Kollateralschäden durch Covid-19

Narzissmus statt Fakten


Kollateralschäden durch Covid-19: Narzissmus statt Fakten Kolumne

Als theoretischer Physiker musste ich über die Jahre erleben, wie einige Fachthemen gehyped wurden: diese wurden so in die Öffentlichkeit getragen, aufgeblasen und vermarktet, dass sie es fertig brachten, Teilbereiche der Physik mit besonderen Mitteln zu bedienen. Diese gezielte Förderökonomie ist an sich nichts Böses, da sie ja immer noch der Wissensvermehrung dient. Ist der Erfolg solcher Hypes aber unverhältnismäßig groß und setzen diese sich unangemessen durch, dann schaden solche Partialinteressen dem Gemeinwohl, weil sie die öffentliche Wahrnehmung von Dringlichkeiten verzerren und es zu Misallokationen gesellschaftlicher Resourcen führt: es kommt zu Fehlinvestitionen durch Opportunitätskosten; "Blasen" ("bubbles") entstehen. Ich befürchte nun, dass im Falle des Coronavirus durch ähnliche Mechanismen die Kollateralschäden unverhältnismäßig viel größer sind als die Schäden, welche vom Virus selbst hervor gerufen werden könnten.

Medien- und Aufmerksamkeitsökonomie während einer Pandemie

Beispiele solcher Hypes waren und sind die Quanteninformations-Technologie oder Quantencomputer, wo ein beispielloser „Hokuspokus" entfacht wird um Aufmerksamkeit und Resourcen sicherzustellen: Den Geldgebern wird – wie dem Kaninchen eine Karotte – ein Eldorado neuer Technologien und Anwendungen versprochen, wenn sie nur genügend lange genügend viel in diesen Teilbereich der Quantenphysik investieren. Ein anderes Problemfeld sind die Klimawissenschaften, die abwechselnd eine neue Eiszeit oder aber das genaue Gegenteil, nämlich eine fatale Erderwärmung, verbunden mit dem Abschmelzen der Polkappen, den Untergang paradiesischer Inseln und Massenmigration vor Dürre oder aber auch Regenfällen voraussagen. Die damit einhergehenden politisch verordneten Gegenmaßnahmen dürften in Deutschland und Österreich die Auto(zuliefer)industrie schwerst schädigen, und die Energiepreise extrem verteuern.

Medien "brummen" wie im Coronafieber

Das Muster ist dabei immer dasselbe: es geht um Aufmerksamkeit und um finanzielle Ressourcen. Die dabei entfachte Propaganda ist ein Narrativ, welches entweder ein Bedrohungszenario beschwört oder auch die Erlösung verspricht. Bedrohungszenarien greifen vermutlich stärker je persönlicher, "hautnaher", sie ausgestaltet werden. Das vermeintliche Versinken der Malediven löst geringere Emotionen aus – eher wohl die Tendenz dieses schöne, korrupte Inselreich noch einmal zu genießen bevor es (angeblich) im indischen Ozean untergeht – als die Vorstellung dass unsichtbare Krankheitserreger den eigenen Metabolismus übernehmen könnten.

Während es bei der Durchsetzung partikulärer Interessen von wissenschaftlichen Teilgruppen aber noch wesentlich darum geht, den Journalismus und Politiker quasi "auf seine Seite zu ziehen" um an die öffentliche Aufmerksamkeit zu gelangen, sitzt man im Falle der Corona-Pandemie quasi "im selben Boot" mit den Politikern und deren Journalisten: Gerade letztete Berufsgruppe ist in letzter Zeit aus verschiedensten Gründen so stark unter Druck geraten, dass ein plötzliche Aufflammen der Konzentration der Öffentlichkeit auf die Leitmedien einem vermeintlichen Befreiungsschlag gleichkommt: Endlich wieder uneingeschränktes Gehör für Qualitätsjournalismus! Hier funktioniert scheinbar noch Chomsky’s fabrizierte Konsens bestens und uneingeschränkt: Die Medien "brummen" wie im Coronafieber. Vergessen scheinen die massiven Abflüsse von Werbegeldern in die neuen, digitalen Medien; kaum vorhanden auch der Dissens zur Berichterstattung in den Staatsmedien, welche in Europa durch Zwangsgebühren teilfinanziert werden, und das bedrohliche Erodieren deren Wichtigkeit durch Auffüllen von Inhalten welche die "Lückenpresse" nicht darstellt.

