Umgang mit Krisen und Großstörungen

Krisenmanagement und Business Continuity


Germann Jossé (2020): Krisenmanagement und Business Continuity – Umgang mit Krisen und Großstörungen, 108 Seiten, Vahlen Verlag, München 2020, ISBN 978-3-8006-6426-9. Rezension

Dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch wird das Zitat zugeschrieben, dass Krisen ein produktiver Zustand seien. Man müsse ihnen nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Soweit so gut – sinnvoller wäre es, Krisen rechtzeitig zu erkennen und sich auf Krisen entsprechend vorzubereiten. Das chinesische Schriftzeichen für Krise setzt sich aus den Symbolen für Risiko bzw. Krise und Gefahr (危) und Chance (机) zusammen. Doch nicht alle Unternehmen lernen aus vergangenen Krisen oder bereiten sich auf neue Überraschungen in der Zukunft präventiv vor. Doch seit wenigen Monaten stehen die Themen "Risikomanagement" und "Krisenmanagement" in Politik und Wirtschaft wieder ganz oben auf der Agenda, da nun viele Entscheider von den Versäumnissen in der Vergangenheit eingeholt werden.

Vor diesem Hintergrund erscheint der kompakte Ratgeber "Krisenmanagement und Business Continuity" von Germann Jossé, Professor an der Hochschule Worms, exakt zum richtigen Zeitpunkt. Das Buch beschäftigt sich mit den Überraschungen, den zukünftigen Krisen und Störungen. Frühzeitige Krisenvorsorge verschafft einen wichtigen und oft rettenden Zeitgewinn und ermöglicht Unternehmen und Organisationen, die schlimmsten Klippen zu umschiffen und die Krise zu meistern. Kurzum: Vorbeugen statt Heilen!

Was so einfach klingt, ist jedoch in der Praxis garnicht so einfach umsetzbar. Der Grund liegt häufig darin, dass Entscheider ihr Unternehmen so steuern, als gäbe es nur Sonnentage. Potenzielle Stressszenarien werden nicht selten ausgeblendet. Menschen neigen dazu, mögliche Ereignisse beziehungsweise Ergebnisse, deren Eintritt als sehr unwahrscheinlich angesehen wird, zu ignorieren. Und auch wenn die Existenz von Risiken im Allgemeinen zwar eingestanden wird, erfolgt ein Abstreiten einer persönlichen Betroffenheit (unrealistischer Optimismus). Man orientiert sich an Artikel 2 und 3 des Rheinischen Grundgesetzes: "Et kütt wie et kütt" ("Es kommt, wie es kommt.") bzw. "Et hätt noch emmer joot jejange." ("Es ist bisher noch immer gut gegangen.").

Um Unternehmen aus diesem unrealistischen Optimismus zu befreien, liefert der Autor in seinem Ratgeber eine Reihe realer Beispiele, von denen Unternehmen lernen könnten (bspw. Prevent vs. Volkswagen, Hurrikan Katrina). Leider skizziert der Autor die Lessons learned eher auf eine Metaebene und wird wenig konkret, wie denn nun ein Krisenmanagement oder ein Business Continuity Management präventiv oder reaktiv gewirkt hätte.

Das Buch 5 Themenblöcke. Nach einer allgemeinen Einführung (Kapitel 1) folgen eine unstrukturierte Sammlung allgemeiner und sehr konkreter "Störungen" aus der Vergangenheit sowie möglicher Ursachen, etwa JIT bzw. Lean-Ansätze (Kapitel 2). Das 3. Kapitel setzt sich mit Zukunft und der Krisenvorsorge auseinander. Unter anderem werden hier Trendextrapolationen, degressive und progressive Verläufe sowie stochastische Ereignisse skizziert. Pauschale Urteile werden – was ich von einem Wissenschaftler erwarten würde – nicht mit Quellen belegt. Die Abgrenzung zwischen persönlicher Meinung und objektiven Tatsachen ist fließend und wissenschaftlich unsauber.

