrealität zu schaffen, die nicht selten auch von Lehrern aufgesogen wird. Und nicht wenige Wissenschaftler, Journalisten, Politiker und Bürger sind in Echoräumen gefangen und erhalten regelmäßig die eigene Auffassung wie ein Echo zurück. Das ist sehr angenehm und befreit uns von einer Analyse der Fakten, was viel mehr Energie braucht und zudem noch Methodenkompetenz bedingt.

Wir sollten unseren Kindern vor allem beibringen, dass sie kritischer mit Informationen umgehen, die all das zu bestätigen scheinen, was sie ohnehin schon für richtig halten. Wir sollten sie lehren, Zahlen analysieren zu können und Statistiken zu verstehen. Hierzu gehört auch ein kritischer Blick auf die scheinbare Allwissenheit von Wissenschaftlern. Wir sollten sie darin lehren, zwischen digitalem Wahrheitsstreben, Luftblasen und reinen Lügen oder Propaganda zu unterscheiden. 

Mundus vult decipi: Die Welt will betrogen werden, hieß es bei den Römern. Um zu erkennen, was wahr ist, lohnen sich ein kritischer Blick, eine interdisziplinäre Analyse und ein strukturiertes Nachdenken. Bereits die alten Ägypter und die Menschen im Altertum nutzten die "Kunst der Täuschung" und der Fake News. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. 

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / C. Schüßler ]
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