Alles hängt nun an den Lippen der Moderatoren und der von ihnen nach sehr speziellen, medial-inhaltlichen Auswahlkriterien gecasteten und danach präsentierten Experten. Dies ist deshalb auch die Stunde der Virologen und Epidemiologien: Sie werden an- und nachgefragt wie selten. Nur agieren diese Damen und Herren wohl in gutem Glauben – das sei ihnen unterstellt und zugebilligt – aber keineswegs ohne eigene Interessen. Denn zum einen misst verständlicherweise ein Virologe den Viren große Bedeutung zu – genauso wie ein Quantenphysiker den Quanten – aber oft ohne das große Ganze im Auge zu behalten und die Verhältnismäßigkeit von Resourcen und Dringlichkeiten zu bedenken.

Narzissmus dominiert zuweilen die Wissenschaften

Und zum anderen haben Wissenschaftler ein natürliches Bedürfnis sich mitteilen zu dürfen. Böse Zungen behaupten ja – und ich sehe diese Einschätzung nach langen Jahren der wissenschaftlichen Praxis bestätigt – dass man den Narzissmus der individuellen Wissenschaftler gar nicht überschätzen kann, so hoch ist er: Der Narzissmus der Wissenschaftler ist allgegenwärtig und dominiert zuweilen die Wissenschaften.

Das ist nicht verwunderlich. Georg Franck hat es einmal in seiner "Ökonomie der Aufmerksamkeit" so ausgedrückt:  "Was ist angenehmer als die wohlwollende Zuwendung anderer Menschen, was wohltuender als ihre teilnehmende Einfühlsamkeit? Was ist inspirierender, als zu entflammten Ohren zu sprechen, was fesselnder als die eigene Ausübung von Faszination? Was gibt es Aufregenderes als einen ganzen Saal gespannter Blicke, was Hinreißenderes als den Beifall, der einem entgegentost? Was schließlich kommt dem Zauber gleich, den die entzückte Zuwendung derer entfacht, von denen wir selber bezaubert sind? - Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblasst der Reichtum neben der Prominenz."

Und auch die Regierungen sind zufrieden, denn allerorten scharen sich die Menschen um sie. Die Opposition tritt in den Hintergrund; Tagesprobleme und Dissens verblassen. Unseren Politikern werden von servilen Redakteuren bedient wenn jene neue Isolationsmassnahmen, sowie schwerste Einschränkungen im Sozial- und Wirtschaftsleben verkünden. Was für ein Gefühl muss das für die so elevierten Politiker wohl sein! Denn was ist für eine Regierung besser als eine gut gemanagte Katastrophe, oder, wie Orwell es in "1984" anklingen lässt, gar ein Krieg gegen einen äußeren Feind? Und allerorten wird ja nun Krieg gegen das Coronavirus geführt.

Uns fehlt Wissen

Nun könnte man einwenden, das sei alles schön und gut, aber nur die mediale Begleitmusik einer sehr ernsten Bedrohung. Diese beinahe unvermeidliche "Konzentration aufs Wesentliche" mache die zur Eindämmung der zugrundeliegenden Pandemie notwendigen gesellschaftlichen Maßnahmen verständlich. Sie erleichtern es der Politik, die damit im Zusammenhang stehenden notwendigen einschneidenden Maßnahmen zu setzen. Der österreichische Bundeskanzler hat sich beispielweise während einer Pressekonferenz am Freitag, den 13. März 2020 dafür ausdrücklich bei den Medien bedankt. Alles läuft hierorts quasi wie geschmiert: die Medien informieren, die Regierung handelt, die Bevölkerung nickt, kauft zur Beruhigung Klopapier, und befolgt die verlautbarten Handlungsanweisungen.

Dies immer unter der Voraussetzung dass das Bedrohungszenario auch in der überall medial verkündeten dramatischen Form denn auch vorläge! Und was wenn nicht? Allerdings gibt es ernstzunehmende Zweifler am angeblich allgemein verbreiteten Narrativ: Ein ZDF-Beitrag nennt einige Zweifler vom Fach, darunter Wolfgang Wodarg, einem ehemaligen Lungenarzt und SPD-Politiker, sowie Tom Jefferson vom Nordic Cochrane Institut. Im selben öffentlich-rechtlichen Sender befürchtet der Epidemiologe Gérard Krause, dass die Anti-Corona-Maßnahmen zu mehr Toten führen könnten als das Virus selbst. Die Virologin Mölling warnt vor Panikmache und hinterfragt die Angemessenheit von Extremmaßnahmen; genauso wie ihr Kollege Hendrik Streeck und John P.A. Ioannidis (und DOI doi.org/10.1111/eci.13222).

