Studie erklärt Anlageverhalten

Risikoaversion und Informationsdefizit


Studie erklärt Anlageverhalten: Risikoaversion und Informationsdefizit Studie

Die Aktie ist ein Wertpapier, das den Anteil an einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien verbrieft. Damit ist eine Aktie vor allem ein Finanzierungsinstrument für die Kapitalgesellschaften der Aktiengesellschaft (AG), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) oder Europäischen Gesellschaft (SE). Mit Aktien können sich die Unternehmen Eigenkapital beschaffen, indem sie diese auf dem Finanzmarkt an Aktionäre veräußern.

Laut er Untersuchung des Deutschen Aktieninstituts lag die Teilnahmequote am Aktienmarkt im Jahr 2018 in Deutschland bei 16 Prozent und ist damit auch im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA mit 54 Prozent gering. Was sind die Gründe für dieses vergleichsweise gering ausfallende Interesse am Aktienmarkt? In einer aktuellen Studie haben Wissenschaftler versucht hierauf eine Antwort zu finden. Wissenschaftler der Frankfurt School und der Goethe-Universität kommen in ihrer Studie, die von der Deutschen Börse beauftragt wurde, zu dem Schluss, dass die Kombination von Risikoaversion und überschätztem Risiko, das vor allem durch ein Informationsdefizit entsteht, die Deutschen von einer vermehrten Aktienanlage abhält.

Risikoprämie als "Mehr" an Rendite

Der vermutlich wichtigste Grund, der für eine Aktienanlage spricht, ist die sogenannte Risikoprämie auf Aktien – also das "Mehr" an Rendite, dass man bei Aktien im Vergleich zu etwa einem Sparbuch erwarten kann. Was bedeutet das konkret? Allen Krisen zum Trotz war beispielsweise die durchschnittliche jährliche Wertsteigerung des Leitindexes für Aktien in Deutschland, DAX®, in der Vergangenheit beträchtlich: Laut dem DAX-Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts waren es seit 1969 bis zum Jahresende 2018 durchschnittlich sieben Prozent pro Jahr.

Über einen längeren Zeitraum hinweg kommt die Risikoprämie auf Aktien noch stärker zum Tragen, wie folgende Beispielrechnung zeigt: Spart man monatlich 10 Euro in ein Sparschwein, so hat man nach 30 Jahren 3.600 Euro angesammelt. Spart man die 10 Euro auf einem Sparbuch mit 2 Prozent Zinsen, wären es im selben Zeitraum 4.913 Euro. Bei einer unterstellten Rendite von 7 Prozent, also der oben genannten historischen durchschnittlichen Aktienmarktrendite, hätte man nach 30 Jahren 11.697 Euro gespart.

Abb. 01: Faktoren, die für die Aktienmarktteilnahme eine Rolle spielenAbb. 01: Faktoren, die für die Aktienmarktteilnahme eine Rolle spielen

Risiko und Rendite sind untrennbar miteinander verknüpft

Der große Unterschied bei den Erträgen ist die Folge des Zinseszinseffekts (der gleichermaßen für Aktienmarktrenditen gilt), so die Autoren der Studie. Im zweiten Jahr einer Anlage erhält man nicht nur eine Rendite auf den Anfangsbetrag, sondern auch auf das im ersten Jahr hinzugewonnene Geld. Die Studie zeigt: Bei der Entscheidung darüber, wie sich langfristige Sparziele erreichen lassen (insbesondere die Sicherstellung des Lebensstandards im Alter), kann die Aktienrendite eine entscheidende Rolle spielen.

Doch wie muss das Risiko bei einer Aktienanlage bewertet werden? Nicht umsonst wird die höhere Rendite von Aktien als "Risikoprämie" bezeichnet. In der Tat sind Risiko und Rendite untrennbar miteinander verknüpft. "Wer in Aktien investiert, muss bereit sein, Schwankungen im Vermögensaufbau auszuhalten", so die Studienautoren.

Berechnet man das Risiko einer Aktienanlage basierend auf historischen Daten, ist es allerdings schwer erklärbar, warum viele Menschen in Deutschland dieses Risiko komplett scheuen, so die Schlussfolgerung der Autoren. Folgt man den Daten des Deutschen Aktieninstituts, so ist es seit 1969 kein einziges Mal vorgekommen, dass eine Anlage in den DAX® mit einem Anlagehorizont von mindestens 13 Jahren vor Kosten einen Verlust erzielt hat. Selbstverständlich können sich Aktienkurse in der Zukunft anders entwickeln, als sie dies in den vergangenen Jahrzehnten taten. Allein mit genereller Risikoscheu lässt sich jedoch schwer erklären, warum in Deutschland so viele Menschen überhaupt nicht am Aktienmarkt teilnehmen, so das Zwischenfazit der Wissenschaftler.

Die Studie geht diesem Rätsel nach – basierend auf einer im Mai 2019 in Deutschland durchgeführten Umfrage. Bei der Entwicklung des Fragebogens für diese Umfrage wurden wissenschaftliche Artikel zum Thema sowie vorhandene Umfragen von Unternehmen oder Organisationen berücksichtigt und weiterentwickelt.

