Emotionalität und Risiko

Wege zu einem intelligenten Risikomanagement


Emotionalität und Risiko: Wege zu einem intelligenten Risikomanagement Interview

So ziemlich jede unternehmerische Entscheidung basiert auf einem Abwägen von Chancen und Risiken. Allerdings tendiert unser Gehirn dazu, Sinneseindrücke und Informationen möglichst einfach und übersichtlich zu organisieren. Wir versuchen unsere Wahrnehmungen auf das Wichtigste zu konzentrieren – alles im Sinne einer ökonomischen Informationsverarbeitung. Insbesondere in Gefahrensituationen ist das sinnvoll. Hier wäre es unsinnig, erst eine komplexe stochastische Szenarioanalyse durchzuführen, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Der Nobelpreisträger und Psychologe Daniel Kahneman spricht in diesem Kontext von zwei Denksystemen, die den Menschen steuern, ein intuitives und ein rationales, und das intuitive ist weitaus mächtiger als das rationale.

Das schnelle und intuitive System 1 erkennt aufgrund von abgespeicherten Erfahrungen und Wissen blitzschnell Muster und reagiert mit Ad-hoc-Maßnahmen. Es arbeitet vollautomatisch und ohne willentliche Steuerung. Und das ist beispielsweise in Notfällen auch wichtig: Weder der Steinzeitmensch, der plötzlich einem Säbelzahntiger gegenüberstand, noch der Feuerwehrmann, der in einer Krisensituation schnell reagieren muss, haben die Zeit beispielsweise eine strukturierte und komplexe Szenarioanalyse durchzuführen. Ohne System 1, das schnell, unbewusst und in der Regel emotionsgesteuert Entscheidungen herbeiführt, könnten wir als Menschen gar nicht überleben.

Ergänzend zu der Psychologie beschäftigen sich die Neurowissenschaften im weitesten Sinne mit der Funktion des Gehirns. Am ehesten von Bedeutung für das Verständnis menschlichen Entscheidungsverhaltens sind dabei die kognitiven Neurowissenschaften. Dabei arbeiten heutzutage verschiedene Disziplinen aus der Biologie, der Medizin und der Psychologie sowie weiterer angrenzender Bereiche, wie der Ökonomie, zusammen.

Wenn wir es mit komplexen und risikobehafteten Entscheidungen zu tun haben, ist es deshalb zwingend notwendig, entsprechende analytische und quantitative Risikomodelle einzusetzen, so der Neurowissenschaftler Bernd Weber vor wenigen Jahren in einem Interview auf dem Kompetenzportal RiskNET. Bei komplexen Entscheidungen sollten wir uns nicht auf Heuristiken oder Intuition verlassen. Intuition basiert auf der Fähigkeit der Mustererkennung im Gehirn, das heißt einer automatischen Abwägung von "gelernten Wahrscheinlichkeiten". Wir sprachen erneut mit Prof. Dr. Bernd Weber (Center for Economics and Neuroscience, Universität Bonn) über die Wege zu einem intelligenten Risikomanagement mit Erkenntnissen der Neurowissenschaften.

Zum Verständnis für unsere Leser: Was genau ist das Aufgaben- und Forschungsfeld von Neuroökonomen?

Bernd Weber: Die Neuroökonomik beschäftigt sich an der Schnittstelle der Psychologie, Verhaltensökonomik und Hirnforschung mit der Untersuchung menschlichen Entscheidungsverhaltens. Dabei nutzt sie Methoden der Neurowissenschaft, um die biologischen Grundlagen und Einflüsse auf menschliches Verhalten zu untersuchen.

In einem Beitrag auf RiskNET wurden Sie jüngst mit den Worten zitiert: Wir können zeigen, dass die Erfassung psychologischer und neurowissenschaftlicher Daten uns hilft, die Verhaltensweisen im Alltag besser zu verstehen. Können Sie das etwas konkretisieren?

Bernd Weber: Natürlich, gerne. Menschen unterscheiden sich stark voneinander in ihrem Verhalten und ihren Präferenzen. Manche Menschen sind risikobereiter, andere scheuen Risiken eher. Mithilfe von Persönlichkeitsbefragungen und Verhaltensexperimenten im Labor können Vorhersagen darüber getroffen werden, wie Menschen sich im Alltag eher verhalten werden.

Wir konnten hier kürzlich zeigen, dass darüber hinaus auch die Erfassung von Hirnaktivitätsmustern hilft, diese Vorhersage von Verhalten in anderen Situationen zu verbessern.

Mit welcher Forschungsarbeit beschäftigen Sie sich aktuell?

Bernd Weber: In aktuellen Arbeiten beschäftigen wir uns vor allem damit, die Heterogenität von Menschen besser zu verstehen. Welche Möglichkeiten haben wir, die Unterschiede von Menschen in ihren Einstellungen robust zu erfassen und die Vorhersagekraft für Verhalten außerhalb des Labors zu verbessern? Konkret beschäftigen wir uns derzeit dabei mit Anlageverhalten – wie unterscheiden sich Aktienanleger von solchen, die diese Anlageform eher meiden. Welche Rolle spielen hier Finanzbildung und kognitive Einstellungen neben eher emotionalen Aspekten.