Zunächst einmal erscheint mir wichtig zu betonen dass in jedem Fall die Datenlage nicht besonders konsolidiert ist. Wie von Chris Whitty, dem Chief Scientific Adviser des britischen Premierministers betont: Uns fehlt das Wissen über den Durchseuchungsgrad der Bevölkerungen.

Unterscheidung zwischen Ontologie und Epistemologie

Angenommen die Behauptung von Christian Drosten, Professor an der Charité in Berlin, trifft zu und sein Test ist SARS-CoV-2 spezifisch. Welches Signal liefert dann dieser Test für die Verbreitung des Coronavirus? Man muss immer genau zwischen Ontologie und Epistemologie unterscheiden: Nur dort wo man hinschaut dort sieht man etwas; und die im Dunkeln sieht man nicht. Dort wo nicht getestet wurde, dort gab und gibt es auch wenige anerkannte Erkrankungen (beispielsweise in Indien). Die erste (vermutlich falsche) Annahme ist also: Die Verbreitung des Coronavirus ist proportional zur Anzahl des positiven "Drosten-Tests".

Weiter: bei den überregionalen Erkrankungen verhält es sich vermutlich so wie beim Benzin (wie Hans Werner Sinn ja argumentiert: alles was in Deutschland nicht verbraucht wird, geht anderswo also beispielsweise in den USA oder China durch den Auspuff): Selbst wenn es uns gelänge das Coronavirus komplett aus Europa zu verdrängen – d.h. wir wären "Drosten-Test"-negativ; dann würde es sofort wieder angreifen, wenn wir die Grenzen öffnen.

Eine regionale Kampagne erscheint mir daher zumindest längerfristig aussichtlos. Globale Kampagnen im erforderlichen Umfang erscheinen aber eher unrealistisch. Deshalb haben wir die Verseuchung zumindest längerfristig hinzunehmen.

Weiter: Es dürfte so sein, dass in Krankenhäusern eingelieferte Fälle schwerer sind als leichte Symptome, wobei man unterstellen kann dass in Wuhan selbst zumindest anfangs die Triage nach schweren stationären Fällen und leichten unbehandelten Fälle die häuslich betreut wurden eher in Richtung "sehr schwer" ging relativ zu den anderen Regionen Chinas die später davon betroffen waren.

Damit hat man aber eine ganz andere Kasuistik, die man statistisch nur schwer vergleichen kann: denn natürlich sterben "sehr schwer erkrankte" Patienten in höherem Maße als "leichter Erkrankte". Dies wirkt sich dann vermutlich so aus, dass man fälschlicherweise sagt: in Wuhan starben prozentuell mehr als anderswo, wo man besser behandelte (intubierte bzw ECMO-Beatmung). Ausserdem haben in Wuhan in den Frühphasen vermutlich viel weniger aber schwerer erkrankte Patienten den "Drosten-Test" gemacht als später.

Deshalb würde ich ein Statement (von Hans Werner Sinn in einer E-Mail vom 19.3.2020) wie "Corona 5% Letalität ohne Beatmungsgeräte und 0,5% mit solchen Geräten und anderen Einrichtungen der Intensivmedizin" so nicht gelten lassen; denn dabei nimmt man an, dass die Schwere der Erkrankungen der aufgenommenen Patienten überall gleich ist, und dass der "Drosten-Test" homogen angewandt wird.

Sinnvolle Kenngrößen nicht operationalisierbar

Eine viel bessere statistische Kenngröße wäre: Gegeben eine weitgehende Durchseuchung der Bevölkerung mit dem Coronavirus (also etwa 50-70%): Wie hoch ist dann die Gesamtsterblichkeitsrate aller die das Coronavirus im Blut hatten? Eine solche Kenngröße ist aber laut dem vorher Gesagten nicht operationalisierbar (messbar), denn wir kennen die Durchseuchung schlichtweg nicht.

