Studie zur Interpretation von Wahrscheinlichkeitsbegriffen

Grenzen einer qualitativen Risikobewertung


Studie

In der Kommunikation über Risiken werden häufig Begriffe zur Klassifizierung der einzelnen Risiken verwendet. Dies wird als Ergänzung zu den quantitativen Angaben oder bei rein qualitativ beschriebenen Risiken auch als alleinige Angabe zur Bewertung eines Risikos genutzt. Solche Begriffe zur Kategorisierung werden entweder in Bezug zur Eintrittswahrscheinlichkeit (beispielsweise "hoch") bei ereignisorientierten Risiken wie Bränden oder zur Einschätzung der Auswirkungen eines Risikos (beispielsweise "existenzbedrohend"), beispielsweise zur Abschätzung der Relevanz eines Risikos benutzt (siehe hierzu den Prüfungsstandard 981 des Instituts der Wirtschaftsprüfer, A25, zu den typischen Herausforderungen der Risikoquantifizierung siehe Gleißner 2017, S. 167ff.). In Abb. 01 ist dazu ein typisches Beispiel aus dem Geschäftsbericht von RWE aufgeführt.

Begriffe sollen die Kommunikation erleichtern, da damit transparent wird, welche Bedeutung ein Risiko haben kann. Dabei liegt bei der Verwendung diese Begriffe die Annahme zugrunde, das für alle Beteiligten klar ist, was diese Begriffe konkret bedeuten, einmal im Vergleich der anderen Begriffe (Rangfolgen) als auch absolut ("hoch heißt x €" oder "x %"). Dazu ist aber auch die Annahme verbunden, dass alle Beteiligten die Begriffe gleich oder zumindest ähnlich interpretieren. Dies wurde in einer Studie untersucht.

Abb. 01: Ergebnisrisiken von RWE (Quelle: Geschäftsbericht RWE AG 2013, S. 92)Abb. 01: Ergebnisrisiken von RWE (Quelle: Geschäftsbericht RWE AG 2013, S. 92)

Studiendesign

Für die durchgeführte Studie wurden Begriffe zur Klassifizierung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken herangezogen. Diese Begriffe wurden Geschäftsberichten sowie Publikationen zum Thema (vgl. u.a. Hillson 2005) entnommen. Da davon ausgegangen werden kann, dass bei der Kommunikation von Risiken nicht nur fachlich geschultes Personal beteiligt ist, wurden bewusst keine Fachpersonen befragt, sondern Studierende in den ersten Wochen des Erststudiums. Diese Personen sind damit zwar keine Experten und hatten noch keine Vorlesungen zum Thema, gleichzeitig verfügen diese jedoch über die Hochschulreife, die in Deutschland bei rund 30% der Personen vorliegt (Mikrozensus 2015). Sie haben damit eine formal höhere Bildung als die Mehrheit der Deutschen.

Es wurden Vorlesungen gegen Ende der Veranstaltung besucht, kurz der Hintergrund erläutert und der Fragebogen ausgeteilt. Für die Beantwortung gab es als Belohnung Süßigkeiten. Insgesamt wurden 531 Fragebögen ausgefüllt zurückgegeben (je nach Begriff liegen 527, 528 oder 529 Antworten vor), die Teilnehmer waren zu 45% männlich und zu 55% weiblich, drei Viertel davon hatten das Abitur in Baden-Württemberg abgelegt (76%) und das Alter wurde im Mittel mit 20,9 Jahren angegeben (Median 20, Modus 19, Standardabweichung 3,2). Die gewählten Studienrichtungen waren gemäß Tab. 01 verteilt.

Anzahl Anteil in %
Betriebswirtschaftslehre326
Maschinenbau16230,5
Sozialwissenschaften14226,7
Wirtschaftspsychologie387,2
Wirtschaftsingenieurwesen15729,6
Total531100

Tab. 01: Verteilung der Studienteilnehmer auf Studienfächer

Die Studienteilnehmer wurde folgender Text vorgegeben: "Sie bekommen jetzt eine Liste mit typischen umgangssprachlichen Begriffen. Ergänzen Sie bitte spontan denjenigen Prozentwert ("x % Wahrscheinlichkeit") hinter den Ausdrücken, den Sie im Sinn hätten, wenn Sie selbst im Gespräch mit anderen den betreffenden Begriff verwenden würden." Darunter wurden verschiedene Begriffe aufgeführt, hinter die eine Antwort geschrieben werden konnte. Abschließend wurden demografische Angaben erhoben.