"Beim Thema Aktienkultur ist Deutschland ein Entwicklungsland. Trotz umfangreicher Aufklärungsarbeit verändert sich die Zahl der Aktionäre seit Jahren kaum", erklärt Nicolas Nonnenmacher, Bereichsleiter bei der Deutschen Börse. "Die vorliegende Studie bietet erstmals eine detaillierte wissenschaftliche Grundlage für die Aktien-Aversion der Deutschen, bestätigt Vermutungen und bietet neue Erkenntnisse. Jedem steht nun frei, hieraus Maßnahmen abzuleiten, um die Aktienkultur in Deutschland nachhaltig zu verbessern."

"Deutschland ist eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt. Dennoch investieren die Deutschen in einem sehr geringen Ausmaß in Aktien. Sie verschenken damit mittel- und langfristig Rendite. Nach wie vor sind die Deutschen äußerst risikoscheu. Eine gezielte Aufklärung über die tatsächlichen Risiken und Chancen einer Anlage in Aktien wäre sicher hilfreich", erklärt Michael Grote, Professor an der Frankfurt School.

Abb. 02: Mögliche Gründe für die geringe AktienmarktteilnahmeAbb. 02: Mögliche Gründe für die geringe Aktienmarktteilnahme

Risikoscheu als eine Erklärung

Eine naheliegende Erklärung für die Nichtteilnahme am Aktienmarkt ist eine Risikoscheu bzw. Risikoaversion. Da jede Form des Sparens in Aktien mit Risiken verbunden ist, macht Risikoaversion eine Aktienanlage unattraktiver. Auch in unserer Studie schätzen sich Nicht-Aktienbesitzende im Durchschnitt weniger risikobereit ein als Aktienbesitzende.

Mit Risikoaversion im Allgemeinen ist allerdings schwer zu erklären, warum viele Menschen nicht zumindest einen kleinen Teil ihres investierbaren Vermögens in Aktien anlegen. Eine von der verhaltensökonomischen Forschung vorgebrachte Erklärung beruht auf sogenannten nicht vollständig rationalen Risikopräferenzen.

In einer Umfrage der Targobank aus dem Jahr 2016 stimmten 61 Prozent der Befragten der folgenden Aussage voll zu: "Bevor ich bei der Geldanlage etwas falsch mache, lasse ich lieber erst einmal alles so wie es ist und warte ab." Die Frage zielt indirekt auf die sogenannte antizipierte Reue ab, die in der psychologischen und verhaltensökonomischen Forschung zu Risikopräferenzen seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle spielt.

Antizipierte (vorweggenommene) Reue bezeichnet hier ein Gefühl beim Aktienkauf im Sinne von: "Wenn sich die Anlage später als Minusgeschäft herausstellt, werde ich es bereuen. Um dieses schlechte zukünftige Gefühl zu verhindern, kaufe ich heute besser nicht."

Abb. 03: Spontane Assoziationen mit dem Begriff "Risiko"Abb. 03: Spontane Assoziationen mit dem Begriff "Risiko"

Verzerrung von kleinen Wahrscheinlichkeiten

Tatsächlich hat die Aussage "Ich habe Angst, dass ich bei einer ökonomischen Katastrophe (z.B. einer Finanzkrise) einen Großteil meines eingesetzten Vermögens verliere" unter den Nicht-Aktienbesitzenden dieser Studie die meiste Zustimmung von allen 37 angebotenen Aussagen rund um das Thema Aktienmarktteilnahme erhalten. Die Schulden- und Finanzkrise von 2007/2008 ist nun mehr als zehn Jahre her, die nächstjüngste Krise des Neuen Marktes mehr als 15 Jahre. Krisen dieses Ausmaßes lassen sich insofern als "seltene" Ereignisse bezeichnen.

Ereignisse, die mit geringer Wahrscheinlichkeit große negative Wirkung entfachen ("Katastrophen"), haben in der Verhaltensökonomie schon lange besondere Aufmerksamkeit erfahren, so die Studienautoren. Nach der mit dem Nobelpreis gewürdigten "Prospekttheorie" von Kahneman und Tversky haben sie besonders starken Einfluss auf die Entscheidungsfindung. So verhält sich eine Person – gemäß der Prospekttheorie – gegenüber einer Katastrophe, die mit ein Prozent Wahrscheinlichkeit eintritt, als ob sie mit etwa fünf Prozent einträte. Die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe würde also übergewichtet oder "verzerrt" – und das selbst dann, wenn man sicher wüsste, dass die richtige Wahrscheinlichkeit bei ein Prozent läge.

Auch die Aussage "Das Risiko eines Aktiencrashs, selbst wenn es gering ist, hat für mich großes Gewicht bei Anlageentscheidungen" findet breite Zustimmung unter Nicht-Aktienbesitzenden (61 Prozent). Damit liegt sie bei den Nicht-Aktienbesitzenden auf Platz 7 von 37 zu bewertenden Aussagen zur Aktienmarktteilnahme. Selbst wenn manche Nicht-Aktienbesitzende demnach meinen würden, dass ein Aktiencrash objektiv unwahrscheinlich ist, könnten sie besonderes Augenmerk auf ihn richten. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Angst vor einem Aktiencrash oder einer ökonomischen Katastrophe ist in keinster Weise als beschränkt rational zu bezeichnen. Die Verzerrung kleiner Wahrscheinlichkeiten könnte solchen Ereignissen aber noch größere Bedeutung für die Anlageentscheidung verleihen als sie ohnehin schon haben.

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[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]
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