Zur kruden Einschätzung der Bedrohung könnte man auch die Grippetoten – etwa in Italien – betrachten. Die Entwicklung der Influenza in Italien in den vergangenen vier Grippesaisonen ergibt nach diesem Artikel folgendes Bild: "Conclusions: Over 68,000 deaths were attributable to influenza epidemics in the study period (from 2013/14 to 2016/17 in Italy)" – Interessant auch folgende Aussage: "Italy showed a higher influenza attributable excess mortality compared to other European countries, especially in the elderly." Das sind über 68,000/4 = 17,000 Tote/Grippesaison in Italien. Im Vergleich damit fallen die gegenwärtig Toten, welche das Coronavirus laut "Drosten-Test" im Blut hatten – nur die Götter wissen welche anderen Co-Morbiditäten diese Toten hatten und was die wahre Ursache für deren Tod war – nicht extrem gesteigert aus. Warum das Coronavirus derartige Verwerfungen in Italien verursachte erscheint deshalb unklar. Ein Grund könnte in der medialen Darstellung liegen; ein anderer dass, bedingt durch die Organisationsstruktur des italienischen Gesundheitswesens, zu viele auch leicht Erkrankte die Spitäler aufsuchten; ein dritter dass man durch die Isolationsmaßnahmen die italienische Wirtschaft und damit die gesamte Stressstabilität der Gesellschaft politisch mutwillig herunter gefahren hat.

Höhere Schäden durch Sekundäreffekte

Meine Unterstellung ist, dass bei uns in Mitteleuropa am Ende – nach Wochen dieser Isolationsmaßnahmen – man völlig entnervt ohnehin wieder zum Normalleben zurückkehren muss und den Angriff des Coronavirus in Kauf nehmen wird. Politisch verkaufen wird man das als relativen Erfolg der vorherigen drakonischen Maßnahmen. Bis dahin werden durch Sekundäreffekte mehr Menschen geschädigt oder sogar gestorben sein als durch das Coronavirus jemals fatal betroffen gewesen wären. Nehmen wir anekdotisch als "leichtes" Beispiel meine 94-jährige an Alzheimer erkrankte Mutter, die eine 24/7-Betreuung durch ungarische Pflegerinnen benötigt. Diese ist nun wegen der Isolationsmassnahmen gefährdet. Was macht man bei Ausfall der lokalen Betreuung dieser ganz alten Menschen am Rande ihrer Existenz? Sie zusammenpferchen in Sterbekliniken und sie dort erst recht dem Coronavirus ausliefern?

Lassen Sie mich noch die Rolle der UNO bzw. der WHO andeuten. Diese Institutionen scheinen eine immer gefährlichere Politik zu verfolgen: um zu Geldern und Einfluss zu kommen beobachte ich wie deren Bürokratien und Gremien (beispielsweise das IPCC; aber in diesem Fall die WHO) in zunehmendem Maße – mit der Autorität der Staatengemeinschaft – Ziele verfolgen, die schlichtweg schädlich für die breite Weltbevölkerung sind.

Und da wären auch die Folgenkosten für die Wirtschaft und die Einschränkung des sozialen Lebens zu bedenken. Gegenwärtig erleben wir ein Zurückfahren der Volkswirtschaften auf Niveaus bei denen es nicht klar ist, wie sehr diese unser aller Wohlergehen – auch in sozialer und gesundheitlicher Sicht – auf Dauer schädigen. Es wird allgemein angenommen, dass eine Art Fastenzeit bis Ostern, eine Art gesamtgesellschaftlicher Urlaub, nicht viele Nachteile brächten. Eine Art Börsengewitter, dann geht’s wieder bergauf. Außerdem können nun alle Versäumnisse, Strukturprobleme und wirtschaftliche Misallokationen mit denen man kämpfte dem Coronavirus umgehängt werden.

Opportunitätskosten der politisch definierten Maßnahmen

Aber wie sieht es längerfristig aus? Niemand spricht von den gewaltigen Opportunitätskosten der gerade verhängten Maßnahmen. Und davon, dass marktwirtschaftlich geregelte Feinabstimmungen durch vermeintlich notwendige politische Maßnahmen unterbrochen werden. Aber ist dies alles notwendig, angemessen oder sinnvoll? Es ist leicht, eine Wirtschaft mutwillig zu zerstören. Aber weniger leicht, diese wieder zu reaktivieren.