Studienergebnisse

In Abb. 02 sind erste Ergebnisse aufsteigend dargestellt, sortiert nach dem Median der zugeschriebenen Wahrscheinlichkeit. Die Grafik nutzt Boxplots, welche die Streuung der Daten veranschaulicht. Die Kästchen enthalten den Wert für 25% der Angaben ("links"), den Median (50%-Quantil) und enden beim Wert für 75% der Angaben ("rechts"). Dazu werden noch mit Strichen Ausreißer dargestellt, die nicht weiter als das eineinhalbfache der Länge des Kästchens entfernt liegen (sog. Interquartilsabstand).

Abb. 02: Boxplot zu den Angaben der Wahrscheinlichkeiten je BegriffAbb. 02: Boxplot zu den Angaben der Wahrscheinlichkeiten je Begriff

Sehen wir uns die Ergebnisse etwas genauer an, fällt vor allem bei den sprachlich eindeutigen Begriffen sicher und ausgeschlossen auf, dass auch diese von den Befragten nicht eindeutig einer Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden, auch wenn die Begriffe eindeutig erscheinen. So sollte semantisch erwartet werden, dass ausgeschlossen 0 % bedeutet und sicher 100%.

Für den Begriff ausgeschlossen ist dies noch recht nah am erwartbaren Wert (Median und Modus liegen bei 0), jedoch haben ein Viertel (25%-Quartil) hier 10% und mehr genannt. Für den Begriff sicher ist das Ergebnis noch frappierender: während der Modus sowie das 75%-Quartil noch bei 100% liegen, beträgt der Median 95% und das 25%-Quartil sogar nur 70%. Dass die weiteren Begriffe wie höchstwahrscheinlich, wahrscheinlich oder möglich breite Streuungen aufweisen, verwundert wiederum nicht.

Auffällig ist auch der Vergleich der Angaben getrennt nach Geschlechtern (vgl. Abb. 03). In den meisten Fällen liegen die Mediane weit auseinander, außer bei den Begriffen möglich, mittel und gelegentlich.
 
Abb. 03: Boxplot zu den Angaben der Wahrscheinlichkeiten je Begriff und GeschlechtAbb. 03: Boxplot zu den Angaben der Wahrscheinlichkeiten je Begriff und Geschlecht

Die Angaben sind auch signifikant unterschiedlich für die Begriffe sicher (U=30007, p<.011), höchstwahrscheinlich (U=29663, p<.010) und wahrscheinlich (U=30875, p<.049), nicht jedoch für die anderen Begriffe.

Im nächsten Schritt wurde überprüft, ob es auch Unterschiede in den Antworten zwischen den Studierendenrichtungen gibt, die nicht nur zufällig sein könnten (vgl. Tab. 02).

 Tab. 02: Angabe der Wahrscheinlichkeiten je Begriff und StudienrichtungTab. 02: Angabe der Wahrscheinlichkeiten je Begriff und Studienrichtung

Der Median-Test zeigte hier für alle Begriffe außer möglich, mittel und gelegentlich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. Post-hoc-Tests zeigten anschließend signifikante Unterschiede zwischen den Studierenden der Sozialwissenschaften und Maschinenbau für die Begriffe ausgeschlossen, wahrscheinlich, sicher, höchstwahrscheinlich, selten. Weiter gab es signifikante Unterschiede zwischen den Studierenden der Sozialwissenschaften und des Wirtschaftsingenieurwesens für wahrscheinlich, sicher, häufig und höchstwahrscheinlich. Dieser Effekt ist auch nicht auf Unterschiede in der Note im Fach Mathematik oder der Abschlussnote zurückzuführen, auch wenn Studierende im Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen sowohl deutlich bessere Mathematiknoten (Median 2,0 vs. 3,0) als auch Abschlussnoten (2,0 für Maschinenbau bzw. 1,8 für Wirtschaftsingenieurwesen vs. 2,7 für Sozialwissenschaften) aufweisen.

Fazit und Empfehlungen

Häufig werden Begriffe anstelle von konkreten Zahlen verwendet, um Häufigkeiten oder Auswirkungen zu kommunizieren. Dazu werden typische Begriffe wie hoch, niedrig oder selten benutzt. Wie diese Studie zeigen konnte, ist dies problematisch, weil selbst bei vermeintlich eindeutig besetzten Begriffen wie ausgeschlossen oder sicher, für viele Menschen nicht klar ist, was damit gemeint ist bzw. diese Begriffe nicht eindeutig mit einer Wahrscheinlichkeit belegt sind, die der Bedeutung der Begriffe entsprechen würde. Dieses Problem wird bei nicht eindeutig belegten Begriffen wie möglich, häufig oder höchstwahrscheinlich noch gravierender, laut der vorliegenden Studie mit Erstsemesterstudierenden kann die Spanne der zugeordneten Wahrscheinlichkeiten hier teilweise mehr als 40%-Punkte betragen. Damit ist eindeutig, das mit diesen Begriffen nicht fahrlässig umgegangen werden sollte. Wie diese Studie auch zeigt, sind die Interpretationen der Begriffe sowohl nach Geschlechtern als auch nach Studienrichtungen in dieser Stichprobe unterschiedlich. Damit wird es schwierig, rein mit solchen Begriffen Risiken zu kommunizieren.