Eine kurze Kostprobe (Seite 19): "Stattdessen leiten uns Egoismus, eine unglaubliche und meist kaum bemängelte Gier ("Turbokapitalismus"), ein wertvernichtendes Kurzfristdenken ("Nach mir die Sintflut") und allenthalben eine grenzenlose Zahlengläubigkeit."

Die Aussage, dass BCM in den USA und in Großbritannien längst etabliert sei und deutsche Unternehmen hier noch Nachhilfe benötigen, ist gewagt und wird auch nicht durch Studien belegt. Meine persönliche Erfahrung zeigt vielmehr, dass zwischen Unternehmen und Branchen sehr große Defizite im Reifegrad bei der Umsetzung eines BCM existieren. Auch die Aussage, dass sich Risikomanagement vor allem mit operativen Risiken beschäftigt, ist gewagt und wird vom Autor auch in keiner Form belegt. Kritisch äußert sich der Autor zur Bewertung von Risiken basierend auf geschätzten Wahrscheinlichkeiten. So führt er aus, dass etwa bei Rewe ein Risiko mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 29% als "gering" klassifiziert wird. Der Grund liegt schlicht und einfach, dass Menschen Wahrscheinlichkeiten als etwas "Abstraktes" wahrnehmen und uns ein natürliches Gefühl für deren Einschätzung fehlt. Am Beispiel RWE beschreibt der Autor diese Schwächen bei der Einschätzung von Risiken: "Im November 2005 kam es in NRW zu heftigen Schneefällen, rund 80 Stromleitungsmasten des Energieversorgers RWE brachen unter der Last zusammen. Das Risiko war bekannt, auch, dass rund 60% (!) aller Strommasten schwerwiegende Materialfehler aufwiesen. Trotzdem wurde das Risiko 2003 als "unwahrscheinlich" eingestuft, mit einer Häufigkeit von einem Mal innerhalb von hundert Jahren." Hier fehlte bei den "Risikoexperten" wohl stochastisches Wissen zur korrekten Transformation von Häufigkeiten in Wahrscheinlichkeiten.

Im vierten Kapitel definiert der Autor BCM und setzt sich mit den Zielen, Objekten sowie Vorteilen auseinander. Im anschließenden fünften Kapitel wird es konkreter: Ausgehend von dem Prozess eines BCM werden die einzelnen Phasen erläutert. Hierbei werden auch diverse Methoden überblicksartig genannt. Das Buch schließt mit einem Fazit und 12 Grundregeln ab. Regel 9 ("Die klassische Risikoanalyse ist gefährlich") hat mich zunächst irritiert, da hier auch nicht definiert wird, was unter klassischer Risikoanalyse verstanden wird. Bei einer "rückspiegelorientierten" Risikoanalyse – die leider in der Praxis immer noch weit verbreitet ist – würde ich sofort zustimmen.

Kreativitätsmethoden (Szenarioanalyse, Delphi-Analyse, Kopfstandtechnik, World-Café, Business Wargaming etc.) hingegen ermöglichen sehr wohl ein strukturiertes Antizipieren von zukünftigen Szenarien. Außerdem können Abhängigkeiten sowie Kausalbeziehungen berücksichtig werden, um beispielsweise Stressszenarien zu identifizieren und präventive Maßnahmen zu definierten sowie umzusetzen.

Fazit: Mit seiner Publikation bietet Germann Jossé eine kompakte und eher generische Einführung in die Themen Krisenmanagement und Business Continuity. Der grundlegende Prozess sowie einzelne Methoden werden überblicksartig und kompakt beschrieben. Andere Methoden, etwa Simulationsmethoden zur Bewertung von Supply-Chain-Szenarien und -störungen werden nur genannt, aber nicht beschrieben. Das Buch kann allen Lesern empfohlen werden, die in einem ersten Schritt einen groben Überblick über das Thema Krisenmanagement/BCM erhalten möchten.

[ Bildquelle Titelbild: Vahlen Verlag ]
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