Überlegen wir uns einmal für Österreich folgendes alternatives Extremszenario und stellen wir uns einmal vor wir würden beschließen, dass wir einfach die Coronapandemie "durchtauchen" würden. Die holländischen und englischen Regierungen schienen bis vor Kurzem noch entschlossen gewesen zu sein, das Virus "ausbrennen" zu lassen, um über die so erhaltene Herdenimmunität die gefährdeten Menschen zu schützen. Ein schwedischer Kollege schrieb mir gerade gestern, dass man sich dort noch ungehindert auf ein Bier in unserer Stammkneipe in Vaxjö treffen könnte. Welche Folgen hätte das?

Entscheidend dabei ist dass das Coronavirus bei der überwiegenden Mehrheit der Infizierten relativ milde Symptome hervorruft; oft spüren diese auch gar keine Symptome. Ein einfaches Rechenbeispiel ergibt folgende Risikoabschätzung: Gehen wir davon aus, dass sich in Österreich – inklusive illegaler sich dort aufhaltende Menschen – etwa 10 Millionen Personen befinden. Gehen wir weiter davon aus dass sich – wie von vielen Epidemiologien behauptet – ein Großteil, das heißt etwa 70 Prozent dieser Personen mit dem Coronavirus anstecken werden. Damit käme man auf etwa 7 Millionen Infektionsfälle. Von diesen – und hier scheiden sich die Geister – ist zu vermuten, dass zumindest 0,5 Prozent, höchstens aber 4 Prozent, sterben werden. Wie früher angedeutet sind diese Abschätzungen unter anderem deshalb so ungenau, weil niemand weiß wie hoch die eigentliche Durchseuchung der Bevölkerung, in der es bisher bereits vom Coronavirus verursachte Todesfälle gab, tatsächlich war. Neuere Erkenntnisse gehen von etwa 1.4% Todesrate bei Erkrankungen aus. Wir sprechen also in jedem Fall von etwa 35 000 bis zu 280 000, nach neueren Schätzungen knapp 100 000 Pandemieopfern. Ähnliche Abschätzungen stammen von Ioannidis.

Solange nur symptomatische und palliative Maßnahmen gesetzt werden können und keine Behandlung der Coronaviruserkrankung selbst möglich ist, werden diese Opferzahlen vermutlich völlig unabhängig davon sein, ob und welche Maßnahmen gesetzt werden: taucht man durch und macht gar nichts um die exponentielle Verbreitung zu verhindern, finden diese Erkrankungen nur schneller, quasi explosiver, statt. Der Nachteil ist natürlich, dass ein solcher exponentielle Anstieg ein schwerer traumatischer Schock – unter anderem für unser Gesundheitssystem – für alle Beteiligten nach sich zöge. Der Vorteil wäre, dass dieser Seuchenzug schnell vorbei und nicht in relative Ewigkeiten ausgedehnt würde.

Nun könnte man sagen: eventuell gibt es schon bald virale Medikamente oder Impfungen. Deshalb macht es Sinn, bis dahin die Ausbreitung zu verlangsamen; denn danach würde das Coronavirus keine Bedrohung mehr darstellen. Außerdem wird oft argumentiert, dass unser Gesundheitssystem viel besser den Pandemieschock verkraften kann wenn dieser nicht exponentiell oder zumindest zeitverzögert daher kommt.

Zu erster Hoffnung wäre zu sagen, dass dies wohl höchst spekulativ ist. Dem zweiten müsste wohl zugestimmt werden; allerdings wird in solchen Szenarien immer vorausgesetzt dass die Verweildauer auf der Intensivstation kurz ist relativ zur gesamten Dauer der Erkrankungswelle. Denn wenn dies nicht so wäre, und wenn die Patienten über lange Zeiträume "ihre" Intensivbetten belegen und damit für neu hinzukommende Patienten "blockieren" würden, dann wäre durch eine Streckung der Infektionsrate gar nichts gewonnen: denn dann käme es zu einer kumulativen Erhöhung der Intensivfälle ohne "Abgang" der schon früh Eingewiesenen. Das Elend würde sich nur langsamer aufbauen.