Wenn wir Ihren Wissenschaftsbereich der Neuroökonomie auf das Finanzdienstleistungsumfeld übertragen, mit welchen Methoden lassen sich komplexe finanzielle Fragestellungen damit beantworten?

Bernd Weber: Die Neuroökonomik hilft, individuelles Entscheiden besser zu verstehen. Die Übertragung auf makroökonomische Fragestellungen ist dabei eher indirekt möglich, indem man die Heterogenität von Menschen besser erfassen und vorhersagen kann. Interessante Beispiele sind hierbei beispielsweise Sunk Cost Effects oder Nominalillusionen.

Neben dem Einkommen und der Schulbildung spielen auch der Risikooptimismus und die Risikotoleranz eine wesentliche Rolle beim Aktienkauf. Können Sie das etwas näher erläutern, und wie lässt sich das Ganze in der Praxis messen?
Bernd Weber: Dies ist korrekt. Hierbei geht es vor allem darum, wie man mit Risiken umgeht. Wie schätzt man Wahrscheinlichkeiten ein, und wie sehr ist man in der Lage und bereit, Unsicherheit zu tolerieren. Diese Einstellungen kann man mithilfe von Fragebögen und gegebenenfalls zusätzlichen Verhaltensexperimenten erfassen.

Verlassen wir den Elfenbeinturm und wenden uns der Praxistauglichkeit Ihrer Arbeit zu: Welchen konkreten Mehrwert können Risikomanager aus Ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen für die tägliche Arbeit ableiten?

Bernd Weber: Ein wichtiger Aspekt ist, dass man sich immer wieder zwei Dinge klar machen muss: 1. Menschen unterscheiden sich, und sie reagieren unterschiedlich in Situationen und nicht immer vorhersagbar. 2. Emotionalität spielt eine sehr große Rolle in menschlichem Verhalten, und man ist sich dessen nicht immer selbst bewusst.

Deswegen ist es wichtig, sich in möglichst ruhigen emotionalen Zuständen über sein Verhalten in bestimmten Situationen klarzuwerden und sich zu überlegen, was hier optimales Verhalten wäre – in einer Stresssituation ist man dazu weniger gut in der Lage und sich gegebenenfalls noch nicht einmal dessen bewusst.

Es hat den Anschein, als werde das Forschungsfeld der Neurowissenschaften beziehungsweise die Ergebnisse daraus noch zu wenig in die strategischen Überlegungen der Finanzwirtschaft eingebunden. Teilen Sie diese Ansicht?

Bernd Weber: Ich sehe dies etwas zwiegespalten. Einerseits wird sehr viel darüber diskutiert – und dies ist ein enormer Gewinn – dass Menschen eben biologische Wesen sind, die mit einem biologischen System (dem Gehirn) Entscheidungen treffen.
Daraus folgt, dass sie auch biologischen Einflüssen und Einschränkungen unterliegen. Sich dies bewusst zu machen, ist schon einmal ein sehr großer Fortschritt.

Auf der anderen Seite gibt es relativ viele Behauptungen und Ansätze, die sich einen neurowissenschaftlichen Anstrich geben, jedoch mit  Forschung relativ wenig zu tun haben. Eine gewisse Skepsis gegenüber überzogenen Aussagen seitens der Finanzwissenschaft ist also durchaus gerechtfertigt und ratsam.

Wenn Sie nach vorne blicken. Welche Forschungsaufgaben warten mittelfristig auf Sie, und wie kann die Finanzwelt zukünftig davon profitieren?

Bernd Weber: Ich sehe zwei große Felder, die uns in der Zukunft beschäftigen werden: Das erste ist die Etablierung standardisierter und reproduzierbarer Testbatterien, um individuelle Einstellungen robuster zu erfassen. Hier finden derzeit international große Anstrengungen statt.

Ein weiterer Aspekt ist dann sicherlich – und hier ist eine starke interdisziplinäre Anstrengung notwendig – die Übertragung der Erkenntnisse in sinnvolle Anwendungen in der Finanzwelt. Hier sehe ich ein großes Potenzial, das jedoch nur an der Schnittstelle der Forschung und Nutzer gehoben werden kann.

Bernd Weber studierte Humanmedizin in Bonn und promovierte am Institut für Pharmakologie und Toxikologie. Seit dem Jahr 2005 leitet er am Life & Brain Center die Abteilung für strukturelle und funktionelle Bildgebung des Gehirns.

Neben der Erforschung der neuronalen Grundlagen von Gedächtnis- und Sprachprozessen, beschäftigt er sich seit einigen Jahren intensiv zusammen mit Psychologen und Ökonomen mit der neuen Disziplin Neuroökonomie, das heißt den biologischen Grundlagen ökonomischen Entscheidungsverhaltens und ihren praxisrelevanten Fragestellungen.

Er ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied der zentralen Einrichtung Center for Economics and Neuroscience an der Universität Bonn. Bernd Weber hat seit Juli 2010 eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Heisenbergprofessur für Neuroökonomie an der medizinischen Fakultät der Universität Bonn inne.


[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock | Bild Weber: Stefan Heigl / RiskNET GmbH ]
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