Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist

Factfulness


Hans Rosling/Anna Rosling Rönnlund/Ola Rosling (2020): Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist, Ullstein Verlag, Berlin 2020, ISBN-13: 978-3550081828 Rezension

In einer durch Angst und Hysterie geprägten Filterblasen-Diskussion sollten wir die Zeit nutzen und vor allem Lernen unser Gehirn zu nutzen und Informationen kritisch zu reflektieren. Die mitunter unqualifizierten und aus Filterblasen und Echokammern resultierenden Kommentare auf unseren Beitrag Covid-19 und der Blindflug präsentieren mir eine dramatisierende Realitätswahrnehmung und Weltsicht, die mitnichten der Realität entspricht.

Auf diesen Umstand hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder der brillante Statistiker und Professor für Internationale Gesundheit, Hans Rosling, hingewiesen. Sein Buch "Factfulness" liefert vor allem ein sicheres, auf Fakten basierendes Gerüst, um die Welt so zu sehen, wie sie tatsächlich ist. Wahre "Factfulness" erreicht man nur durch eine offene, neugierige und entspannte Geisteshaltung, in der nur noch Ansichten geteilt und Urteile gefällt werden, die auf soliden Fakten basieren.

Leider ist die aktuelle Covid-19-Pandemie ein weiteres Beispiel dafür, dass Menschen – und hier vor allem politische Entscheidungsträger – ständig falschen Fakten hinterherlaufen und in der Konsequenz fehlerhafte Entscheidungen treffen, da die Fakten schlicht und einfach ausgeblendet werden. Die überdramatisierte Weltsicht in der Köpfen der Menschen ("Wir werden alle in der Folge von Covid-19") sterben, erzeugt ein permanentes Gefühl von Krise und Stress und Apathie. Und dieses Gefühl von Angst führt zu neuer Unsicherheit und noch mehr Angst. Wir hören auf zu denken und lassen uns von unseren Instinkten leiten. So dominieren nicht nur beim Klimawandel, sondern auch bei allen Diskussion um Sars-Cov2 und Covid-19 vor allem die schrillen Töne. Hierzu Hans Rosling: "Man muss sich immer weiter mit dem Problem befassen, darf aber nie zum Opfer der eigenen frustrierten und alarmierenden Botschaften werden. Man darf einerseits die Augen vor dem Worst-Case-Szenarien nicht verschließen, muss aber andererseits auch um die Unsicherheit der Datenlage wissen." [Seite 281; hier im Kontext Klimawandel]

Im Kontext Covid-19 empfehle ich die Ausführungen von Hans Rosling zum Thema Ebola (Seiten 281 bis 284). "Die Zahlen hinter der offiziellen »Verdachtsfälle«-Kurve der Weltgesundheitsorganisation und der US-amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (Centers for Disease Control and Prevention, CDC) waren alles andere als abgesichert." Beispielsweise wurden Personen, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt für mit Ebola infiziert hielt, die aber dann, wie sich später herausgestellt hat, an einer anderen Ursache gestorben waren, weiter zu den Verdachtsfällen gezählt. D.h. es wurde kausal nicht zwischen unterschiedlichen Ursachen unterschieden, analog zu den aktuellen Covid-19-Statistiken. Und "je mehr die Angst vor Ebola wuchs, umso mehr griff auch Argwohn um sich, und immer mehr Menschen wurden zu »Verdächtigen«", so der Wissenschaftler Rosling.

Als die Gesundheitsdienste unter dem Gewicht der Ebola-Belastung einknickten und Ressourcen von der Behandlung anderer lebensbedrohlicher Krankheiten abgezogen werden mussten, starben immer mehr Leute aus Gründen, die kausal nichts mit Ebola zu tun hatten. Auch viele dieser Todesfälle wurden zu den "Verdächtigen" gerechnet. Rosling weiter: "Auf diese Weise lief die ansteigende Kurve der Verdachtsfälle immer mehr aus dem Ruder und hatte immer weniger Aussagekraft hinsichtlich des Trends der tatsächlichen bestätigten Fälle." Hans Rosling: "Als ich im Gesundheitsministerium von Liberia eintraf, erkundigte ich mich als Erstes danach, wie wir ein Bild von der Zahl der bestätigten Fälle bekommen könnten. Nach kurzer Zeit fiel mir auf, dass Blutproben an vier verschiedene Labore geschickt wurden und deren Aufzeichnungen, die aus langen und chaotischen Excel-Tabellen bestanden, nicht miteinander kombiniert wurden. Wir hatten Hunderte von Mitarbeitern aus dem Gesundheitswesen, die aus allen Teilen der Welt eintrafen, um sich nützlich zu machen. Es gab Software-Entwickler, die ständig mit neuen unnützen Ebola-Apps daherkamen (Apps waren irgendwie ihr Hammer, für den Ebola als Nagel gerade recht kam.)"

Hans Rosling schickte die vier Excel-Tabellen nach Stockholm, wo Datenfehler bereinigt und konsolidiert wurden. Bei der Analyse der Daten fiel den Statistikern und Gesundheitswissenschaftler auf, dass die Zahl der bestätigten Fälle bereits vor zwei Wochen ihren Höhepunkt erreicht hatte und jetzt im Sinken begriffen war. Er schickte die fallende Kurve an die Weltgesundheitsorganisation. Dort wurden die Daten anschließend veröffentlicht. "Doch die CDC bestanden auf der steigenden Kurve der »Verdachtsfälle«. Man glaubte, man müsse ein Gefühl der Dringlichkeit bei den Leuten aufrechterhalten, die für die Zuteilung von Ressourcen verantwortlich waren", so der renommierte Mediziner und Statistiker.

Diese Ignoranz bewertet Hans Rosling als Bedrohung der langfristigen Glaubwürdigkeit von epidemiologischen Daten. Fundierte Daten, so Rosling, waren der absolute Schlüssel für die Bewältigung der Ebola-Krise. Den folgenden Absatz sollten alle Virologen, Epidemiologen, Politiker und Filterblasen-Gefangene ausführlich – und am besten gleich zweimal – lesen:

"Daten waren der absolute Schlüssel. Und da sie auch in Zukunft der Schlüssel sein werden, wenn es irgendwo erneut zu einem Ausbruch kommt, ist es von zentraler Bedeutung, ihre Glaubwürdigkeit zu schützen und auch die Glaubwürdigkeit derer, die die Zahlen produzieren. Daten müssen dazu verwendet werden, die Wahrheit zu sagen, und nicht dazu, zum Handeln aufzufordern, ganz egal, wie nobel die Absichten sind." [Seite 284]

Fazit: Für alle Weltuntergangs-Propheten, Schwarzseher und dauerdepressiven Lamentierer bietet das Buch von Rosling eine exzellente Faktensammlung und eine Gelegenheit, die eigene Filterblasen-Position neu zu kalibrieren.

 

"Krisen, Kriege, Katastrophen & Disruption: Wie riskant ist die Welt wirklich?"

Vortrag zur verzerrten Risikowahrnehmung von Prof. Dr. Werner Gleißner, Technische Universität Dresden [Oktober 2019]

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[ Bildquelle Titelbild: Ullstein Verlag ]
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