Man sollte in diesem Zusammenhang auch die bürokratisch-rechtliche Situation der betroffenen Ärzte berücksichtigen: für diese ist es individuell besser und weniger riskant, möglichst viele Patienten in möglichst intensiver Betreuung zu belassen. Denn eine solche Einweisung erscheint aus medizin-dokumentarischer und rechtlicher Verantwortlichkeit für den einzelnen Arzt risikofrei. Sollten dann aber alle Intensivstationen besetzt sein, dann liegt dies nicht mehr in der individuellen ärztlichen Verantwortlichkeit, sondern erscheint als institutionelle Problematik – also im Verantwortungsbereich des Spitals und des Gesundheitssystems – der Arzt selber bleibt dabei rechtlich "aus dem Schneider".

In jedem Fall müsste man zugeben, dass die Medizin gegenwärtig nur wenige symptomatisch- palliative Maßnahmen kennt, um gefährliche Krankheitsverläufe, die sich oft auf die Lunge als gefährdetes Organ konzentrieren, zu behandeln: die Zugabe von Antibiotika, um bakterielle Begleiteffekte zu begrenzen, die Gabe von Sauerstoff, um die Sauerstoffkonzentration im Blut des Erkrankten zu gewährleisten, sowie fiebersenkende Mittel. Extremfälle bedürften der Intubation und (soweit vorhanden) den Einsatz von so genannten Extracorporeal membrane oxygenation (ECMO)-Maschinen zur längerfristigen "externen Beatmung" wenn das Lungengewebe schwerst geschädigt ist. ECMO Maschinen wären dringlichst zu produzieren; eventuell indem man das Patentrecht in diesem Bereich (mit Kompensation) aussetzt und Komponenten in 3-D Druckern nach „open access"- Mustern erzeugt. Eventuell sollte die Behandlung von extrem schweren Krankheitsverläufen mit einer Vielzahl von kleinen, mobilen und delokalisierten Einsatztrupps organisiert und die Leute möglichst zu Hause behandelt werden; eventuell begleitet von 24/7 Betreuungen vor Ort durch eingeschulte Personen welche pflegende Aufnahmen übernehmen könnten. Insbesondere wären solche Maßnahmen in einer relativ unbeschränkt agierenden Gesellschaft leichter zu bewerkstelligen als in einer Gesellschaft, deren wirtschaftliche Kapazitäten mutwillig "niedergefahren" wurde.

Fazit

In jedem Fall wären die Opportunitätskosten aller getroffenen Maßnahmen zu berücksichtigen und miteinander zu vergleichen: Es müsste allen klar sein, dass es hier keine "Lösung" gibt sondern um das Managen von verschiedenen Formen von Elend; und um die Reduktion desselben relativ zu offen ausgesprochenen Kriterien. Sämtliche Maßnahmen wären miteinander zu vergleichen und es müsste klargestellt werden, welche auch langfristigen Konsequenzen diese nach sich zögen. Ich glaube, dass nach so einem Vergleich es angemessen erschiene, gewisse soziale und wirtschaftliche Beschränkungen nicht zu erlassen, sondern bewusst die Infektion in Kauf zu nehmen; immer unter der Voraussetzung, dass man für jede Schwere der Infektion vorbereitete und vordefinierte Maßnahmen setzen würde.

Natürlich ist es aus taktischer Sicht für die betroffenen Politiker opportun und empfehlenswert genau die harten Maßnahmen zu setzen welche von Virologen und Epidemiologien oft gefordert werden: Denn wehe dem Politiker welchem ein konkreter Krankheitsverlauf zu Last gelegt wird, indem ein älterer Patient röchelnd und nach Luft schnappend dem Coronavirus vor laufender Kamera medial wirksam erliegt! Die ad hominem-Keule der Journaille ist zu verführerisch um sie nicht auszupacken. Schon Johann Wolfgang von Goethe sprach in einem ähnlichen Zusammenhang von "Lazaret[t]-Poesie".

Am Ende könnte jedoch die gegenwärtige politisch-wirtschaftliche Exit-Strategie nicht minder irrational erscheinen wie die globalen Hamsterkäufe an Klopapier; so als ob diese Rollen in magischer Weise anti-virale Eigenschaften besäßen wenn man nur genügend davon einbunkert.

Autor:

Karl Svozil
, Professor am Institut für theoretische Physik der TU Wien, arbeitet im Bereich Quantenphysik und Computertheorie und beschäftigt sich in seiner Forschung u.a. mit quantenmechanischen Zufallsfolgen.

[Der Beitrag spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder]

 

 

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]
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