Hinzu kommt die Herausforderung bei international tätigen Unternehmen, diese deutschen Begriffe beispielsweise in entsprechende englische Begriffe zu übersetzen und dazu die passenden Begriffe zu finden (siehe dazu die Auswertung von Hillson 2005, der englische Begriffe bei Teilnehmern einer internationalen Konferenz abgefragt hatte).

Ein wesentlicher Grund könnte darin liegen, dass im Alltag Begriffe verwendet werden, die zwar semantisch klar definiert sind – wie beispielsweise "ausgeschlossen" – diese jedoch umgangssprachlich nicht so "streng" verwendet werden. Hier sollte bei der Risikoanalyse klar gemacht werden, dass es sich im Kontext des betrieblichen Risikomanagements um einen Fachbegriff handelt, der klar definiert ist und auch entsprechend benutzt werden sollte, um Missverständnisse zu vermeiden.

Bei quantifizierten Risikoangaben, beispielsweise in Form von Drei-Punkt-Schätzungen, Pert-Verteilungen oder Dreiecksverteilungen sollte dieses Problem jedoch nicht so zum Tragen kommen, weil dazu noch Angaben zu den Verteilungen vorliegen und nicht nur verbale Informationen. Damit sollte klar sein, dass diese Informationen im Rahmen von Risikoanalysen erhoben werden sollten, auch um eine Weiterverarbeitung zur Ableitung eines Gesamtrisikos zu ermöglichen.

Eine Lösung könnte darin liegen, Begriffe zur Risikokommunikation klar über eine Zuordnungstabelle zu definieren (beispielsweise "hohes Risiko" stünde für "1 bis 2 Mio. EUR", "häufig" für "60-75%" oder ähnliches). Dies wird im Geschäftsbericht der adidas AG verwendet, in dem "unwahrscheinlich" als Begriff Wahrscheinlichkeiten unter 15% zugeordnet sind, "möglich" 15% bis 30% Wahrscheinlichkeit, "wahrscheinlich" 30% bis 50% sowie "sehr wahrscheinlich" 50% bis 80% und schließlich "nahezu sicher" 85% und höhere Wahrscheinlichkeiten. Diese Bandbreiten weisen zwar wiederum andere Schwachpunkte auf, wie die unterschiedliche Kategoriengrößen. Auf der anderen wird jedoch transparent, für welche Bandbreite der Begriff steht. Dazu sollte auch regelmäßig durch Befragungen geprüft worden, ob diese verstanden werden bzw. logisch erscheinen. Die Verwendung von Begriffen sollte auch klar zugeschnitten sein auf den Ausdruck einer Wahrscheinlichkeit bei ereignisorientierten Risiken, da die Abschätzung von Bandbreiten nicht mit solchen Begriffen unterstützt werden kann.

Andernfalls wird es für die Anwender schwer sein, einen Begriff wie "sicher" beispielsweise auf eine sicher eintretende Pert-Verteilung oder Dreiecksverteilung anzuwenden. Dazu sollte auch geklärt sein, ob sich diese Wahrscheinlichkeit auf einen einmaligen oder mehrmaligen Eintritt bezieht.

In Bezug auf zukünftige Studien sollten die Begriffe auch in anderen Sprachen und für andere Stichproben wie beispielsweise mit mehrjähriger Berufserfahrung oder mit verschiedenen Studienabschlüssen erforscht werden. Problematisch an dieser Form des Studiendesigns ist u.U. das keine Bandbreiten abgefragt wurden, was jedoch nicht untersagt war. Vielmehr kamen Antworten in Bandbreiten so gut wie nie vor. Eventuell könnte hier eine Studie mit Antworten in Bandbreiten sinnvoll sein. Zudem könnten auch Forced-Rankings-Designs verwendet werden, bei denen die Teilnehmer die Begriffe nach der Höhe der Wahrscheinlichkeit, ordnen müssen. So könnte geprüft werden, ob wenigstens die Reihenfolgen vergleichbar sind.

Autor:

Prof. Dr. Thomas Berger

Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen
Duale Hochschule Baden-Württemberg
E-Mail: berger@dhbw-stuttgart.de

 

Quellenverweise und weiterführende Literaturhinweise:

[Erschienen in leicht geänderter und gekürzter Form im Controller Magazin 3/2018]

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / Iamnee ]
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